Markus 12,41-44

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Markus 12,41-44

Vom Eselchen, das die Witwe bekam | 8. So. nach Trinitatis | 07.08.2022 | Markus 12,41-44 | Manfred Mielke |

Liebe Gemeinde,

der Evangelist Markus berichtet: Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das macht zusammen einen Pfennig. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte. (Markus 12, 41-44) „Mit Jesus von Nazareth unterwegs“, so lautet ein Erzählinteresse des Markus. Dazu gehören Jesu Heilungen und Redewechsel, wobei jedes Mal das Drumherum mit-wichtig ist. Er handelt nicht im luftleeren Raum. Das jeweilige Setting lädt seine Taten und Worte auf und lädt uns zum mit-erleben ein. – Wenn z.B. Jesus in ein Haus geht, wird es schnell eng. Mit ihm auf dem See drohen harte Windböen. Er redet Klartext, das ist mutig, da er es auf dem Vorplatz des Tempels tut. Der hat eine imposante Kulisse, die ein starkes Reizklima schafft für den Sohn Gottes. Denn er hat eine andere Vision des Reiches Gottes als die einer steinernen Tempelanlage.

Nun setzt er sich am Rande hin und lässt seine Blicke schweifen. Jesus macht eine Verschnaufpause – „hier“? Das ist „unstatthaft“ (1) und lässt uns fragen, was in den Stunden zuvor sein Output war. Nun, es waren viele kritische Äußerungen. So z.B. schimpft er, dass der ehrwürdige Tempel als „Räuberhöhle“ missbraucht wird. Dagegen zitiert er seinen Vatergott mit: „Mein Haus soll ein Bethaus heißen für alle Völker!“ Wie radikal er das meint, zeigt er in einer Verfluchung eines Feigenbaums, der seitdem nur noch als Gerippe herumsteht. So wächst bei seinen Gegnern die Frage nach seiner Vollmacht. Selbstbewusst dreht Jesus ihre Frage um nach ihrer Kompetenz. Zum Beispiel im Lavieren gegenüber den Besatzungs-Römern und den von ihnen verlangten „Zinsgroschen“. Aber auch zum Gebot der Nächstenliebe oder zur Auferstehung der Toten. Jesus macht dabei einen Punkt nach dem anderen. Als es auf den Abend zugeht, dreht er auf und warnt alle: Seht euch alle vor vor den Schriftgelehrten, die gern in langen Gewändern gehen und lassen sich auf dem Markt grüßen; … sie fressen die Häuser der Witwen und verrichten zum Schein lange Gebete. Die werden ein umso härteres Urteil empfangen. (12,38ff)

Nach dieser Scheltrede setzt sich Jesus abseits hin, schweigend lässt er seine Blicke schweifen. Sein Sitzplatz ist dem Gotteskasten gegenüber, einer Tempel-Spendenbox. Beim abendlichen Tempelbesuch lässt jeder im Vorübergehen einen Betrag hineinfallen. Markus macht dazu ein Wortspiel: Die Vielhabenden legten viel ein.

Da nähert sich eine Witwe und wirft zwei kleine Münzen ein – mit Fingerspitzen, so, wie sie mit einer Prise Salz ihre Suppe abschmeckt. Der Kontrast zu den großen Gesten ist auffällig, doch Jesus schreitet nicht ein. Vielmehr bleibt er sitzen und ruft seine Jünger herbei und ermahnt sie: „Wahrlich, ich sage euch, diese arme Witwe hat mehr eingeworfen als alle anderen. Die haben von ihrem Überfluss eingeworfen, sie aber hat in ihrer Armut alles eingeworfen, was sie zum Leben hatte.“

Hier bricht die Episode ab. So komprimiert sie ist, sie sperrt sich dennoch gegen eine Auswalzung. Jesus bleibt fokussiert, auch wenn die Rahmenbedingungen mit-predigen. Er lässt sich nicht die Prägung der Münzen zeigen, er stilisiert die Witwe nicht als Vorreiterin, noch sichert er ihr neue Scherflein. Er entwirft keine Armutsbekämpfung, sondern belässt die Reichen in ihrem Charity-Stolz. So lässt er auch unsere Blicke umherschweifen, und wir spüren, dass da Vieles von uns mit reinspielt und wir nicht nur Kulisse sind, sondern unsere Beweggründe durchleuchtet werden.

Jesus überlässt dann den Tempel seinem Schicksal (2), sein Unterricht für die Kirche der Zukunft geht weiter im Garten des Ölbergs. Er warnt sie vor Pseudo-Propheten, vor der Missdeutung von Kriegen als Zeichen der Endzeit und vor dem Stress, unter heidnische Obrigkeit zu geraten. Zuletzt lässt er die Osterbotschaft aufblitzen als Impuls zu guter Wachsamkeit. So geht ein langer, intensiver Tag für Jesus und seine Jünger zu Ende.

Der Opferkasten ist mehr als nur ein Behältnis, er steht für mehr. Er weist über die damalige Szene hinaus und hat auch unsere Beweggründe im Blick, z.B. bei diakonischen Hilfsprogrammen.

Martin Luther hat ihn mit „Gotteskasten“ übersetzt, dabei dachte er an kleine Schatztruhen. Ihn empörte die Sammlung für den Neubau des Petersdomes und noch mehr, dass dabei Höllenängste instrumentalisiert wurden. Die Bußprediger um Johann Tetzel schrien als Inkasso-Eintreiber: „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!“ (3) Dieses Zitat warnt uns vor unlauterem Fundraising. Hinzu kommt, dass „Schatzkammer“ eine treffendere Übersetzung ist. Alle Tempel in der Antike hatten Kammern zur Aufbewahrung z.B. der Priestergewänder, großer Sachspenden, und auch privater Vermögenswerte. Der Tempel in Jerusalem hatte mehrere Räume, mit insgesamt 13 Opferstöcken (4). Sie hatten trichterförmige Öffnungen, der Volksmund nannte sie: Die Posaunen. Wer hatte sie erfunden? In historischer Zeit wurde ein gewisser Joas als siebenjähriges Kind König. Er

fand den Tempel sanierungsbedürftig vor und beauftragte die Priester, Sammlungen durchzuführen. Als er 23 Jahre alt wurde, und immer noch nichts geschah, riss ihm der Geduldsfaden. Er befahl, ab jetzt einen öffentlich sichtbaren Kollektenkasten aufzustellen (5). Da die bisherigen Spenden wirklich nicht mehr aufzufinden waren, durften sie in den Truhen der Priester-Sippen bleiben. Die Schatzkammern waren von dieser Ungerechtigkeit stumme Zeugen, zumal die Skandale nicht aufhörten. – Vermutlich ist es so: In den Schatzkammern lagert das legendäre „Tafelsilber des Tempels“ sowie viel privates Gold (6). Davor, im fußläufigen Bereich, stehen Opferstöcke. Für die laufenden Kosten ist jeder Heller willkommen, wer vermögend ist, gibt seinen Batzen als Deputat. Werden von der Rendite Tempelgeräte angeschafft, mehrt das den Ruhm des Spenders. Falls nicht, hat er mit Gott noch eine Rechnung offen. Das Geschäftsmodell lautet also: Spende so viel und so laut, dass Gott Dir etwas schuldig wird! – Was für eine Verdrehung!

Was da inszeniert wird, macht die Reichen stolz und die Armen hoffnungslos. In diesem Reizklima bezichtigt Jesus die Führer des Volkes, Vorteilsnahme und Frömmigkeit so zu verquirlen, dass sie Gottes Sozialcharta aushebeln. Mit der Linken zünden sie schönen Opferqualm an, mit der Rechten stecken sie sich unfaire Prozeßgewinne in die Tasche. Sie fressen die Häuser der Armen! Gegen ihre prunkvollen Gewänder ist Jesus noch polemisch, gegen ihre Gier hat er einen prophetischen Zorn. Denn er hat eine andere Vision der Gerechtigkeit Gottes als die einer Bereicherung hinter frommer Miene.

Nun wäre es reizvoll, z.B. das kirchliche Kollektenwesen oder die Querfinanzierung großer Hilfswerke zu thematisieren. Auch sollten wir die politischen Instrumente der Entlastungspakete oder eines bedingungslosen Grundeinkommens durchleuchten. – Für diese Predigt gehe ich aber einen anderen Gedankenweg und frage, ob wir bei Jesus auch einen Hoffnungsimpuls finden. Denn die Tempelszene hinterlässt uns ratlos zwischen Hilfsbereitschaft und Eigensicherung, zwischen Vertrauen und Verzicht. Gibt sich Jesus mit dem Auseinanderdriften zufrieden oder gibt es eine Hoffnung auf einen Haltungswechsel?

Zum Scherflein der Witwe entdecke ich einen Gegenimpuls in der Szene mit dem Zöllner Zachäus. Der Evangelist Lukas berichtet sie, deutet aber auch den Wechsel der Verhältnisse an. – Zachäus ist ein Zolleintreiber am Wegekreuz von Jericho. Er hat hohe Jahresbeträge abzuliefern, und so presst er möglichst viel möglichst schnell von den Karawanenführern heraus. Sein Reichtum ist legendär, sein Körperwuchs ist gering, alle befeinden ihn. Er will aber Jesus als Führer seiner Jüngerkarawane sehen. Dafür klettert er in Samt und Seide auf einen niedrigen Baum, wo Jesus ihn entdeckt. Der blamiert ihn nicht vor großem Publikum, sondern lädt sich in dessen Prunkvilla ein. Dort redet er so heilsam mit ihm, dass er zusagt: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. (Lk 19,8)

Verknüpfe ich gedanklich die Geschichte vom Scherflein der Witwe mit der Zusage des Zachäus, dann spüren wir, wie Bewegung in die Sache hineinkommt. Beide, die Witwe und der Zöllner, ziehen sich zurück von einer finanziellen Absicherung eines erfüllten Lebens. Zachäus aus maximaler Fallhöhe, die Witwe aus tiefster Not. Beide riskieren fast jeglichen Rückhalt. Ob die Witwe demnächst wieder Mehl und Öl kaufen kann? Ob Zachäus demnächst ohne Job und ohne Korruption klarkommen wird?

Und wir? Müssen wir den Absturz der Witwe aktiv nachvollziehen, weil wir sonst kein ähnliches Gottvertrauen hinbekommen? Können wir mit Zachäus lernen, alles auf ein ehrliches Maximum zu reduzieren? Vielleicht gibt es ja für beide einen ersten Schritt und dann weitere. Beide sind und bleiben jüdischen Glaubens. Jahwe, ihr Bundesgott, versteht das Spenden und Annehmen nicht nur als Einbahnstraße, sondern bindet alle Liebesdienste in seine Vision von Gerechtigkeit ein. Ziel aller Aktionen ist: Die Welt zu einem besseren Ort (tikkum olam) zu machen.

Im 12. Jahrhundert schlug der jüdische Gelehrte Maimonides dazu einen acht-stufigen Lernplan (7) vor. Stufe eins: Du hilfst und zeigst deinen Frust. Stufe zwei: Tu es mit ein wenig Freundlichkeit. Dann stellst Du fest, dass Du erst gibst, nachdem Du gebeten wurdest. Dann versuche zu geben, bevor der Hilferuf laut wird. Spende durchaus, ohne den Empfänger zu kennen, der Dich aber kennt. Danach verschließe deine Hand nicht, auch wenn Du ihm unbekannt bleibst. Zu einer ehrlichen Barmherzigkeit gelangst Du, wenn beim Spenden ihr beide euch anonym bleibt. Dann ist es nur noch ein Schritt zum Ziel, dass der Bedürftige die Möglichkeiten erhält, sich selbständig zu ernähren.

Diese alte Pädagogik wirft ein gutes Licht auf unsere Beweggründe. Wir misstrauen zwar solchen Trainingsprogrammen, aber wir können ja eigene Lernschritte machen, vom sauertöpfischen Spendieren zu einer Selbstermächtigung der vormals Bedürftigen zu gelangen.

Was sind die praktischen Aussichten? Die Witwe lernt intuitiv eine neue Selbständigkeit, wenn sie wieder eine eigene Handmühle hat und einen eigenen Feigenbaum hinter ihrem Haus. (8) Für Zachäus ist es etwas Neues, in Beziehungsarbeit zu investieren. Er könnte einer Witwe ein Eselsfüllen schenken. Als Leitbild dafür, dass er sich auf den Weg macht, anderer Leute Last mit zu tragen. Amen


Anmerkungen

(1) Spätere Handschriften änderten von „er setzte sich“ zu „er stand“; EKK zur Stelle; (2) EKK J. Gnilka S.182; (3) „Sobald der Gülden im Becken klingt – im huy die Seel im Himmel springt“; (4) „Dreizehn schofarot waren im Heiligtum und auf ihnen war geschrieben: Neue Währung, alte Währung, Vogelopfer, Tauben zum Ganzopfer, Hölzer, Weihrauch, Gold für die Bundeslade. Auf den 6 übrigen: freie Spende.“ Mischna Schekalim 6,5 nach Predigtmeditationen S.315; (5) 2 Könige 12; (6) Zur Zeit Seleukos IV. waren sie voll „unermeßlicher Reichtümer“ nach EKK S.176; (7) Begleitbuch zur Ausstellung „Armut“ im Landesmuseum Trier, 2011, S.82ff  – im Internet auch unter „Zedaka“; (8) „Die Witwe braucht ihr kleines Feld und ihren Esel, die Grundbesitzlosen die Sozialbrache, der arme Mann in der Nathanparabel sein Lamm, die Familie ihre Handmühle.“ zitiert bei Janowski, Anthropologie S.254, Anm 111

Fürbitten im Wechsel mit EG 423: Herr, höre, Herr, erhöre

Herr, unser Gott, wir rufen Dich an, dass dein Friede komme im Himmel wie auf Erden.

Herr, höre, Herr, erhöre, breit deines Namens Ehre an allen Orten aus; behüte alle Stände durch deiner Allmacht Hände, schütz Kirche, Obrigkeit und Haus.

Herr, unser Gott, wir bitten Dich, dass wir Werte weitergeben können und dass sie weitergegeben werden.

Gib du getreue Lehrer und unverdrossne Hörer, die beide Täter sein; auf Pflanzen und Begießen lass dein Gedeihen fließen und ernte reiche Früchte ein.

Herr, unser Gott, gib uns in unserer Demokratie zunehmend Tapferkeit und Transparenz.

Lass alle, die regieren, ihr Amt getreulich führen, schaff jedermann sein Recht, dass Fried und Treu sich müssen in unserm Lande küssen, und segne beide, Herrn und Knecht.

Herr, unser Gott, erhalte den Geschädigten Wut und Mut, und lass die Amtsschimmel effektiver arbeiten.

Wend ab in allen Gnaden so Feur- als Wasserschaden, treib Sturm und Hagel ab, bewahr des Landes Früchte

und mache nicht zunichte, was deine milde Hand uns gab.

Herr, unser Gott, mach alle Feind ermüden und verwirre die Lenkwaffen und ihre Profiteure.

Gib uns den lieben Frieden, mach alle Feind ermüden, verleih gesunde Luft, lass keine teuren Zeiten auf unsre Grenzen schreiten, da man nach Brot vergebens ruft.

Herr, unser Gott, wir bitten dich, dass uns der gesellschaftliche Zusammenhalt weiterhin gelingt.

Die Hungrigen erquicke und bringe die zurücke, die sonst verirret sein. Die Witwen und die Waisen wollst du mit Troste speisen, wenn sie zu dir um Hilfe schrein.

Herr, unser Gott, wir wurzeln in der Dankbarkeit und gehen gestärkt auf die Fragen unserer Zeit zu.

Nun, Herr, du wirst erfüllen, was wir nach deinem Willen in Demut jetzt begehrt. Wir sprechen nun das Amen

in unsres Jesu Namen, so ist all unser Flehn gewährt.

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Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn (1988- 2011) und Ruanda (2001-2019). Musiker und Arrangeur.

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