Matthäus 11,2-10

Matthäus 11,2-10

Aus dem Gefängnis | 3. Adventssonntag | 17.12.2023 | Mt 11,2-10 | Verena Salvisberg |

Anmerkung:

Diese Predigt sollte mit verteilten Rollen vorgetragen werden:

Johannes der Täufer im Gefängnis, Lektorin, Pfarrerin.

Im Gefängnis.

Nach allem.

Entbehrungen, ja, die bin ich gewohnt.

Hunger und Durst.

Hitze und Kälte.

Ich halte einiges aus.

Aber diese muffige Luft.

Die feuchte Dunkelheit.

Die Gedanken kreisen.

Fragen werden mächtig.

War das alles?

War es das wert?

Wegbereiter. Umkehrprediger. Täufer.

Nicht, dass ich die Wahl gehabt hätte.

Rufer in der Wüste. Bussprediger. Asket.

Ich war, wozu ich bestimmt war.

Ich tat, was getan werden musste.

Aber jetzt hier, in diesem Loch.

Gedanken kreisen. Erinnerungen tauchen auf.

1 In jenen Tagen aber trat Johannes der Täufer auf und verkündete in der judäischen Wüste:

2 Kehrt um! Denn nahe gekommen ist das Himmelreich.

3 Er ist es, von dem durch den Propheten Jesaja gesagt ist: Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht gerade seine Strassen!

4 Er aber, Johannes, trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften; seine Nahrung waren Heuschrecken und wilder Honig.

5 Da zog Jerusalem, ganz Judäa und das ganze Land am Jordan hinaus zu ihm.

6 Und sie liessen sich von ihm im Jordan taufen und bekannten ihre Sünden.

7 Als er aber viele Pharisäer und Sadduzäer zur Taufe kommen sah, sagte er zu ihnen: Schlangenbrut! Wer machte euch glauben, dass ihr dem kommenden Zorn entgehen werdet?

8 Bringt also Frucht, die der Umkehr entspricht!

9 Und meint nicht, ihr könntet sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken.

10 Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt: Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird gefällt und ins Feuer geworfen.

(Mt 3, 1-10)

Liebe Gemeinde,

Ich sehe sie vor mir, die Zeichnung, die ich in der vierten Klasse gemacht habe, nachdem wir von Johannes in der Wüste gehört hatten. Ein dünner Mann mit struppigem Bart und zerrissenen Kleidern. Alles in Braun- Ocker-, Gelbtönen. Ein bisschen machte mir meine Zeichnung Angst. Er machte mir Angst mit seinem wilden Blick.

In diesen Augen stand seine Botschaft: Tut Busse. Kehrt um. Schlangenbrut!

Spricht er auch zu mir? Meint er mich?

Wenn ja, was wäre mit mir? Hätte ich zu den Menschen gehört, die seine Predigt ernst genommen haben? Wäre ich auch zu ihm in die Wüste gepilgert, um mich taufen zu lassen?

Die Gedanken kreisen.

Die Fragen.

War’s das?

War es das wert?

Wegbereiter. Umkehrprediger. Täufer.

Rufer in der Wüste. Bussprediger. Asket.

Und jetzt hier, dieses Loch.

Gedanken kreisen.

Fragen bohren.

 …

Ja, sie sind gekommen.

Viele.

Haben gehört und gehandelt.

Sind in sich gegangen.

Umkehr – ein grosses Wort.

Sie waren da, am Wasser.

Liessen sich untertauchen.

Ich habe sie getauft.

Mit Wasser.

Auch ihn.

13 Zu jener Zeit kam Jesus von Galiläa an den Jordan zu Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen. 14 Johannes aber wollte ihn davon abhalten und sagte: Ich hätte es nötig, von dir getauft zu werden, und du kommst zu mir?

15 Jesus entgegnete ihm: Lass es jetzt zu! Denn so gehört es sich; so sollen wir alles tun, was die Gerechtigkeit verlangt. Da liess er ihn gewähren.

16 Nachdem Jesus getauft worden war, stieg er sogleich aus dem Wasser. Und siehe da: Der Himmel tat sich auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube niedersteigen und auf ihn herabkommen.

17 Und siehe da: Eine Stimme aus dem Himmel sprach: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

(Mt 3, 13-17)

Die Berichte von Johannes dem Täufer sind immer auch Erzählungen von Jesus. Und es sind immer auch Geschichten von ihrem Verhältnis zueinander. Dabei fällt besonders auf, dass die Rollen nicht durch Bezeichnungen festgemacht. Der ist der und der ist der andere. Es wird in diesen Geschichten nicht definiert, es wird erzählt.

Mit seinem Ruf zur Umkehr stösst Johannes nicht nur auf Zustimmung. Während viele ihm nachfolgen, lehnen andere seine Forderung ab, das Leben zu ändern. So kommt es zu Konflikten mit den Mächtigen, insbesondere mit Herodes, und Johannes wird gefangen genommen.

Und jetzt im Gefängnis.

Nach allem.

Entbehrungen, die bin ich gewohnt, das ist es nicht

Hunger und Durst.

Hitze und Kälte.

Ich halte einiges aus.

Aber in der Dunkelheit

kreisen die Gedanken

Fragen plagen

War das alles?

War es das wert?

Wegbereiter. Umkehrprediger. Täufer.

Rufer in der Wüste. Bussprediger. Asket.

Die Kunde seiner Taten dringt bis zu mir, hierher in dieses Loch.

Ist er der, auf den wir gewartet haben?

Den wir sehnlichst erwartet?

Bist du es? Oder nicht?

2 Als Johannes nun im Gefängnis von den Taten des Christus hörte, sandte er seine Jünger zu ihm 3 und liess ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten? 4 Jesus antwortete ihnen: Geht und erzählt Johannes, was ihr hört und seht: 5 Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, und Tote werden auferweckt, und Armen wird das Evangelium verkündigt; 6 und selig ist, wer an mir keinen Anstoss nimmt.

7 Als diese sich wieder auf den Weg machten, begann Jesus zu den Leuten über Johannes zu reden: Was habt ihr zu sehen gehofft, als ihr in die Wüste hinauszogt? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt? 8 Oder was habt ihr zu sehen gehofft, als ihr hinauszogt? Einen Menschen, der in feine Gewänder gehüllt ist? Die feine Gewänder tragen, die wohnen in Palästen. 9 Oder was habt ihr zu sehen gehofft, als ihr hinauszogt? Einen Propheten? Ja, ich sage euch, mehr als einen Propheten habt ihr gesehen! 10 Er ist es, von dem geschrieben steht: Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der vor dir deinen Weg bereiten wird.

(Matthäus 11,2-10)

Johannes der Täufer sitzt im Gefängnis und fragt. Der eindrucksvolle Mahner, der sein Leben in den Dienst einer grossen Sache gestellt hat, der Hunderte von Leuten zum Umkehren gebracht und getauft hat. Der sich nicht scheut, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Da sitzt er und beginnt zu zweifeln. Sollte das alles sinnlos gewesen sein? Sollte er sich getäuscht haben? Hat er sich für das Falsche eingesetzt? Fragen, die ein Menschenleben begleiten.

Kehrt um!

Bereitet den Weg des Herrn!

War das richtig?

Ist er es?

Ist er der, der kommen soll?

Sollen wir auf einen anderen warten?

Habe ich mich getäuscht?

Habe ich mich verrannt?

Ich muss es wissen.

Blinde sehen

Lahme gehen

Aussätzige werden rein

Taube hören

Tote werden auferweckt

Den Armen wird das Evangelium verkündet

Das ist mehr Antwort als ein einfaches: Ja, ich bin es.

Erinnerung an alte Verheissung.

Sehnsucht nach heilem Leben.

Blinde sehen

Lahme gehen

Aussätzige werden rein

Taube hören

Tote werden auferweckt

Den Armen wird das Evangelium verkündet

Das ist das Zeichen.

Liebe Gemeinde, der dritte Adventssonntag ist der Sonntag der Erinnerung an Johannes den Täufer, den Wegbereiter, Umkehrprediger, Täufer, Asket, Rufer in der Wüste und Bussprediger. Ein Mann der klaren Worte. Im Gefängnis aber wird er zum Verunsicherten, zum Frager. Sein ganzer Lebensentwurf ist in Frage gestellt. Und da ist keine eindeutige Antwort. Keine wertschätzenden, aufmunternden Worte zum Trost.

Johannes der Täufer, der den Mut hatte, die Dinge beim Namen zu nennen.

Ein Vorbild dafür, gegen die Lüge das Haupt zu erheben und für Wahrheit und Gerechtigkeit einzutreten. Den Kopf hinzuhalten im wahrsten Sinne des Wortes.

Das Leben und der Tod des Täufers machen mich nachdenklich: In den Dienst welcher Sache stelle ich mich? Wäre ich bereit, dafür ein bequem dahinplätscherndes Leben in Komfort und Luxus aufzugeben? Wäre ich bereit, Ruferin oder Rufer in der Wüste der Welt zu sein?

Gerade jetzt, in dieser Adventszeit 2023 daran zu erinnern, dass mit den Definitionen nichts gewonnen ist. Dass es nicht hilft, genau zu wissen, wer Freund ist und wer Feind. Wer Opfer und wer Täter. Wer schuld ist und wer nicht.

Johannes lässt fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?

Seine Jünger:innen bekommen keine einfache Antwort: ja, der ist es – nein, ihr müsst noch warten. Sie werden aufgefordert:

Geht und erzählt, was ihr hört und seht!

Geht und erzählt! Es geht nicht darum, das rechte Wissen über Jesus zu haben. Es geht darum, sich den Heilserfahrungen, zu denen Jesus einlädt, nicht zu verschliessen.

Hören, sehen, gehen und erzählen. Das ist die Berufung von Christenmenschen in dunkler Zeit!

Amen

Pfrn. Verena Salvisberg

Merligen

verenasalvisberg@bluewin.ch

Verena Salvisberg Lantsch, geb. 1965, Regionalpfarrerin seit 1. August 2022, vorher Gemeindepfarrerin in Laufenburg und Frick und Roggwil

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