Markus 12.41-44

Markus 12.41-44

Geben macht glücklich | 8. Sonntag nach Trinitatis | 07.08.2022 | Mk 12.41-44 | Marion Werner |

Gnade sei mir euch und Frieden von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen

„Und dafür verschenken sie ihre Zeit?“ fragt Paul. Er sitzt zusammen mit Louis, ebenfalls ein Konfirmand, bei Frau Schober am Esszimmertisch. Im Rahmen des Konfirmandenunterrichts sprechen sie mit Frau Schober über ihr ehrenamtliches Engagement in der Gemeinde. Im Allgemeinen gelten Louis und Paul als kluge, aber sehr vorwitzige Konfirmanden. Doch hier genieren sie sich zuerst ein wenig. Alles wirkt sehr beengt und einfach. Frau Schober ist schlicht gekleidet, die Haare zurückgekämmt, alles in allem eine unscheinbare Person, doch ihr warmes Lächeln lässt den ganzen Raum heller werden. Sie erzählt von dem, was sie für die Kirchgemeinde tut: Tische herrichten für den Kirchenkaffee. Kaffee kochen, Kekse verteilen. Abspülen. Fürs Gemeindefrühstück Brot holen. Für den Frauennachmittag Kuchen backen und den Raum schön herrichten. „Und dafür verschenken sie ihre Zeit?“ rutscht es Paul heraus. „Ich meine“, sagt er etwas vorsichtiger „für Tischdecken und Abwaschen für andere?“ Frau Schober muss lachen „Ich mag es eben, wenn Menschen sich wohlfühlen.

Liebe Gemeinde, «Geben ist seliger als Nehmen» – das alte Sprichwort kennen wir alle. Mit diesem Satz kann man sich und andere dazu motivieren Gutes zu tun. Natürlich kann man sich und andere damit auch unter Druck setzen, wenn man nur das Geben betont und vergisst, dass man im Leben auch manchmal nehmen soll und sogar muss.

«Geben ist seliger als Nehmen». Diese Worte gehen auf Jesus zurück und Paulus zitiert sie in der Apostelgeschichte 20,35. Das Wissen, dass Geben selig machen kann, teilt Jesus mit seinen Jüngern im Jerusalemer Tempel.

Wir hören den Predigttext aus dem Markusevangelium im 12. Kapitel

Markus 12,41-44: Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. 42. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das ist ein Heller. 43. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. 44. Denn sie haben alle von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.

Möge Gott sein Wort an uns segnen. Amen

Liebe Gemeinde, hier wird uns der Alltag im Tempel beschrieben. Jesus setzt sich so hin, dass er in den Gotteskasten blicken kann – er macht das, was wir als unerhört empfinden würden: jemand kontrolliert den Geldbetrag, den wir als Kollekte hineinlegen.

Doch damals im Tempel war das anders: die freiwilligen Gaben kontrollierte ein Priester. Viele Reiche gingen vorbei und legten beträchtliche Beträge hinein. Sie werden von den Priestern entgegengenommen und laut ausgerufen. Die Runde sieht wohlwollend auf die grosszügigen Spender. Schliesslich ist es im AT gesetzlich verankert, dass man sich um Arme, Weise und Witwen kümmern muss. Ihnen gilt ein besonderer Schutz. Dazu brauchte es solche grosszügigen Spenden.

Reichtum gilt im AT als sichtbarer Segen Gottes, der es mit sich bringt, für Arme Verantwortung zu übernehmen, indem man vom eigenen Reichtum etwas abgab. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Und dann tritt eine Witwe auf. Dass sie Witwe war, konnte man an ihrer Kleidung erkennen. Dass sie arm war, ebenso. Ihre Witwenkleidung war schon zerschlissen. Unauffällig, den Blick gesenkt, legt auch sie Geld in den Opferkasten: Zwei Lepton. Die kleinste griechische Münze. Weniger als nötig ist, um ein Brot zu kaufen. Ob der Priester ihren Beitrag auch ausgerufen hat?

Wir wissen es nicht. Jesus aber lenkt den Blick auf diese arme Witwe. Er sagt seinen Jüngern: die Reichen geben aus ihrem Überfluss heraus, die Witwe aus ihrem Mangel. Aus dem Wenigen das sie hat, gibt sie etwas in den Gotteskasten. Damit bleibt ihr zum Leben noch weniger als bisher. Dennoch will sie etwas für andere geben. Vielleicht hatte sie gerade ihre Armut dafür sensibel gemacht, dass man andern in Not helfen muss.

Liebe Gemeinde: Jesus stellt das Verhalten der Frau in den Mittelpunkt. Anders als sonst, wenn er uns ein beispielhaftes Verhalten vor Augen führt, sagt er dieses Mal nicht: «Geht hin und tut desgleichen». Er macht aus dem Verhalten der Witwe nicht eine ethische Forderung. Er erwartet nicht, dass wir hingehen und so viel verschenken, dass uns zum Leben zu wenig übrigbleibt. Jesus weiss, das wäre eine Überforderung. Und daher fordert er das nicht ein. Er sagt auch nicht, die arme Frau sei ein besserer Mensch und die Wohlhabenden irgendwie schlecht, weil sie nicht mehr geben. Jesus beobachtet und weist darauf hin, dass Geben selig macht, egal wie viel es ist und wie viel man sich gerade leisten kann zu geben.

Was Jesus aber tut, ist darauf hinzuweisen, dass Geben selig macht. «Selig» – im Griechischen ist das das Wort für «glücklich». Geben macht glücklich. Wer gerne schenkt, kann das spüren. Die Freude, die mein Geschenk auslöst, die freut einen gewissermassen zurück. Ich bin glücklich, wenn ich sehe, wie sich die andere freut, wie es ihm guttut, was ich für ihn getan habe.

Und solche Freude ist nicht nur ein gutes Gefühl. Der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer sagt: Anderen zu helfen, ein ehrenamtliches Engagement für andere zum Beispiel, macht nicht nur glücklich, das macht sogar gesund. Der Einsatz für andere kann nämlich vorbeugen gegen Krankheiten wir Bluthochdruck, erhöhten Blutzucker oder zu hohe Blutfette. Sich für andere einzusetzen, führt zu höherer Lebensqualität. Vielleicht kann man also sagen: Wer glücklich werden will, der sollte auch für andere sorgen.

Geben ist seliger als Nehmen. Geben macht glücklich. Und es muss ja nicht immer Geld sein, das man gibt. Man kann auch anderen zuhören, Enkelkinder betreuen und so die Kinder entlasten, jemanden zum Arzt fahren oder für ihn etwas besorgen, sich beim Kirchenkaffee einbringen, beim Besuchsdienst, oder Flüchtlinge aufnehmen. Man kann Zeit geben, Mitgefühl, Fürsorge, Arbeitskraft. Es gibt so viele Möglichkeiten für andre da zu sein. Und alle, die sich irgendwo engagieren sagen: Es tut mir gut, dass ich das kann. Geben macht selig!

Und vielleicht hilft einem das Geben auch, wenn man selbst in Not ist, leichter anzunehmen. Denn das Leben bringt uns immer wieder in Situationen, wo wir nehmen müssen und sollen.

Zurück zum Besuch unserer Konfirmanden:

„Warum geben Sie sich dafür her, Abwaschen und Tische decken für andere?“ fragt Paul Frau Schober. „Machen Sie das wegen ihrem Glauben?“ Frau Schober ist etwas überrascht, denkt nach, und antwortet „Gott hilft mir immer wieder. Darum möchte ich andern Menschen auch helfen.“ „Ich weiss nicht“ mischt sich Louis ein „ich finde das schwierig, das alles mit Gott. Haben Sie denn keine Probleme?“ „Gott leuchtet überall auf. Man kann ihn immer wieder entdecken“ sagt Frau Schober und erzählt über ihr Leben. Sie erzählt, wie tief sie schon gefallen ist. Dass sie sogar zeitweise ihre Wohnung verloren hatte. „Aber eine Freundin hat mich dann eine Zeit lang bei sich wohnen lassen. Da ist mir Gott in dieser Freundin begegnet“. So erzählt sie weiter.  Immer wieder gab es kleine ermutigende Begebenheiten. Immer wieder Menschen, die ein freundliches Wort oder konkrete Hilfe hatten. „Mal war Gott in einem Nachbarn, bei dem ich was borgen konnte. Oder in dem Sachbearbeiter auf dem Sozialamt, der sich die Zeit nahm und meine Geschichte anhörte. Oder in der Bäckerin, die mir das Brot von gestern umsonst einpackte“. „Aber Gott ist doch keine Bäckerin!“ Beide Konfirmanden kicherten. „Wer weiss das schon“ antwortet Frau Schober lächelnd. „Gott ist in dem, was Menschen tun. In dem, was sie Gutes tun. Gott ist da, wo jemand grosszügig ist. Weitherzig. Man muss nur die Augen aufmachen. Ich begegne Gott überall“.

Geben macht selig. Für andre da sein macht glücklich. Darüber hinaus leuchtet gerade hier etwas von Gott und seinem Reich auf.

Liebe Gemeinde, ich nehme die arme Witwe als Vorbild. Ich bin nicht arm. Wahrscheinlich bin ich den Wohlhabenden dort im Tempel näher als der armen Wirte. Aber von der Frau lerne ich: Geben tut gut. Geben macht Freude. Geben macht stolz. Wer geben kann, kann sich aufrichten. Und es muss ja nicht Geld sein. Ich kann Zeit geben, Mitgefühl. Fürsorge, Arbeitskraft. Das alles lerne ich von der armen Witwe. Und vielleicht finden auch Sie sich wieder in dieser Geschichte. Mehr bei ihr – ober mehr bei den Wohlhabenden. Jesus sieht beide.

Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen

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Dr. Marion Werner

Pfarrerin

pfarrerin@luther-zuerich.ch

Kurvenstrasse 39, 8006 Zürich

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