Markus 16, 9-20

Markus 16, 9-20

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Quasimodogeniti, 22.4.2001
Predigt über Markus 16, 9-20 ,
verfaßt von Paul Kluge


Liebe Geschwister,

der heutige Predigttext ist eine spätere
Ergänzung zum Markusevangelium. Das endet ursprünglich mit dem Vers
„Sie (die Frauen) sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten
sich.“ Schon früh werden Christen gedacht, gesagt haben, daß
das Ostergeschehen so nicht enden kann. Schon, daß alle Christen von der
Auferstehung Christi wußten, sprach gegen solch einen Schluß. Die
folgende Geschichte erzählt davon, wie es zu der Ergänzung gekommen
sein könnte:

Nach dem Ostergottesdienst ging Theodor mit den
anderen der Gemeinde zum Frühstück. Eigentlich hieß er
Jonathan, doch er hatte seinen Namen ins Griechische übersetzt:
Gottesgeschenk. Nach der Fastenwoche freute er sich auf das
Frühstück. Alle hatten nach Mögen und Vermögen dazu etwas
beigesteuert, und es war, wie immer bei solchen Gelegenheiten, reichlich
zusammengekommen: Obst und Saft, Fladenbrot, auch Kuchen, gekochte Eier,
Süßigkeiten für die Kinder; Schinken gab es und sogar Lamm, am
Spieß gebraten. Nun warteten sie auf die Ältesten, die noch im
Gottesdienstraum waren, warteten auf das Tischgebet und also auf das
österliche Fastenbrechen. Man stand herum, unterhielt sich lebhaft, im
ganzen Raum duftete es appetitanregend. Die Kinder blickten unverhohlen auf die
Süßigkeiten, die Armen heimlich auf den Braten, einigen fehlte der
Wein. Dem hätten sie gern kräftig zugesprochen. Dann zogen mit
Tanzschritten und singend die Ältesten ein. „Christ ist
erstanden!“ riefen sie wieder, und die Gemeinde antwortete: „Er ist
wahrhaftig auferstanden!“ Dann sangen sie noch einmal den 118. Psalm, und
die Versammelten stimmten ein. Das Lied hatte eine fröhliche Melodie,
manche klatschen den Rhythmus mit, andere schlossen sich den tanzenden
Ältesten zu einer Polonaise durch den Saal an.

Endlich setzten die Ältesten sich, dann auch
die Gemeinde, das Tischgebet wurde gesprochen, alle langten zu, niemand sprach.
Drei Musikanten – sie hatten schon vorher essen dürfen – spielten
fröhliche Musik, zwischendurch sangen die Kinder ein paar muntere
Frühlingslieder. Nach geraumer Zeit lebten die Gespräche wieder auf,
man erzählte sich lustige Begebenheiten, Anekdoten, auch Witze, denn zu
Ostern sollte es fröhlich zugehen, sollte gelacht werden. Hatte man nicht
allen Grund sich zu freuen? Nicht nur, daß der Winter vergangen war,
erstes frisches Gemüse geerntet werden konnte – das hatte man schon immer
gefeiert – sondern vor allem, daß der Tod verschlungen war in den Sieg,
galt es zu feiern. Manche dachten dabei an die Befreiung Israels aus
ägyptischer Knechtschaft, andere an Genesung aus schwerer Krankheit, an
Rettung aus höchster Gefahr, noch andere an erfahrene Vergebung und
Versöhnung oder daran, wie Angst sich in Mut verwandelt hatte. Theodor
dachte, daß es doch – eigentlich und nach menschlichem Ermessen – ein
Wunder sei, daß aus der kleinen Gruppe um Jesus inzwischen eine Bewegung
im ganzen römischen Reich geworden war. Es wäre doch mehr als
verständlich gewesen, wenn nach der Kreuzigung Jesu die Jünger und
Jüngerinnen aus Jerusalem geflohen wären, zurück in ihre
Dörfer, zu ihren Familien, zu ihren Fischerbooten. Statt dessen waren sie
in der Stadt geblieben und hatten bald öffentlich von Jesus erzählt.
Inzwischen gab es an vielen Orten, sogar in Rom schon Menschen, die sich
für Jesus begeisterten, die Kraft und Zuversicht aus der Osterbotschaft
schöpften, daß Jesus lebt und der Tod nicht das letzte Wort hat.

Deshalb saß die Gemeinde hier so
fröhlich beieinander, Theodor mitten unter ihnen. Darüber wunderte er
sich selbst am meisten. Denn mit der Namensänderung hatte er sich vom
Glauben seiner Väter losgesagt. Hatte auch mit all den Religionen nichts
anfangen können, die er in Laufe seines Lebens auf vielen Reisen
kennengelernt hatte. Er besaß eine umfassende Bildung, hatte Philosophie
studiert, Juristerei und Medizin, war darüber zum Zweifler, zum Skeptiker
geworden, schließlich zum Nihilisten. Er hielt sich an die Mathematik,
für ihn zählte nur, was berechenbar war. In schon vorgerücktem
Alter hatte er eine Christin geheiratet. Seine Frau war in der Gemeinde sehr
aktiv gewesen, doch er war auf Distanz geblieben. Als seine Frau dann bei der
Geburt ihres Kindes starb, hatte die Gemeinde sich rührend um ihn
gekümmert, eine junge Familie hatte sein Kind aufgenommen. So war er immer
mehr in die Gemeinde hineingewachsen. Heute war er froh, daß er hier ein
Zuhause hatte. Als kleinen Dank erledigte er die Schreibarbeiten für den
Ältestenrat, auch für so manches Gemeindeglied.

Theodor blickte zu den Ältesten. Die redeten
mit ernsten Gesichtern. Konnten die denn ihre Verantwortung für die
Gemeinde nicht mal für eine Stunde oder zwei vergessen, mußten die
denn bei jeder Gelegenheit beraten? Es schien fast, als gäbe es Streit
unter ihnen, so heftig diskutierten die.

Einer der Ältesten winkte ihm, und er ging zu
ihnen, fragte, was es gäbe. Nach anfänglichem Zögern redeten
plötzlich mehrere gleichzeitig auf ihn ein, und was er verstand, war
dieses: Die Gemeinde besaß eine Abschrift des Markus-Evangeliums, und das
endete damit, daß drei Frauen nach einer Begegnung mit dem Auferstandenen
vom Grab geflohen waren und aus Angst niemandem von ihrem Erlebnis erzählt
hatten. Dies könne doch kein Schluß des Evangeliums sein,
schließlich habe sich die Sache mit der Auferstehung doch herumgesprochen
– wie sollten sie sonst davon wissen! Er, Theodor, möge doch einmal
forschen, ob es andere Überlieferungen gäbe, die anderes berichteten.

Einer der Ältesten ereiferte sich, daß
es doch kein anderes Evangelium geben dürfe und also auch nicht geben
könne als dieses eine, und daß es eben Gottes Wille gewesen sei,
daß die gute Nachricht sich trotz des Schweigens der Frauen verbreitet
habe. Vermutlich hätte auch niemand den Frauen geglaubt, sondern sie
für hysterisch gehalten. Gott selber habe den Frauen den Mund gehalten, um
die Botschaft auf wunderbare Weise zu verbreiten. Theodor schmunzelte insgeheim
über diese Theorie, ließ sich aber nichts anmerken.

Einer der Ältesten, ein alter Handelsmann,
hatte in Jerusalem einmal aus einem Matthias- oder Matthäus-Evangelium
gehört – genau wußte er das nicht mehr. „Und in Korinth,“
ergänzte er, „haben sie aus dem Brief eines Paulus von Tarsus
vorgelesen.“ – „Korinth!“ rief der Eiferer verächtlich,
„lauter Sekten, alle vom Glauben abgewichen. Ich sage euch, es gibt kein
anderes Evangelium.“ – Doch, meinte ein dritter, er habe auch schon davon
gehört. Es gäbe sogar mehrere, zum Teil ganz unterschiedlich.

Theodor zog sich zurück, der Streit
interessierte ihn nicht. Aber die Vorstellung reizte ihn, nach weiteren
Überlieferungen zu forschen, sie miteinander zu vergleichen und –
vielleicht – seine Forschungsergebnisse zu einem besseren Schluß des
Evangeliums zusammenzufügen. Sobald der Anstand es erlaubte, verließ
er die Runde, ging nach Hause und begann, Briefe zu schreiben: An die
Celsusbibliothek in Ephesus, an christliche Gemeinden, deren Anschriften er
hatte, an ihm bekannte, zum Teil mit ihm befreundete Gelehrte in anderen
Städten im römischen Reich. Es würde Wochen dauern, bis die Post
ankäme, und noch einmal Wochen, bis er Antwort erhielte. Inzwischen
schrieb er das Markus-Evangelium ab.

Die Zeit verging, es wurde Sommer, es wurde
Herbst, es kam der Winter. Und mit dem Winter kam Post: Aus Ephesus erhielt er
ein Evangelium, das ein Johannes geschrieben hatte, angeblich ein Jünger
Jesu. Aus Korinth schickte man ihm eine Sammlung von Paulusbriefen; ein Lukas
hatte ein zweibändiges Werk geschrieben, von dem Theodor eine Abschrift
bekam, und die Jerusalemer Gemeinde schickte ihm ein Matthäus-Evangelium.
Ein Thomas-Evangelium kam aus Alexandria.

Theodor las das alles mit wissenschaftlicher
Neugier. Von Markus kannte er zum großen Teil, was Matthäus und
Lukas schrieben, doch gab es bei ihnen auch Neues, Unbekanntes. Das
interessierte ihn besonders. Und dann Johannes: Ein völlig anderer Stil,
noch nie gehörte Geschichten, ein durch und durch
griechisch-philosophisches Denken. Das konnte von keinen Jünger stammen,
dafür war es zu intellektuell und auch zu modern. Theodor konnte wenig mit
dem anfangen, was Thomas schrieb: Zu viele seiner Jesus-Geschichten kannte er
als griechische und römische Sagen. Doch auch die anderen hatten die eine
oder andere altbekannte Geschichte auf Jesus übertragen. Paulus dagegen
schrieb theoretisch und abstrakt; man würde zu seinen Überlegungen
Geschichten erfinden müssen, um seine Gedanken anschaulich zu machen.

Nachdem Theodor alles gelesen hatte, las er noch
einmal den Markus. So konnte das Evangelium wirklich nicht enden: Daß die
Frauen nach der Begegnung mit dem Auferstandenen niemandem etwas
erzählten. Es sollte, es mußte deutlich werden, daß die
Geschichte Jesu weiterging, bis heute. Daß Menschen im christlichen
Glauben Frieden mit sich fanden, aus ihrem Glauben Mut und Zuversicht
schöpften. Daß es aber auch immer wieder Glaubenszweifel gab und die
Versuchung, in Heidentum oder Gottlosigkeit zurückzufallen. Daß
Christen immer wieder von ihrem Glauben sprachen, um andere für Jesus zu
gewinnen. Und daß sie so lebten, daß andere gern zu ihnen kamen,
sich bei ihnen wohl fühlten.

Theodor nutze die Evangelien und Briefe, die er
bekommen hatte, um dem Markusevangelium einen neuen Schluß zu geben. Kurz
vor dem nächsten Osterfest legte Theodor dem Ältestenrat vor, was er
geschrieben hatte. Die Diskussion vom vergangenen Ostern flammte wieder auf,
verstummte aber, als er neben das Markusevangelium vier weitere Evangelien auf
den Tisch legte, dazu einige Paulusbriefe. Theodor betonte, daß ein
Schluß nötig wäre, der kein Ende sei, sondern ein Anfang, ein
Aufbruch in eine neue Zeit. Das fanden dann alle gut, und einer schlug vor, den
neuen Schluß am Sonntag nach Ostern zu verlesen. Damit würde
deutlich, daß es weiterginge mit Jesus, dem Christus, und also auch mit
der Gemeinde. Das fanden auch alle gut, so wurde es dann gemacht, und die
Gemeinde klatschte Beifall.

Amen

Gebet:

Gott, nein: Die Osterbotschaft verträgt kein
Schweigen und keine Angst: Sie befreit zu mutigem Reden. Doch wir haben da
unsere Schwierigkeiten, haben Schwierigkeiten, die Osterbotschaft zu glauben –
und deshalb auch, sie weiterzusagen. Da sind wir zwar in guter Gesellschaft der
Jünger Jesu – doch die mußten sich für ihren Unglauben,
für ihre Hartherzigkeit schelten lassen. Trotzdem wurden sie in alle Welt,
zu aller Kreatur geschickt, um das Unglaubliche zu verkündigen, und sie
gingen, gewannen andere Menschen für Christus, tauften sie.

Gott, ja: Durch Glauben und Taufe sind wir deine
Jüngerinnen und Jünger geworden. Und darum sollen, darum können
wir von unserem Glauben erzählen, vom Sieg des Lebens über den Tod.
Und darum brauchen wir uns nicht zu fürchten, weder vor finsteren
Mächten noch vor Menschen, die Gift und Galle spucken. So lange wir sie
nicht fürchten, können sie uns nichts anhaben. So lange wir uns nicht
fürchten, können wir anderen Menschen Heilung und Heil bringen.
Dafür danken wir, daß wir dir Hand und Mund sein dürfen. Amen

Liedvorschläge: Wir wollen alle
fröhlich sein, EG 100; Jesus Christus, unser Heiland, EG 102 (Wochenlied);
Mit Freuden zart, EG 108; Die ganze Welt, EG 110; Das ist mir lieb, EG 292
(Wochenpsalm);

Paul Kluge
Provinzialpfarrer im Diakonischen
Werk in der
Kirchenprovinz Sachsen
Postfach 54, 39028 Magdeburg
E-Mail: Paul.Kluge@t-online.de


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