Matthäus 11,1-9

Matthäus 11,1-9

Johannes überlegt: Plan B oder Jesus fragen? | 3. Advent | 17.12.2023 | Mt 11,1-9 | Manfred Mielke |

Liebe Gemeinde,

Der heutige 3. Adventssonntag heißt „Gaudete“ – „Freuet euch!“, was den Aufruf des Paulus zitiert: „Freuet euch in dem Herrn allewege!“ Ganz anders klingt Jesus, wenn er sagt: „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert!“ Zwischen beiden Grundgefühlen geht es anscheinend hin und her. Kommen wir aus dem Ärger in eine neue Freude? Oder ist „Schluss mit lustig“, weil wir ab jetzt Trübsal blasen müssen? Denn wir spüren eine Frustration über Gottes Zurückhaltung; zugleich sehnen wir uns nach einer lebhaften Glaubenszuversicht – und hoffen, dass im Advent uns Hilfe entgegenkommt. Hilfe aus dem Evangelium. Vom Bibeltext bei Matthäus lese ich zunächst die ersten Verse. Sie lauten: „Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“  (Mt 11,2-6)

Johannes sitzt in einem Kerker des Königs Herodes Antipas. Die Todesstrafe ist ihm gewiss, doch noch hält ihn eine Frage wach. Je nach Antwort könnte er daraus einen Plan B entwickeln, falls er überleben sollte. Seine Alternative lautet demnach: Sich aufgeben oder sich neu aufstellen. – Dazu mache ich mal einen Stilbruch anhand moderner Unternehmensberatung. Ich stelle mir vor, Johannes blättert in der Broschüre: „Acht Schritte zu einem Start-Up“. Er liest: „Eine neue Idee haben und den Markt analysieren. Den Traum leben und dabei selbstständig werden. An den Erfolg glauben und die Komfortzone verlassen. Einen Businessplan ausarbeiten und ein tolles Team aufstellen.“

Ja, nickt Johannes vor sich hin, die Taufe aus „Vorfreude zur Vergebung der Sünden“ war meine „Startup-Idee“. In mein tolles Team kam dieser Jesus aus Nazareth dazu, der sich von mir taufen ließ. Selbständig? Als Eremit in der Wüste war ich sogar sehr selbständig. Aber mit meiner Empörung über den doppelten Ehebruch im Königshaus habe ich wohl meine Komfortzone verlassen. Jetzt sitze ich hier im tiefsten Loch. Wie mag es meinem Freund Jesus ergehen? Der brennt doch auch wie ein Leuchtfeuer für das Reich Gottes. Falls ich ermordet werde, wird er mein Nachfolger werden? Doch falls er vor mir ermordet wird, muss ich mich dann neu aufstellen? Ich muss ihn fragen.

Er legt die Broschüre zur Seite und beauftragt durch die Kerkermauern hindurch seine draußen wartenden Jünger, ihn zu fragen: „Jesus, bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?“ Jesus antwortet ihnen nicht mit einem klaren: „Ja, ich bin es. Ja, ich bin der angekündigte Messias Gottes.“ Er gibt die Entscheidung an Johannes zurück, indem er dessen Jüngern sagt: „Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“

In dem, was alle gehört haben, können Johannes und dessen Jünger die Vollmacht Jesu erkennen. Dafür ließ Matthäus alle dessen Bergpredigt hören. Und an dem, was alle gesehen haben, hat Jesus die Propheten-Liste abgearbeitet. Er hat Blinden, Lahmen, Ertaubten und Aussätzigen Heilung gebracht. Er hat mehr als normale Propheten Tote auferweckt und mit der Verkündung des Evangeliums an die Verachteten hat er die neue Heilszeit eröffnet. Aber dann schließt Jesus seine Selbsteinschätzung mit der Seligpreisung ab: „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“ Das Wort meint „scheitern, irre werden“, also mehr als „sich ärgern“. Denn der Ärger über seine Radikalität, sein Gottesbild und seine Herodes-Kritik war in aller Munde. Aber Jesus preist die glückselig, die an seinem Messias-Anspruch nicht irre werden. – Nun ist eine direkte Reaktion des Johannes nicht überliefert. Wir können nur mutmaßen, dass er Jesu Seligpreisung verstand und sie ihm Mut machte. Vielleicht hat er vor sich hingesagt: „Ja, Jesus, du bist der Sohn Gottes, an dem er sein Wohlgefallen hat.“ Johannes wird ihn als Gesinnungs-Genossen verehrt haben, er wird nicht daran irre geworden sein, dass Jesus seine Sache als Messias weiterverfolgt.

Der Evangelist Matthäus wird später zur skandalösen Enthauptung des Johannes noch einmal hinschauen, vorerst aber interessiert ihn, wie Jesus weitermacht. Er berichtet: „Als die Johannes-Jünger fortgingen, fing Jesus an, zu dem Volk über Johannes zu reden: Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her weht? Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die weiche Kleider tragen, sind in den Häusern der Könige. Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch: Er ist mehr als ein Prophet.“ (7-9)

Viele der Umstehenden waren zu dem Wüsteneremit gepilgert und hatten sich von Johannes im Jordan taufen lassen. Aber jetzt wäscht ihnen Jesus nochmal den Kopf. Seine entrüsteten Fragen zielen darauf, dass die Neu-Getauften weder an Johannes noch an ihm irre werden. Er provoziert sie: „Wolltet ihr ein schwankendes Schilfrohr sehen? „Ja, nein“. Wolltet ihr einen Höfling in weichen Kleidern sehen? „Ja, nein“. Wolltet ihr einen Propheten sehen? „Ja, schon“. Dann ruft er sie auf: „Dann bleibt nicht sitzen wie Kinder auf dem Marktplatz, die den Anderen beim Tanz nur zuschauen! (16f) Tanzt selber, helft denen, die schwanken, kleidet Unterkühlte, besucht Gefangene – und erhebt eure Perspektive, weil sich eure Erlösung naht!“

Jesus schob dann doch noch seine Meinung über den Täufer Johannes nach: „Alle Propheten haben geweissagt bis hin zu Johannes. Ob ihr es wahrhaben wollt oder nicht – Johannes ist tatsächlich der Prophet Elia, dessen Wiederkunft ja angekündigt ist!“ (13f) – So klar hätte es Johannes in seiner Todeszelle wohl gerne noch gehört, dass er ein Elia ist. Aber was meint Jesus damit? Vereinfacht gesagt, stellt Jesus einige Propheten auf Treppenstufen auf. Jona, Amos und Habakuk waren mutige, aber kleine Propheten. Den Elia sieht er auf einer anderen Stufe. Elia hat zig heidnische Priester getötet, Israel zum Weinberg Gottes deklariert, hat ein totes Kind auferweckt und ist in einem Feuerwagen gen Himmel aufgefahren. Wenn Elia wiederkommen wird, dann, um das Reich der Himmel endgültig im Erdkreis zu verankern. Nun sei dieser Elia im Täufer Johannes realpräsent wiedergekommen. – Bildlich gesprochen stellt sich Jesus mit Johannes und Elia auf die höchste Stufe. Sie bilden gemeinsam die ultimative Vorfeldorganisation des jetzt hereinbrechenden Gottesreichs.

Wie werden die Zuhörer darauf reagieren – die damaligen und wir heute? Mit verhaltenem Ärger oder mit freudiger Zustimmung? Indem Jesus sich indirekt als Türöffner für das Gottesreich outet, wird uns schlagartig klar, dass wir dafür unsere Passivität aufgeben müssen. Wir ahnen, dass, wer so viel Glaubenszuversicht versprüht, mit Gegnern rechnen muss. Wer Gott so auf Mut hin öffnet, weckt die Ängste derjenigen, die Gott hinter dicken Mauern schützen wollen. Dennoch keimt in uns eine leise Zustimmung heran.

Nehmen wir etwas Abstand, dann spüren wir eine Beklemmung. Die beiden Männer, Johannes und Jesus, sind gleich-alt, gleich-charismatisch und gleich-bedroht. Die Lebenszeit wird ihnen knapp, nur wenige Monate nach der Ermordung des Johannes wird Jesus gekreuzigt werden. Das Tempo des Todes, wen er schneller kriegen kann, prägt ihre parallele Biographie und auch unser aktuelles politisches Unwohlsein. Völker beeilen sich, im Völkermord schneller zu sein als andere. Und drumherum tobt der Wettbewerb der Viren und Umweltgifte, wer zuerst die Schöpfung besiegen wird. Uns wird die Zeit knapp im Advent und unser Gebet wird dringender: „Herr, komme bald!“ – Zudem quellen die Gefängnisse der Tyrannen über, in denen Visionäre und Aktivist*innen gefoltert werden. Sie brauchen uns dringend als Sympathisanten, die ihre Ohren an die Gefängnismauern halten. So kommt das Evangelium des Advents in einer Bildsprache zu uns, die uns zu recht aufwühlt. Weil es den menschlichen Leidenszeiten nicht ausweicht.

Wir spüren aber auch eine enorme Erleichterung. Mit Johannes und Jesus leben zwei Alphamänner eine vorbildliche Wertschätzung. Sie können sich unter hohem Stress in indirekten Botschaften Mut zusprechen. Wir werden ihre Geschichte hochhalten, damit heutige Alphamänner und -frauen aufmerken, dass es um einen Neuanfang der Humanität geht. Der Dialog zwischen Johannes und Jesus mündet nicht in Kommandos, aber in einen Mut, der über ihre Lebensmonate hinausstrahlt. Beide haben genug Ärger um die Ohren, aber sie richten sich darauf aus, dass das Reich Gottes kommen will und kommen muss und kommen wird. Johannes inspiriert uns zu einem Lebensstil neben des Mainstreams; Jesus inspiriert uns zu einer Hoffnung, die jedem Ärger überlegen ist. Beide infizieren uns im guten Sinne durch ihre Naherwartung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, einer neuen Menschlichkeit und einer neuen Schöpfungs-Balance.

Ich sehe das so, dass uns eine aktuelle Adventsbroschüre vorgelegt wird. Uns als Kirche, aber auch jedem persönlich gilt die Empfehlung: „Nehmt den Leitstern als mobile Idee. Analysiert den Markt. Lebt eure Träume und werdet selbständig darin. Glaubt an den Erfolg Gottes und verlasst eure Komfortzone. Macht euch einen Businessplan und stellt ein tolles Team auf. Freuet euch dabei im Herrn allewege, auch, wenn sie noch vor euch liegen!“ Amen

Lieder:

Gottes Sohn ist kommen; EG 5

Brich mit den Hungrigen dein Brot; EG 420

Bist Du es, der da kommen soll; aus „Ein Segen sein“ Nr. 448

Das erste Licht – Es ist Advent; aus „Durch Hohes und Tiefes“ Nr. 2

Herr, wir warten auf dein Kommen; aus „Lebenslieder“ Nr. 230

Ich bete für den Frieden; P. Spangenberg zur Mel EG 16 Die Nacht ist vorgedrungen

Fürbitte:

Herr, unser Gott, wir rufen dich an in großer Not. Wir rufen Dich an als Jahwe und als Kyrie, als Vater Jesu Christi und Mutter aller Wesen, die atmen und aufbegehren. (Gott, wir rufen zu Dir!)

Du Gott des Stammvaters Abraham. Steh den Völkern bei, die sich auf ihn berufen. Du hast mit ihm ein Segensbündnis geschlossen. Gib deinen Frieden als Pflicht und Chance deinem Israel und seinen Nachbarn. (Gott, wir rufen zu Dir!)

Du Gott des Kindes Ismael. Der Du ihn und seine Mutter Hagar in der Wüste hast überleben lassen. Gib den Eltern und Großeltern im Gaza, in den Westbanks und auch in Israel den zuversichtlichen Mut, ihre Kinder zur Gewaltfreiheit zu erziehen. (Gott, wir rufen zu Dir!)

Du Gott des Propheten Elia. Der Du dein Volk umhegt und gepflegt hast wie einen guten Weinberg. Gib allen Menschen guten Willens die Gewissheit, dass sie wie Reben am Weinstock mit Dir verbunden sind. (Gott, wir rufen zu Dir!)

Du Gott des Täufers Johannes. Gib uns wie ihm die Vorfreude auf die Vergebung der Sünden. Mach durch deinen Heiligen Geist uns zu Menschen, die unbequem und unangepasst sind wie dieser Johannes der Täufer. (Gott, wir rufen zu Dir!)

Du Vater unseres Herrn Jesus Christus. Ihm hast Du Heilkräfte verliehen und die Kraft der Versöhnung aller menschlichen Verfehlungen. Lass uns in seinem Namen Glaubenszuversicht verbreiten. Gib uns eine Durchhaltekraft bis zu seiner Ankunft und Wiederkunft. (Gott, wir rufen zu Dir!)

Herr, unser Gott, wir rufen dich an in großer Not. Wir rufen Dich an als Zebaoth und Adonaj, als Vater Jesu Christi und Mutter aller Wesen, die atmen und aufbegehren. Amen

(Ein Gebet zum Gott Ismaels veröffentlichte die Jerusalemer Zeitung „Haaretz“ bereits im Jahre 2009, wieder veröffentlicht auf der Homepage von „Taizé“ als „Gebet eines Juden für die Kinder im Gaza“)

Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb. 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit beim Christival und bei Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn (1988- 2011) und Ruanda (2001-2019). Musiker und Arrangeur.

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