Markus 12, 1-12

Markus 12, 1-12

Was wird nun der Herr des Weinbergs tun?| 2. So. d. Passionszeit Reminiszere | 05. März 2023 | Mk. 12, 1-12 | Thomas-M. Robscheit |

12,1 Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes. 2Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs nähme. 3Da nahmen sie ihn, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort. 4Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn. 5Und er sandte einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie. 6Da hatte er noch einen, den geliebten Sohn; den sandte er als Letzten zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. 7Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein! 8Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg. 9Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben. 10Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Ps 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. 11Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«? 12Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.

(Lutherbibel 2017)

Friede sei mit Euch!

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

wie ist es Ihnen ergangen, als Sie vorhin bei der Evangelienlesung unseren heutigen Predigttext gehört haben? Sind die Wörter mehr oder weniger an Ihnen vorbeigerauscht, wie es uns oft bei vermeintlich bekannten Texten geht? Oder haben die Worte Sie erschreckt? Erschreckt, weil der Text politisch so inkorrekt ist? Ganz offensichtlich (Mk. 11,27) sind mit den bösen Weingärtnern die Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten der jüdischen Bevölkerung in Jerusalem gemeint. Dem interreligiösen Dialog ist dieser Text eher nicht dienlich. Er lehnt nicht nur ab, sondern verunglimpft die religiöse jüdische Elite. So was macht man nicht und schon gar nicht beim Judentum, werden Sie denken und fragen sich vielleicht, wie über den Text gepredigt werden soll, ohne Tabus zu brechen.

Man könnte sich hinter dem damaligen Zeitgeist verstecken. Die Gemeinde ist eine religiöse Splittergruppe des Judentums, eine Sekte. Und wie alle Abspaltungen fühlten sie sich als etwas Besseres, mussten das Sektierertum legitimieren und sich deutlich abgrenzen und zwar davon, wo ihre eigenen Wurzeln liegen. Der Ausspruch des Karikaturisten F.W.Bernstein hatte auch damals schon seine Gültigkeit: „Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche.“ Ob die Geschichte von den bösen Weinbauern, die in allen drei synoptischen Evangelien überliefert und Jesus in den Mund gelegt ist, tatsächlich von ihm stammt, lässt sich nicht sicher beantworten. Der Hinweis auf den Tod des Sohnes spricht meines Erachtens aber eher für einen nachösterlichen Text. Für das Verständnis des Textes und die Spekulation darüber, was die Hörer des Markusevangliums verstanden haben, ist das letztlich aber egal. Sie dürften sich als „die anderen“ (V. 9) verstehen, die nun den Weinberg bekommen haben. Vermutlich wird ihnen aber auch ein weiterer Text sofort in den Sinn gekommen sein: Das Lied vom Weinberg in Jesaja 5; das wir vorhin im Gottesdienst ebenfalls gehört haben. Wenn man diese beiden Texte gedanklich nebeneinander legt, fällt ein gravierender Unterschied auf: Bei Jesaja bringt der Weinberg keine Frucht und wird vernichtet, im Gleichnis bei Markus geht es darum gar nicht, sondern wie die Eliten mit ihren Pflichten, mit ihrer Verantwortung umgehen. Für den Verfasser steht außer Frage, dass diese Eliten versagt haben. Deswegen schließlich gibt es ja die kleine Splittergruppe, aus der später eine Weltreligion werden sollte.

Und das sind wir nun (auch wenn man als Christ in Deutschland eher wieder zu einer gesellschaftlichen Splittergruppe gehört). Die Zeiten, in denen wir meinten, uns vom Judentum abgrenzen zu müssen, sind längst vorbei. Das Christentum ist erwachsener geworden und kann sich gemeinsam mit den anderen großen Religionen auf das Verbindende, im Sinne des Weltethos  konzentrieren. Ist dieser Text deswegen jetzt obsolet, nur ein historisches Zeugnis für die pubertäre Phase unserer Religion? Was ist, wenn wir den Text so lesen, als würde er heute zu uns gesprochen werden?

Wer sind wir in diesem Gleichnis? Die Propheten, die geschlagen werden? Der vergleichsweise passive Weinberg?

Wie leben und glauben Sie, liebe Schwestern und Brüder? Sie sind heute im Gottesdienst, das unterscheidet Sie von 80% unserer Gemeindeglieder; Sie engagieren sich zum großen Teil für Ihre Kirche und gestalten Ihre christliche Gemeinde mit. Wo finden sie sich in dem Gleichnis heute wieder? In denen, die Verantwortung für den Weinberg übernommen haben! Wir sind die, die die gute Nachricht in die Welt tragen sollen, auf deren Fahnen Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung steht. Machen wir das auch? Von ganzem Herzen? Oder wenigstens ausreichend? Lassen wir uns motivieren, überdenken unser Handeln? Erkennen wir, wenn wir auf falschem Weg sind und sind wir bereit umzukehren?

Wie gehen wir mit den Mahnerinnen und den Visionären unserer Tage um? Mit denen, die weltweite Gerechtigkeit einfordern? Oder mit denen, die mit ihrer pazifistischen Überzeugung wie der einsame Rufer in der Wüste nicht still werden wollen? Was ist mit der Öko-Laus in unserem Pelz der etablierten Behaglichkeit?

Wir verprügeln niemanden oder schlagen ihn gar tot, weil uns Klimaprotest nervt. Nein, das machen wir nicht; wir legen nicht Hand an.

Das haben wir auch gar nicht nötig! Den Idealisten mit seinem Traum vom Frieden ohne Waffen schlagen wir mit den harten Argumenten der scheinbar in Beton gegossenen Realität. Wer in verzweifelten Zeichenhandlungen zum Umdenken aufruft, wird unter digitalem Shitstorm begraben oder wird für seine Naivität belächelt und totgeschwiegen.

Was wird nun der Herr des Weinbergs tun?

Liebe Schwestern und Brüder,wie ist es Ihnen ergangen, als Sie Text gehört haben? Sind die Wörter mehr oder weniger an Ihnen vorbeigerauscht? Oder haben die Worte Sie erschreckt? Erschreckt, weil das Gleichnis uns spiegelt, wie wir uns nicht sehen wollen?


Hinweis: Ich empfehle, den Predigttext als Evangelium und die AT-Lesung anstelle der Epistel zu lesen. So sind beide Texte präsent.

Liedvorschlag:

Hilf Herr meines Lebens


Thomas-M. Robscheit, EKM, Apolda, thm@robscheit.de

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