Lukas 2, 41-52

Lukas 2, 41-52

Liebe Gemeinde,

in der Wohnung ist noch der weihnachtliche Schmuck. Das Licht des Baumes
erinnert warm an diese Tage: schön waren sie, wenn gleich nicht spannungsfrei,
in welcher Familie gibt es das schon. Doch nun sind die Eltern schon längst
wieder abgereist an ihren heimatlichen Ort, die Kinder haben mit ihren
Freunden Silvester gefeiert, das neue Jahr hat begonnen. So soll es eben
sein. Zusammen sein können, loslassen können, den Blick nach
vorn richten, ohne das Gewesene zu vergessen. Wenn es doch nur so einfach
wäre. Doch die Zeit setzt Aufgaben.

Der Kanzler hat zum Jahreswechsel Reformen angekündigt und einen
Mentalitätswechsel eingefordert, mehr Eigenverantwortung jedes einzelnen.
Dass wir am Beginn eines harten Weges stehen. Und dass dieses für
Betroffene schmerzlich sein kann. Jedoch: „Niemand darf blockieren
oder hindern. Jeder sollte mit seinen Möglichkeiten vorangehen, damit
das Ganze vorankommt“. Da ist es wieder: Appell zur Einsicht in die
Zeit, Bewusstwerden des Schmerzes, Einwilligen -Müssen in Wege, die
vor uns liegen, ohne jemals wissen zu können, was kommen wird; ohne
genau gesagt zu bekommen, was „das Ganze“ bedeutet.

Es ist kein Zufall, dass die Sprache der Politik Begriffe aus der religiösen
Deutung aufnimmt, wenn es um das gemeinsame Handeln in der vor uns liegenden
Zeit geht. Denn wir wissen, dass Zukunft letztlich nicht von uns selbstständig
verfügt werden kann. Das „Ganze“, das einen Zusammenhang
in der Vielzahl der Einzelheiten und der partikularen, oft genug auch
widersprüchlichen Interessenswelten bezeichnen will, drückt
die Hoffnung aus, dass es ein Ganz-Sein, ein Heil- Sein gibt. In der Sprache
der Bibel wird dieses mit „Shalom“ angesagt. Der „harte
Weg“, der gegangen werden muss, meint, dass Richtungen einzuschlagen
sind, die der persönlichen Freiheit und ihren Wünschen nicht
unbedingt entsprechen müssen. Mit dem „Weg“ kann in der
Schrift der Wille Gottes angesprochen werden, das Verstehen und Befolgen
seines Gesetzes für unsere Zeit. Der Weg der Gerechtigkeit meint
aber auch die Passion Jesu, die Schmerzen, das Verlieren und: sein Gewinnen
des Lebens. Ist es ein Gegensatz, dass wir aber in diesen Tagen noch vom
Licht des Weihnachtsfestes herkommen, um die Geschichte des Kindes wissen,
geboren zu Bethlehem, vielleicht noch die Lieder im Ohr haben, und um
unsere Zeit wissen? Hören wir aus der Bibel die Geschichte vom Kind,
die kein Lied in unserem Gesangbuch so richtig zu besingen weiß.

(Verlesen von Lk.2,41-50)

 

Ach es ist so schwer zu verstehen, denn Gottes Zeit ist anders. Drei
Tage in Jerusalem, zum Passafest. Wie die Zeit des Auferstandenen sich
mit der Zeit des Kindes berühren. Und wer damit konfrontiert wird,
dem ist nicht nach Jubeln zu Mut, sondern zum Fürchten. Der Dank
bezieht sich immer auf das, was in der Vergangenheit gegeben , widerfahren
und erwiesen worden ist. Die Begegnung mit der Zeit Gottes lässt
die Menschen jedoch außer sich sein. Nach unseren Maßstäben
war damals Samuel ein Kind, als er zum Propheten erwählt wurde und
dem Eli die Wahrheit über die Taten seiner Söhne ins Gesicht
sagte. Und Salomo war wohl 12 Jahre alt, als er König wurde. Genauso
ist Jesus. Prophet und König. Und der Tempel, der Ort des Lernens
und Disputierens, vermittelt zugleich die Nähe seines priesterlichen
Amtes. Denn es geht um die Zeit Gottes, die in die Zeit des Menschen hineinbricht.

Wir sagen so gern: „Nein, wie die Zeit vergeht“, weil man am
liebsten die Zeit festhalten willen. „Was bist du aber groß
geworden“, weil man im Bewundern von Wachstum und Entwicklung eigentlich
etwas anderes hätte: bleib doch so wie früher, ein Kind. Doch
Jesus bleibt nicht, sondern geht. Oder besser umgekehrt: seine Eltern
gehen und er muss bleiben, in Jerusalem. Deshalb suchen seine Eltern ihn
mit Schmerzen solange, wie die Zeit seines Sterbens in das neue Leben
führt. Drei Tage .Zu verstehen ist das nicht. Deshalb muss seine
Mutter nach dem Warum fragen, vielleicht so ähnlich, wie die Mutter
fragte, wenn ich beim Fußball oder beim Rodeln auf den Trümmergrundstücken,
wo man sich überdies so gut verstecken konnte, – wenn sie dann kam
und sagte: „Kind, wie kannst du nur“, mir dann auch eine langte:
ach in der Kinderkirche des sonntags drauf konnte ich den zwölfjährigen
so gut verstehen, denn er war so nah, doch heute… „Seine Mutter
aber sprach: Mein Sohn“. Sie spricht damit an (ohne es auszusprechen-),
dass der Sohn einen anderen zum Vater hat. Sie spricht sein Können
an und unserer Fragen, das sich immer wieder daran aufwirft. Sie benennt
schließlich die Schmerzen; als Antwort erhält sie nur Fragen:
„Was ist’s, dass ihr mich gesucht habt? Wisset ihr nicht, dass ich
sein muss in dem, das meines Vaters ist“? Die Richtung ist zu ahnen,
doch offen bleibt der Ort; wir werden immer weiter fragen müssen..

In unserer Zeit haben es Einrichtungen wie Vereine und Verbände,
Kirchen und Gewerkschaften schwer. Konnte früher Max Weber sagen,
dass die Werte, die wir zum gemeinsamen Leben brauchen, an die Bedeutung
der Institutionen gebunden sind, so gilt heute die Verwirklichung eigener
Lebensvorstellungen als erstrebenswertes Ziel. Dieses schließt Eigenverantwortung
nicht aus, schwächt aber die Mitverantwortung an den Lebenszusammenhängen
ab. Es schmerzt deshalb, wenn im Zusammenhang mit nötigen Reformen
Einschnitte im sozialen Netz gefordert werden und Solidarität zum
altmodischen Fremdwort zu werden droht. Dennoch werden wir danach suchen
müssen, nach dem Christus, der als Richtender sagt: “ Was ihr
getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt
ihr mir getan“. Die Suche nach dem Christus ist immer die Suche nach
dem Menschen, der uns braucht.

Es schmerzt zu sehen, dass in unserer Zeit aus der Geschichte nichts
gelernt worden ist. Wie selbstverständlich die Kriegsvorbereitungen
gegen den Irak weiter laufen und zur gleichen Zeit Nordkorea seine Atomreaktoren
wieder in Betrieb nimmt. Sagte nicht Christus, der Prophet: „Wer
das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen“. So hart ist
es uns gesagt, damit wir endlich Christus suchen: damit der Weg des Friedens
nicht verloren geht. Sicherlich muss Recht durchgesetzt werden können.
Der Weg der Gerechtigkeit darf aber nicht vom Weg des Friedens getrennt
werden, weil dann Christus selbst zerteilt wird.

Die Eltern suchen Jesus, damit die Einheit des gemeinsamen Lebens nicht
verloren ist. Sie finden ihn zuletzt im Tempel. Das Heilige ist der Ort
für eine Antwort, die das Leben in der profanen Welt nicht zu geben
vermag. Das mag das säkulare Bewusstsein, das sich wie ein Kind über
seine Autonomie zu freuen vermag, schmerzen und kränken. Doch priesterlich,
mütterlich sagt dieser Christus: „Kommt her zu mir alle, die
ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ Denn
er gibt, was kein anderer geben kann, sich selbst. Auf ihn zu sehen heißt:
nicht zurückzusehen, sondern teilzuhaben an einer neuen Zeit.

Lied: Such, wer da will (EG 346

 

 

Wolfgang Petrak
St.Petri Göttingen-Weende
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