Lukas 2,11

Lukas 2,11

Jede gute Geschichte muß einen Anfang haben, eine Mitte und einen
Abschluß. Und die Weihnachtsgeschichte von Jesus hat zumindest,
das wissen alle, einen Anfang. Das wissen wir von Heiligabend und dem
ersten Weihnachtstag: Das Kommen des Kindes in die Welt. Das Kind wird
geboren. Geboren werden heißt in die Welt kommen, und in die Welt
kommen heißt zu jemandem kommen, und zu jemandem kommen heißt
in dessen Leben eingreifen, und da kommt es zu Verwicklun­gen. Es
entstehen neue Horizonte.

„Euch ist heute der Heiland geboren in der Stadt Davids“.
Er ist geboren. Das ist die Botschaft der Weihnacht. Aller Anfang ist
Anfang für uns. Ob man nun sich verliebt. Ob es wirkliche Liebe
ist. Ob man ein Kind bekommt. Aller Anfang bedeutet, daß man von
etwas angerührt wird, das von außen kommt.

Aller Anfang ist Erhebung. Aller Anfang bedeutet neue Möglichkeiten.
Deshalb ist die Weihnachtsbotschaft des Anfangs auch: „Fürchtet
euch nicht, denn ich verkündige euch große Freude“. Oder: „Friede
auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“. Aller Anfang ist Freude,
Friede, Furchtlosigkeit.

Aber zu jeder Geschichte gehört auch eine Mitte und ein Abschluß.
Und davon hört man nicht in erster Linie am Heiligabend und am Weihnachtstag,
sondern davon hört man am zweiten Weihnachtstag und heute – am Sonntag
nach Weihnachten. Hier wird davon erzählt, wie die wahre Freude
und der wahre Friede verfolgt und erschlagen werden. Der mittlere Teil
der Geschichte handelt immer vom Widerstand gegen den Anfang: das Böse,
die Feindschaft, Weinen und Tränen. Alle Mitte ist Kampf, Ausdauer
und Hoffnung.

In diesem Raum wird noch immer die gute alte Geschichte erzählt
mit einen Schluß, der ein happy end hat. Der Kampf zwischen dem
Guten und dem Bösen endet nicht mit dem Sieg des Bösen, sondern
des Guten. Davon könnt ihr an Ostern hören, denn hier findet
der entscheidende Kampf statt.

Die Weihnachtsgeschichte enthält einen Anfang, eine Mitte und einen
Schluß. Leider bekommen die meisten die Mitte und das Ende nicht
mit, weil sie nur den Gesang der Engel hören: „Fürchtet
euch nicht“, „Friede den Menschen“. Und dann ist das nicht
nur eine halbe Geschichte, sondern man läuft auch Gefahr, sentimental
und oberflächlich zu werden.

Aber wie vollzieht sich der mittlere Teil der Geschichte? Davon handelt
der Sonntag nach Weihnachten. Was geschieht, wenn die gute Botschaft
von den Engeln in die Welt geht und auf Widerstand stößt?
Was geschieht, wenn sich Himmel und Erde begegnen? Und wie überwindet
der gute Anfang mit Friede und Freude und Furchtlosigkeit die böse
Welt mit Feindschaft und Widerstand?

Es geht darum, den Feind zu überlisten, es geht darum, an den guten
Träumen festzuhalten, denn wenn man das kann, dann wird das Ende
gut, und dann wird alles gut!

Apropos diese Redewendung, die wir so oft verwenden. Und die wir ja
gerade in bezug auf eine Krise verwenden, die wir erleben, einen Widerstand,
den wir überwunden haben, ein Unwetter, das über uns hereinbrach.
Wenn es überstanden ist, atmen wir erleichtert auf und sagen: „Ende
gut, alles gut!“

William Shakespeare benutzte dies als Titel für eine Komödie.
Und der Titel könnte sozusagen für alle Komödien verwendet
werden, teils auch für die Tragödien. Aber hier ist es vielleicht
schwerer zu sehen. Was ist das für ein Trick, den Shakespeare verwendet,
um alles zum Guten zu wenden? Er bedient sich des Betrugs, der Illusion,
der weißen Lüge. Wie nun in der letzten Komödie die Shakespeare
schreibt, dem ‚ Unwetter‘ .

Die Komödie ‚Das Unwetter‘ ähnelt sozusagen der Erzählung
des heutigen Evangeliums. Sie handelt vom Herzog Prospero von Mailand,
der von seinem Bruder Antonio vertrieben wurde und sich nun zwölf
Jahre auf einer Insel zusammen mit seiner Tochter Miranda aufgehalten
hat. Dieser Prospero besitzt heimliche, okkulte Künste und magische
Zauberkraft. So ist er imstande, ein Unwetter zu arrangieren, das bewirkt,
daß sein böser Bruder auf seiner Heimreise von einer Hochzeit
Schiffbruch erleidet und an der einsamen Insel landet. Hier geschehen
viele Intrigen, Verkleidungen und Verwechslungen, alles um den Feind
in die Falle zu locken. Und als wir dann im fünften Akt angelangt
sind, haben die Richtigen einander gefunden, das Böse ist entlarvt,
die meisten bereuen außer einem einzelnen. Und eben das ist die
Pointe bei Shakespeare, daß fast alle, die in das Böse korrumpiert
und hineinbetrogen worden sind, auch in die Wahrheit hineinbetrogen werden
können, d.h. in das wahre und ehrliche Leben, in dem Milde und Güte
herrschen. Außer wie gesagt einem einzigen. In fast allen Dramen
bleibt einer draußen, eingefroren in das Böse. Die Versöhnung
hat also ihre Grenzen.

Der intrigante und machtbesessene Antonio glaubte, er habe alles, d.h.
die Stadt Mailand, unter Kontrolle. Aber das ist nur eine Illusion und
ein Selbstbetrug, auf dem er seine Macht begründet. Prospero aber
gewinnt seine Macht und seine Stadt wieder – nicht durch bittere Rache,
sondern vorsichtig und listig betrügt er sie hinein in den Zustand
der vergebenden und wieder aufrichtenden Liebe. Böses soll nicht
mit Bösem vergolten werden, sondern Betrug mit Betrug.

Joseph überlistete König Herodes. Das war die Jahrhunderte
alte Tradition in der Familie infolge dem Evangelisten Matthäus.
Es gehört mit zu den Akteuren der heiligen Geschichte, den Haupt­schauspielern,
daß sie auf eine Reise nach Ägypten mußten, ehe sie
nach Hause kamen, um den Plan Gottes auszuführen. Joseph wurde von
seinen Brüdern in den Brunnen geworfen und dann an ägyptische
Sklavenhändler verkauft. Und in Ägypten wurde er Landwirtschaftsminister
und rettete Ägypten und Israel vor einer Hungerkatastrophe. Moses
wurde als ägyptischer Prinz erzogen, konnte aber seine neue Identität
nicht ertragen und mußte sich in die Wüste zurückziehen,
um später zurückzukehren und sein Volk u.a, durch Zauberkunst
zu retten. Aber über Ägypten ging der Weg, wenn sie den Plan
Gottes zum Ende führen wollten. Eine gute List ist notwendig, um
die Welt vom Bösen zu befreien.

Und dann sind auch Träume notwendig. Ein Engel des Herrn erschien
Joseph im Traum. Den Hang zum Träumen haben sie nun auch in der
heiligen Geschichte gehabt. Vor allem wenn es schwierig wurde und man
auf Widerstand stieß. Man denke an den alten Patriarchen, als er
vor seinem Bruder Esau flüchtete und auf dem Wege zu seinem Onkel
war und nicht viel wert war. Da legte Jakob sein Haupt auf einen Stein,
und die Engel wanderten auf und nieder, und es waren nur gute und schöne
Worte, die ihm ins Ohr geflüstert wurden von derartigen Wesen. Ja
so gut und schön waren die Worte, daß er nie dem Kampf aufgab,
ganz gleich auf wieviel Widerstand er stieß. Und die Nachkommen
erbten diese Fähigkeit, große, gute Träume zu träumen.
Und das war die Rettung für Joseph und seine Familie.

Shakespeare läßt den guten König Prospero von Mailand
die berühmten Worte von der Wichtigkeit von Träumen sagen: „Wir
sind vom selben Stoff, die Träume weben, und unser kurzes Leben
ist vom Schlaf umfangen“. Der Schlaf und die Träume sind in
der Welt Shakespeares die äußersten Bilder für das innerste
Wesen des Daseins. Da sind sowohl der drohende Schlaf und der Alptraum
als auch der gute Schlaf und die schönen Träume. Die Träume,
die am guten und wahren Leben festhalten. Der Traum von der Würde
des Lebens. Das Leben in Liebe und Gnade.

Wie Grundtvig in seinem Weihnachtsgedicht schrieb:

Da schlafen sie süß und sehn im Traum, –
dem dunklen aber
wahren, –
das Bethlehemkind im Krippenraum,
wie sie von euch erfahren;
da tanzen sie um den Weihnachtsbaum
mit Gottes Engelscharen.
(Aus: Velkommen igen, Guds engle små)

Wie in den Dramen Shakespeares geht es in der christlichen Geschichte
darum, Traum und Ernst, Vision und Wirklichkeit zusammenzuhalten. Hält
man sich nur an die Welt des Traums, wird man in Resignation und Ohnmacht
verwandelt. Hält man sich umgekehrt nur an die Wirklichkeit, wird
man in Rastlosigkeit und Geschäftigkeit verwandelt. In der Einheit
zwischen Traum und Ernst, Vision und Tat, da ist man imstande, durch
die Geschicke des Lebens verwandelt zu werden und sie zu verwandeln.
Joseph hielt die Dinge beieinander. Er hatte den Traum von der Flucht,
aber er hatte auch den Traum, wieder zurückzukehren.

Ich sagte, daß jede Geschichte einen Anfang, eine Mitte und einen
Schluß hat. Löst man den Mittelteil aus der Weihnachtsgeschichte
heraus, bekommt man nicht das Gefährliche und das Drama mit. Die
Gefahr und das Drama, die verborgen sind in dem anfänglichen Wort: „Fürchtet
euch nicht“ und „Friede auf Erden“. Diese Worte werden
gefährlich, sobald sie in der Welt Fleisch und Blut erhalten, die
betrogen ist von dem Willen, der nur sich selbst will, von der Macht,
die zerstört. Das wird dann gefährlich, wenn man sich nicht
auf Kompromisse einläßt mit der herodianischen Macht, wenn
man nicht nur ausweicht und denkt, daß es schon gut gehen werde.
Das wird dann gefährlich, wenn man die angewöhnte Friedfertigkeit
aufgibt, die sich mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner des Lebens zufrieden
gibt. Das wird dann gefährlich, wenn man die bequeme Mittelmäßigkeit
verläßt zugunsten eines wahren Friedens und wahrer Furchtlosigkeit.

Der korrumpierenden und zersetzenden Macht zu widerstehen, erfordert
große List und Inszenierung, dazu gute Visionen und große
Träume. Wir kennen wohl alle, wenn wir nachdenken, einen oder zwei
Menschen, von denen es heißt, daß sie einen Marschallstab
im Tornister tragen. Das ist der Mensch, der das Wort des Engels von
Furchtlosigkeit und Frieden in sich aufnahm. Der den Traum hoch hielt,
und der, wenn es darauf ankam und die harte Wirklich­keit sich aufdrängte
und das Unwetter am größten war, sich nicht zurückzog
und nicht müde wurde, den Feind zu überlisten.

Bei diesen Menschen können wir ruhig damit rechnen, daß es
wahr ist: Ende gut, alles gut. Amen.

Pfarrer Jørgen Demant
Hjortekærsvej 74
DK-45 88 40 Lyngby
Tel.: ++ 45 – 45 88 40 75
email: j.demant@wanadoo.dk

 

de_DEDeutsch