Lukas 7,36-50

Lukas 7,36-50

11.Sonntag nach Trinitatis | 20.08.23 | Lk 7, 36-50 | Elisabeth Tobaben |

Liebe Gemeinde!

Merkwürdig  ineinander geschachtelte Begegnungsgsgeschichten haben wir hier;

Ein bisschen wie bei den japanischen Holzpüppchen, die man in der Mitte aufschrauben kann, und dann kommt  wieder und wieder eine gleiche, nur etwas kleinere  Puppe  zu Tage, bis hin zu einer ganz winzig kleinen Puppe.

In der Luther-Bibel ist die Geschichte überschrieben: „Jesu Salbung durch die große Sünderin.“

Der Titel bezieht sich auf die Rahmenerzählung, auf die Gechichte, in der eigentlich die Salbung mit teurem, duftendem Öl im Mittelpunkt steht-

Ein Akt größter Wertschätzung, Könige werden gesalbt.

Ein Zeichen der Liebe und der Dankbarkeit, vermutlich hat die Frau lange gespart, um das teure Öl kaufen zu können.

Aber sie wird von vornherein abqualifiziert: Sünderin.

Obwohl  genau genommen dasteht:

sie galt als … Also: Die Leute hielten sie für …

Und das ist ein großer Unterschied.

Sie selbst bleibt in der ganzen Geschichte merkwürdig sprachlos, niemand richtet das Wort an sie.

Die Überzeugung der anderen ist wieder einmal wichtiger und steht fest: was kann denn eine Sünderin schon Gutes und Sinnvolles sagen oder tut!

Sünderin – das klingt in unseren Ohren ja ganz schnell furchtbar moralisch, dabei wird in der Geschichte noch nicht einmal erwähnt, was man ihr vorwirft .

Und in der Auslegungsgeschichte ist „Sünderin“ ganz schnell gleichgesetzt worden mit „Hure“.

Was auch sonst könnte eine Frau … so schnell geht das.

Eine Geschichte ohne Worte, eine Geschichte voller Gefühle, voller Tränen und Düfte, voller liebevoller, zärtlicher Berührung.

Nun ist die Geschichte von der Begegnung zwischen Jesus und der unbekannten Frau verschachtelt mit einer zweiten,

der Geschichte der Begegnung zwischen Jesus und Simon., dem Pharisäer.

Wortreich, voller Erklärungen, rabbinischer Beispielerzählungen, theologischer Erläuterung ist diese andere Geschichte.

Sie spielt sich ab zwischen Jesus und einem ebenbürtigen Gesprächspartner, Simon, dem frommen Pharisäer.

Ein paar Zaungäste gibt es auch noch, Teilnehmer am Essen in Simons Haus;

Sie wundern sich, geben dem Geschehen einen mysteriösen Rahme.

Diese zweite Begegnung nimmt viel mehr Raum ein.

Ein Streitgespräch lässt sich ja auch viel leichter erzählen als eine kurze, wortlose Begegnung.

Man kann es  analysieren, danach zu fragen, was die beiden Kontrahenten eigentlich wollen, wer recht hat, wo sich vielleicht einer irren könnte.

Man kann so schön neutral bleiben, zumal wenn die Auseinandersetzung nun einen wissenschaftlichen Anstrich bekommt.

Die gefühlsbetonte Geschichte mit der namenlosen Frau scheint mir viel schwieriger zu deuten als das rabbinische Wortgefecht.

Mag sein, dass es sich um eine bis heute typische Zuschreibung handelt:

Männer streiten und setzen sich auseinander, Frauen weinen und sind gefühlvoll.

 Aber die Geschichte  löst auch bei Simon und seinen Gästen viele Gefühle aus!

Pharisäer haben in unserem christlichen Denken keinen besonders guten Ruf,  ganz anders als zur Zeit Jesu, als sie zu einer besonders. Eifrigen theologischen Richtung gehörten.

Auch der Pharisäer Simon, der immerhin im Gegensatz zu der anonymen Frau, im Laufe der Geschichte einen Namen bekommt, kommt  nicht so gut weg.

Eigentlich schade, denn er macht sich ja offenbar wirklich viele  kluge Gedanken und nimmt die Frage nach der Begründung des Prophetseins unheimlich ernst!

Ich könnte mir vorstellen, dass  es ihn traurig gemacht hat, dass Jesus ihm Vorwürfe macht!

Vielleicht hatte er große Hoffnungen auf das Essen mit Jesus gesetzt, sich darauf gefreut, von ihm Neues, Interessantes zu hören, mit ihm zu diskutieren.

Aber nun – wenn der noch nicht mal merkt, was für eine ihn da anfasst?

Er verunreinigt sich doch selbst, so sind die Gesetze nun mal… es ist, als würde er sich anstecken, wenn er sich von „so einer“  berühren lässt.

Ich finde es beeindruckend, dass  Simon sich trotzdem noch einlässt auf Jesus und seine Beispielgeschichte!

Er hätte die beiden ja auch gleich rauswerfen können, die in seinen Augen so zweifelhafte Frau, die so unverschämt frech in die orientalische Männerwelt einbricht, und den anstößigen Propheten.

Genau das tut er nicht, sondern er fragt und riskiert, ungewöhnliche Antworten zu bekommen.

Jesus macht es ihm nicht ganz leicht, er mutet ihm schon einiges zu.

Weiterkommen in der eigenen Entwicklung, auch in der religiösen, das kann ganz schön anstrengend sein, von daher gehört Simon meine spontane Sympathie!

Und ich wünschte ihm so sehr, dass er es nicht bereute, dass er den Rabbi Jesus zum Essen eingeladen hat, dass er nicht hinterher einfach zur Tagesordnung überginge und sagte: ‘o.k., das wars, viel zu provokativ, der bringt mich nun wirklich bloß auf die Palme, aber nicht weiter.

Ich wünschte ihm, dass er es wagen könnte, einen vorsichtigen Schritt nach vorn zu tun, und  vielleicht zu sagen: ‘Ich weiß noch gar nicht so recht… aber es könnte ja sein,  dass was dran ist, dass das, was dieser Jesus sagt, doch was  in Gang setzt…’

Und dann eine dritte Begegnungsgeschichte, diese Beispielgeschichte, die Jesus erzählt, die Geschichte von den beiden Schuldnern, denen unterschiedlich viel erlassen wird.

Ich kann mir nicht helfen, wirklich überzeugend finde ich sie nicht.

Es leuchtet mir soweit ein, dass jemand, der oder die eine riesig große Summe nicht zurückbezahlen muss, vor Erleichterung und Begeisterung platzen könnte.

Plötzlich keine Schulden mehr, wenn man vorher dauernd Angst hatte, drin unterzugehen, nie wieder ‘auf einen grünen Zweig’ zu kommen – das muss man sich mal vorstellen!

Da würde ich auch alles Mögliche tun, um diesem freundlichen Menschen, der so großzügig war, mit Fürsorge zu überschütten.

Dass das auch abhängig machen kann, steht auf einem andern Blatt – aber hier nicht zur Debatte.

Aber auch das, was für jemand anders nur eine Kleinigkeit ist und nicht der Rede wert, kann für den andern doch unendlich viel sein und eine genauso große Freude auslösen, wenn die Last plötzlich weg ist.

Hier kommt es auf den Vergleichspunkt an zu der andern Szene, der wortlosen, der Begegnung zwischen Jesus und der Frau.

Offensichtlich liegtmdas Ereignis, was sie so umgekrempelt hat,

in der Vergangenheit.

Irgend etwas muss sie so getroffen haben, dass sie hingeht, ganz viel Geld ausgibt, ein kostbares Parfümöl kauft …ja, und den Rest kennen wir ja schon.

Was mag das gewesen sein, was sie so dermaßen beeindruckt und verändert haben könnte, erfahren wir leider nicht.

Ich finde, naheliegend wäre eine frühere Begegnung mit Jesus.

Vielleicht hat sie ihm zugehört, miterlebt, wie er auf Menschen zuging, heilte an Leib und Seele, aber auch Leute provozierte, die sich in gängigen religiösen Strukturen festgefahren hatten.

Die namenlose Frau weiß jetzt: ich kann ganz neu anfangen, meine Vergangenheit kann mich nicht mehr einholen, jedenfalls nicht so, dass sie mir mein heutiges Leben und meine Zukunft zerschlägt.

Ich lebe wieder.

Und Jesus stellt in aller Deutlichkeit einfach fest:

„Dein Glaube hat dir geholfen…“ , das ist so.

Hilfreicher, heilender, lebendig machender Glaube, das ist es doch, wovon viele auch heute träumen, trotz so mancher Widerstände.

Und wo suchen sie nicht überall danach, manchmal den unmöglichsten Stellen!

Hilfreicher, heilender, lebendig machender Glaube – manchmal entdeckt man ihn tatsächlich an überraschenden Orten, da, wo man damit überhaupt nicht damit gerechnet hätte.

Aber dazu ist es nötig, den ersten Schreck zu überwinden – so wie die versammelte Tafel – Gesellschaft in Simons Haus.

Das, was die Frau tut, ist ja sowas völlig Unvorhersehbares, was Provozierendes, und  es erschreckt einen irgendwie, ist vielleicht sogar ein bisschen peinlich.

Sie hat sich Ausdrucksmöglichkeiten und Kontaktmöglichkeiten gewählt, die auch in unserer Kirche eigentlich nicht wirklich vorgesehen sind.

Es fängt schon  ganz  vorne an:

Sie kommt herein! Als Frau in eine orientalische Männergesellschaft.

Das durfte sie nicht! Möglicherweise hat schon allein darin  ihr zweifelhafter Ruf    seine Wurzeln.

Wenn eine so etwas tut, mitten zwischen die tafelnden Männer spaziert, dann kann sie keine anständige Frau sein, dachten die Kerle – damals …

Und dann weint sie auch noch!

Warum ist eigentlich keiner da, der sie tröstet?

All die klugen Sätze fallen mir ein, die viele von uns schon als Kinder gesagt kriegten: „Ist doch nicht so schlimm“,  oder: „Das wird schon wieder“, oder sogar: „Nun stell dich man nicht so an!“  „Heul nicht!“

Diese Frau hat eine umwerfende Erfahrung gemacht, sie will zeigen, wie bewegt sie ist, sie kommt herein, sie salbt und weint.

Sie versucht ihre Tränen auch nicht mehr zu verstecken.

Es kommt wieder etwas in Fluss.

Lebenskräfte werden geweckt, und so sind diese Tränen ein Zeichen von Lebendigkeit.

Vielleicht hat sie überhaupt erst wieder Kontakt gefunden zu ihrem Gefühl.

Sie kommt herein, sie salbt und weint.

Wir haben uns daran gewöhnt, die namenlose Frau als eine anzusehen, die ordentlich was auf dem Gewissen haben muss. Und folgerichtig deuten wir ihre Tränen als Tränen der Reue.

Aber könnte es nicht auch ganz anders sein?

Das Salböl ist Zeichen großer Liebe und Begeisterung, der Gesalbte bekommt eine außergewöhnliche Bedeutung. Könige werden gesalbt.

Und dann fasst sie Jesus auch noch an!!

Berührung – ein weiteres Tabu-Thema. Selbst bei Segenshandlungen kann man oft sehen, dass die Hände der Segnenden weit über den Köpfen schweben…

Vielleicht hat dieses Anfassen der Frau und ihre Küsse dazu geführt, dass Ausleger ganz schnell  abfälligst sagten: Da sieht mans ja, sie war eine Nutte.“

Es hat ganz lange gebraucht, bis Auslegrinnen auf die Idee kamen, mal zu fragen: Selbst wenn sie als Prostituierte gearbeitet haben sollte, wie kam sie denn dann dazu? Hatte das vielleicht Gründe? Ging es ihr wirtschaftlich vielleicht so schlecht, dass ihr kaum was anderes übrig blieb, um ihre Kinder zu ernähren?

Und siehe da: sie fanden heraus, dass auch dann schon eine Frau als Hure beschimpft wurde, wenn ihr Mann sie verstoßen hatte -das ging ganz leicht- und sie einen neuen Freund fand.

Das Urteil über Menschen wie sie kann also durchaus auch Taktik gewesen sein, Ablenkungsmanöver vom eigenen Fehlverhalten!

In dem, was die Frau tut, steckt zudem eine ganz tiefe Symbolik.

Sie wäscht Jesus die Füße -sogar noch mit ihren Tränen, salbt ihn wie einen König.

Sie spielt plötzlich die Rolle der Gastgeberin, übernimmt dabei sogar noch Sklavenarbeit.

Aber wichtig ist: Sie nimmt Jesus bei sich auf.

Sie weiß und sie spürt: Er nimmt mich ernst.

Er verachtet mich nicht, und deswegen brauche ich mich  auch selbst nicht mehr zu verachten, wie man es mir so lange eingeredet hat!

Ich bin etwas wert in den Augen Gottes.

Und das kann ich mir sehr gut vorstellen, dass die wiedergefundene (oder ganz neu entdeckte) Selbstachtung ganz viel bewegt und einen Menschen total verändern kann.

Die namenlose Frau fließt förmlich über, sie tut etwas eigentlich völlig Überflüssiges.

Und Jesus wendet sich ihr zu,  traut ihr das neue Leben zu und weiß: „Dein Glaube hat dir geholfen.“

Amen

Vorschlag zum Ablauf:

Musik zum Eingang

Votum – Begrüßung

Lied: EG 302, 1-2 und 7-8 Du, meine Seele, singe

Psalm 145 vorgetragen von mindestens 2 verschiedenen Stimmen,

einschließl. durch V. 15-16 (fehlen im Lektionar) inForm von FT (Freitöne) 16

Kyrie EG 178.2

Gloria FT 69 Ehre. Lob und Preis

Kollektengebet

Kanon zum Wochenspruch

Epistel Epheser 2

Lied: EG 299 Aus tiefer Not

Evangelium: Lukas 18

Credo: FT 132 Ich glaube an Gott, den Herrn der Welt

Predigt

Lied: HuT (Hohes und Tiefes) 103 Ich glaube fest, dass alles anders wird

Fürbitten

Vater unser

Segen

Lied: EG421 Verleih uns Frieden

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