Matthäus 18, 15-20

Matthäus 18, 15-20

Liebe Gemeinde!

Das ist eine wunderbare Geschichte. In ihrer Mitte steht Jesus, der
hier schon etwas ausstrahlt von der Aura des Göttlichen, des Kyrios
Jesus Christus. Die Bilder dieser Erzählung setzen in vielen von
uns Empfindungen des Staunens, der Freude, des Glücks frei. Fast
ein Urlaubsposter: der See, das Ufer, die Menge erwartungsvoller Menschen,
Fischerkähne, in einem von ihnen Jesus predigend, unter den Zuhörern
eine Gruppe von Fischern um Petrus. Später: ein überaus erfolgreicher
Fischzug, der die Netze bis zum Zerreißen füllt, und dann
der Entschluss der Fischer, sich Jesus anzuschließen, bedingungslos
in seine Nachfolge zu treten, ein missionarischer Aufbruch. Alles in
allem: ein überaus erfolgreicher Tag.

Der Text scheint so richtig
zu passen an den Schluß einer intensiven
Arbeitsperiode, eines langen Schuljahres, eines kräftezehrenden
Semesters: wenn Prüfungen geschafft, Projekte vorangebracht, Aufträge
erfüllt worden sind. Volle Netze, wer wird sich da nicht freuen
dürfen.

Freilich kann eine solche Geschichte mit ihren prachtvollen
Bildern auch ganz andere Gefühle aufrufen. Es kommt eben darauf
an, wer sie hört
und in welcher seelischen Verfassung sie sich befindet. Wer das „umsonst“ des
Petrus hautnah erfahren musste, wer Nächte hindurch geschuftet
hat, um am Ende eine bittere Enttäuschung zu erleben, wer monatelang
vergeblich Bewerbungen zu Papier gebracht oder Projektanträge
ohne Erfolg formuliert hat, wer mit allem Einsatz eine Krankheit niederzukämpfen
versucht hat, aber dennoch das Scheitern spüren muss – der wird
zu diesem Text eher auf Distanz gehen: eine schöne Geschichte,
aber auch eine Geschichte für mich?

Es ist eben nicht egal, in
welch einer Situation mich eine biblische Geschichte erreicht. Je nach
dem werden bei mir spontane Zustimmung
oder Widerstand verstärkt.

Gerade wenn es um ziemlich alltägliche
Dinge geht. Und um die geht es hier im Lukasevangelium. Genauer: Es
wird ein Thema angerührt,
das in Kirche und Theologie nahezu Tabu ist: es geht um die Arbeit
und dabei vor allem um deren Erfolg
. Das überlassen wir doch lieber
Sportlern, Ökonomen, Künstlern und Politikern. Aber ist es
wirklich nicht unser, mein, Ihr Thema? Und wie ist das eigentlich bei
Jesus mit dem Erfolg? Die Geschichte vom wunderbaren Fischzug des Petrus
gibt uns manchen Fingerzeig im Umgang mit einem sehr menschlichen Thema.

Erfolg tut not. Wer etwas tut, will dass es erfolgreich sei. Das ist
menschlich. Und Jesus lässt da keinen Zweifel. Erfolg darf mit Fug
und Recht erhofft und erwartet werden. Besonders uns Protestanten freilich
erscheint der Erfolg schnell suspekt. Rücksichtsloser Ellenbogengebrauch
und widerliches Protzertum tauchen beim Stichwort „Erfolg“ sogleich
vor unserem geistigen Auge auf. In unserer Geschichte dagegen wird ganz
nüchtern und vorurteilsfrei über den Erfolg gesprochen. Es
beginnt mit der Predigt Jesu. Das Ufer ist voll von Menschen, die diesen
sonderbaren Wanderprediger aus Nazareth hören wollen.

Wenn das keine
Erfolg ist! Und Jesus nimmt an. Er entschuldigt sich nicht, etwa nach
dem Motto: ich wollte eigentlich nur eine kleine Gruppe versammeln
und kein großes Aufsehen erregen. Nein, er stellt sich auf den
Erfolg ein und sorgt erst einmal dafür, dass sich angesichts der
großen Zuhörerschaft die Kommunikationsbedingungen verbessern.
Er steigt in eins der Fischerboote und bittet Petrus, ein wenig hinaus
zu rudern, damit alle ihn hören und sehen können. Jesus will
den Erfolg auch sichern. Was er zu sagen hat, seine Botschaft vom kommenden
Gottesreich – das soll nicht ungehört verrauschen. Es dürfen
getrost noch mehr werden unter den Hörerinnen und Hörern
Jesu. Auch heute, unsere Kirchen sind darauf angelegt!

Nach dem Ufergottesdienst
folgt dann gleich eine zweite Erfolgsgeschichte:
der große Fischzug. Auch Petrus und seine Fischerkollegen sehnen
sich nach Erfolg. „Fahre hinaus“ fordert Jesus ihn auf.
Arbeit muß etwas bringen. Und Petrus hatte noch nichts gefangen.
Er zweifelt. Das ist es ja, alle Anläufe haben nichts gebracht.
Die Nacht war verstrichen, Stunde um Stunde ohne jeglichen Erfolg.
Rezession auf der
ganzen Linie. Man kennt das: nichts gefangen, nichts verdient, wer
weiß wie
es weitergeht.

Jesus setzt da auf Beharrlichkeit – „Nachhaltigkeit“ heißt
das entsprechende Modewort! – und auf Vertrauen. Petrus hört
auf Jesus und überwindet den eigenen Pessimismus: „aber
auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.“

Wie oft täte
auch uns das gut, wenn jemand da wäre, der Mut
machte und sich von der depressiven Stimmung nicht anstecken liesse.
Das Wunder geschieht, es wird wider alles Erwarten ein großer
Fang. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch bei
Jesus gibt es kein Erfolgsmanagment mit Garantieanspruch. Aber es wird
deutlich:
Erfolg ist bei Jesus nicht tabu. Im Umkreis Jesu darf mit Erfolg gerechnet
und auf Erfolg hin gearbeitet werden. Man darf sich über Erfolge
freuen und man darf über Misserfolge enttäuscht sein.

Freilich, auch das muß gesagt werden: In der Perspektive des christlichen
Glaubens wird „Erfolg“ neu verstanden und anders, realistischer
bewertet; denn Erfolg ist immer auch Gnade. Das begreift Petrus sofort.
Und er steht hier für alle, die gerade in der Stunde ihres Erfolges,
wie man so sagt: auf dem Teppich bleiben. Ja Petrus gerät in tiefes
Erschrecken angesichts des ihn völlig überwältigenden
Erfolges auf dem See Genezareth.


Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach:
Herr, geh weg von mir; denn ich bin ein sündiger Mensch.“

Es
wird ihm deutlich, wer der ist, der ihn auf den Fischzug geschickt
hat, und wer er selbst ist: ich bin ein „sündiger Mensch“.
Es geht gar nicht darum, dass Petrus irgendetwas ganz besonders Schlimmes
getan hätte. Er könnte vielleicht auch gesagt haben: ich
bin ein Mensch, ich habe doch Fehler, Grenzen, meine Möglichkeiten
sind bescheiden. Vor Jesus wird das deutlich.

Ich kann es ganz gut
nachempfinden, wie es Petrus hier geht. Im Augenblick eines Erfolges
geht einem mit einem Male auf: Wer bin ich eigentlich?
Was steht mir wirklich zu? Wem habe ich zu verdanken, was mir an Erfolg
widerfahren ist?

Bei großen Siegerehrungen und Preisverleihungen
hat man manchmal den Eindruck, dass so etwas sich für einen Moment
unter die Tränen
der Freude und die Sprachlosigkeit mischt. Meist währt das nicht
lange und man ist dann schnell wieder auf der Woge des Stolzes und
der Selbstüberhebung.

Das ist etwas, was der „gewöhnliche
Kapitalismus“ mit
sich bringt: dieses unentwegte Sammeln und Darstellen der eigenen Erfolge.
Alles allein hingekriegt! Man darf nicht nicht erfolgreich sein. Wer
es dennoch ist, hat Pech gehabt, oder hat noch nicht recht begriffen,
wie man sich richtig verkauft.

Gegenüber solch einer Einstellung
rückt der Text einiges zurecht.
Erfolg ja, aber darüber sollen wir nicht vergessen, wer wir sind: „Ich
bin ein sündiger Mensch.“ Und das heißt ich bin angewiesen.
Was mir gelingt, ist mir gegeben. Und ich darf gerade darüber
glücklich
sein: „Fürchte dich nicht“ sagt Jesus zu Petrus.

Ich
bin davon überzeugt: das Leben in unserer Gesellschaft, in unseren
Institutionen, nicht zuletzt auch in den Kirchen gewönne an menschlichem
Profil, wenn wir jeder für uns deutlicher realisierten: Erfolg
ist nicht meine Leistung allein, Erfolg ist auch Gnade: mein gutes
Zeugnis,
mein Karrieresprung, mein positives Feedback. Ich kann auf den Selbstprotz
(auch auf den unter Christen zuweilen eher verdeckten) getrost verzichten.

Und noch etwas muss im Blick auf den Erfolg bedacht werden. Der Erfolg,
den ihre Arbeit und ihr Vertrauen den Fischern einbrachte, war überwältigend.
Aber damit wird der Großerfolg nicht zur Regel erklärt. Die
Geschichte bei Lukas steht nicht isoliert. Wir wissen, da ist auch die
andere Seite. Nach dem großen Predigterlebnis am See blieben die
Massen nicht bei Jesus, nur wenig später, im Garten Gethsemane,
war er allein. Das eine wie das andere gehört zur Geschichte Jesu.
Und Petrus? Jesus befestigt den Erfolg zunächst noch: Er bevollmächtigt
den Fischer und seine Freunde zu weit Größerem: „Von
nun an sollst du Menschen fangen“. Das Werk der christlichen Mission
ist in Gang gebracht. Aber die Netze waren und sind keineswegs immer
voll. Menschen gewinnen, das ist mehr als ein einfacher Abfischungsvorgang.
Es ist mühevoll und schwer, es fordert viel Einfühlungsvermögen
und Kreativität, und manchmal taucht die Frage auf: lohnt es noch?
Gerade deshalb ist es wichtig ein Drittes heute zu begreifen: Erfolg
gibt es niemals total, es gibt ihn immer nur in der Begrenzung.
Das sich
immer wieder vor Augen zu halten, bewahrt vor Enttäuschung und Schlimmerem.
Es bewahrt uns vor dauernder Selbstunzufriedenheit und ständiger
Larmoyanz. Und es bewahrt uns vor Selbstüberschätzung, als
wäre ich der liebe Gott persönlich mit ungeahnten Möglichkeiten.
Erst wenn ich begriffen habe, dass es Erfolg nur in der Begrenzung gibt,
kann ich mich über die wirklichen Erfolge freuen: auch über
die Prüfung jenseits der 1,0, auch über den Gottesdienstbesuch,
der viele Bankreihen frei lässt. Erfolg gibt es nur in der Begrenzung.
Erfolg steht neben Nichterfolg. Das ist so, auch wenn ich das Beste will
und alle meine Kräfte angespannt habe.

Das Thema Erfolg gewinnt noch einmal besondere Brisanz, wenn wir uns
das Datum dieses Sonntags vergegenwärtigen: 20.Juli. War die Auflehnung
einiger mutiger Menschen heute vor 59 Jahren gegen die Diktatur Hitlers
ein „Erfolg“? Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Aber
nachdenkenswert bleibt, was Dietrich Bonhoeffer, einen Tag nach dem Attentatsversuch,
in einem Brief über die Nachfolge als Leben im Diesseitigen schreibt,
dass sie gerade im Annehmen der Armut und Begrenzheit bestehe, und dass
Glaube sich darin zeige, „in der Fülle der Aufgaben, Fragen,
Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten (zu) leben“.
So können wir handeln und zugleich bezeugen, dass wir dem zugehören,
dem wir Alles und nicht zuletzt unsere Erfolge verdanken.

Amen.

Verwendete Literatur:
M.Josuttis: Der Erfolg, in: ders.: Der Traum des
Theologen, Göttingen 1988, 80-93: Predigtmeditationen von H.-W.Pietz
(GPM/ PTh 92, 2003, 355-360) und D.Beese/W.Koeppen (Predigtstudien I/2,
2003, 79-85)

Prof. Dr. Jürgen Ziemer, Leipzig
E-Mail: ziemer@rz.uni-leipzig.de

 

 

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