Lukas 2,1-20

Lukas 2,1-20

Christnacht | 24.12.23 | Lk 2,1-20 | Hansjörg Biener |

Viele außergewöhnliche Erscheinungen begleiten den Geburtstag Jesu, dem bis heute so viele Weihnachtsfeiern folgten. Sterne, Engel, Hirten vom Feld und Weise aus dem Morgenland. Von ihnen berichten die Evangelien, – sofern sie überhaupt von der Geburt Jesu berichten. Im Lauf der Geschichte sind viele weitere Begleiter dazugekommen: Ochs und Esel beispielsweise (vgl. Jesaja 1,3), Adventsfeiern und Christkindlesmärkte und „himmlische Geschenkideen“ in der Werbung. Lassen wir die Rauschgoldengel der Weihnachtsmärkte und der Werbung beiseite. Stellen wir uns zu den Menschen, die sich in jener ersten Weihnachtsnacht am neuen Licht der Welt zu wärmen suchten. Und da finden wir in der Weihnachtsgeschichte des Lukas ein Elternpaar und die Hirten, zu denen Engel geschickt wurden.

Lukas 2,1-20 Jesu Geburt

1 Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. 2 Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. 3 Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. 4 Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, 5 auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. 6 Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. 7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. 9 Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. 10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. 12 Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. 13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: 14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. 15 Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. 16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. 17 Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. 18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über die Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. 19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. 20 Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

Auf Nachtschicht bei den Herden

Die Hirten an jenem ersten Weihnachtsabend waren Männer im Berufsalltag, auf Nachtschicht bei den Herden. Ganz gewiss waren sie emotional nicht vorbereitet auf die Begegnung mit dem Göttlichen. Ihr Leben ist Arbeit. Hirte sein, das heißt in den Tagen und Nächten des ersten Weihnachtsfestes wie an so vielen anderen Wind und Wetter und westasiatische Kälte und elektro-lose Dunkelheit der Nacht. Und es heißt auch, sich im Fall des Falles mit Räubern und Raubtieren schlagen. Der Beruf ist hart. Aber: Die Arbeit muss getan werden. Andernfalls gibt es nichts zu essen. Wahrscheinlich haben die Hirten sich ein Feuer gemacht, um die Raubtiere zurückzuweisen und die Dunkelheiten der Nacht, die sie überfallen. Gewiss hüllen sie sich in der Kälte tief in ihre Mäntel und Decken. Und genauso hat sich ihre Seele tief ins Innere zurückgezogen. So können wir jedenfalls vermuten. Diese Männer stehen nicht im Rampenlicht des Weltinteresses. Niemand interessiert sich für sie. Im Gegenteil: Man nennt sie unzuverlässige Mietlinge, die, wenn’s hart auf hart kommt, die Herde im Stich lassen (in Johannes 10,12 sogar in Jesu Mund gelegt). Mit einem Mal stehen sie doch im Rampenlicht – einer Lichterscheinung. Diesen Männern wird die Botschaft gebracht: „Euch ist heute der Heiland geboren!“, eine gute Nachricht für alle, die sie sich gefallen lassen. Was auch immer „der Heiland“ ist und zu bieten hat. Die Hirten lassen sich die gute Nachricht gefallen.

Auf dem Weg zu einem neuen Leben

„Als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Betlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist.“ Der Lebensweg hat ihre Gesichter gegerbt und die Hände schwielig gemacht. Nach außen wirken sie hart und rau, und bei den Städtern genießen sie keinen guten Ruf. Doch der Kern dieser Männer ist immer noch anders. Unter den Krusten ihres Lebens finden sich Seelen, die einen Heiland für ihr Leben haben wollen, was immer ihr Heiland auch ist. Das ist ihnen angeboten worden, und so machen die Hirten sich auf. Im richtigen Augenblick siegt die Neugier über die Abstumpfung des Alltags. Und sie tun, was man Hirten damals gerne vorwarf: Sie lassen ihre Herde zurück.

„Und sie kamen eilend und fanden […] Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.“ Viel gibt es also nicht zu erleben, außer der Erfüllung einer kleinen Verheißung. „Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ Ein Kind – ein Neuanfang des Lebens. Die Haut ist geknautscht von der Geburt, aber noch nicht gegerbt, und das Herz ist noch nicht gehärtet vom Leben. Für einen Moment werden die Hirten aus dem Berufsalltag herausgerissen: Aus der Kälte der Nacht in die Wärme eines Stalls, weg vom Lagerfeuerlicht hin zum Licht eines neuen Lebens. Es ist nur ein Zeichen, dass auch das mit dem Heiland der Welt stimmen soll, mehr nicht. Doch die Hirten rührt es an. Wenn ich aus diesem Moment eine gute Nachricht für die Hirten ziehen wollte, dann wäre es diese: „Du musst nicht ständig um dein Leben kämpfen – das Leben kommt auch zu dir.“

Zwischen Anrührung und Skepsis

Dass sie das Kind anbeteten, stammt aus unseren Weihnachtsgeschichten, steht aber nicht in der Bibel. Trotzdem werden die Hirten andächtig berührt gewesen sein, denn die Weihnachtsgeschichte des Lukas geht ja so weiter, dass sie von diesem besonderen Moment weitererzählen. „Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.“

Für die Hirten ist klar, dass sie Zeugen eines wichtigen Augenblicks geworden sind. Zugegeben: Die Hirten werden durch außergewöhnliche Ereignisse aufmerksam gemacht. Wir kennen das nicht. Frühere Theologen hätten dazu gesagt: Als es das Neue Testament noch nicht gab, waren außergewöhnliche Botschafter für außergewöhnliche Botschaften nötig. Heute jedoch finden wir alles, was zum Glauben an Jesus nötig ist, in der Bibel. Und außerdem: Aufmerksamkeit heißt noch nicht verstehen. Die Hirten hätten sich in der Macht ihrer geheimnisvollen Erfahrungen verlieren können, fasziniert von unheimlichen Geschichten. Und Beobachter könnten sagen: „Das habt Ihr Euch doch nur zusammengesponnen in dunklen Nächten beim Starren ins Feuer.“ Und so hören das „die anderen“ dann auch mit Verwunderung und Skepsis: „Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten.“ Hirten, die in dem Kind der Krippe den Heiland der Welt entdecken, oder Skeptiker, denen sich nichts enthüllt. Das sind zwei Erfahrungen, die sich seit jenem ersten Weihnachtstag unzählige Male wiederholt haben.

Etwas zum Mitnehmen

„Euch ist heute der Heiland geboren“ – und das mit einem Kind in Windeln gewickelt in einem Stall. Was das heißt, kann am ersten Weihnachtsabend noch nicht in der ganzen Bedeutung erfasst werden. Es entfaltet sich erst im Lebensweg dieses Kindes von der Krippe zum Kreuz und bis zur Auferstehung. Es wird noch 30 Jahre dauern, bis das Kind an die Öffentlichkeit tritt. Krippe, Stall und Stroh sind die Begleiterscheinungen seiner Geburt, Vorzeichen eines Lebens, das von Anfang an Not und Bedrohung kennt, das die dunklen Seiten des Lebens nicht verdrängt, aber auch das Leben feiern kann, – und das in Einsamkeit endet.

Der Heiland kommt, aber nicht mit Macht, sondern eingewickelt in Windeln, damit jeder einen Zugang zu ihm haben kann. Ganz im Sinn der Weihnachtsgeschichte geht das Christuskind seinen Weg mit den Übersehenen dieser Welt. Es spricht die Sprache der einfachen Leute, die ihren Lebensunterhalt mit eigenen Händen verdienen und denen manches Recht vorenthalten wird. So soll jeder Zugang zu ihm haben können. Doch auch die Seelen der Reichen übersieht er nicht. Reich mögen sie sein, doch seelisch verarmt. Etwas, was Jesus an den Reichen seiner Zeit sieht, und Menschen aus anderen Ländern an uns. Raue Schalen knackt Jesus nicht wie eine Nuss, sondern er wartet darauf, dass sie sich von selbst öffnen. Auf diese Weise wird er zum heimlichen Herrn der Armen und zum Heiland der Verlorenen, derjenigen die in dieser Welt verloren sind oder sich verloren vorkommen, seien sie nun arm oder reich. Nur so kommt unter der Weihnachtsgeschichte eine Leben verheißende Botschaft zum Vorschein: Da ist einer geboren worden, der der Kälte der Welt und der Herzen die Herrschaft streitig macht, nicht mit großen Worten und mit Gewalt, sondern mit Leben spendender Wärme.

Ich habe bisher vermieden, zu erklären, was der Heiland ist. Das hat zunächst damit zu tun, dass sich die volle Mission Jesu erst mit dem vollen Leben enthüllt und für die Menschen des Neuen Testaments auch nicht ohne Kreuz und Auferstehung zu haben ist. Klassisch ist der Heiland, der uns von unserer Schuld erlöst: Sündenvergebung, das war das erste, was die Christenheit nach der Auferstehung Jesu dem Kreuzestod Jesu abringen konnte. Die Deutung als Opfer war naheliegend  und allgemein  verständlich, weil in der Antike Opfer an alle möglichen Götter selbstverständlich waren. Zudem gab es in der hebräischen Bibel Stellen, die es erlaubten, Jesus als das vollgültige, letzte Opfer zu verstehen. Allen voran das Gottesknechtslied in Jesaja 53, aus dem ich nur zwei Verse zitiere: „Wir […] hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. 5 Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jesaja 53,4-5) Wenn wir heutigen damit weniger anfangen können, dann hat das mit einem geringeren Sündenbewusstsein zu tun, aber auch mit der Wirkungsgeschichte Jesu. Nach Jesus hat es im Christentum keine religiösen Opfer mehr gegeben.

Ich kenne Menschen, die auch heute wissen, wie sehr sie moralisch-ethisch hinter dem zurückgeblieben sind, was sein sollte. Sie halten sich fest daran, dass dank Jesu Opfer nichts mehr zwischen ihnen und Gott stehen muss, und sie finden am Felsen von Golgatha einen neuen festen Grund für ein besseres Leben. Andere brauchen vielleicht mehr den Heiland der Einsamkeit. Auch hier gibt es noch eine traditionelle Sprache dafür: Lass mich ein in Dein Herz und du wirst Deine Einsamkeit überwinden, denn ich führe dich zu Schwestern und Brüdern und Eltern und Kindern in meiner Gemeinde. Und dritte brauchen vielleicht einen Heiland der Vision, der ihrem Leben Ziel und Anleitung gibt. Suche zuerst das Reich Gottes. Mit Tugenden wie sie in der Bergpredigt seliggepriesen werden. Dann wird Dir alles Nötige zufallen. Ich könnte versuchen, das fortzusetzen. Ich will aber noch eine Gruppe nicht übersehen: die Suchenden. Vielleicht muss der Moment auch erst noch kommen, dass einem Augen und Herz aufgehen, wer „dein personal Jesus“ ist.

Ich komme noch einmal auf die Hirten zurück, und fasse die Weihnachtserzählung zusammen. Wer mühselig und beladen ist, der findet bei Jesus Ruhe. So wie die Hirten sich aufmachten, einen Blick auf das Baby warfen und damit etwas fanden, was sie für sich brauchten. Die Hirten, so wird erzählt, „priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten.“ Ein Kind in einer Krippe in irgendeinem Stall, so weit das Äußere, doch mit den Herzen hatten sie besser gesehen.

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falls die Predigt am folgenden Tag im Gottesdienst in einer/einem anderen Gemeinde/-teil verwendet werden soll

Unser Heilszeichen ist nicht der Chor der Engel, auch nicht ein Besuch an der Krippe. Das waren die Heilszeichen für die Hirten an jenem ersten Weihnachtstag. Uns ruft kein Chor der Engel, sondern Gottes Stimme in unserem Leben. Mancher mag sein persönliches Heilszeichen schon kennen: eine Lebenserfahrung, die ihn zum Glauben bewegte, ein Bibelwort, das ihm Einsicht schenkte, vielleicht auch ein Wunder, das sein Vertrauen auf Gott begründete. Andere werden vielleicht noch wie die Hirten in den Tagen des Alltags ausharren, nichts ahnend von der großen Gottesbegegnung, die ihnen einmal das Heil gewiss macht. Auch ihnen wird Gott begegnen. Als allgemeines Zeichen sind der Christenheit die Sakramente anvertraut, persönlich die Liebe und Gemeinschaft Christi zusprechend und zum persönlichen Glauben einladend. Die sichtbare Speisung im Abendmahl steht als Zeichen für die große Feier, in die wir eines Tages eintreten werden. Und die Gemeinschaft unter Christus ist die Verheißung der Heilung für unsere Seelen von all dem, was uns Beschwerden macht. Für den einen Vergebung der Sünden, für den anderen die Eingliederung in eine Gemeinschaft, für den dritten ein Zeichen, dass nicht immer er allein für sich sorgen muss. Unter dieser Zusage, „auch dir ist der Heiland geboren“, lasst uns jetzt das Abendmahl feiern.

Dr. Hansjörg Biener (*1961) ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und als Religionslehrer an Nürnberger Gymnasien tätig. Außerdem ist er außerplanmäßiger Professor für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. (Hansjoerg.Biener (at) fau.de)

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