Lk 22,54-62

Lk 22,54-62

Der Hahn kräht | Lätare | 10.03.2024 | Lk 22,54-62 | Nadja Papis |

Dieser Hahn nervt – frühmorgens kräht er vom Bauernhof her durch die Gegend. Ein absolut nutzloses Tier. Er produziert selber nichts – ausser dem Geschrei und ein paar schönen Federn.

Mir kommt das Bild des krähenden Hahnes aus dem Comic «Asterix und Obelix» in den Sinn. Es ist wie eine Art «running gag», dass sich der Hahn zu Unzeiten die Seele aus dem Leib kräht und damit das ganze gallische Dorf zur Weissglut treibt.

Der Hahn weckt aus dem Schlaf. Das Krähen am Übergang von der Nacht in den Tag wurde in der christlichen Tradition zu einem wichtigen Mahnmal. Symbolisch dargestellt auf unzähligen Kirchtürmen. Ursprung dafür war der heutige Predigttext:

(Lesung Lk 22,54-62)

«Ehe der Hahn heute kräht, wirst du mich dreimal verleugnen», so die Abschiedsworte von Jesus an Petrus. «Niemals!» Petrus kann es sich nicht vorstellen. Er ist ein eifriger Nachfolger, ein Jünger der ersten Stunde. Nichts und niemand kann ihn trennen von dem, der sein Herr geworden ist, damals am See, als er vom Berufsfischer zum Menschenfischer wurde.

Petrus ist eine tolle Jüngerfigur, wirklich, in mir weckt er immer wieder viel Sympathie, jedenfalls so, wie die Bibel ihn beschreibt. Mit der späteren Machtfigur der institutionellen Kirche habe ich meine liebe Mühe, aber dieser Jünger fasziniert mich: Er redet, bevor er richtig zuhört. Er macht, bevor er nachdenkt. Er lässt sich von seinen Emotionen mitreissen. Denken wir nur daran, wie prompt er das Schiff verlassen hat und aufs Wasser hinausging, als Jesus dort draussen in die Nachfolge rief. Da hat er sicher nicht vorher darüber nachgedacht, sonst wären ihm die Zweifel wohl eher gekommen. Und auch jetzt stösst er seinen Widerspruch innig und überzeugt aus, ohne sich bewusst zu sein, in welcher Lage er sich bald befinden wird: «Niemals verleugne ich dich!» Petrus schiesst gerne übers Ziel hinaus in seiner enthusiastischen Art.

Und dann passiert es trotzdem: Dort im Hof des Palastes verleugnet er seine Zugehörigkeit zu Jesus – nicht nur einmal, sondern dreimal. Nicht nur sanft, sondern heftig und klar. Dafür gibt es keine Ausrede. Petrus ist gescheitert und beim Krähen des Hahnes wird es sich seinem Verrat bewusst.

Hm, nicht mehr so sympathisch. Der moralische Zeigefinger streckt sich in die Höhe. Wie kann der nur! Zuerst den Mund so weit aufreissen und dann beim ersten Widerstand einknicken.

Petrus hat meine Sympathie immer noch. Ich kenne die Situation selbst auch gut – wenn der Hahn kräht und mich zur Besinnung bringt. Wenn ich wieder mal vorschnell etwas herausposaunt habe und es nachher gar nicht halten kann. Wenn ich mich emotional hab mitreissen lassen und dann doch nicht einhalten kann, was ich versprochen habe.

Die Situation ist ja auch elend gefährlich. Die Verhaftung Jesu hat seine Leute in grosse Bedrängnis gebracht. Wer zu einem Verräter und Aufwiegler gehörte, musste damit rechnen, selbst verurteilt und hingerichtet zu werden.

«He, Du, gehörst du nicht zu diesem Jesus?»

«Genau, du bist einer von ihnen!»

«Ja, ich hab´s genau gesehen, du warst mit ihm unterwegs!»

Diese Sätze beim Feuer im Hof sind nicht harmlos. Sie kommen einer Anklage gleich – und vielleicht auch schon einer Verurteilung.

Petrus wird es angst und bang. Sein Leben ist plötzlich in Gefahr. Kopflos geht er in die Defensive: «Was, ich? Nein, ich gehör nicht zu dem. Du musst mich verwechseln! Mit dem habe ich nichts zu tun!» Sätze, die ihm kurz darauf das Herz brechen. Der Hahn kräht und bringt ihn zur Besinnung damit. Jetzt sieht er den Blick von Jesus. In dem Moment stürzt sein Schutzschild ein, seine Lügen werden aufgedeckt und damit auch seine Schuld. Petrus wird sich bewusst, was er getan hat. Nun kann er ehrlich sein – sich selber gegenüber, Jesus gegenüber und auch der Welt. Die Tränen laufen, denn es tut unsäglich weh. Einen Menschen verraten und verleugnet zu haben, den er liebt – dieser Schmerz bricht auf.

Als Mahnmal steht der Hahn auf vielen Kirchtürmen und erinnert uns an diese Geschichte. Sie geht glücklicherweise noch weiter. Petrus ist nicht ein- für allemal abgekanzelt und verurteilt. Er bleibt in der Nachfolge, er bleibt im Glauben und findet seinen Weg – auch zurück zur Anerkennung durch die anderen.

Der Hahn kräht uns heute immer noch entgegen: «Passt auf! Achtet Euch!» Dabei geht es weder bei Petrus noch bei uns heute um die moralische Verurteilung oder Schuldzuweisungen. Für mich ist es ein Weckruf, der Ruf zu mehr Achtsamkeit, zu mehr Ehrlichkeit, zu mehr Bewusstsein für all das, was ich einfach mal rede oder tue, wo ich mich drin verstricke oder vorschnell mitmache. «Schau hin! Sei wachsam! Steh zu dir und zu dem, was dir wichtig ist!»

Manchmal kommt der Weckruf genau wie das Krähen des Hahnes im gallischen Dorf von Asterix und Obelix ungelegen. Er ist oft unbequem, manchmal sogar erschütternd und fordernd. Achtsamkeit und Ehrlichkeit sind für mich kein Wohlfühl-Programm, sondern meistens mit schmerzhafter Arbeit, Trauer und knallharter Akzeptanz der eigenen Grenzen verbunden. Ja, ich behaupte: Gerade unangenehme und schwierige Umstände zwingen zur Achtsamkeit – sei es eine Krankheit, eine Trennung oder Überforderung. Und manchmal würde ich diesem Hahn am liebsten den Hals umdrehen und sein Geschrei zum Verstummen bringen. Manchmal wünschte ich mir, ich hätte schon vorher hingehört, aber so bin ich nicht – so war Petrus auch nicht. Solange es gut ist und gut läuft, bewegt sich kaum etwas. Insofern bin ich froh um den Hahn und sein Krähen, obwohl er auf dem Bauernhof eigentlich nichts bringt. Er hilft mir, hinzuschauen auf das, was gerade ist, und mich zu fragen, ob es so gut ist.

Petrus kann nicht dortbleiben. Er schafft es nicht. Verrät er damit seinen Herrn oder achtet er auf seine Grenzen? Vielleicht bleiben wir anderen etwas schuldig, wenn wir auf uns selbst achten. Vielleicht enttäuschen wir, weil wir uns selbst ernst nehmen. Vielleicht verraten wir eine gemeinsame Sache, weil wir uns in diesem Moment nicht dafür entscheiden können. Petrus hat gelernt mit seiner Schuld zu leben. Und er hat erfahren, dass andere bei Jesus geblieben sind. Vielleicht sind wir ersetzbarer, als wir denken.

Unangenehme Gedanken, aber ich lege sie voller Vertrauen dem Göttlichen hin. Genauso wie meine Schuld. Genauso wie mein Unvermögen. Und meinen Mut, meine Überzeugung und Begeisterung. Ich vertraue darauf: Alles ist aufgehoben bei dem, der das Menschliche kennen gelernt und durchlitten hat.

Amen

Pfrn. Nadja Papis

Langnau am Albis

nadja.papis@refsihltal.ch

Nadja Papis, geb. 1975, Pfarrerin in der ev.-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich/Schweiz. Seit 2003 tätig im Gemeindepfarramt der Kirchgemeinde Sihltal.

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