Lukas 17, 5-6

Lukas 17, 5-6

 

Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


 

15. Sonntag nach Trinitatis,
23. September 2001
Predigt über Lukas 17, 5-6 , verfaßt von Gerhard Weber


Predigttext: Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns
den Glauben!
6 Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet so groß wie
ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß
dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen.

Liebe Gemeinde,

„Nichts wird so sein wie vor den Terroranschlägen am 11.
September 2001“. Diese Befürchtung hat in erschreckender Weise
unser Leben erfasst. Seitdem hat sich Vieles verändert. Wie der
Staub der eingestürzten Hochhäuser legt sich Traurigkeit auf
unsere Herzen, auf unser Leben. Wir können die Bilder nicht vergessen,
sie nehmen uns gefangen, ob wir wollen oder nicht. Sie haben sich wie
tiefe Spuren eingegraben. Sie berühren uns, wir sind fassungslos.

Das darf doch alles nicht wahr sein…es muss ein böser Traum
sein…wir möchten gern erwachen oder die Zeit zurückdrehen,
wünschen sehnsüchtig, es hätte irgendwie verhindert werden
können. Nein, wir müssen uns dieser Wirklichkeit stellen.
Es ist passiert und unser Leben ist aus den Fugen geraten. Dabei brechen
viele Grundfragen des Lebens neu auf auch wenn sie lange Zeit verdrängt
wurden oder wir schon dachten sie endgültig beantwortet zu haben.
Wir suchen Orientierung, nach etwas, was uns Halt und Stärke gibt.

Unzählige Menschen haben eine Kirche aufgesucht um eine Zuflucht
zu finden, weg vom Bildschirm des Fernsehers, der keinen Trost geben
kann. Ich brauchte die Nähe anderer Menschen, die Umarmung. Und
wenn wir uns in die Augen schauten, haben Tränen uns verbunden.
Unsere Gebete waren ganz bei den Opfern und ihren Angehörigen.
„Oh, Gott, sei jetzt bei ihnen, lass sie nicht allein!“

All unsere vielen kleinen und großen Sorgen und Nöte mit
denen wir unser Leben oft so schwer machen, spielen jetzt keine Rolle
mehr. Da schenkt mir eine Kerze, die ich anzünden kann, Trost und
gibt mir ein wenig Wärme zurück, wo mich innerlich fröstelt.

„Stärke uns den Glauben“, so bitten die Apostel, die
Jünger Jesu, die frühen Christen… Der Glaube, die Zuversicht
ins Leben, gerät immer wieder ins Wanken. Durch unvorstellbar grausame
Ereignisse wie wir sie jetzt erlebt haben, durch persönliche Schicksalsschläge,
Krankheiten und Niederlagen. Was verunsichert mich dabei so tief?

Dass Gott seine Zusage, dass mein Leben auf dieser Erde einen Sinn
hat, dass er dieses Leben bejaht und behütet, dass er diese Zusage
zurück gezogen haben könnte.Oder dass seine Existenz eben
doch nur in den Wünschen und Phantasien der Menschen zu finden
ist und auf gar keinen Fall in der bitteren Wirklichkeit meines Lebens.

Gegen diese inneren Zweifel kann uns nur der Glaube helfen, sonst
nichts. Wobei der Glaube eben nicht darin besteht, das Unabänderliche
einfach hinzunehmen. Die Augen zu schließen und sich in eine jenseitige
bessere Welt zu träumen.

Der Glaube will unser Leben weit machen, unsere verengte Sichtweise
aufbrechen. Dort, wo uns die Sorgen und Nöte nur noch gefangen
nehmen wollen, dort, wo die Bilder des Schreckens sich ganz tief in
uns festsetzen, ist es lebensnotwendig für uns, um Stärkung
unseres Glaubens und neues Vertrauen ins Leben zu bitten.

Wir müssen uns auf die Suche zu machen, dass dieses Grauen unser
Leben nicht länger bestimmt und uns handlungsunfähig macht.
Und gerade dort, wo wir so tief berührt sind, wo wir aus dem Trott
des Alltags herausgerissen wurden, können wir die Möglichkeit
nutzen, einen neuen Weg zu finden.

Neues Vertrauen beginnt oft ganz klein, an den Grenzen des Lebens,
wo wir einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt sind. Als ein Geschenk,
für das wir uns öffnen können, aber das wir nicht selbst
hervorbringen können. Ich habe da zwei gerade erwachsene Geschwister
vor Augen, deren Eltern durch ein tragisches Ereignis getötet wurden.
Eine unvorstellbare Katastrophe für die Familie, eine tiefe Erschütterung.
An diesem Tiefpunkt des Lebens entstand eine enorme Kraft diese Herausforderung
anzunehmen. Nach dem Sinn des eigenen Leben zu fragen und aus einer
neu geschenkten Zuversicht zu sagen: „Gott hat mir dieses Leben
geschenkt, es ist kostbar und wertvoll, ich bin dankbar dafür und
ich weiß jetzt, dass es sich lohnt, mein Leben für andere
einzusetzen.“So wird der Glaube zu einer persönlichen Erfahrung,
durch die wir in unseren Lebenskrisen eine neue Stärkung erfahren
können.

So können bildlich gesprochen alte Bäume ausgerissen und
Berge versetzt werden: Das, was uns im ersten Augenblick als unüberwindlich
erscheint, das, was uns blockiert, wo wir gar nicht den Mut haben, einen
neuen Schritt zu gehen, weil wir von der Aussichtslosigkeit schon im
Voraus überzeugt sind. Gerade der Maulbeerbaum mit seinem verzweigten
Wurzelwerk steht für Standfestigkeit und mangelnde Flexibilität.
Einen alten Baum verpflanzt man nicht.

Aber die Wurzeln des Glaubens sind andere, sie graben sich tief in
Gottes Zusage, dass er uns Glauben, Vertrauen und Zuversicht schenkt,
wo wir uns ihm öffnen gerade dann, wenn das Leben bedroht und verletzt
ist. Wenn wir den Mut aufbringen, unsere Hilflosigkeit einzugestehen
und uns von dort auf die Suche nach Lösungen machen, werden wir
neue Glaubenserfahrungen machen, davon bin ich überzeugt.

Bei Dietrich Bonhoeffer, der 1945 von den Nationalsozialisten umgebracht
wurde, können wir entdecken, welche Kraft Gott Menschen schenken
kann, auch wenn sie in Bedrängnis sind. So beschreibt er aus dem
Gefängnis seine Zuversicht folgendermaßen:“Ich glaube,
dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen
kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum
Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel
Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie uns
nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein
auf ihn verlassen. In solchem Glauben müßte alle Angst vor
der Zukunft überwunden sein. … Ich glaube, dass Gott … auf
aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“

Der Werbeslogan: „Nichts ist unmöglich“ klingt da verführerisch
einfach, aber es ist ein hartes Stück Arbeit, die auf uns zu kommt.
Unsere Welt ist durch den Terrorschlag durcheinander geraten, Mißtrauen
und Angst breiten sich aus. Nur gemeinsam können wir uns diesen
Angriffen auf das Leben stellen. Dazu will uns der Bibeltext Mut machen:
Unseren Glauben zu stärken bedeutet heute: jetzt erst recht besonnen
reagieren, nicht aus Wut- und Rachegefühlen noch mehr unschuldige
Opfer verursachen. Es sind schon genug Menschen ums Leben gekommen.

Für mich ist wichtig, dass wir in diesen Tagen vor allem zusammenhalten,
für andere beten und uns gegenseitig trösten, wo wir so tief
verunsichert sind. Vertrauen aufzubauen gegen die bedrohlichen Ängste.

Damit der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft
und Unvernunft unsere Herzen und Sinne bewahre in Jesus Christus. Amen.

Gerhard Weber
Pastor in St. Martin Geismar
Charlottenburger Straße 10
37085 Göttingen
email: gerhard.weber.goe@t-online.de

Lit.: Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, Gütersloh
1985, S 18f

 

 

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