Lukas 2,1-19

Lukas 2,1-19

Hoffnung auf neues Leben…reloaded | 24.12.2023 | Christvesper | Lk 2,1-19 | Thomas Schlag |

Liebe Weihnachtsgemeinde,

vor wenigen Tagen erst und anlässlich des bevorstehenden Ereignisses wurde ich gefragt, seit wann Christen eigentlich Weihnachten feiern.

Nun könnte man meinen, dass dies von Anfang an doch der Fall gewesen sein müsste – also quasi schon ein Jahr nach Jesu Geburt. Dass also das volle Festtagsprogramm und die Geschenkmaschine bereits zielgenau am 24. Dezember des Jahres 1 in Gang gesetzt worden wäre. Nun, an dieser Stelle musste ich den Nachfragenden leider enttäuschen.

Es hat vielmehr sage und schreibe rund 400 Jahre gedauert, bis die frühe Christenheit überhaupt anfing, die Geburtsgeschichte Jesu für ein wesentliches Ereignis zu halten. Warum? Nun, weil Karfreitag und Ostern für die eigene christliche Existenz natürlich wesentlich bedeutsamer waren. Denn nicht an Weihnachten, sondern eben in der Osterzeit ging es um das Ganze des christlichen Glaubens: nicht Krippe, sondern Kreuz; nicht die himmlischen Heerscharen der Friedensengel, sondern römische Soldaten; nicht dunkle Nacht über dem Stall, sondern das helle Licht des Ostermorgens, nicht die kindliche Geburt, sondern Tod und Auferstehung des Gottessohnes. Das was das Drama, das erzählt und gespielt und gefeiert werden sollte. Um so der Hoffnung auf neues Leben Ausdruck zu geben.

Und übrigens: In der christlichen Anfangszeit führte die Frage, an welchem Datum genau Jesus geboren wurde und wann man also Weihnachten feiern sollte, zu einem länger anhaltenden Streit unter den kirchlichen Entscheidungsträgern.

Und so entschloss man sich tatsächlich erst um 400 nach Christus herum dazu, die Feier in die Dezembertage zu legen. Ganz praktisch gesehen gab es dafür auch schon den römischen Festtag der Wintersonnwende und des entsprechenden Sonnengottes Sol victus. So konnten die Christen – inzwischen zur Staatsreligion im römischen Reich geworden– diesen Tag sozusagen im eigenen Sinn umwidmen. Jetzt hatte man also ein Datum, um auf das neue Leben zu hoffen.

Aber mit diesen Entscheidungen war man noch lange nicht dort, wo und wie wir heute feiern. Vielmehr gab es immer wieder sozusagen kleinere und grössere Erfindungen um das Weihnachtsfest herum. So wurde bereits im Mittelalter die Weihnachtsgeschichte anschaulich inszeniert – eben, weil sie von vielen gar nicht gelesen werden konnte. Dafür gab es bereits damals eine Art Weihnachtsbaum:  So wurde in der Kirche vor dem Krippenspiel die Szene von Adam und Eva im Paradies aufgeführt. Und dazu gehörte eben ein mit Äpfeln behangener Paradiesbaum. Überhaupt sollten die grünen Zweige mitten im kalten Winter die Hoffnung auf das neue Leben symbolisieren.

Aber zumindest sind die Worte des Lukasevangeliums, die man damals inszenierte, dieselben geblieben:

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt.

Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger.

Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über die Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.

Diese Geschichte hat, wie schon angedeutet, einen langen, erfindungsreichen Weg hinter sich: Bis zum Weihnachten in unserem Stil mit Weihnachtsbaum, Lichterketten und Geschenken brauchte es noch weitere Jahrhunderte, verbunden mit vielen weiteren Veränderungen und sozusagen immer wieder angepassten Neuerungen. Dies war nicht selten eng damit verbunden, welchen theologischen Sinn man mit Weihnachten verband.

Für Martin Luther etwa war klar: Nicht der Nikolaus, nicht Maria und Josef, nicht die Heiligen Drei Könige sollten gefeiert und schon gar nicht die Kinder ständig beschenkt werden. Einzig die Geburt Jesu war Grund zur Freude – und damit die Nacht vom 24. auf den 25. Dezember. Seiner Tochter Margarete, die mitten im Advent 1534 geboren wurde, schrieb er das Lied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“. Es erzählt die Weihnachtsgeschichte: und wurde im Hause Luther oft gesungen. Und ganz typisch verbanden sich damit bei Luther Weihnachten und Ostern. Das Lied sollte in der Hoffnung gesungen werden, dass Gott ein guter, erlösender, Frieden schaffender Gott ist:

Vom Himmel hoch, da komm‘ ich her

Ich bring‘ euch gute neue Mär

Der guten Mär bring‘ ich so viel

Davon ich sing und sagen will 

Euch ist ein Kindlein heut‘ gebor’n

Von einer Jungfrau auserkor’n

Ein Kindelein, so zart und fein

Das soll eurer Freud‘ und Wonne sein

Es ist der Herr Christ, unser Gott

Der will euch führ’n aus aller Not

Er will euer Heiland selber sein

Von allen Sünden machen rein

Aber auch kulturell bedingt ist es im Lauf der Jahrhunderte zu ganz unterschiedlichen Ausdrucksformen gekommen: In mancher Krippenausstellung finden sich Dutzende von unterschiedlichen Gestaltungen, denen man die jeweilige Herkunft sofort anmerkt: Hirten in Indiogewändern, oder nicht Ochs und Esel, sondern etwa Giraffe und Elefant, oder Stallgebäude im Stil von Iglus, oder Maria und Josef in schwedischer Bauerntracht, oder ein farbiges Jesuskind in der Krippe.

Und um diesen hoffnungsvollen weihnachtlichen Erfindungsreichtum nochmals zu verdeutlichen:   Der Weihnachtsbaum als familiärer lichtvoller Zentralpunkt ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, den die katholische Kirche als einen heidnischen Brauch ansah und verhindern wollte. Letztlich konnte sie sich hier aber nicht durchsetzen. Und so sind bis heute die grünen Zweige und hellen Lichter Ausdruck für die Hoffnung und das neue Leben.

Und nun sehen wir in der Gegenwart eine Vielzahl von unterschiedlichsten Weihnachtsritualen bis hin zum amerikanischen Kommerz-Santa Claus und allen möglichen anderen neuen Bräuchen. Und um es zurückhaltend zu sagen: nicht alle erinnern noch an die Geburtsgeschichte Jesu. Aber ist das per se problematisch?

Jedenfalls ist es schon interessant, wie sich Weihnachten über diese zwei Jahrtausende hinweg entwickelt hat – offenkundig hat sich diese Geschichte von der Geburt neuen Lebens immer wieder an das angepasst, was den Menschen jeweils besonders wichtig war.

Man kann mit guten Gründen sagen: Weihnachten ist selbst immer ein Kind der Zeit. Darin spiegelt sich wider, was den Geist der Zeit ausmacht. Und jede Zeit und jede Kultur findet ihre eigenen Formen und Wege.

Das könnte man nun vielleicht kritisieren. Und vielleicht dazu aufrufen, zum ursprünglichen Geburtsereignis zurückzukehren. Aber wie schon anfangs gesagt: Es ist gar nicht so ganz klar, was überhaupt am Ursprung und im Zentrum des Ganzen steht. Geburt? Krippe? Weihnachten? Oder Kreuz, leeres Grab und Ostern?

Um es hier aufzulösen: Beides sind ja keine Alternativen. Salopp könnte man sagen: Die Geschichte der Geburt Jesu und sein ganzer Lebensweg – Krippe, Kreuz und Hoffnung sind untrennbar miteinander verbunden – und dies von Anfang an. Was die Christen durch die Zeiten hindurch eben gefeiert haben und worin sie sich regelmässig erinnert haben und dies bis heute tun, ist das, was diese beiden Geschichten unbedingt zusammenhält: Das Staunen über neues Leben und die Hoffnung darauf, dass dieses neue Leben, das mit Jesus in die Welt kommt, einen fundamentalen Unterschied macht!

Auch wenn wir zweitausend Jahre von dieser Ursprungsszenerie entfernt sind, schlägt sich doch ein grosser Hoffnungsbogen über die Zeiten – egal wie man im Einzelnen gefeiert hat: Krippe, Geburt, Engel und staunende Hirten zeigen überdeutlich, dass Hoffnung Sinn macht. Gerade dann, wenn es dunkel ist. Gerade dann, wenn man nach menschlichen Massstäben nicht damit rechnen kann, dass überhaupt Friede und neues Leben denkbar ist.

Dass es um uns herum dunkel ist, im globalen Massstab, aber oft auch in den eigenen inneren Gedanken, muss man ja nicht eigens betonen. Und dass jetzt mitten am Ursprungsort der Weihnachtsgeschichte wieder einmal ein unbarmherziger und grausamer Krieg stattfindet, ist ein Unding.

Eine französische Schriftstellerin unserer Zeit bezeichnet Hoffnung als «Durchquerung des Unmöglichen»: Dann, wenn nichts Gutes mehr denkbar ist, kann die Hoffnung aufblühen – es macht gerade ihren tiefen Sinn aus, dass sie unmöglich ist. Und nur dann, wenn man hofft, kann sich überhaupt etwas Neues ereignen.

Diese ganze Geschichte Jesu – Geburt, Tod, Auferstehung, ist tatsächlich eine Unmöglichkeit, mit der man weder damals noch heute überhaupt rechnen kann. Und so haben sich durch die Zeiten hindurch die Menschen gefragt: Wie soll aus einem so kleinen Menschlein eine solche Weltgeschichte werden, wie aus einem höchst bedrohlichen Anfang eine solche Friedensbotschaft? Ist das nicht eine blinde Illusion und ein schönes Märchen?

So unterschiedlich wie man überall auf der Welt heute an Jesu Geburt erinnert, so sehr hat diese Geschichte über die Zeiten hinweg viel Kraft, um Menschen zu tragen – gerade dann, wenn die Verhältnisse dunkel und unfriedlich und unbarmherzig sind.

Die christliche Hoffnung liegt darin, dass die Geburt Jesu eben einen hoffnungsvollen Unterschied macht. Weil durch seine Geburt alles in ein neues friedliches Licht getaucht wird.

Und so ist die Geburtsgeschichte Jesu von Anfang nicht nur ein Spiegel der Zeit. Sondern sie ist auch das bleibende lichtvolle Zeichen dafür, dass wir Menschen selbst in dunkelsten Zeiten auf ein neues Leben hoffen dürfen – und dies aus allerbesten Gründen. Amen.


Thomas Schlag

de_DEDeutsch