Lukas 1, 46-55

Lukas 1, 46-55

Wir haben in Dänemark im letzten Jahr eine lebhafte Diskussion über Gott geführt. Haben das biblische Gottesbild und der biblische Glaube an Gott den Menschen Anno 2004 etwas zu sagen? Die Naturwissenschaft hat uns ein Wissen gebracht, das nicht zugänglich war, als die Bibel geschrieben wurde. Deshalb meinen einige, u.a. der nordseeländische Pfarrer Thorkild Grosbøll, es sei widersinnig und tief tragisch, heute Gott als Argument für irgendetwas zu verwenden.

Vielleicht sind es gar nicht die neuen Gottesdienstformen und spannenden kirchlichen Aktivitäten, die die Leute in die Kirche locken sollen. Vielleicht ist es nicht die Form, sondern eher der Inhalt des christlichen Glaubens, der die Menschen davon abhält, in die Kirche zu gehen. Eben solche Gedanken hat sich z.B. der amerikanische Theologe und Bischof John Shelby Spong gemacht. Er meint nicht, daß Jesus am Ostermorgen von den Toten auferstand oder daß seine Jünger mit ihm nach seiner Auferstehung redeten. Gerade wenn wir solche Dogmen von dr Auferstehung Jesu behaupten, hindern wir unsere Mitmenschen daran, in die Kirche zu gehen, sagt Spong.

Wenn Spong Recht hat, kann man nur schwer dem Evangelium einen Sinn abgewinnen, das wir gerade gehört haben. Es handelt sich um einen erzählenden dramatischen Bericht über Maria Magdalena, Simon Petrus und Johannes, die das Grab Jesu gähnend leer finden. Man hat zuweilen das leere Grab als einen beweis für die Auferstehung Jesu verwendet. Aber natürlich beweist das leere Grab in sich gar nichts. Weder die Existenz Gottes noch die Möglichkeit des Glauben lassen sich durch Argumente der Vernunft beweisen.

Das heutige Evangelium ist kein beweis für die Auferstehung des Herrn. Aber das Evangelium ist ein zwingender und bewegender Beweis für den Osterglauben von Maria Magdalena. Sie fand das leere Grab in ihrer Verzweiflung, den Glauben an die Auferstehung des Herrn. Der Glaube der Erzählung ist es, der durch die Jahrhunderte seit dem ersten Ostermorgen Anklang gefunden hat. Und dieser Glaube an die Auferstehung des Herrn wächst stets aus unserer eigenen Leere und Verzweiflung ganz so, wie dies damals mit Maria Magdalena geschah.

Es gibt ein altes chinesisches Sprichwort, das sagt: „Du hast ein Ei, ich habe zwei. Du gibst mir dein Ei, und ich gebe dir mein Ei. Nun haben wir jeder ein Ei. Du hast eine Idee, und ich habe eine Idee. Du gibst mir deine Idee, und ich gebe dir meine Idee. Nun haben wir jeder zwei Ideen“.

Das ist der Unterschied zwischen der materialistischen und der geistigen Welt. Das ist der Unterschied zwischen Staub und Geist, würde Grundtvig sagen. In der materialistischen Welt besitzen wir die Dinge. Wir haben sie gekauft und bezahlt. Wir geben sie einander, aber die besitzverhältnisse sind immer klar. Es gibt nur einen Eigentümer. In der Welt des Geistes aber ist es anders. Ideen, Gedanken, Erzählungen gehören allen, die hören, sehen und verstehen. Ideen, Gedanken und Erzählungen haben Urheber, Philosophen und Schriftsteller. Aber sie gehören nicht dem Urheber, der Philosophen oder dem Schriftsteller. Sie gehören allen, die hören, sehen und verstehen.

Das gilt auch für die Erzählung vom leeren Grab am Ostermorgen. Heute spielt Maria Magdalena die Hauptrolle, aber Petrus hat eine ganz wesentliche Nebenrolle. Er kam zuerst zum leeren Grab. Von ihm und dem anderen Jünger heißt es, daß sie sahen und glaubten. Petrus hatte gerade seine furchtbarste Nacht erlebt, als er seinen Herrn und Meister im Hof des Hohenpriesters drei mal verleugnete. Da liegt ein neuer Anfang für ihn und uns alle i dem kurzen lakonischen Satz: Sie sahen und glaubten.

Maria Magdalena, Petrus und die anderen Jünger erzählten weiter, was sie gesehen hatten. Die Erzählung verbreitete sich in der ganzen Welt. Sie kam Ende des 9. Jahrhunderts nach Dänemark, und zu einem Zeitpunkt wurde sie Christentum als Volksreligion. Sie wurde Teil unserer gemeinsamen Erinnerung als Dänen. Die mächtige Erzählung von der Kraft Gottes, die die Finsternis durchbrach, verwurzelte sich in unserem Volk. Die Erzählung wurde weitergegeben, sie schuf Glaube und Hoffnung im Leben der Menschen. Denn der Glaube kommt aus dem, was man hört, sagt Paulus. Der dänische Dichter Martin A. Hansen stellt einmal das Gedankenexperiment an, daß er alle Generationen nebeneinander stellt, vom Anfang, als das Christentum nach Dänemark kam, bis heute. Wenn man in dieser Weise einen Vater neben seinen Sohn stellte bis hin in unsere eigene Zeit, würden da 32 bis 35 Menschen nebeneinander stehen.

Und wenn der allererste von ihnen, der alte Wikinger dort unten am Anfang der Reihe, etwas zum letzten sagen würde, der heute lebt, dann würde der nicht viel von dem verstehen, was der Alte sagt. Die Worte und die Sprache haben sich seit damals unglaublich viel verändert. Aber wenn der Alte statt dessen es seinem Sohn erzählte, und der wieder seinem Sohn, so daß die Botschaft wie ein Murmeln durch die ganze Reihe ginge, dann würde der letzte in der Reihe, dann können ich und du sein jedes Wort verstehen. Es wäre die Muttersprache, die wir aus der Stimme unseres Vaters oder unserer Mutter vernehmen.

So sind wohl Gedanken und Ideen in einer einfachen, lebensnahen und verstädlichen Weise von einer Generation zur anderen überliefert worden. So haben die Alten ihre Weisheit mit der folgenden Generation teilen können, ohne daß die alte Generation deshalb ihre Weisheit verlor. So hat uns die lebendige Tradition mit denen verbunden, die vor uns gelebt haben. Mit den Vätern und Müttern. Weil wir es mit der Muttermilch empfangen haben. Mit der lebendigen Erzählung von Mutter und Vater für Tochter und Sohn.

Die Erzählung vom leeren Grab hat in einer Generation nach der anderen Wurzeln geschlagen, weil sie als eine Weisheit erzählt worden ist, eine Geschichte, die uns nicht fernsteht, sondern mitten unter den Menschen lebt. Lebt als eine Hoffnung. Die Hoffnung darauf, daß der Tod nicht das Letzte ist. Daß Gott die Macht des Todes gebrochen hat.

Wenn man ein kleines Kind zur Taufe trug, wurde dieses Kind Teil dieser Geschichte, weil das Kind in die Hoffnung der Auferstehung eingeschlossen wurde. Und wenn man von einem lieben Menschen Abschied nehmen mußte, den der Tod fortgerissen hatte, da war diese Erzählung lebendig als eine Hoffnung darauf, daß der Tod, den unsere Augen als das Letzte sehen, eben nicht das Letzte ist, sondern nur das Vorletzte, weil es ein Leben gibt, das über den kalten Tod hinausreicht. Und all das nimmt seinen Anfang in dem, was die Jünger und Maria Magdalena in und vor dem leeren Grab Ostermorgen erleben. Die Erzählung wurde weitergegeben, weil sie die tiefsten Schichten des menschlichen Lebens berührt.

Und in diesem Gottesdienst sitzen wir als die 35. Generation, um von unserer Freude und unserem Dank vor Gott zu singen, dem Geber des Lebens und dem Sieger über den Tod, weil die Auferstehungshoffnung nicht nur eine Erzählung davon ist, was mit dem Leib Jesu an diesem Morgen vor vielen Jahren im Felsen­grab vor den Toren Jerusalems geschah. Diese Erzählung handelt von uns. Von unserem leben. Es ist eine Erzählung, die dich und mich angeht. Weil die Auferstehung Jesu unsere Hoffnung ist.

Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem, was an diesem Morgen geschah, und dem, was mit uns geschieht. Wie er auferstand, sollen wir auferstehen. Aber das ist nicht nur eine Erzählung und eine Hoffnung, daß die Toten nun wieder lebendig werden. Dann wäre vielleicht kein so großer Grund zur Freude. Denn der Tod ist nun einmal unser Los. Er kann als ein furchtbarer Feind kommen. Als eine kalte Tatsache, die uns allzu früh voneinander trennt. Der Tod kann Trauer verursachen und Verlust – so tief, daß es weh tut. Aber der Tod kann auch kommen als eine Befreiung von Schmerz und Leid. Als etwas für das wir danken und um das wir bitten.

Die Generationen folgen auf einander. Das ist nun einmal der Gang des Lebens. Man denke nur einmal den Gedanken, daß es den Tod nicht gäbe, daß alle ewig leben sollten. Das wäre kein Grund zur Freude. Wo sollten wir denn alle hin? Alle Generationen seit der Erschaffung der Welt bis heute! Nein, wenn Auferstehung bloß bedeutete, daß die Toten wieder lebendig werden, dann wären die Freude und der Segen begrenzt.

Die Hoffnung von Ostern auf Auferstehung für uns Menschen bedeutet, daß uns etwas Neues erwartet. Etwas, was wir noch nicht kennen. Etwas, auf das wir nur hoffen, das wir nur glauben können. Ein neuer Himmel und eine neue Erde. Die Auferstehungshoffnung ist wie eine lebenserhaltende Rettungsschnur aus dieser Welt zum ewigen Reich Gottes. Die Auferstehung ist wie das Verhältnis zwischen der Zwiebel und der Frühlingsblume. Die Blume kommt aus der Zwiebel, aber die Blume ist dennoch etwas anderes als die Zwiebel. Das kann jeder sehen, der Augen im Kopf hat.

Die Auferstehung Jesu ist das erste. Ostermorgen sprang die Osterblume in voller Blüte aus. Und seit dem machen der eine Sarg nach dem anderen, die eine Urne nach der anderen deutlich, daß das Feld der neuen Welt einmal mit blühenden Osterliljen bedeckt sein wird, wo weit das Auge reicht. Einmal werden wir ewig im Reich Gottes leben: „Osterblume, einen starken Tropfen trank ich aus deinem goldnen Becher, und wie ein Wunder, stärkt er mich und erquickt“, sagt Grundtvig in seinem berühmten Osterlied von der Osterblume.

So lebt die trotzige, frohe Hoffnung mit Furcht und großer Freude unter uns. Sie ist wie eine Rettungsschnur, die über den Tod hinausreicht und uns mit dem verbindet, was wir nicht sehen, sondern nur erhoffen können. Die uns mit dem ewigen Reich Gottes verbindet. Einmal müssen wir alle sterben. Aber der Tod kann auch zu uns kommen, bevor wir sterben und aus dieser Welt scheiden. Das ist der Tod, wenn das Gespräch und die Freude zwischen den Menschen verstummen. Das ist der Tod, wenn Eltern und Kinder so weit auseinander kommen, daß sie nicht mehr miteinander reden und einander verstehen können. Das ist der Tod, wenn Gier nach Geld Feindschaft zwischen alten Freunden schafft. Das ist der Tod, wenn wir uns der kalten, zynischen Macht übergeben. Der Sieg des Lebens über den Tod trifft uns mitten in unserem Leben miteinander.

Der Auferstehungsglaube von Ostern stärkt uns, daß wir mit der Hoffnung und dem Glaubens als Waffen allen Tod und jedes Duckmäusertum bekämpfen. Denn der Tod ist nicht das Letzte. Der Tod ist nur das Vorletzte. Deshalb sollen wir unseren Platz in der langen Reihe von Menschen finden, die die Erzählung weiterbringen als ein Gemurmel von Mensch zu Mensch und von einer Generation zur anderen.

Der norwegische Theologe Notto Thelle erzählt, daß er einmal in Japan mit einem Menschen sprach, den er als einfach und edel bezeichnete. Er war nie in einer Kirche gewesen, aber er sprach von Christus. „Christus“, sagte er mit strahlenden Augen, „ein Mensch, der so ganz liebte, konnte nicht alt werden. Er mußte jung sterben. Aber er hatte dann auch eine phantastische Auferstehung“.

Als Thelle darauf sagte, es sei schwierig, den Glauben im Alltag zu leben, es sei schwer, Jesus in seiner vorbehaltlosen Liebe, seinem gehorsam und seiner Aufopferung zu folgen, antwortete der einfach edle Mensch so: „Aber ist er nicht deshalb in die Welt gekommen? Hast du nicht das Leben bekommen, um es wegzugeben?“ Und das kam von Herzen. Das war keine fromme Belehrung, sondern die Weisheit eines alten Mannes.

Wir brauchen uns nicht um Gott oder seine Kirche zu sorgen. Gott wird ewig leben, und die Kirche wird leben, solange die Welt besteht. Deshalb erträgt die Kirche auch unsere Diskussionen über Gott. Aber die Erzählung, das Wort von ihm, der die Macht des Todes zerbrach, muß von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Denn sonst verschwindet die Erzählung aus unserem Volk. Und dann nehmen wir den kommenden Generationen die Freude und den Glauben, ohne die ich nicht leben könnte. Das muß erzählt werden um des Lebens willen. Christus ist auferstanden. Frohe Ostern! Amen.

Bischof Karsten Nissen
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