Lukas 5,1-11

Lukas 5,1-11

5. Sonntag nach Trinitatis | 9. Juli 2023 | Lu 5,1-11 (dänische Perikopenordnung) | Anna Jensen |

Fürchte dich nicht, Gott ist mit dir in deiner Aufgabe

Es gibt Menschen, für die die Arbeit eine Berufung ist, eine Berufung in dem Sinne, dass sie sich moralisch verpflichtet fühlen. Der Ingenieur Bob Ebeling arbeitete 1986 bei der NASA und fühlte sich in dem Maße moralisch verpflichtet, dass er Stress bekam. Früher waren es nicht nur Geistliche, die berufen waren, auch Krankenschwestern, Ärzte, Lehrer, Haushälterinnen, ja alle, die mir Fürsorge und Verantwortung für Menschen beschäftigt waren. Heute sprechen wir nicht so viel davon, dass Gott einen Menschen zu einer bestimmten Aufgabe berufen hat, aber auch wenn wir nicht das Gefühl haben, dass Gott uns eine Aufgabe anvertraut hat, können wir eine moralische Verpflichtung fühlen. Darin liegt vielleicht der Grund für viel Unbehagen und Stress.

Bob Ebeling war Ingenieur für die NASA, 1986 sollte die Raumfähre Challanger in den Weltraum geschickt werden, Bob hatte die Verantwortung für die Hilfsraketen, die die Raumfähre von der Erde abheben sollten. Am Tage vor dem Start herrschte klirrender Frost. Bob Ebeling war ernsthaft besorgt. Früher hatte es Probleme gegeben mit der Dichtung des Gummiringes zum Brennstofftank, es war zu befürchten, dass der Gummiring seine Elastizität bei Frostgraden verlor, aber man konnte es noch nicht beweisen. Bob Ebeling machte deshalb seinen Chef auf das Problem aufmerksam und wollte den Start der Rakete verschieben. Aber die Leitung der NASA wollte nicht darauf hören. Der Start war wichtig für die NASA, und der Direktor Morton Thiokol sagte: „Weg mit dem Technik-Hut, auf mit dem Leitungs-Hut“, und er schickte die Raumfähre los. 73 Sekunden später explodierte die Raumfähre, und sieben Menschen verloren ihr Leben. Die NASA lehnte die Verantwortung ab, indem man der Öffentlichkeit erzählte, dass man keine Ahnung habe, was die Ursache des Unglücks sei, und das der Verlust von Menschenleben ein Teil des Lernprozesses sei. Mehrere Wochen danach bekam Bob Ebeling Stress und eine tiefe Depression. Er kündigte seinen Job und versuchte, die Sache in den Medien darzustellen, die aber nicht richtig darauf hören wollten. Er war wütend, dass niemand die Verantwortung übernehmen wollte. 30 Jahre später im Januar 2016 wurde Bob Ebeling von dem amerikanischen Medium NPR interviewt. Danach wandte sich sein alter Chef an ihn und gab eine vorbehaltlose Entschuldigung.

Die Branche der Pflege ist dafür bekannt, dass es ernsthafte Probleme gibt. Krankmeldungen und Stress prägen das Bild der Branche in den Medien. Das Personal im Gesundheitswesen, Pädagogen und Lehrer müssen immer mehr arbeiten, um ihre vielen Aufgaben zu erfüllen. Viele fühlen sich machtlos, weil sie unter den gegebenen Bedingungen nicht die Pflege oder den Service bieten können, auf die die Bürger einen Anspruch haben. Um die ständig steigende Arbeitslast zu bewältigen, reagieren die Mitarbeiter unterschiedlich. Einige arbeiten in Teilzeit, um sich erholen zu können. Andre machen „Schattenarbeit“, d.h. sie arbeiten mehr, ohne es dem Chef zu sagen. Andere melden sich krank mit Stress, und wiederum andere reagieren, indem sie die Verantwortung von sich weisen und mit Zynismus reagieren. Als Lehrer muss man mit Teflon bekleidet sein, um die vielen besorgten Mails von Eltern ertragen zu können, an einigen Arbeitsplätzen hat man sogar einen „Egal-Knopf“, den die Mitarbeiten drücken können, wenn ihnen etwas nicht gelingt wegen der äußeren Bedingungen.

Für die moralisch Verpflichteten genügt es nicht, dass der Arbeitgeber dem Mitarbeiter erklärt, was außerhalb seiner Verantwortung liegt, oder dass der Arbeitgeber schon die Verantwortung übernimmt, wenn es sich z.B. um einen Lehrer am Gymnasium handelt, der keine Möglichkeit hat, sich um Schüler mit Legasthenie zu kümmern. Es entlastet den Lehrer nicht zu wissen, dass es an fehlenden Geldmitteln liegt, wenn ein Schüler nicht die Hilfe bekommt, die er braucht, und dass dies seinen Lebenslauf bestimmen wird. Wie erklärt man einem Krebspatienten, dass das Krankenhaus nicht genug Mittel hat, um sich rechtzeitig um den Patienten zu kümmern? Wo gehen wir hin mit unseren moralischen Skrupeln, wenn wir selbst es sind, die die Aufgaben wahrnehmen müssen?

Der Jünger Petrus erhält in dem heutigen Bibeltext eine Lebensaufgabe. „Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen“. Petrus wurde Leiter der Jünger und der ersten christlichen Kirche, einige nennen ihn den ersten Papst. Wie konnte er, ein Fischer aus Galiläa, eine solche Aufgabe übernehmen, die ihm anvertraut wurde? Was wenn Petrus versagt hätte? Dann hätten die Jünger keine Mission betrieben, das Christentum hätte sich nicht in Europa ausgebreitet, und wir würden hier heute nicht in der Kirche sitzen. Das war für Petrus eine Riesenaufgabe, die er mit einer gewissen Ehrfurcht in Angriff nehmen musste, wohl deshalb beginnt Jesus seinen Satz mit einem: „Fürchte dich nicht“.

Petrus erhielt seinen Ruf direkt aus dem Munde Jesu, er sollte Menschenfischer werden. Luther redet vom Beruf in einem breiteren Sinne. Luther war der Auffassung, dass der Mensch nicht selbst herausfinden soll, war er zu tun hat, sondern dass er stets dem Ruf folgen soll, der in jedem Stand ergeht. D.h. ganz gleich, ob man Pastor, Schuster oder Hausfrau ist, man soll seine Arbeit tun, so dass sie dem Nächsten zugutekommt. Petrus nahm seine Aufgabe in Demut wahr. Als Simon Petrus und die anderen Fischer an Land kamen mit dem Boot voller Fisch, fiel Petrus auf die Knie vor Jesus und sagte: „Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch“. Eine andere mögliche Übersetzung ist: „Ich lebe nicht so, wie Gott es haben will“.  Petrus gab also zu, dass er kein Vertrauen hatte zu Jesu Wort und dass er die hohen Forderungen Jesu, stets seinen Mitmenschen wie sich selbst zu lieben, nicht erfüllen konnte. Er fühlte sich deshalb nicht der Gegenwart Jesu würdig, aber Jesus wollte es anders. Er ist eben zu Petrus gekommen, weil gerade Petrus zum Menschenfischer erwählt ist. Jesus ist nicht irgendwer, nein Jesus selbst ist es, der später im Evangelium sein eigenes Leben hingeben sollte für die Aufgabe, die Gott ihm anvertraut hatte. Aber der, der Petrus mit seiner Aufgabe betraute, ist auch der, den Gott am dritten Tage auferweckte, er, der im Abendmahl gegenwärtig ist, seinen Bund schloss zur Vergebung unserer Sünden.

Heute gibt es nicht viele Leute, die sagen würden, dass sie von Gott zu ihrer Arbeit berufen sind. Dennoch fühlen sich viele moralisch ihren Mitmenschen gegenüber verpflichtet. Das Unbehagen tritt ein, wenn wir nicht unterscheiden können, wann etwas unsere Verpflichtung ist und wann etwas nicht unsere Verantwortung ist.

Seht einmal auf das Bild des deutschen Graphikers Herbert Seidels vom Fischzug. Auf dem Bild sieht man ein großes Boot und wie die Fischer damit kämpfen, die schweren Netze ins Boot zu holen. Ihre Arme sind dünn, und die Fische sind riesengroß. Davon kann man Stress kriegen, aber dann ist da auch etwas anderes auf dem Bild. Denn hinter dem Boot, oder im Boot, ist eine enorme Gestalt. Ihre Arme sind lang und stark, sie zieht die Netze hinauf zu den Fischern. Gott hilft. Wir sind nie allein mit unserer Aufgabe oder unserem Beruf. Gott zieht mit. Wenn wir mutlos sind, ohne Kräfte, wenn wir versucht sind aufzugeben, dann ist da einer, der hinter uns steht. Er ist der starke, er sorgt für seine Menschen. Ohne ihn wäre unsere Arbeit vergebens. „Fürchte dich nicht“, das sind die Worte zu Petrus, „Fürchte dich nicht, von nun an wirst du Menschen fangen“.

Die Worte an Petrus und an uns sind ein Riesengeschenk, denn wir sind nie allein mit unseren Aufgaben, wir sind nie allein in unserem Leben. Gott ist mit im Boot. Keiner ist zu mehr verpflichtet als er kann, aber wir sollen das tun, was wir können. Wir können uns nicht dazu entscheiden, nur auf uns selbst zu achten, aus Furcht vor Arbeitsüberlastung und Stress. Da sind Aufgaben im Leben, die gelöst werden müssen, wir sind einander verpflichtet, das bedeutet Gemeinschaft. Aber jeder soll das tun, was er kann, um anderes bittet Gott uns nicht. Manchmal versagen wir, manchmal verfallen wir in Mutlosigkeit. Aber Gott, der uns die Aufgabe gibt, reicht uns auch eine Gabe, seine Vergebung und Gnade. Wenn wir am Altar niederknien dürfen, demütig empfangen dürfen, was uns gereicht wird, dann erfahren wir, dass es Jesus selbst ist, der uns gereicht wird. Mit seinem Fleisch und Blut im Magen können wir von hier gehen in der getrosten Gewissheit, dass er uns vergeben und unser Unvermögen ertragen wird.

Und wenn du deinen Tag vollbracht hast, bis zum letzten Atemzug, dann stillt Gott deine Tränen und deine Klage, nimmt einen missbrauchten Tag zurück, gnädig verborgen in Ewigkeit. Jeden Morgen wird uns ein neuer Tag geschenkt, ein neuer Tag, Gutes zu tun, ein neuer Tag, der gelebt werden soll in Liebe zu Gott und unseren Mitmenschen. Amen.


Pastorin Anna Jensen

5230 Odense M

E-mail: ansj(at)km.dk

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