Matthäus 10, 24-31

Matthäus 10, 24-31

7. Sonntag nach Trinitatis | 31.07.2022 | Matthäus 10,24-31 (dänische Perikopenordnung) | Mikkel Tode Raahauge |

Die meisten von uns kennen Leute oder haben von ihnen gehört, die so viel Angst vor irgendetwas haben, dass es sie schlechthin am Leben hindert. Wenn man meiner Generation angehört, hat man möglicherweise kleine Ausschnitte aus dem amerikanischen Fernsehprogramm im Internetz gesehen, wo Menschen mit höchst eigenartigen Phobien mit dem Gegenstand dieser Phobien konfrontiert werden, und  der kennzeichnendste Ausschnitt ist zweifellos der, wo eine Teilnehmerin so entsetzt ist über grüne Oliven, dass sie allein beim Anblick dieser Oliven in panische Angst gerät. Das macht ihr Leben natürlich unnötig schwierig, und während man bestimmt klug daran tut, die Echtheit ihrer völlig übertriebenen Reaktion mit Heulen und Zähneklappern zu bezweifeln, so kennen wohl die meisten von uns irrationale Furcht vor verschiedenen Dingen aus unserem eigenen Leben, die Furcht vor Spinnen, Wespen, Schlangen oder was es nun sein mag. Ich denke, auch wenn alle diese Dinge in einem Augenblick heftige Reaktionen auslösen können, es sind kleine Phobien, die wir alle haben, glücklicherweise nur selten solche, die uns ernsthaft daran hindern, unser Leben zu leben und uns selbst als freie Menschen zu erfahren.

Ich wage dennoch die Behauptung: Für uns alle gibt es Formen von Angst, die uns eben daran hindert, unser Leben zu leben und uns selbst als freie Menschen zu erfahren, entweder kürzere oder auch längere Zeit. Ich erinnere mich z.B. daran, dass ich als relativ kleiner Junge meinem Vater über die Schulter sah, als er die Tagesschau im Fernsehen sah, wo die Sprecherin einen Kometen erwähnte, den Astrologen kürzlich entdeckt hatten, und dann mit Hilfe von Experten im Studio Szenarien vorstellte, die sich eines Tages abspielen könnten, wenn der Komet unserer Erde zu nahe kam oder schlimmstenfalls mit ihr zusammenstieß. Das lähmende Gefühl, das mein siebenjähriges Ich damals befiehl, steht mir noch immer deutlich vor Augen in meiner Erinnerung, und ich weinte mich an jenem Abend in den Schlaf. Teils, glaube ich, wegen meines  ganz verständlichen fehlenden Verständnisses für journalistische Wirkmittel, aber auch weil ich hier mit eigener Ohnmacht konfrontiert wurde und dem lähmenden Gefühl, dass alles, was ich an einem Zuhause liebte und schätzte, meine Familie und mein Leben, in einem Augenblick für ewig verschwinden könnte.

Mit der Zeit hat die Angst vor dem Kometen abgenommen, und ich habe von ihr zum Glück nicht mehr gehört seit damals vor etwas mehr als zwanzig Jahren. Aber dafür sind es andere Dinge, die sich aufdrängen und mich seitdem beeinflussen, denn wir leben nun einmal in einer Welt, wo es in der Tat viel zu fürchten gibt. Es sind zur zwei Jahre her, dass das ganze Land und die ganze Welt mit ganz wenigen Ausnahmen einen Lockdown erlebten wegen eines weltumfassenden Virus, dessen Umfang alle unsere Phantasien und Vorstellungen übertrafen und das Ältere und sogenannte besonders Gefährdete in eine Isolation zwang, die niemand zuvor erlebt hatte. Zurzeit erleben wir zudem einen dramatischen Krieg auf unserem Kontinent, und gerade jetzt haben wir die höchste Inflation seit 40 Jahren – und all das, während wir immer wieder an die Klimaprobleme erinnert werden, die in den letzten vielen Jahren vor allem die Jugend mit einer so großen Furcht und Schrecken vor der Zukunft des Planeten erfüllt haben, dass einige von ihnen direkt der Meinung sind, dass es nicht zu verantworten ist, Kinder in die Welt zu setzen.

Da ist wahrlich genug, vor dem man Angst haben muss, und dazu kommen all die Gefahren, von denen ich im Innersten glaube, dass sie uns weit mehr betreffen als das, was ich hier genannt habe.  Worin sie für den Einzelnen bestehen, das ist ganz verschieden, aber was mich betrifft, so fürchte ich vor allem meine eigene Unzulänglichkeit, die allgegenwärtige Möglichkeit einer totalen Niederlage und natürlich die ultimative persönliche Tragödie der Trennung von meinen Lieben und ihren wie meinen unausweichlichen Tod. All das kann in größerem oder kleinerem Umfang in mir dasselbe Gefühl hervorrufen wie das Gefühl, das ich hatte, als ich mich als Junge über den Kometen im Fernsehen erschreckte, und mir das Gefühl geben, dass ich ein Sperling bin, der mit schwindelnder Hast zur Erde stürzt. Eine bange Ahnung davon, dass ich in Wirklichkeit einem unbarmherzigen Schicksal ausgeliefert und ohne Hoffnung in der Welt bin, so dass es in der Tat schwer wird, zu leben und mich selbst schließlich als einen freien Menschen zu erfahren.

Und deshalb sagt unser Herr heute zu mir und zu euch, was er seinen Jüngern damals sagte, als er sie aussandte als Schafe unter Wölfen und ihnen als die Widrigkeiten vorhersagte, die sie um seines Namens willen in der Welt erwarteten: „Fürchtet euch nicht!“ Das heißt: Fürchtet nicht all das Äußere, das euch zwar wehtun kann, das euch aber nicht von Gott trennt. Fürchtet dagegen den Gott, der alles geschaffen und euch gegeben hat, was ihr liebt und für euer Eigentum haltet, mit einem einzigen Wort, und der mit einem einzigen Wort das alles von euch wieder nehmen kann, wenn er will.

Und das klingt ja merkwürdig, dass wir nicht fürchten sollen, und dann doch fürchten sollen. Aber der Herr sagt uns nicht, dass wir Gott fürchten sollen, um ängstlich zu werden. Er sagt uns das, damit wir leben können und uns selbst als Menschen erfahren können, um uns Mut einzuflößen, den Gefahren mit erhobener Stirn zu begegnen, die uns gerade begegnen und auf uns warten. Denn die Furcht vor Gott oder die Gottesfurcht gleicht keiner anderen Furcht. Wir können das fürchten, was uns umgibt, wir können die Katastrophe fürchten, die Unzulänglichkeit, die Niederlage und die persönliche Tragödie, aber wir können uns auf all das nicht verlassen. Anders verhält es sich mit Gott. Denn wo wie man das Messer des Arztes fürchtet, aber auch darauf vertraut, dass es der Arzt für unsere Heilung verwendet, so sollen wir Gott fürchten, auf den man vertrauen kann wie keinem anderen, im Vertrauen darauf, dass Gott uns nur das Allerbeste will, so dass Gott die Furcht bekommt, und wir die Freimut, dieses unsichere Leben zu leben, das nun einmal unser Leben ist.

Und wir wagen das zu tun, weil sich Gott selbst als Liebe offenbart hat in seinem geliebten Sohn und mit ihm auch die Hoffnung in unsere Wirklichkeit gebracht hat, ganz gleich was diese Wirklichkeit an Widrigkeiten für uns enthält. Von dieser Hoffnung schreibt der dänische Theologe K. Olesen Larsen:

„Wenn uns die Welt belehren will, dass es keine Hoffnung gibt, und sagt: Es geht ja gar nicht so wie du willst, da antwortet die Hoffnung: Nein, aber es geht so wie ich hoffe, und ich hoffe auf Gott. Wenn die Hoffnungen fehlschlagen und eine nach der anderen zerbrechen und der Mensch dann sagt: Nun habe ich alles verloren, da antwortet die Hoffnung: Nein, ich bleibe bei dir. Wenn die Menschen sagen: Ich habe gehofft, dass dies und das geschieht – und zumindest das hatte ich mir vom Leben erwartet; das Lesben hat nicht gehalten, was es versprach; die Hoffnung war treulos – dann antwortet die Hoffnung: Ja, die Hoffnung auf die Welt, die Menschen und auf die selbst, auf die darf man sich nie verlassen, aber die Hoffnung auf Gott enttäuscht nicht, sie geht nie fehl. Ja aber, sagen die Menschen, noch ist das nicht geschehen. Nein, antwortet die Hoffnung, deshalb nennen wir sie auch eine Hoffnung. Aber das hat keine Aussicht, antworten die Menschen. Doch antwortet die Hoffnung, das hat immer Aussicht auf Gott […] Vieles können die Menschen nämlich verlieren, aber verlieren sie die Hoffnung, dann verlieren sie alles; viel können die Menschen entbehren, aber die Hoffnung kann  kein Mensch entbehren. Menschen sagen; Solange da Leben ist, ist auch Hoffnung. Aber wenn der Tod das Leben nimmt, dann vergeht die Hoffnung der Menschen, weil es eine falsche Hoffnung war. Die Hoffnung auf Gott sagt: Solange da Hoffnung ist, ist da auch Leben – und so siegt die Hoffnung über den Tod“.

Also liebe Gemeinde: Fürchtet euch nicht! Setze vielmehr deine Furcht und deine Hoffnung auf Gott und auf Gott allein. So dass du, wenn dir Unglück widerfährt und du Mutlosigkeit und Ohnmacht erfährst und die wie ein Spatz fühlst, der zur Erde stürzt, im Glauben an Gott auch darauf vertrauen darfst, dass du gehalten bist. Denn mit dem Wort vom Sohn Gottes in der Welt, von ihm, der mit seinem Tod und seiner Auferstehung die ultimative Katastrophe besiegt hat, nämlich den Tod selbst, in dem Wort haben wir eine lebendige Hoffnung, dass niemand und nichts in der Welt uns letztlich das Leben und die Freiheit rauben kann, zu der wir von Anfang an geschaffen sind. Mit dem Wort von Jesus Christus ist es uns vergönnt, das schon hier auszuleben. Denn wo eine Hoffnung auf Gott ist, da ist Leben. Und in dem Leben ist wirklich Freiheit.

Im Namen Jesu. Amen.

Pastor Mikkel Tode Raahauge

Skovshoved, DK 2930 Klampenborg

Email: mitr(at) km.dk

 

 

 

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