Markus 14,3-9

Markus 14,3-9

Die Frau mit dem Alabastergefäß | Palmarum | 24.03.2024 | Mk 14,3-9 (dänische Perikopenordnung) | Eva Holmegaard Larsen |

Eine halbe Stunde Fahrt von der französischen Stadt Reims liegt der kleine Ort Hautteville in der Region Champagne. Hier liegt das Grab des Benediktinermönchs Dom Pérignon. Im Jahre 1638 zog er in die kleine Stadt, um dort als Priester und Winzer zu leben. Aber wegen des besonderen feucht-kalten Klimas in der Champagne ging etwas schief mit der Fermentierung der Weintrauben, so dass der Wein Blasen erhielt.

Das war ein Fehler des Prozesses – aber welch ein Fehler!

Das muss ein wirklich schlechter Tag für Dom Pérignon gewesen sein, als er entdeckte, dass sein Wein missraten war. Aber er lernte von seinen Fehlern und der wunderbare sprudelnde Wein war geschaffen.

Warum beginne ich an diesem Palmensonntag damit, von Champagner zu erzählen? Das tue ich, weil das Beispiel mit dem Mönch und dem sprudelnden Wein etwas davon sagt, dass es gut sein kann, sich zu irren.

Man soll nicht so viel Angst haben vor Fehlern und Niederlagen. Wir machen alle Fehler. Selbst die unter uns, die gerne unfehlbar sein wollen – und das ist vielleicht der größte Fehler bei uns allen, dass wir ohne Fehler sein wollen.

Denn alle „enttäuschen mit der Zeit“, wie die Gruppe „Minds of 99“ singt in einem besonders bei jungen Leuten sehr beliebten Pop-Song.

Alle machen Fehler und erleiden Niederlagen.

Dennoch fürchten wir, dass andere das sehen.

Es sind immer unsere Siege, von denen wir reden und die wir vorzeigen.

Frohe Bilder von uns selbst, an den Tagen, wo wir am besten aussehen und irgendetwas tun, was großartig ist. Wir posten Bilder von uns selbst in sportlicher Bekleidung oder auf einer spannenden Reise, oder mit einem Tier und exotischen Drinks in der Hand, lächelnd, glücklich und umgeben von Freunden.

Aber das sprudelnde Glas, mit dem in der Hand wir gerne an einem schönen Abend verewigt werden wollen, wurde also durch einen Irrtum erfunden, der zunächst Angstschweiß auf der Stirn verursachte.

Und das können wir von Don Perignon lernen: Wenn er nicht weiter Wein produziert und gesehen hätte, wie sich derselbe Fehler wiederholt, und angefangen hätte, sich zu wundern und zu untersuchen, was schief ging – hätten wir diese wunderbaren Tropfen nie bekommen.

Viele von den größten Erfindungen sind einem Unfall zu verdanken.

Nach einem Urlaub kam der englische Arzt Alexander Flemming im Jahre 1928 nach Hause in sein Laboratorium und entdeckte, dass Pilze sein Laboratorium befallen hatten. Das war nicht gut, denn der Pilz hatte alle die Bakterien getötet, die er in seinem Laboratorium bei seiner Forschung gezüchtet hatte – aber auf diese Weise entdeckte man Penicillin. Ein Junge, der John Pemperton heißt, würde seine Kopfschmerzen mit Kokablättern und Kolanüssen kurieren können. Aber dann steht er und fummelt und verliert das ganze in einem Glas Sprudel – und seitdem heißt das Coca Cola.

Den Brüdern Kellogg misslang es 1884, Weizenkörner zu walzen, aber als sie in ihrer Arbeit unterbrochen wurden und erst viele Stunden später zurückkehrten, war der Weizen zu krossen Weizenflocken geworden. Und dann kamen sie auf die Idee mit den Cornflakes.

So könnte ich fortfahren. Da gibt es viele Beispiele, und die Pointe ist, wenn man Angst hat, Fehler zu machen, dann bringt man nichts zustande, und dann macht man die nicht die wichtigen Fehler.

Das weiß jeder Forscher, Produzent oder Erfinder. Es muss eine gewisse Bereitschaft zum Risiko geben, wenn es etwas werden soll.

Das kann man auch auf das Leben im Allgemeinen übertragen. Leben heißt mit Risiko leben. Leben und erleben, träumen und hoffen, etwas wünschen, wagen und froh sein, einen anderen Menschen lieben, Vertrauen zeigen und sich selbst einbringen – das alles ist mit großem Risiko verbunden.

Was aber geschieht, wenn wir uns nicht trauen? Wenn wir alle aus Furcht vor Fehlern enttäuscht werden, abgewiesen, ausgelacht und verspottet werden, jemand werden, der umherläuft und sich versteckt?

In der heutigen Erzählung begegnen wir einer Frau, die handelt ohne Rücksicht auf die Konsequenzen. Sie handelt impulsiv und von außen betrachtet ziemlich dumm, als sie ein Gefäß mit sehr kostbarem Nardenöl zerbricht und den ganzen Inhalt auf Jesus schüttet. Sie leert einfach das Gefäß über seinem Kopf, so dass der Inhalt über ihn hinabläuft.

Und die Reaktionen bleiben denn auch nicht aus.

Erstens ist sie in eine geschlossene Gesellschaft eingedrungen. Sie war nicht eine der Gäste. Sie war nur eine Frau von der Straße.

Wenn wir dieselbe Geschichte im Lukasevangelium lesen, ist sie zu einer „Frau, die in Sünde lebte“ geworden.  Also eine leichtlebige gefallene Frau. Was das Ärgernis noch vergrößert.

Aber Ärgernis ist da ansonsten genug hier in der Erzählung des Markus. Die ganze Gesellschaft krümmt sich vor Zorn. Was bildet sie sich ein? Ein solches feines und teures Gefäß mit Nardenöl? Das könnte man verkaufen für richtig viel Geld, das man den Armen geben könnte, statt das ganze über Jesus und auf den Boden zu verschütten.

Vielleicht sollten wir in der Tat eine Flasche Dom Pérignon vor uns sehen. Eine von den richtig teuren Flaschen. Ein paar schnelle Klicks auf Google gibt mir einen Preis von 5.399 Dänische Kronen (ca. 720 €) für einen der guten Jahrgänge. Wenn wir zu Tische säßen und erlebten, dass vor unseren Augen eine solche Flasche über dem Kopf eines der Gäste vergossen würde, dann würde es uns wohl auch so gehen wie den Gästen in Bethanien.

Aber Jesus sagt: Lasst sie! Sie hat ein gutes Werk an mir getan! Er versteht nämlich, was sie getan hat und was sie ihm zeigen will. Das ist eine große Liebeserklärung. Denn aus ihrer Sicht salbt sie ihn zum König.

Damals wurden Könige gesalbt. Mit Öl.

Und sie sieht, was er ist. Sie sieht hinter das, was nicht so majestätisch aussieht. Und mögen Menschen uns in derselben offenen Weise sehen, sehend wie diese Frau Jesus sieht.

Sie glaubt an ihn. Glaubt, dass er vom Himmel gesandt ist als der, der die ganze Schöpfung Gottes heilen und erlösen wird.

Nein, sie weiß es in ihrem Herzen. Sein weiß etwas, was alle um sie herum nicht sehen.

Sie sehen eine verrückte Frau etwas ganz Übergeknalltes tun.

So kann das scheinbar Verrückte zuweilen prophetisch nach vorn weisen.

Jesus sieht ihren Glauben und ihre Hingabe.

Er sieht ihren Wagemut.

Den Mut, missverstanden zu werden, verachtet und dass auf sie herabgesehen wird.

Jesus sieht, was sie mit dem meint, was sie tut. Selbst entscheidet sie sich dafür, es als eine Salbung seines bald toten Körpers zu verstehen. So als bereite sie schon jetzt fürsorglich seine Grablegung vor.

Was geschieht hier in der Stube? Da geschieht dies, dass vor den Augen der ganzen steifen Welt zwei Menschen verschmelzen in einer offenen und ehrlich verwundbaren Begegnung.

Verwundbar ist auch der ganze Palmensonntag, vor allem bekannt wegen des Einzugs Jesu in Jerusalem auf dem Rücken eines Esels.

Hier kommt er, der ja etwas Besonderes sein sollte. Reitend auf einem Esel. Sanftmütig, reitend auf einem Esel, steht da. Ruhig, bescheiden, wie da geschrieben steht. Wie der Mut, der im Grunde einer liebenden Seele steht. Der Mut, die Demütigung zu ertragen, den Fehler und die Niederlage. Hier kommt er geritten ohne Pomp und Pracht.

So als wollte er sagen: Liebe Leute, nicht alles was glänzt ist aus Gold.

Und sie jubeln ihm zu und wedeln mit den Palmenzweigen. Aber wie lange tun sie das noch?

Das bleibt so bis hin zu dem Tag, als er zum Spott wird.

Die ultimativste Niederlage.

Ein Leben, das ganz schiefgelaufen ist. Der größte Schmerz und die tiefste Einsamkeit. Und doch zu Hoffnung und Trost für die ganze Welt.

Für Jesus eine schmerzhafte Niederlage. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Das ruft er verzweifelt vom Kreuz.

Aber der verzweifelte Ruf von Gott selbst, von Jesus – Gottes Wesen und Bild hier auf Erden – dieser Ruf erzählt uns, dass wir niemals einsam oder gottverlassen sein sollen in unseren Niederlagen und unserem Schmerz.

Sein Schmerz ist eine Offenbarung der Liebe Gottes.

Er erlitt Niederlagen. Er irrte. Und wir gewannen den Glauben an die Nähe und Liebe Gottes, auch wenn wir völlig untergehen.

Und das ist die Weisheit des Esels: Nicht alles im Leben ist hoch zu Pferd.

Wir irren und wir fallen, und das ist in Wirklichkeit unsere tiefe menschliche Gemeinschaft. Wir brauchen keine Angst zu haben, das zu zeigen.

Denn wenn wir perfekt sein wollen, leuchtend und fehlerlos wie die, die zu Tische saßen an dem Tag in Bethanien und mit Verachtung die beiden verweichlichten Menschen auf dem Boden betrachteten – dann werden wir so wie diese: Arrogante Fehlerfinder, die aus Scham über eigene Unvollkommenheit und all das, was wir im Spiegel daheim bei uns selbst sehen, besessen sind davon, Fehler bei anderen zu finden.

Wenn wir es nicht wagen zu irren, bleibt die Welt stehen. Wenn wir es nicht wagen zu irren, versteinert das Leben zwischen uns. Lasst uns nicht davor fürchten, uns selbst hinzugeben, unsere Schwachheit zu zeigen, über das Lächerliche bei uns zu lachen, unsere Niederlagen zu teilen.

So wie das der Schriftsteller C.S. Lewis an einer Stelle sagt: der Weg zu einer echten, warmen, menschlichen Beziehung wird gebahnt, wenn einer zum anderen sagt: „Was! Auch du! Ich dachte, ich bin der Einzige, der …“.

Dann fühlen wir uns in der Welt zuhause. Nicht allein. Sondern als ein ganzes Heer von Eselsreitern.

Einen schönen Palmensonntag.

Amen.

Pastorin Eva Holmegaard Larsen

Nødebovej 24, Nødebo, DK-3480 Fredensborg

E-mail: ehl(at)km.dk

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