Matthäus 15, 28

Matthäus 15, 28

Liebe Gemeinde!

Hier wird in ganz anderer Weise als sonst von Jesus und den Frauen
geredet. Eine Theologin aus Kenia hat einmal gesagt, dass die Kanaaniterin
Jesus
missioniert habe, ihn aus dem engen Kreis der Juden herausgerissen, und
in die grosse Welt aller Menschen gestellt habe. Das sind grosse Worte
und völlig neue Gedanken. Schauen wir uns noch einmal diese Geschichte
an!

Da lebt zur Zeit Jesu in der Gegend von Tyrus und Sidon – dem heutigen
Libanon – eine Mutter mit ihrem Kind. Sie liebt ihre Tochter, sie versorgt
sie, sie spielt mit ihr. Die Tochter ist die grosse Freude ihrer Mutter.
Plötzlich wird das Kind krank. Sie windet sich in Krämpfen.
Die Mutter sammelt Kräuter und kocht ihr Tee. Sie versorgt sie mit
Umschlägen. Sie läuft zu ihrem Priester und gibt ihm all‘ ihr
Geld, damit er einen Heilzauber ausübe. Nichts will helfen. Das
Wimmern der Kranken zerschneidet der Mutter das Herz. Wie kann sie ihrem
Kind helfen? Was soll sie tun? Sie weiss keinen Rat.

Da kommt eine Nachbarin angelaufen und erzählt ihr atemlos:“Hast
du nicht gehört? Dieser Jesus aus Nazareth kommt hierher, ein Jude,
ja, aber er hat in seiner Heimat schon viele Menschen geheilt!“Da
bittet die Mutter die Frau, bei ihrem kranken Kind zu bleiben, und macht
sich auf den Weg. Wenn sie doch Hilfe finden könnte für ihre
geliebte Tochter!

Von weitem schon erkennt sie eine Gruppe Männer und einer geht
voraus. Da schreit sie laut:“Ach, Herr, du Sohn Davids, erbarme
dich mein! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt!“ Was
ist das nur? Jesus antwortet nicht. Er schweigt. Das Geschrei ist nicht
zu überhören, also will er nichts damit zu tun haben. Hat der
Mann kein Herz im Leibe? Die Mutter ist verzweifelt. Sie schreit immer
lauter. Der Krach geht den Jüngern auf die Nerven, darum bitten
sie für die Frau, aber Jesus weist sie ab:“Ich bin nur gesandt
zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“ Damit kennzeichnet
er Israel als verloren, gibt aber gleichzeitig seine Bereitschaft zu
erkennen, in diesem Fall Hilfe zu gewähren. Er handelt hier als
Jude. Für ihn sind die Juden das Volk Gottes. Sie sind ihm wichtig,
die andern lehnt er ab.

Haben wir Jesus je so gesehen? Sicher, er war müde, er brauchte
Ruhe, er wollte eine Weile mit niemandem etwas zu tun haben, denn er
hatte den Leuten ihre Sünden vorgehalten, Mord, Ehebruch, Unzucht,
Dieberei, falsch Zeugnis, Lästerung. Mit solcher Rede hatte er die
Menschen vor den Kopf gestossen, das weiss er wohl, und er hat den Zorn
der Pharisäer und Schriftgelehrten heraufbeschworen gegen sich.
Er hat den Mut zu solcher Rede gehabt, aber nun ist er am Ende. Er muss
wieder zu sich selber und zu seinem Auftrag kommen, Verbindung mit Gott
suchen und finden.

Die Mutter gibt nicht auf. Hier ahnt sie ihre einzige Rettung, darum
fällt sie vor dem Mann auf die Knie und ruft:“ Herr, hilf mir!“ Jesus
vergleicht sie mit einer Hündin und dreht sich um. – Aus – So etwas
kann sich niemand bieten lassen. Das ist doch gemein!

Immer noch gibt die Frau nicht auf. Sie gibt Jesus recht:“ Ja,
Herr!“ Und dann folgt:“ Aber doch…“ Die grosse Liebe
zu ihrem Kind treibt die Mutter ins Gebet. Sie bleibt bei Jesus, sie
gibt nicht auf. Hier ist Hilfe. Hier demütigt sie sich und klammert
sich gleichzeitig an. Ihr Vertrauen ist auch durch harte und spöttische
Abweisung nicht zu erschüttern. Die Frau bleibt im Bild. Sie fügt
sich in die Rolle des Hundes, aber damit fordert sie Jesus auf, ihr und
ihrer Tochter Herr zu werden mit allen Rechten und Pflichten. Vor soviel
Vertrauen und Zuneigung gewinnt Jesus seine Haltung und göttliche
Kraft wieder, seine Müdigkeit ist vorbei. „Dir geschehe wie
du willst“, sagt er und heilt mit diesen Worten das kranke Kind.

Er ist über die Grenzen Israels hinausgegangen. Als Jude verliess
er sein Land, um Ruhe zu finden in der Fremde. Da zeigt ihm eine fremde
Frau seinen Weg. Er ist nicht nur für Israel da, sondern für
alle Welt. Und es ist diese heidnische Frau, die ihm die Einsicht und
Kraft für diese Aufgabe vermittelt.

Diese Mutter ist eine gute Mutter, weil sie für ihr Kind betet.
Sie hat nicht immer alles richtig gemacht als Mutter, das weiss sie.
War sie übervorsichtig oder nachlässig? Hat sie ihm ihre eigene
Angst übertragen? Wenn ihr Kind Krämpfe bekommen hat, einen „bösen
Geist“ wie es der Text nennt, dann ist sie durch ihr Verhalten mitbeteiligt
an der Erkrankung ihrer Tochter. Aber was immer geschehen ist, eins hat
sie richtig gemacht, sie hat für ihr Kind gebetet. Sie hat sich
selber und ihre Tochter unter die Herrschaft Jesu gestellt. Die Tochter
erlebt es am eigenen Leibe, dass das Gebet der Mutter ihr Heilung verschafft.
Aus der Gewalt böser Mächte wird das Kind durch Jesu Wort herausgerissen.
Jetzt gehört es Gott. In seiner Gegenwart kann es gesund und fröhlich
sein.

Wir haben heute darüber nachgedacht, welche Rolle uns Frauen in
einer sich verändernden Welt zugewiesen ist. Mir ist aufgefallen,
dass sich in den letzten 30 Jahren, die ich im Wallis verbracht habe,
vieles geändert hat in der Stellung der Frau. Das gilt nicht nur
für die katholischen Frauen, die sich vermehrt aus der Rolle des
Putzlumpens in die Rolle der Mitarbeiterin auch im Bereich der Kirche
entwickelt, das gilt auch für uns reformierte Frauen, die wir immer
intensiver gefragt sind, wieweit wir Verantwortung übernehmen für
uns selbst, unsere Familien und unsere Gesellschaft.

Das erste, was wir tun können und müssen ist das, was diese
heidnische Frau getan hat. Wir können beten für unsere Kinder,
unsere Familie und unsere Gesellschaft. Das verändert unsere innere
Haltung. Wir stellen uns selbst, unsere Familie und unsere Gesellschaft
damit unter die Herrschaft Jesu. Dann gelten die Ordnungen, die Gott
selber gegeben hat, um unser Zusammenleben zu regeln in Harmonie und
Einigkeit. Dann sorgen wir dafür, dass auch in den Gesetzen in der
Schweiz das gilt, was Jesus zu dem Volk Israel gesagt hat: in euren Herzen
verbirgt sich Mord, Ehebruch, Unzucht, Dieberei, falsch Zeugnis und Lästerung.
Damit muss es aufhören. Damit kann es aufhören. Wenn ihr euch
von Gott diese bösen Gedanken vergeben lasst, dann könnt ihr
auch anderen alles Böse vergeben, was sie euch antun.Wir Frauen
im Wallis, in der Schweiz, sind Souverain, bestimmen, was gelten soll
in unserem Lande. Beten wir für dieses Land, in dem wir leben, und
lassen Gott unseren Herrn sein, damit wir Harmonie und Geborgenheit finden
miteinander.

Mechthild von Magdeburg schreibt im Mittelalter:
Das Gebet, das ein Mensch mit aller seiner Macht leistet,
hat eine grosse Kraft.
Es macht ein sauer Herz süss,
ein traurig Herz froh,
ein armes Herz reich,
ein dummes Herz weise,
ein ängstliches kühn,
ein krankes Herz stark
und ein blindes Herz sehend
und eine kalte Seele brennend.
Es zieht den grossen Gott hernieder
in ein kleines Herz,
und treibt die hungrige Seele hinauf
zu dem reichen Gott.

Dr. Gerda Altpeter
gerda.altpeter@bluewin.ch

 

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