Lukas 4,16-21

Lukas 4,16-21

Keine Angst vor Zeitenwenden | Neujahr | 01.01.2023 | Lukas 4,16-21 | Thomas Volk |

Liebe Gemeinde!

Was kommt nach dem „Jahr der Zeitenwende“? Im vergangenen Jahr 2022 wurde der Begriff „Zeitenwende“ sogar zum Wort des Jahres. Geprägt hat es Bundeskanzler Olaf Scholz, drei Tage nach Beginn der russischen Ukraineinvasion.

Beruhigt sich die weltweit äußerst angespannte Lage mit ihren vielen und komplexen Krisengebieten wieder? Oder erleben wir in diesem Jahr – spätestens, wenn die Rechnungen der Energieversorger kommen – noch einmal eine ganz andere Zeitenwende, in der viele Menschen finanziell nicht mehr über die Runden kommen?

Natürlich kann heute noch niemand wissen, was alles passieren wird. Wir können auch noch nicht sagen, ob wir alle Wege, die vor uns liegen, gerne gehen werden. Und auch wenn Sie schon manche wichtige Termine in ihrem Kalender stehen haben, so kann an Neujahr keiner sagen, ob sich damit glückliche Momente verbinden werden.

Auf alle Fälle beinhaltet das  Wort „Zeitenwende“ nicht nur angenehme Gedankenverknüpfungen. Manches, was uns vertraut war und Sicherheit gegeben hat, bricht weg. Und niemand kann jetzt schon abmessen, was alles Neue und Unbekannte mit uns macht.

Zeitenwende am Beginn des Wirkens Jesu

Für alle, bei denen am ersten Tag des neuen Jahres 2023 die Stimmung alles andere als euphorisch ist, ist der heutige Abschnitt aus der Bibel genau das Richtige. Er ist wie ein Gegenpol zu allen düsteren Vorahnungen.

Er steht im vierten Kapitel des Lukasevangeliums. Der Evangelist beschreibt darin das erste öffentliche Auftreten Jesu in seiner Heimatstadt Nazareth. Und für Lukas bedeutet dieses Ereignis auch eine „Zeitenwende“.

Wenige Verse vor unserem Abschnitt schreibt er, wie Jesus in der Wüste versucht wird. Er soll Wunder vollbringen und sich als Superman outen. Aber Jesus widersteht 40 Tage und Nächte. Und danach weicht alles Böse von ihm.

Für den Evangelisten Lukas war damit klar: Jetzt fängt eine wirkliche „Zeitenwende“ an. Es beginnt eine Zeit, in der Menschen die heilvolle Nähe Jesu erleben dürfen. Ich lese aus seinem Evangelium aus dem vierten Kapitel die Verse 16 bis 21.

16Und Jesus kam nach Nazareth, wo er aufgewachsen war, und ging nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge und stand auf, um zu lesen.

17Da wurde ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht. Und als er das Buch auftat, fand er die Stelle, wo geschrieben steht:

18“Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat und gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit

19und zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn“ (vgl. Jesaja 61,1-2).

20 Und als er das Buch zutat, gab er’s dem Diener und setzte sich. Und aller Augen in der Synagoge sahen auf ihn.

21Und er fing an, zu ihnen zu reden: Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.

Zeitenwende mit Jesu Auftreten

Was für eine Ansage! Wie eine Neujahrsansprache mit „Zeitenwende-Charakter“. Jesus zitiert Worte, die schon vor langer Zeit in das Buch des Propheten Jesaja aufgenommen worden sind und vielen bekannt waren. Er stellt damit die Menschen ins Licht, die gerne von anderen ins Dunkel gestellt und unsichtbar gemacht werden. Jesus zitiert:

„Zu verkündigen das Evangelium den Armen …“

Das Evangelium, die gute Nachricht, gilt allen, die zur Kategorie „Armutsrisiko“ zählen. Alle, denen buchstäblich das Nötigste zum Leben fehlt.

Die nicht viel zählen. Keinen Einfluss haben. Die überhört werden. Keine Lobby haben. Die man nicht als Partner gebrauchen kann, wenn man nach ganz oben kommen will.

„… zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, …“

Alle, die unschuldig in Gefängnissen sitzen, weil sie sich öffentlich für Freiheit, für Gleichberechtigung und für die Würde jedes einzelnen Menschen stark gemacht haben, sollen dies ungehindert tun können.

Die, die gefangen sind in Gewohnheiten, in Schuld, in unguten Beziehungen, sollen neue Zukunft bekommen. Nichts soll sie mehr festhalten.

Niemand soll jemanden zwingen, so zu bleiben, wie sie und er einmal waren.

Unter weitem Horizont leben können. Weitblick bekommen, wo so viele nur die Innenseite der Mauer sehen, die sie selbst aufgebaut haben.

„… und den Blinden, dass sie sehen sollen, …“

Endlich wieder sehen können. Das Leben in allen Farbschattierungen spüren.

Endlich merken, was wirklich gut tut. Sich nicht mehr verrennen in Trends, die morgen schon wieder veraltet sind.

Sich umschauen und überlegen: Wem kann ich etwas Zeit geben? Wo helfen, dass Andere gerne sie selbst sind.

„… und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit.“

Alle, die fremdbestimmt werden, dürfen über ihr eigenes Leben entscheiden. Niemand soll so abhängig von anderen Menschen leben, dass man keinen eigenen Willen mehr hat.

Wieder etwas Neues wagen dürfen. Träume und Wünsche verwirklichen können. Neuen Mut einatmen. Nie mehr ausgemustert und abgeschrieben sein.

Neugierig auf die Zukunft sein. Frauen und Männer dürfen sich als gleichwertig erleben. Die Menschen sollen ihr Verschiedensein als einen kostbaren Schatz und seltenes Glück wahrnehmen.

Keine Zeitenwende zum Guten mehr erwarten können

Und dann fügt Jesus noch etwas hinzu, das dem Begriff „Zeitenwende“ vollends gerecht wird. Er fügt hinzu: „Heute haben sich diese Worte der Schrift erfüllt (vgl. V.21). Und das heißt: Durch ihn! Mit seiner Person!

Im Jesajabuch (vgl. Jesaja 60,1-3.10-11) damals ist übrigens zum ersten Mal formuliert worden, was ein „Evangelium“, eine „gute Nachricht“ ist. Und jetzt macht Jesus den verdutzten Hören in der Synagoge klar, dass das, was damals aufgeschrieben wurde, nun Wirklichkeit wird. Nicht irgendwann, sondern jetzt! In seiner Gegenwart!

Sie können sich vorstellen, dass viele in der Synagoge von Nazareth skeptisch waren. Mit diesem Ausspruch „Heute haben sich diese Worte der Schrift erfüllt“ hat Jesus den üblichen Anspruch eines Lehrers der Heiligen Schriften überschritten.

Die Zuhörenden haben sich gesträubt. Das gibt es doch gar nicht! Niemand kann mit einer solchen Vollmacht reden. Wenn wir etwas über Gott wissen möchten, dann schauen wir in den Schriften nach.

Und außerdem: Den kennen wir doch. Der kommt doch aus unserem Dorf. Sein Vater ist ein einfacher Zimmermann. Später wird man verhöhnend sagen: „Was kann denn aus Nazareth schon Gutes kommen!“

Evangelium als Trost bei negativen Zeitenwenden

Es ist schade, wenn Menschen nicht mehr an eine Umkehrung zum Guten glauben können. Wenn sie immer alles gleich negativ kommentieren müssen. Oder wenn das eigene Leben so festgefahren ist, dass man immer nur diese eine Perspektive hat.

Schon klar: Wer heute einen realistischen Blick in die kommenden 365 Tage wirft, wird sich ausmalen können, dass eine globale Zeitenwende zum Guten, zu einem friedlichen Miteinander der Nationen und ein Leben in demokratischen Strukturen unendlich weit entfernt ist und vieler Anstrengungen bedarf. Und mancher persönliche Ausblick auf die kommende Zeit wird auch nicht gerade Jubelstürme auslösen und…

Und dennoch: Christen haben immer wieder am eigenen Leben erfahren, wie diese „Gute Nachricht“, das Evangelium, sie bewegt, antreibt, beflügelt.

Das Evangelium, die „Gute Nachricht“, ist eine Botschaft, die tröstet, aufbaut, mutig macht. Sie hält Menschen nicht klein, sondern lässt sie aufrecht gehen.

So soll es auch in diesem Jahr sein. Deshalb wird dieses neue Jahr auch ein – wie es Jesus formuliert – „Gnadenjahr des Herrn“ (vgl. V.21) genannt.

Wörtlich übersetzt heißt es eigentlich: „Zu verkünden ein angenehmes Jahr des Herrn“. Ein angenehmes, ein annehmliches Jahr soll es werden. Für Sie und für mich. Ein Jahr, das Mut macht, sich wieder aufs Neue aufzumachen und dabei zu wissen: Gott ist an meiner Seite.

Ein angenehmes Jahr soll es werden, nicht weil uns vieles locker geschenkt wird oder weil wir gegen alle möglichen Krisen immun sind, sondern weil wir mit Gottes Rückenwind in die kommenden Tage, Wochen und Monate hineingehen.

Auf ein „Gnadenjahr“ hoffen wir auf Jesu Verheißung hin. Gnade – das ist die große unwiderstehliche Kraft, die von Gott kommt und uns nicht fallen lässt. Die uns trotzig leben lässt. Die hilft, nach Niederlagen wieder aufzustehen. Und die lehrt, sich nicht mit anderen zu vergleichen.

Gnade hat nichts – wie man es lange geglaubt hat – mit Unterwürfigkeit zu tun. Lange dachte man, dass Gnade der Gegenbegriff zu einem strengen Gehorsam ist. So als dürfe man sich keinen Fehler erlauben, weil der / die andere einem die Gunst entzieht oder böse wird oder uns die Folgen spüren lässt.

Gnade hat mit dem Wissen zu tun, dass Gott uns Menschen immer „soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen“.1 So hat es Dietrich Bonhoeffer in schwerer Zeit formuliert. Und weiter hat er gefolgert: „In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein“

Die „Antrittsrede Jesu“ in seiner Heimatstadt kann man auf unser neues Kalenderjahr so übertragen: Gehe mutig los! Gehe mit der „Guten Nachricht“, dem Evangelium, dass sich die Zeit immer wieder wenden wird und die Hoffnung viel Raum gewinnt.

Das Evangelium wird dich begleiten.

Es wird dich entlasten und heilen.

Es wird dich frei machen.

Es wird dir Mut schenken,

Und es wird dir die Augen öffnen für Gottes Zeitenwende.

Und die Möglichkeiten Gottes, die immer größer und weiter sind, mögen uns auf unseren Wegen in diesem Jahr begleiten. Amen.


Thomas Volk, geb. 1962, Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern. Seit 2021 Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Bad Kissingen mit dem Schwerpunkt „Konfirmanden- und Jugendarbeit“.


Mail: thomas.volk@elkb.de

Instagram: thomas.volk.15

Facebook: Thomas Volk BK


Liedvorschläge

Zu Beginn: EG 61,1-2.4 (Hilf, Herr Jesu, lass gelingen)

Kyrie: EG 178,9

Gloria: EG 24,15

Glaubensbekenntnis gesungen: KAA 079,1-3 (Ich glaube fest, dass alles anders wird)

Nach der Predigt: KAA 044,1-3 (Du bist der Weg und die Wahrheit und das Leben)

Liedstrophe zum Ausgang: KAA 0108,1 (Mögen sich die Wege vor deinen Füßen ebnen)


Anmerkungen

1 https://www.dietrich-bonhoeffer-verein.de/dietrich-bonhoeffer/dietrich-bonhoeffer-einige-glaubenssatze-uber-das-walten-gottes-in-der-geschichte/

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