Markus 12,41-44

Markus 12,41-44

8. So. n. Trinitatis – IV | 07.08.2022 | Mk 12,41-44 | Suse Günther |

Die Gnade unsres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. AMEN

Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld hineinlegte. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein. Das gibt zusammen einen Heller. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gegeben als alle, die etwas hineingelegt haben. Denn sie haben alle von ihrem Überfluss hineingelegt. Diese aber hat von ihrer Armut alles, was sie zum Leben hatte, hineingelegt.

Gott, gib uns ein Herz für Dein Wort und nun ein Wort für unser Herz. AMEN

Liebe Gemeinde!

Im Bonhoeffer Haus des Dekanates, in dem ich arbeite, stehen im Eingang Regal und Kühlschrank, in denen Lebensmittel des Food-Sharing aufbewahrt werden können.

Food-Sharing bedeutet „Essens-Teilung“. Hier können Einzelhändler, aber auch Privatpersonen Lebensmittel, die sie selbst nicht mehr brauchen, abgeben. Andere kommen und können sich kostenlos bedienen. Anders als bei der „Tafel“, für die man einen Berechtigungsschein braucht, darf jeder kommen. Leider herrscht in der letzten Zeit in Regal und Kühlschrank fast immer Ebbe. Und die, die sich etwas zu essen holen möchten, gehen leer aus. Mit einigen komme ich ins Gespräch. Mit einem syrischen Busfahrer zum Beispiel, der auf Minijobbasis und Zuruf arbeitet. Und jetzt, in der Ferienzeit, wo keine Schüler gefahren werden müssen, eben nicht. Auf die Schnelle einen Schein für die „Tafel“ zu bekommen, ist natürlich nicht möglich in der deutschen Bürokratie, in der alles seinen manchmal sehr langwierigen Gang geht.

Das Schicksal bewegte mich noch, als ich dann selbst einkaufen ging und in einem kleinen Geschäft vorne einen Tisch sah, auf dem heruntergesetzte Waren am Haltbarkeitsdatum ausgestellt waren.  Zur Inhaberin sagte ich deshalb: „Wenn Sie mal etwas nicht loswerden, dann können Sie es gerne beim Food-Sharing abgeben.“ Woraufhin sie eine Tüte nahm und alles und noch einiges mehr für mich einpackte. Obwohl sie mich gar nicht kannte. Sie hat mir einfach vertraut. Und ich war froh, das Regal wieder füllen zu können. Und an diesem Tag zwei so bedenkenswerte Erfahrungen gemacht zu haben.

Ich kam mir ein wenig vor wie Jesus, der den Sammelkasten im Blick hatte. Ich stelle mir vor, dass auch er bewegt war, von dem, was er da erlebte. Nicht nur von der armen Witwe, die ihre zwei kleinen Kupfermünzen einlegte. Sondern auch von den Reichen, die in ihrem Reichtum ganz offensichtlich nicht geizig geworden sind.

Es hat Jesus so beschäftigt, dass er davon seinen Jüngern erzählte.

Geben können ist eine Gabe. Es ist eine Gabe, wenn jemand einen großzügigen Charakter hat. Es ist auch eine Gabe, wenn jemand in seinem Abgeben nicht herablassend ist, davon gibt es ebenfalls genug Beispiele. Ich meine aber vor allem deshalb, dass geben Können eine Gabe ist, weil es unser Selbstbewusstsein entscheidend prägt, wenn wir so viel haben, dass wir davon abgeben können. So wenig zu haben, dass wir nichts mehr weitergeben können, das bringt Menschen an den Rand der Gesellschaft. Bilder davon gibt es genug: Mütter in Afghanistan, die ihre Kinder verhungern sehen. Nachbarn dort, die auch nicht mehr weiterhelfen können, obwohl sie es wollen. Bilder, die uns bewegen, die aber doch immer noch andere betreffen. Aber selbst nicht mehr den kleinsten Spielraum zu haben, das bringt uns an die unterste Leitersprosse, nimmt uns jede Möglichkeit, zu handeln, macht uns vollkommen abhängig.

Und genau das war die arme Witwe in Jesu Erzählung nicht. Sie hatte immer noch die Freiheit, ihre zwei Scherflein, die kleinsten im römischen Reich gültigen Münzen, abzugeben.

So als würden wir zwei fünf Cent Stücke in die Kollekte werfen. Und zwar nicht, weil wir den 50 Euro Schein lieber für uns behalten. Sondern, weil im Geldbeutel wirklich nur noch diese zwei fünf Cent Stücke drin sind.

Hätte es damals nicht auch die Reichen gegeben, die ihre großen Summen gespendet haben, so hätte das alles wohl nicht funktioniert. Aber weil alle abgeben haben, hat es gereicht. Mich erinnert das an Gottesdienste, die ich in Kamerun miterlebt habe. Die Kollekte wird dort nicht verschämt am Ausgang in eine Sammelbüchse gesteckt. Sondern an einer zentralen Stelle des Gottesdienstes direkt nach der Predigt begleitet von viel Gesang und Tanz nach vorne vor den Altar getragen. Jeder kann es sehen, welchen Schein da einer oder eine in den Korb legt. Aufrecht und mit viel Selbstbewusstsein bringen die Menschen ihr Geld, verbunden mit der Botschaft: „Ich kann es. Ich kann es mir leisten. Ich bin frei, das zu tun.“

Eine solche Haltung prägt, gibt Selbstbewusstsein. Das habe ich in Kamerun in dieser Kirchengemeinde immer wieder feststellen können auch bei denen, die die ganz kleinen Scheine gegeben haben (Münzen gibt es in Kamerun nicht)

Es scheint mir, dass uns im alltäglichen Umgang miteinander diese Haltung manchmal verloren geht. Wenn ich vor einer Bäckerei mit dem Auto anhalte, aussteigen möchte und ein Mann, der kurz darauf eintrifft, mich so zuparkt, dass ich nur schwer aus meinem Auto herauskomme, wenn er dann natürlich vor mir in der Bäckerei ist und zuerst drankommt, zumal er mir die Tür vor der Nase zugeschlagen hat, dann zeugt das, anders, als er es vielleicht meint, nicht von Selbstbewusstsein. Die Maxime „jeder muss sehen, wo er bleibt“ hilft nur so lange weiter, wie wir selbst uns um uns ausreichend kümmern können. Sobald wir aber auf Hilfe angewiesen sind, wird etwas anderes wichtig: Das Miteinander-Leben, Aufeinander-Achten, Aneinander-Denken. Ich erlebe es im Krankenhaus täglich, wie schwer es den Menschen fällt, völlig abhängig zu werden. Und wie gut es uns allen tut, wenn wir uns nach wie vor auf Augenhöhe begegnen. Wenn wir, die wir noch hilfreich sein können, also von denen lernen, die in ihrer Situation so tapfer sind und ein so bewegtes Leben hatten. Und wenn die, die jetzt Hilfe annehmen müssen, sich auch auf das besinnen, was ihnen immer noch möglich ist. Eine Frau sagte mir: „ich bete täglich für alle meine Lieben, denn die haben dafür keine Zeit“ – ob das ihre zwei Scherflein sind, die sie in die Sammelbüchse wirft? Oder doch eher Sesterzen?

Im Krankenhaus hat mir in all den Jahren übrigens noch niemand die Tür vor der Nase zugeschlagen. Weil wir alle wissen, wie sehr wir voneinander profitieren und dass jeder und jede an der je eigenen Stelle wichtig ist.

Deshalb ist es wichtig, dass Jesus genau hinschaut. Dass er alle sieht. Die Großen und die Kleinen des Zusammenlebens. Und weil er genau hinsieht, gehe ich davon aus, dass er auch mich nicht vergisst. Dass ich nicht zu genau nachzählen muss, ob ich zu meinem Recht komme in dieser Welt. Ich darf wissen, dass Gott mir mit Jesus immer schon zu meinem Recht geholfen hat. Das macht mich frei. Lässt mich selbst auch die im Blick behalten, denen es immer schwerer wird, mit den kleinen Münzen monatlich auszukommen.

Und lässt mich eben auch immer wieder auf Menschen treffen, die gerne etwas abgeben, gar alles geben, was sie haben.

Miteinander und mit Gott unterwegs sein, das lässt uns auch in diesen Tagen unsere Straße zuversichtlich gehen. AMEN

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Suse Günther, Pfarrerin im Dekanat Zweibrücken

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