Lukas 24,13-35

Lukas 24,13-35

Brennende Herzen | Ostermontag | 10.04.2023 | Lk 24,13-35 | Martin Hein |

Ostermontag: Umfragen zufolge einer der beliebtesten Feiertage im Jahr. Warum das so ist? Viele nutzen ihn als Familienfest. Man nimmt sich Zeit füreinander. Macht einen Ausflug in die aufblühende Natur. Alles ganz angenehm.

Warum es diesen Feiertag überhaupt gibt, darüber macht man sich weniger Gedanken. „Irgendwas mit Jesus“, lautete eine Antwort. Immerhin. Aber was? Weniger als die Hälfte der Deutschen bringt Ostern mit der Auferstehung Jesu in Verbindung. Und selbst dann ist überhaupt noch nicht gesagt, was wir eigentlich meinen, wenn wir im Ostergottesdienst in die Worte einstimmen: „Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.“

Glauben wir, was wir da sagen? Verlassen wir uns wirklich darauf, dass Christus den Tod überwunden hat und zu einem neuen Leben auferweckt worden ist? Viele Fragezeichen also. Und die Antworten müssen so sein, dass sie tragfähig sind und nicht bloß alte Formeln wiederholen.

Wir befinden uns dabei in guter Gesellschaft: Auch die Geschichte der zwei Jünger, die auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus waren, beginnt mit lauter Fragen. Sie sind angebracht. Zweifel sind erlaubt, sagt uns das Evangelium. Es kann doch gar nicht anders sein! Nicht erst, seit unsere aufgeklärte menschliche Vernunft ihre kritischen Anfragen an die Auferstehung richtet, ist das so. Von Anfang an war die Botschaft, dass Jesus von den Toten auferweckt sei, innerhalb der gewohnten Vorstellungen und Denkmuster unfassbar und unbegreiflich. Ich finde es beeindruckend, dass die Evangelisten das unumwunden zugeben. Oft genug und auf verschiedene Weise ist den Jüngerinnen und Jüngern Jesu am Ostertag vermittelt worden, ihr Herr und Meister lebe. Allein: Der Glaube fehlte zunächst vollkommen.

Einige Beispiele nur: Hatten nicht die Frauen, die am Ostermorgen den Leichnam einbalsamieren wollten, von den Engeln erfahren, Jesus sei auferweckt? Doch als sie vom Grab zurückkehrten und es den Aposteln erzählten, erschien das denen, „als wär’s Geschwätz, und sie glaubten ihnen nicht“.

Auch als sich Petrus aufmachte, um dieser unglaublichen Nachricht auf den Grund zu gehen und am Grab nach dem Rechten zu schauen, und er tatsächlich nur die Leinentücher fand, da „wunderte“ er sich – wie es der Evangelist Lukas lapidar vermerkt. Von begeistertem Osterglauben ist keine Spur.

Und die beiden Jünger schließlich, die nach Emmaus aufbrechen, sind geradezu das Musterbeispiel dafür, wie es bei den Freundinnen und Freunden Jesu zwei Tage nach seinem Tod aussah: Enttäuschung, Resignation und Trauer erfüllten ihre Herzen und bestimmten ihre Gedanken – und das, obwohl sie gehört hatten, Jesus lebe. Diese Nachricht hatte sie, sagen sie selbst, „erschreckt“. Unfassbar war das! Wie auf der Flucht verlassen sie Jerusalem, deprimiert und ohne Hoffnung, um sich wieder einem Leben ohne Jesus zuzuwenden.

So stellt sich die Lage zu Ostern dar: ungeschminkt und ungeschönt. Die Sache ist zweifelhaft! Das empfanden damals selbst die allernächsten Vertrauten, und heute ist es noch genau so! Denn was den Jüngerinnen und Jüngern gesagt wurde, ist dermaßen radikal neu und widerspricht allen Gesetzmäßigkeiten menschlichen Lebens, dass man damit zunächst einmal gar nicht zurechtkommen kann!

Die Nachricht, dass Christus aus dem Tod erstanden ist, dass er lebt und dass Gott die Macht des Todes ein für allemal gebrochen hat, stellt alles auf den Kopf, was wir zu denken und für wahr zu halten gewöhnt sind. Nach menschlicher Erfahrung stimmt doch die tausendfach bestätigte Gleichung: „Tot ist tot!“ Nichts ist uns sicherer im Leben als der Tod, heißt es – und wenn das nicht mehr gelten sollte, gilt dann überhaupt noch irgendetwas, worauf wir uns verlassen könnten?

Genau so ist es! Ostern verändert alles! Darum hat es die Osterbotschaft so schwer mit uns –  selbst nach vielen Jahrhunderten, in denen sie unentwegt verkündigt wurde. Die Worte allein richten noch nichts aus. Man wird sie stets abtun können als überspanntes Geschwätz oder als wirklichkeitsfremdes Märchen. Es muss etwas hinzukommen, was diese Worte bekräftigt, so dass wir nicht anders können, als ihnen gegen alle Einwände zu vertrauen und unser Leben durch sie verwandeln zu lassen.

Und was kommt zu den Worten hinzu? Die Erfahrung: die Erfahrung, dass Jesus lebt! Der Auferstandene erscheint den Beiden auf dem Weg. Er gibt sich ihnen so zu erkennen, wie er war und wie sie ihn kannten. Er legt ihnen die Bibel aus und eröffnet ihnen das Verständnis für die Verheißungen Gottes. Er isst mit ihnen, wie er es so oft getan hatte, und bricht für sie das Brot. Das soll ihnen den Glauben stärken, dass er lebt.

Gewiss: Tod und Auferstehung haben ihn verwandelt, aber er ist der Gleiche! Seinem Leben hat die Macht des Todes nichts anhaben können, und die Geschichte der Liebe Gottes mit uns Menschen, für die Jesus einstand, geht darum weiter.

So begannen sie zu glauben, was sie zunächst nur hörten und sich nicht zusammenreimen konnten: in Emmaus, in Jerusalem. Die Worte, Jesus sei auferstanden, füllten sich mit eigener Erfahrung und veränderten ihr Leben. „Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege“, fragen sie sich hinterher. Sie glauben, weil sie erfahren konnten, was sie zu erfahren nicht einmal gehofft hatten.

Solche unmittelbaren Begegnungen mit dem auferstandenen Jesus Christus sind eher die Ausnahme geblieben. Die Geschichte von der Erscheinung des Auferstandenen bei den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus zeigt uns: Aus eigener Kraft oder Einsicht werden wir nicht glauben können, was an Ostern geschehen ist! Es wird immer genügend Einwände geben, die gegen Ostern sprechen.

Viele Alltagserfahrungen lassen uns fragen, wo denn das neue Leben sichtbar wird, das Christus uns schenkt. Die Welt, wie sie ist, gibt offensichtlich nicht zu erkennen, dass er die Macht des Todes überwunden hat. Das spüren wir in diesen Tagen besonders schmerzlich, wohin wir auch blicken. Krieg, Gewalt und Tod sprechen eine deutliche Sprache. Sehen wir nur in die Ukraine, wo der Krieg seit mehr als einem Jahr tobt. Oder schauen wir in die Türkei und nach Syrien, wo das Erdbeben Abertausenden das Leben genommen hat. Manchmal kommt auch mir der Satz, dass Christus die Macht des Todes besiegt hat, wie hilfloses Geschwätz vor. Wo ist denn Ostern hier erlebbar, wenn täglich neue Opfer zu beklagen sind? Aus mir selbst heraus weiß ich darauf keine schlüssige Antwort!

Auch wir könnten abwinken und es bei ratlosen Worten belassen. Wir könnten das … Wir müssen es aber nicht! Ich wäre nicht in der Lage, im Blick auf unsere Welt zuversichtlich zu sein, würde ich nicht darauf vertrauen, dass Gott größer ist als unsere enge Wirklichkeit; dass er in der Auferweckung Jesu dem Tod und aller Menschenverachtung die Grenzen gezeigt hat – und dass wir in unserem Leben diese Befreiung erfahren können.

Oder um es in der Sprache des Evangeliums zu sagen: Er lässt Herzen brennen – meines, Ihres! Seine Kraft erfüllt uns. Sein Geist bewegt uns.

Solange Herzen brennen, verharren wir nicht in Resignation angesichts der Geschicke der Welt. Wir wenden wir uns mit dem, was uns beschäftigt und bewegt, im Gebet an Gott. Bitten darum, dass „der Geist des Friedens und der Liebe zur Herrschaft komme“. Bitten ihn um Stärkung im Glauben und um Orientierung für das, was zu tun ist.

Solange Herzen brennen, geben sich evangelische und katholische Christen nicht damit zufrieden, dass wir als Kirchen immer noch getrennt sind. Wir finden sich nicht ab mit den Spaltungen und hoffen auf Erneuerung und ökumenische Gemeinschaft.

Solange Herzen brennen, überlassen sich Menschen einander nicht dem Schmerz und der Not. Viele werden auch heute, am Ostermontag, ihre Zeit für andere opfern, um sie zu pflegen, zu waschen, zu füttern, zu trösten. So erfahren Hilfsbedürftige die Liebe Gottes, die stärker ist als der Tod.

Die Jünger von Emmaus konnten durch die Begegnung mit dem auferstandenen Jesus Christus der Verzweiflung und Trostlosigkeit entkommen. Sie fanden zurück ins Leben mit brennendem Herzen. Nun bezeugen sie ihn. Nun stellen sie sich dem Leben neu. Sie tun das in der Kraft der Auferstehung.

Diese Kraft verändert uns. Wie Jesus an Ostern in ein neues Leben aufbricht, brechen auch wir in die Welt auf, um den Sieg Gottes über die Macht des Todes zu bezeugen. Denn nirgendwo anders bewährt sich das neue Leben als mitten unter uns.

Statt uns in Abgeklärtheit oder Mutlosigkeit, in Zweifeln und Fragen zu verlieren, hoffen wir darauf, dass der Auferstandene uns heute neu begegnet, dass er unser Herz brennen lässt und unseren Glauben weckt. Dass er uns durch seinen Geist stärkt, damit andere Menschen erfahren, dass es seit Ostern Hoffnung gibt auf neues Leben – über den Tod hinaus.

Mit brennendem Herzen stimmen wir ein: „Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.“

Ostermontag: ein wunderbarer, ein fröhlicher Feiertag! Amen.


GEBET

Herr Jesus Christus,

für uns gestorben am Kreuz und auferweckt von den Toten:
Wir sind zu unverständig und unser Herz ist zu träge, um das zu glauben.

Aber du gehst uns nach, wenn wir zweifeln,

du mischst dich ein in unser Gespräch,

du brichst uns das Brot wie deinen ersten Jüngern.

Dann brennen unsere Herzen,

wir glauben und verstehen,

was du für uns bist und was du von uns erwartest:
Frieden für die Welt,

Freude trotz aller Sorgen und Angst.

Wir lernen die Wahrheit sehen und sagen und tun.

Darum bitten wir dich, den Lebendigen,

für heute und alle Tage, bis in Ewigkeit.


(nach: Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, Agende I, Bd. 1, 226, # 297)


Bischof em. Prof. Dr. Martin Hein

Kassel

E-Mail: martinhein@gmx.de

Zur Person: https://www.martinhein.de/biografie

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