Lukas 22,39-46

Lukas 22,39-46

Dein Wille geschehe | Gründonnerstag | 06.04.2023 | Lk 22, 39-46 | Sabine Handrick |

Liebe Gemeinde

Heute Abend sind wir hier, um zu wachen und zu beten. Mit dem eingängigen Gesang im Ohr (Bleibet hier und wachet mit mir) trägt uns die schlichte Melodie. –

Aber die Gedanken wandern weiter … Ja, ich würde schon gern – bleiben und wachen und beten, doch… so einfach diese Bitte klingt, so schwer ist sie wohl zu erfüllen.

Wachen, wenn ich erschöpft den Schlaf herbeisehne nach den Mühen des Tages.

Wachen, wenn ich den Blick abwende, weil ich nicht ertragen kann, was ich sehe.

Wachen, wenn ich dem Schlaf in die Arme sinken und in Traumwelten verschwinden möchte wenigstens für ein paar Stunden.

Es geht ums Bleiben im Sinne von dabei sein, mittragen, aushalten. Nicht abhauen, sondern ausharren, nicht aufgeben, sondern es ertragen – bewusst und wach.

Sehen, was ist und es Gott hinhalten!

Den Menschen, die mit Jesus auf den Ölberg gehen, gelingt dies nicht.

Unter ihnen liegt die Stadt, die langsam zur Ruhe kommt.

Die Rufe werden leiser.

Die Lichter verlöschen.

Das feiertägliche Vibrieren in den Gassen verstummt.

Oben auf dem Hügel mit den alten Olivenbäumen weht ein angenehmes Lüftchen.

Die letzten Abendschimmer versinken im Westen.

Dunkelheit breitet sich aus.

Im Schutz der knorrigen Bäume liegend, haben sie die Worte Jesu im Ohr:

«Betet, dass ihr nicht in Versuchung kommt!»

So viele Gedanken gehen ihnen durch den Kopf. Mit den aufgeregten Diskussionen sind sie lange nicht fertig, die Spannungen in der Gruppe noch längst nicht ausgeräumt.

«Petrus und seine Märtyrersehnsucht – der kann einem wirklich auf die Nerven gehen.»

«Dieses Positionsgerangel, wer wo sitzen darf an Gottes Festtafel – Habt ihr keine anderen Sorgen?!»

Wer wenigstens noch ein wenig bei Sinnen war, hatte gemerkt, dass diese Nacht tatsächlich nicht wie die anderen Nächte war. Ja, sie konnten das Pessach-Mahl miteinander halten, so wie es ihnen vertraut war. Den Frauen war es gelungen, ein Lamm zuzubereiten. Die Männer fanden eine gastfreie Familie, wo sie miteinander feiern konnten. Das frischgebackene Brot duftete verlockend, dazu der Salat aus Bitterkräutern und das fruchtig-süsse Mus – alle langten beherzt zu.

Mitten in den angeregten Tischgesprächen aber, gab es einen Moment, wo sie alle innehielten.

Sie schwiegen und schauten auf Jesus.

Der hatte einen Laib Brot in der Hand und brach ihn auseinander. ‘So wie dieses Brot gebrochen wird, so wird mein Leib gebrochen werden. Erinnert Euch daran. Bleibt zusammen, teilt und esst.’

Als er schliesslich auch noch vom neuen Bund und vom vergossenen Blut sprach und der Kelch mit dem schweren Wein von Hand zu Hand ging – da war einen Moment lang das Besondere dieses Abends mit Händen zu greifen.

Doch kaum war die Runde mit dem Becher beendet, gingen die Diskussionen weiter, streitlustig und lautstark. Von Herr – oder Diener-Sein war die Rede und von Reiseproviant und Mantel und Schwert … bis Jesus aufstand!  – ‘Es ist genug!’ – Mit einem Schlag war der Abend zu Ende.

Sie liessen die Gassen der Stadt hinter sich, durchquerten das Kidrontal, um auf den Hügel gegenüber zu steigen. Unterwegs senkte sich Schweigen auf sie. Im letzten Abendlicht gingen sie auf dem vertrauten Pfad. Oben angekommen, hören sie von Jesus: «Betet, dass ihr nicht in Versuchung geratet!»

Und sie sehen, wie er noch ein paar Schritte weiter geht. Sein helles Gewand hebt sich ab vor der Schwärze der Bäume. Erst lehnt er sich an den knorrigen Stamm, dann sinkt er in sich zusammen.

Sie liegen einen Steinwurf entfernt. Sie lauschen und hören bald nichts mehr als die eigenen Gedanken. Ab und zu unterbricht der Ruf eines Käuzchens die Stille.

Von dieser Nacht, die anders ist als alle anderen Nächte, die uns zum wachen und beten ruft, hat der Evangelist Lukas erzählt. Ich habe bis hierher versucht, uns die äusseren Umstände vor Augen zu stellen.

Die inneren Prozesse aber, das angstvolle Ringen Jesu – die sehen wir nicht. Und wir können sie kaum erahnen. Jesus steht ein Weg bevor, den kein Mensch vor ihm gegangen ist. In aller unvorstellbaren Einsamkeit und Todesangst bleibt ihm als einziges das göttliche Du. Er verbindet sich im Gebet mit dem Vater im Himmel. Wenige Worte sind von diesem Gebet Jesu überliefert worden: «Vater, wenn du willst, lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Doch nicht mein Wille, sondern der deine geschehe.

Sehr treffend hat der dänische Gottsucher Sören Kierkegaard über das Beten geschrieben:

«Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörender. Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören. So ist es: Beten heißt nicht, sich selbst reden hören. Beten heißt: still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott hört.»

Liebe Gemeinde, Jesus war ganz und gar ein Hörender in jener Nacht auf dem Ölberg.

Ich habe euch ein Lied mitgebracht, mit dem Leonhard Cohen die Worte aus Jesu Gebet aufgreift und auf sehr berührende Weise dem Wunsch nachspürt, den Willen Gottes zu hören.  Selbst wenn das, was auf ihn zukommt, ihn brechen wird, er hält an diesem DU fest.

Folter und Schmerz voraussehend, weicht er nicht aus, sondern bleibt und betet oben auf dem «broken hill», dem gebrochenen Hügel.

In Cohens Lied wird die Liebe hörbar, die ihn in aller Zerrissenheit trägt.

Lauschen wir dem Lied: If it be your will. https://www.youtube.com/watch?v=fICsHinJNbc

Ich bleibe, bis für mich gesprochen wird … Jesus bleibt im Gebet und überlässt sich dem göttlichen Willen. Er weiss, die Verbindung mit Gott wird nicht abreissen. Er wartet und harrt aus und ringt mit seinem Gott, bis er hört, was er braucht, bis ihn ganz und gar die unendliche Liebe erfüllt, die ihn halten wird über den Abgrund des kommenden Tages.

Den Kelch des Leidens hat er nicht gesucht, aber er nimmt ihn an und trinkt ihn bis zum letzten Tropfen. Jesus ist am Vorabend der Kreuzigung kein übermächtiger Held. Die Bitte, dass der Kelch an ihm vorübergehen möge und sein Zittern, Blut, Schweiss und Tränen sind sprichwörtlich geworden. Er ist ein Mensch – suchend, weinend, kämpfend, von Angst überwältigt. Diese Nacht auf dem Ölberg zeigt uns Jesus menschlich und nahbar. Er ist auf Rufweite, nur ein paar Schritte, einen Steinwurf weit entfernt.

Meine Lieben, wer mit ihm wacht und betet, hat in ihm einen Begleiter für das Beten in den eigenen dunklen Nächten. Lernen wir auf Gott zu hören, bis sich die Seele einschwingt und ganz und gar mit Gott in Resonanz ist.

Gottes Liebe macht die Landschaft des Herzens weit und tief und grenzenlos. Wenn Gottes Wille in uns Raum greift, dann stellt sich Frieden ein, ein Frieden, dem das äussere Chaos nichts mehr anhaben kann.

Leonhard Cohen bringt diese Dimension ins Spiel. Er, der in den jüdischen Texten zuhause war, der die Psalmentradition und die prophetischen Bilder kannte, nimmt den jubelnden Gesang der Berge und der Leben schenkenden Flüsse vorweg… (Jes. 55,12) – Er lässt die überfliessende Liebe Gottes mit seiner sanften Melodie hörbar werden. Mitten in der Dunkelheit erklingt ein Loblied Gottes.

Dass Gebete uns stärken, dass sie uns Kraft geben, wenn uns Anfechtung, Bedrängnis, Zerrissenheit, Kummer… umtreiben, das haben viele Menschen in ihren einsamen Nächten erfahren.

Auch Dietrich Bonhoeffer war so jemand. Wenige Wochen vor seinem Tod schrieb er das Gedicht: «Von guten Mächten wunderbar geborgen»… Als gesungenes Lied entfaltet es immer wieder seine tröstende Wirkung.

Meine Lieben, gehen wir bei Jesus in die Schule des Betens: Bleibet hier und wachet mit mir … ja, und «Betet, dass ihr nicht in Versuchung kommt!»

Die Versuchung, die er hier meint, ist die sich von Gott zu lösen; zu schlafen, wenn man wachen sollte; sich der Hoffnungslosigkeit zu überlassen und das Vertrauen auf Gott zu verlieren; sich einzig um die eigenen Wünsche und Gedanken zu drehen, anstatt offen zu sein, für das was Gott von uns will.

Sicherlich, es ist nicht einfach, den Willen Gottes zu erkennen. Selbst für Jesus bedeutete es einen schweren Weg, der ihn mehr als Blut, Schweiss und Tränen gekostet hat. «Doch nicht mein Wille, sondern der deine geschehe.» So betete er, so lehrte er uns im Unservater: Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Erinnern wir uns daran, liebe Gemeinde, wenn wir in das Gebet Jesu einstimmen.

Es ist gut, nach dem Willen Gottes zu fragen und danach zu handeln.

Ja, es gibt Krisen und schwere Zeiten, in denen wir nicht aus noch ein wissen.

Leider schickt Gott uns ganz selten einen Engel, zumindest einen, der sich sehen lässt.

Doch Gott ist da, auch mitten in der Not, in der Nacht, in der Krise – dicht bei uns. Selbst wenn Gott uns unhörbar bleibt, hilft die Stille des Betens und dämpft das Zittern und Flattern, wenn uns Angst befällt. Wenn Du es wagst, dich auf Gott auszurichten, wirst du Zuversicht bekommen. Es wird einen Unterschied machen und Du weißt: Ich bin nie allein.

Nach seinem Gebet, kehrt Jesus zu seinen schlafenden Gefährten zurück und weckt er sie auf. Wörtlich steht im griechischen bei Lk. 22, 46: Auferstehend betet, damit ihr nicht in die Versuchung hineinlauft!  – Wenn das kein Weckruf ist!

In seinen Worten klingt bereits etwas an, was die verschlafenen Jünger wohl kaum schon verstehen. – Aber wir, wir hören mit, was drei Tage nach Jesu Tod geschehen wird.

Auferstehend beten wir «Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden».

Amen

Pfarrerin Sabine Handrick

Reformierte Kirchgemeinde Düdingen

E-Mail: pfarramt@refdue.ch

Die Teilnehmenden der Tischabendmahlsfeier Gründonnerstag erhalten ein Liedblatt, auf dem auch der Text von «If it be your will» auf englisch und deutsch zum Mitlesen enthalten ist.

Folgende Lieder gehören zur Liturgie:

  • Bleibet hier und wachet mit mir, RG 294
  • Manches Holz – Ilona Schmitz-Jeromin, Martina Pohl
  • Aus der Tiefe rufe ich zu dir, EG 629
  • Dans nos obscurités, RG 705
  • Von guten Mächten, Durch Hohes und Tiefes 27,1-6
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