Lukas 12, 42-48

Home / Bibel / Neues Testament / 03) Lukas / Luke / Lukas 12, 42-48
Lukas 12, 42-48

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Ewigkeitssonntag
21. November 1999
Lukas 12,
42-48

Elisabeth Tobaben


Liebe Gemeinde!

Der November ist schon ein ganz besonderer Monat: entweder
begegnet er uns mit strahlend blauem Herbsthimmel – oder er wirft uns in ein
nebligtrübes, naßkaltes „Novemberwetter“ .

Da gibt es das warme Licht auf leuchtend gelben Resten von
Herbstlaub – und zugleich zermatschte Blätter auf glitschigen
Straßen und Fußwegen, den ersten Frost, verfrorene Blumen..

Und es gibt die Reihe von Gedenk- und Erinnerungstagen im
November, angefangen mit dem kath. Allerseelenfest über den staatlichen
Volkstrauertag und den vielumstrittenen Buß- und Bettag bis heute, den
Totensonntag oder Ewigkeitssonntag.

Und zugleich sind in diesen Wochen bereits überall
weihnachtlich geschmückte Schaufenster zu sehen, und in manchen
Städten hängt sogar schon der Weihnachtsschmuck über den
Straßen.

Einerseits gehen die Gedanken in dieser Zeit oft zurück in
die Vergangenheit, weilen vielleicht bei denen, die heute nicht mehr unter uns
sein können.

Viele gehen heute Nachmittag auf den Friedhof, zu den Gräbern
von Menschen, mit denen sie besonders verbunden waren.

Andererseits kommen sie anschließend womöglich an schon
hell erleuchteten Tannenbäumen vorbei, essen vielleicht Lebkuchen und
Weihnachtskekse zum Kaffee.

Kein Wunder, wenn sich gerade um diese Zeit im Jahr so viele
Menschen in ein erhebliches Stimmungswirrwarr gestürzt vorfinden!!

Da ist es gut, dass wir uns an einem Sonntag wie heute einen
Moment Zeit nehmen, um innezuhalten.

Wir haben unser Andenken sichtbar gemacht, haben Kerzen
angezündet für die Verstorbenen des letzten Jahres aus unserer
Gemeinde…

Innehalten werden einige von der nächsten Woche an auch
wieder beim Fasten .

Zum Innehalten und Besinnen ruft uns auch der Bibeltext auf, der
uns heute morgen zum Nachdenken vorgeschlagen ist.

Es ist ein Gleichnis, das verstärkt wieder zur Verantwortung
zurückruft:

Lesung: Lukas 12,42-48

Wie kommen wir mit so einer Geschichte klar – gerade in der
beschriebenen Stimmung dieser Jahreszeit und des Ewigkeitssonntags?

Gucken wir uns den Text darauf hin noch einmal an.

Jesus vergleicht seine Jüngerinnen und Jünger ganz
einfach mit einem Verwalter.

Eigentlich eine ganz klare Sache, denn für diesen Verwalter
kommt es nur darauf an, dass er zur rechten Zeit ordentlich und
verantwortungsbewußt das tut, was sein Auftrag ist: nämlich
Löhne auszahlen.

Und wenn er seine Arbeit anständig macht, wird er klug und
treu genannt.

Er hat sich bewährt und bekommt eine Aufstiegschance.

Und: er wird sogar selig gepriesen dafür!

„Selig ist der Knecht, den der Herr so tun findet, wenn er kommt.“
(V. 43)

Glück und Zufriedenheit, ein gelungenes Leben, neue
Möglichkeiten!

Aber – wie das Leben so spielt – es gibt auch die andere
Situation, der Chef ist auswärts, bleibt länger weg als geplant, und
schon sieht dieser Verwalter nun ganz und gar nicht ein, weshalb er ohne
Aufsicht oder geeignete Kontrollinstanzen eigenständig vernünftig
arbeiten soll.

Er legt sich nicht nur auf die faule Haut, wird nachlässig
oder gleichgültig, nein.

Er kommt – wie man im Norddeutschen so schön sagt „an den
Buddel“, kriegt Alkoholprobleme, veranstaltet offenbar die reinste
„Freßgelage“ und – was wahrscheinlich das Schlimmste ist- er prügelt
die Knechte und Mägde, für deren Versorgung er eigentlich
zuständig ist!

Seine Kollegen und Kolleginnen also! Unmöglich, werden wir
sagen, wie kann er nur?!

Trotzdem: das Fazit klingt schon ganz schön brutal !

Der Geschäftsinhaber kommt unerwartet doch zurück,
findet das unglaubliche Chaos und die untragbaren Zustände vor – und
läßt den untreuen Haushalter in Stücke hacken.

Dass der zur Verantwortung gezogen wird, das ist ja soweit schon
in Ordnung.

Es leuchtet ja sofort ein, dass einer so willkürlich nicht
mit ihm anvertrauten Menschen umgehen darf, aber muß man ihn deswegen
gleich umbringen…? Und auch noch auf solche Weise? Auch wenn das die
übliche Strafe für untreue Sklaven war?

Für mich stellt sich heute vor allem die Frage: wie
können wir diese Gleichnisgeschichte eigentlich zusammenbringen mit dem
Thema dieses Sonntags, mit „Tod und Ewigkeit“ und den damit verbundenen
Stimmungen?

Ich denke daran, wie oft Texte wie dieser als Gerichtsandrohung am
Ende aller Zeiten verstanden worden sind!

So wie der Herr dieses Verwalters, hat man dann gedeutet, so ist
auch Gott am Ende zu uns…

Menschen wurden in Angst und Schrecken versetzt durch Bilder der
Rache und Vergeltung, von einem abrechnenden und entsetzlich strafenden Gott.

Tag der Rache, Tag des Zorns…

In der Musik z.B. in berühmten Trauermusiken – etwa dem
Requiem von Verdi, Mozart o.a. – wird gerade dieser Teil besonders gewaltig
auskomponiert: (kurz hineinhören:)

Verdi – „Dies irae“ einspielen Satz 5. aus dem Requiem!

Tag der Rache, Tag des Zorns…

Das kann man sich vorstellen, dann ist die Welt wieder in Ordnung.

Da wird zur Verantwortung gezogen und das Recht wieder
hergestellt.

Aber geht das einfach so?

Wollte Lukas diese Gleichnisgeschichte tatsächlich so
zugespitzt auf eine endzeitliche Vergeltungsaktion hin erzählen?

Insofern ist die Frage vom Anfang, mit der Lukas die Geschichte
einleitet, eben doch nicht ganz unwichtig.

Er läßt die Jünger fragen: Jesus, wem sagst du das
eigentlich? Uns allen? Oder nur denen, die besondere Verantwortung tragen? Oder
wem sonst?

Uns in allem Hin- und Hergerissensein zwischen:

– Erinnerung und Zukunftsbewältigungsstrategien,

– zwischen Trauer und (Vor) Freude;

– zwischen Angst und Hoffnung?

Das Hin- und Hergerissensein – zwischen eigenen Gefühlen und
öffentlicher Stimmungsmache;

– zwischen phantastischen Träumen und nüchterner
Realität;

– zwischen Lebenssehnsucht und Heilsangst macht doch schon
unsicher genug!

Hin – und Hergerissensein, zerrissen vielleicht sogar manchmal,
das wirft Fragen auf:

– Wo stehe ich denn in all dem, was an mir zerrt?

– Welche der beiden Seiten hat augenblicklich mehr Gewicht?

– Wer bin ich überhaupt ?

Zerrissenheit hat wohl immer auch etwas Krisenhaftes, alles ist
noch offen, es kann so oder so ausgehen, kann sich hilfreich oder
zerstörend auswirken, aufrichten oder niederschlagen.

Sich mitten in der Krise mit ihr und mit sich selbst
auseinanderzusetzen, ist doppelt schwierig, das droht einen oft noch mehr zu
zerreißen.

Wer einmal Menschen erlebt hat, die in Depressionen versunken sind
und diese Welt und das Leben nur noch düster und in den schwärzesten
Farben sehen können, für den sind solche endzeitlichen Horrorvisionen
plötzlich ganz präsent und greifbar!

Wenn nichts mehr Freude machen kann, kein Weg aus diesen tiefen
Gefühlen von Trauer und Schmerz herauszuführen scheint, dann
füllen sich diese alten Bilder für mich plötzlich mit Leben.

Oder: vor mir sitzt jemand, der Nacht für Nacht vor Angst
nicht einschlafen kann.

Gedanken quälen ihn, zwingen ihn, immer weiter zu
grübeln und entsetzliche Selbstzweifel lassen ihn nicht zur Ruhe kommen…

Oder jemand wird von einer traumatischen Erfahrung verfolgt,
nachts in Alpträumen, tagsüber mitten aus der Arbeit herausgerissen
von den entsetzlichen Bildern, die klar wie in einem Film wieder im Kopf
ablaufen, verschüttet im Schützengraben, überfallen,
vergewaltigt, der Ablauf eines Unfalls, ein sterbendes Kind…

Tag der Rache, Tag des Zorns?

Menschen in diesen und ähnlichen Lebenssituationen erleben es
längst, dieses Grauen.

Die Musik des ’Dies irae’ beschreibt Erfahrungen, die es
gibt, die wohl keinem Menschen ganz fremd sein dürften.

Die Geschichte des Lukas kann in diesem Zusammenhang für mich
gerade keine Drohgeschichte, sondern eine Hoffnungsgeschichte!

Sie hat für mich an einem Sonntag wie diesem das Ziel,
Menschen gerade herauszureißen aus solchen qualvollen Erfahrungen, auch
aus Lethargie und Depression, aus Schmerz und Verzweiflung.

Erinnern wir uns: Selig gepriesen wurde einer, der das ganz
Normale tut.

Genau das, was so schwer fällt, wenn einen die Trauer noch
einhüllt wie Nebel.

Man weiß eigentlich schon lange, was man tun sollte, was
(wieder) dran ist.

Aber es geht nicht, irgendwie fehlt die Kraft…

Man kann sich gar nicht vorstellen, dass es auch wieder anders
werden könnte, der Nebel verschwindet und die Sonne wieder scheint.

Und hier kommt in der Geschichte noch etwas Neues ins Spiel: das,
was Gott uns zutraut!

„Wem viel gegeben ist, bei dem wird man auch viel suchen.“ (V. 48)

Gott erinnert uns damit an unsere Lebenskräfte, an das was
uns geschenkt ist, von ihm geschenkt .

Gott traut uns zu, dass wir unser Leben gestalten und verantworten
können.

Er wird unsere Füße auch wieder auf weiten Raum
stellen, damit uns sichere uns zuversichtliche und eindeutige Schritte in die
Zukunft gelingen.

Gott wird wieder Licht bringen in unsere Dunkelheiten.

Und damit schließt sich auch der Kreis des Kirchenjahres,
die Gedanken an Tod und Ewigkeit bekommen einen hoffnungsvollen Schein vom
beginnenden Advent her.

„Sehet, was hat Gott gegeben, seinen Sohn zum ewigen Leben.

Dieser kann und will uns heben aus dem Leid ins’ Himmels Freud“.

In wenigen Wochen werden wir wieder Weihnachtslieder singen.

Die zwiespältige Stimmung wird sich vielleicht für einen
Moment in festliche Freude und Klarheit wandeln.

Dass Gott selbst unser Leben, unsere Dunkelheiten und
Zwiespältigkeiten geteilt hat, das kann sie aushaltbar machen, Kräfte
wecken und Energien, um das Leben anzupacken-

und für ein hoffnungsvolles Lied. Darum:

„Kommt, und laßt uns Christus ehren, Herz und Sinnen zu ihm
kehren.
Singet fröhlich, laßt euch hören, wertes Volk der
Christenheit.“ (EG 39).

Amen.

Pastorin Elisabeth Tobaben
Kirchstr. 13, 37186 Moringen
Tel.
05554 – 39 06 80.

de_DEDeutsch