Makrothymia

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Makrothymia

Predigt zu Jakobus, 5-7-11 | gehalten in Carvoeiro  (Portugal) | verfasst von Stephan Lorenz | 

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft der Heiligen sei mit euch allen.  Amen

Advent. Zeit der Vorbereitung auf das Fest der Geburt des Christus.

Am letzten Sonntag waren uns zwei Dinge klar geworden: Dieser Christus, der Messias, wird ein gebeugter, leidgeprüfter Mensch sein. Keiner, der auf dem hohen Ross sitzt. Und: Adventszeit ist Fasten- und Bußzeit. Buße als Nachsinnen, was wir besser machen können. Busse als Verhaltensänderung zum Besseren. Wir alle wissen, weder unser Sinnen noch unser Verhalten ist so einfach zu ändern. Sie brauchen Zeit und Geduld. Um Geduld geht es heute in unserem Predigttext. (Jakobus 5, 7-11)

Habt Geduld bis zur Ankunft des Herrn. Siehe der Bauer erwartet die wertvolle Frucht des Bodens, ihretwegen sich geduldend, bis sie frühen und späten Regen erhält. Habt auch ihr Geduld, stärkt eure Herzen, da die Ankunft des Herrn nahegekommen ist. Stöhnt euch nicht die Ohren voll, damit ihr nicht gerichtet werdet. Siehe, der Richter steht vor dem Tor. Nehmt als Vorbild die Zähigkeit und die Geduld der Propheten, die im Namen des Herrn geredet haben. Siehe, wir halten die für glücklich, die ausgeharrt haben. Vom Ausharren Hiobs habt ihr gehört. Schaut auf das Ende, das Gott gesetzt hat, er ist sehr barmherzig und voll Mitleidens!

Dieser Brief ist einer der frühesten Zeugnisse des Christentums. Wenige Jahre nach dem Tod Jesu möglicherweise sogar vom Halbbruder Jakobus geschrieben. Adressiert an jüdische Menschen, die Christen geworden waren. Heidenchristen spielen in dem Brief keine Rolle. Die Christen der ersten Stunde schwammen auf keiner Woge des Erfolgs. Im Gegenteil. Sie wurden als gefährliche Spinner angesehen. Ein Kopfschütteln war noch eine milde Reaktion. Etliche wurden verfolgt und mussten Jerusalem verlassen und irgendwo untertauchen. Zweifel kamen auf. Die Christen fragten sich, ob sie nicht aufs falsche Pferd gesetzt hatten.  Was rät Jakobus?

Er sagt: was wir jetzt brauchen ist ‚makrothymia‘. Dieses Wort kommt in unserem Abschnitt gleich dreimal vor. Ein Wort mit vielen Bedeutungen. Ursprünglich in der Dichtkunst gebraucht, übernimmt es Platon in seiner Politeia neben Eros und Logos als wichtigen anthropologischen Topos. Es beschreibt eine der Quellen, die Menschen beleben, aus der ihr Verhalten gesteuert wird. Im 1. Jahrhundert nach Christus beschreibt es dann einen leidenschaftlichen Affekt und eine wilde Entschlossenheit zum Kampf. In der portugiesischen Übersetzung wird oft das Wort ‚dureza‘ – Zähigkeit benutzt.

Das also, sagt Jakobus, braucht ihr Christenmenschen jetzt: Geduld, Frustrationstoleranz, Zähigkeit, eine wilde Entschlossenheit zum Kampf. Kein Herumnölen oder stöhnen. Wer diese Fähigkeit aufbringt, wird glücklich genannt.

Als Beispiele für diese Haltung nennt er den Bauern, der geduldig auf die Ernte wartet; die Propheten und Hiob, die an Gottes Verheißung festgehalten haben.  Ihr Christen, schreibt er, lernt vom Ende her zu denken. Schauen auf das Ende, das Gott gesetzt hat: die Ankunft Christi zum Gericht. Denn, Gott ist sehr barmherzig und voller Mitleid.

Kann man mit dieser Botschaft heute noch Menschen überzeugen? Ist nicht viel mehr unsere Lebensphilosophie, was die Sängerin Gitte Haennig (1982) sang?   Ich will alles, ich will alles – Und zwar sofort -Eh‘ der letzte Traum in mir zu Staub verdorrt – Ich will leben – Will mich geben – So wie ich bin – Und was mich kaputt macht – Nehm‘ ich nicht mehr hin.

Wenn man einigen Fans glaubt, hat die Botschaft dieses Liedes bis heute nichts an ihrer Aktualität eingebüßt.

„Was mich einschränkt, und sei es zum Schutz meiner Mitmenschen, das nehm‘ ich nicht hin“ – sagen die ‚Querdenker‘. Eine entlarvende Selbstbezeichnung. Denn das Wörtchen ‚quer‘ kommt vom altdeutschen ‚twerch‘ und bedeutet ‚schräg‘, ‚verkehrt‘. Querdenker sind also ‚Verkehrt-Denker‘, wobei ‚denken‘ hier eher ironisch zu verstehen ist. Also lieber Herumnölen und anderen die Ohren vollstöhnen. Sich zurücknehmen, Rück-Sicht nehmen, bis ein wirksamer Impfstoff gefunden ist. Woher denn? Ich will alles, ich will alles – Und zwar sofort -Eh‘ der letzte Traum in mir zu Staub verdorrt – Ich will leben – Will mich geben – So wie ich bin – Und was mich kaputt macht – Nehm‘ ich nicht mehr hin.

„Vom Ende her denken“, – also im klassischen Sinn Buße tun, nachdenken, wie wir es besser machen könnten, die Folgen des eigenen Tuns bedenken, das würde ja auf Verzicht und die Veränderung von liebgewordenen konsumorientierten Verhaltensweisen hinauslaufen. Der Philosoph Hans Jonas hat den Kant’schen Imperativ, vom Ende her denkend, umformuliert: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden. “  Anlass zur Hoffnung sind die Proteste der Jugendlichen. Sie weisen uns darauf hin, dass wir ihre Zukunft, die Zukunft unserer Kinder und Enkel für das „Ich will alles, und zwar sofort“ aufs Spiel setzen.

Ich höre jetzt auf mit dem Nölen und Stöhnen. Damit kann man nur Schiffbruch erleiden. Es lohnt nicht, sich mit dem Zeitgeist von Flachlandtirolern auseinanderzusetzen.  Er ist Schwach-Sinn. Dieser Geist trifft nicht, worum es Jakobus und den ersten Christen ging.

Ich habe eine Stelle gefunden im Briefwechsel von Rainer Maria Rilke mit Franz Xaver Kappus. Der wollte Dichter werden. Es gibt keine liebevollere und einfühlsamere Antwort als die von Rilke an Kappus, genau das sein zu lassen.

Er schreibt im Juli 1903 aus Worpswede: „Wenn Sie sich… an das Kleine, das kaum einer sieht, und das so unversehens zum Großen und Unermesslichen werden kann; wenn Sie diese Liebe haben zum Geringen und ganz schlicht als ein Dienender das Vertrauen dessen zu gewinnen suchen, was arm scheint: dann wird Ihnen alles leichter, einheitlicher und irgendwie versöhnender werden, nicht im Verstande vielleicht, der staunend zurückbleibt, aber im innersten Bewusstsein, Wach-sein  und Wissen (Rilke beschreibt was es mit ‚makrothymia‘ auf sich hat)… und ich möchte Sie bitten, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in ihrem Herzen und zu versuchen, die  F r a g e n   s e l b s t   liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind.  Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben können. Und es handelt sich darum, alles zu leben.

L e b e n Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, in die Antwort hinein.“

Wie Jakobus und den ersten Christen geht es auch Rilke darum, alles zu leben. Dazu gehören jedoch fundamental die Fragen, die das Leben uns stellt, die Liebe zum Geringen, aus dem das Unermessliche wird.

Glück bringt nicht das ‚Jetzt und sofort‘, sondern das Leben der Fragen und das unmerkliche Hineinwachsen in die Antwort. „… dann wird Ihnen alles leichter, einheitlicher und irgendwie versöhnender werden.“  Das ist schwer, aber „fast alles Ernste ist schwer, und alles ist ernst.“*

Vom Ende her denken: Nehmt als Vorbild die Zähigkeit und die Geduld der Propheten, die im Namen des Herrn geredet haben. Siehe, wir halten die für glücklich, die ausgeharrt haben. Vom Ausharren Hiobs habt ihr gehört. Schaut auf das Ende, das Gott gesetzt hat, er ist sehr barmherzig und voll Mitleidens!

So kann Vorbereitung auf das Fest der Geburt des Christus gehen.

Gottes Heiliger Geist befestige diese Worte in euren Herzen, damit ihr das nicht nur gehört, sondern auch im Alltag erfahrt, auf dass euer Glaube zunehme und ihr selig werdet, durch Jesum Christum unseren Herrn. Amen

*Rainer Maria Rilke; Briefe an einen jungen Dichter, Inselbücherei Nr 406

Fürbittengebet 2. Advent 2020

P: Gott, Du hältst zäh an uns fest, Du hast einen langen Atem mit uns, zeigst uns deine Barmherzigkeit.

A: Gott lehre uns Geduld, wo wir ungeduldig warten, und wollen,
dass die Pandemie aufhört, die Infektionen enden und endlich die Impfstoffe eingesetzt werden. Wir rufen: Kyrie eleison

B: Gott, lehre uns Gelassenheit, wo wir unruhig werden, wenn so viele Menschen sterben, lass sie in Frieden gehen, tröste die Trauernden, lass sie Trost finden.  Stärke unsere Hoffnung, dass unsere Toten bei dir geborgen sind. Wir rufen: Kyrie eleison

C: Gott, lehre uns Leidenschaft, wo wir nachlassen in unserer  Barmherzigkeit mit den Hungernden, Betrogenen und Entwurzelten, lass uns unsere Nächsten sehen, wo sie unsere Hilfe brauchen. Wir rufen: Kyrie eleison

P: Gott gibt uns die Ausdauer, unsere Fragen zu leben bis wir in deine Antwort hineinwachsen. Lass uns vom Ende her unser Leben bedenken. Du kommst uns zum Gericht. Du bist sehr bramherzig und voll Mitleidens. Wir warten. Komm. Laudate omnes gentes

de_DEDeutsch