Matthäus 11, 16-24

Matthäus 11, 16-24

10. Sonntag nach Trinitatis | 21.08.22 | Matthäus 11, 16-24 | Jens Torkild Bak |

Ich beginne mit einem Zugeständnis. Diese Verkündigung des Gerichts liegt mir nicht. Ich bin mir ganz darüber im Klaren, dass ein bedeutender Teil der theologischen Tradition bis in das Jahr 2022 Gefallen daran findet, dass Jesus so heftig kein Blatt vor den Mund nimmt. Ist es doch gerade das, wozu die Kirche verpflichtet ist: Gericht verkünden für eine Welt, die von Gott nichts wissen will?

„Wehe dir, Chorazin! Weh dir, Betsaida! Weh dir, Kapernaum!“

Erzählt uns der gerechte Zorn Jesu nicht die Wahrheit über diese Welt, ganz gleich wie unbequem sie ist?

Ich meine nein! Und man muss sich überhaupt davor hüten, in jeder Aussage des Neuen Testaments nach der Wahrheit zu suchen. Davor warnte schon Martin Luther. Das Neue Testament ist vielmehr ein historischer Text, der geprägt ist von der historischen Situation mit starken Spannungen und einer entsprechend heftigen Rhetorik, eine Situation, wo ein radikal neues Denken herausfordert und die Institutionen einer ganzen Gesellschaft erschüttert und zu einem Konflikt führt, den dann die etablierte Gesellschaft zu lösen versucht, indem sie erst Johannes den Täufer enthauptet und dann Jesus kreuzigt.

Als religiöse Botschaft aber funktioniert die Gerichtsverkündigung vom Jüngsten Tage ganz schlecht. Ganz gleich wie notwendig es sein kann, dass dann man angerufen und gescholten wird, so klingt die Botschaft zum Glauben ganz anders. So wie es zum Beispiel in der „kleinen Bibel“ im Johannesevangelium heißt: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab …, und wie wir es aus dem Vaterunser kennen, und dem Glaubensbekenntnis, und in der Einleitung zu einer Taufe und der Grablegung, die das Leben eines Christen einrahmen: Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten! Hoffnung statt Gericht! Darum geht es letztlich im Christentum, die lebendige Hoffnung! Die lebendige Hoffnung, wie sie in der heutigen Lesung aus dem Hebräerbrief (Hebr. 3,12-14) zum Ausdruck kommt: Das Vertrauen zu Gott.

Natürlich kann man sich dafür entscheiden, seine religiöse Wahrheit in der Gerichtsverkündigung und der Rhetorik der Gewalt zu finden. Man kann das Alte Testament vor das Evangelium spannen und damals wie heute eine Bestätigung für das finden, was uns die Geschichte vom Sündenfall berichtet, dass die Welt im Argen liegt und dass dies nicht anders wird, ehe die Sonne ausgebrannt hat. Der Nahe Osten, in dem Jesus gelebt hat, scheint in dieser Hinsicht immer neue Beispiele für deprimierende Unveränderlichkeit zu liefern. Und die Ukraine, die scheinbar nichts anderes und keine andere Antwort möglich macht als noch einmal: Mehr Waffen und mehr Zerstörung!

Also gibt es reichlich Bestätigung dafür, dass Bosheit und Unversöhnlichkeit in der Welt eine konstante Größe sind, die nur naive Toren meinen, beseitigen zu können. Und daraus kann man durchaus eine religiöse Grundhaltung machen und sie mit zahlreichen Worten aus der Bibel belegen. Die Frage, zu der man sich verhalten muss, ist dann nur: Es geht hier um die Hoffnung als Fundament des christlichen Glaubens. Gilt diese Hoffnung nur meinem Seelenfrieden, oder gibt es auch eine Hoffnung für die Welt?

Siehe wie angenehm scheint der Strahlt der Gnade! Aber dich zu bessern, das duldet keinen Aufschub, vielleicht klingt dein Glöcklein noch heute zum letzten Mal, nun heilen die Seelenwunden. Nun heißt es heute!  So heißt es in einem Lied des dänischen Liederdichters Brorson.[1] Aber so wie es unwiderrufliche persönliche Schicksalsstunden gibt, kann es angeblich auch der Erde widerfahren.

In der vergangenen Woche, genauer am 28. Juli, haben wie infolge des Global Footprint Network die Grenzen für die Ressourcen überschritten, die im Laufe des Jahres 2022 wiederhergestellt werden können. Der Rest des Jahres ist infolge derselben Analyse darauf angewiesen, die Ressourcen zu verbrauchen, die eigentlich unseren Nachkommen vorbehalten sind. Wenn die gesamte Bevölkerung der Welt so leben würde wie wir in Dänemark, verbrauchten wir im Jahren 2022 4,2 Erden, 2017 nur 3,6. Es geht also voran -. aber in die falsche Richtung.

Nach Professor Katherine Richardson, Leiterin des sogenannten Zentrums für Nachhaltigkeit an der Universität Kopenhagen, ist der einzige Grund dafür, dass wir unser Verhalten nicht ändern, der, dass wir nicht sehen können, was das für uns bedeutet. Genau das führt der Prophet Hesekiel in der heutigen alttestamentlichen Lesung (Hes. 33,23.30-33) an als Ursache dafür, dass das Volk nicht dem Wort Gottes folgt: Sie können nicht sehen, was das für sie selbst bedeutet im Vergleich zu so vielem anderen, was sich anbietet.

Sollte ich jemals Umwelttheologe oder grüner Pastor werden, dann bete ich dafür, dass beherzte Menschen mich zur Hand nehmen und schonsam aus meinem Amt entfernen. Das darf man gern als Versprechen verstehen. Die Klimakrise ist in sich deutlich genug, und ihre Herausforderungen an uns alle bedürfen keiner theologischen Begründung. Nichtsdestoweniger geht es mir um den Zusammenhang zwischen einerseits der persönlichen Lebensführung, hierunter der Lebensanschauung in der christlichen Tradition, und andererseits der Art und Weise, in der wir die Erde und die Gesellschaft betrachten und auf diese Herausforderung reagieren oder nicht reagieren.

Wenn es da einen Zusammenhang gibt!

Denn wenn kein Zusammenhang besteht, braucht man sich natürlich keine Sorgen um den Gang der Welt zu machen. Es ist sogar so, dass Menschen, die einmal eingesehen haben, dass die Welt ihrem Gericht entgegengeht und dass es mit unnötigem Verlust von Freiheit und Bequemlichkeit verbunden ist, dagegen etwas zu tun, größeres geistliches Format zu haben scheinen als, die, die sich Sorgen machen. Ganz gleich aber wie man es dreht und wendet und wie man sich stellt, so bezieht sich die anfechtende Frage auf die Art der christlichen Hoffnung. Ist die Hoffnung nur für mich selbst und das Heil meiner Seele im innerlichen pietistischen Sinn, oder ist sie auch eine Hoffnung für die Welt?

Der dänische Geologe Minik Rosing lieferte anlässlich des Reformationsjubiläums vor einigen Jahren zusammen mit anderen Forschern einen für jeden Theologen bedenkenswerten Beitrag zu einem Buch mit dem Titel „Neue Thesen“. Ein Beitrag, der mit diesen Worten schloss:

Die Konsequenzen daraus, uns als Gottes Kinder ohne Verantwortung und Schuld zu betrachten, haben mit der Zeit zugenommen und nun ein katastrophales Maß angenommen. Wir haben so viele Bissen vom Apfel des Baums der Erkenntnis eingenommen, dass wir uns nicht mehr auf Unwissenheit als Entschuldigung für unser Tun berufen können. Paradoxerweise bewirkt die Erkenntnis, dass wir die Erwachsenen in der Welt sind und selbst für die Zukunft der Erde verantwortlich sind, bei manchen ein Gefühl der Ohnmacht. Statt die Verantwortung zu erkennen und danach zu handeln sind ganze politischen Bewegungen entstanden, deren wesentliches Ziel darin besteht, die Rolle des Menschen in der Welt zu leugnen. Es ist an der Zeit, dass wir einsehen, dass die Erde ein kleiner Kloß in einem großen Raum ist und dass unsere Zukunft auf dieser Erde nicht ein unabwendbares Schicksal sein wird, sondern das Ergebnis von Entscheidungen, die wir heute treffen.

Hier haben wir sowohl Hoffnung als auch Gericht, aber in einer guten Weise! In einer ironischen Distanzierung von denen, die offenbar meinen, wir könnten einfach einen anderen Planeten einnehmen, wenn wir die Ressourcen dieses Planeten verbraucht haben, tritt Minik Rosing dafür ein, dass man diese These zum Gesetz macht: „Es gibt nur eine und diese eine Erde“.

Ich las neulich in einem anderen Zusammenhang ein wunderbares Essay von Karen Blixen. Es ist das Essay mit der Überschrift: „Die Mottos meines Lebens“, wo Karen Blixen u.a. von einem Motto erzählt, das sie zu einem Zeitpunkt von ihrem engen Freund Denys Finch-Hatton übernimmt.

Das ist ein Motto, das lautet: „Je responderay“: Ich will antworten!

Für uns alle gilt, dass unser Leben im Prinzip eine Antwort auf etwas ist, eine Antwort auf Fähigkeiten, Möglichkeiten, Zeit, Umstände , Bedürfnisse, Forderungen. In der Welt der Wirklichkeit gelingt es uns nicht immer in unserem Leben, eine Antwort zu geben. Wir können auch mitten in einer Antwort stecken bleiben, oder auch wir wissen nicht, was wir antworten sollen., oder wir können einer Antwort ausweichen.

Ich glaube nicht, dass man sich selbst oder einander verpflichten kann, „die Welt zu retten“ – allein deswegen, weil es mit solchen Ambitionen in unserem Kopf leicht nicht gut geht. Das zeigt alle Erfahrung. Aber man kann sich selbst dazu verpflichten, unter allen Umständen mit Hoffnung zu antworten. Nicht allein mit einer Hoffnung für einen selbst und die Nächsten in innerlichen Sinne, sondern auch als gäbe es noch eine Hoffnung für Betsaida, Chorazin, Kapernaum und den Rest der Welt – ganz gleich ob sich die Hoffnung in jeder Situation auf objektive Daten stützen kann.

Einen frohen Sonntag. Amen.

Dompropst Jens Torkild Bak

DK-6760 Ribe

Email: jtb(at)km.dk

[1] Dänisches Gesangbuch Nr. 592, V. 2.

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