Matthäus 20, 1-16a

Matthäus 20, 1-16a

Auf welcher Seite liegen unsere Sympathien,
wenn wir dieses Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg hören? Zuerst
sicher, wie sich das Ganze so abspielt, auf Seiten des Weinbergbesitzers.
Er hat unternehmerische Qualitäten und tut etwas für den Arbeitsmarkt.
Er holt Arbeitslose von der Straße und kümmert sich nicht um
Tarifabschlüsse und gewerkschaftliche Vereinbarungen, oder besser,
hat sich um sie nicht zu kümmern. Er hat unsere Sympathie. Doch dann
dürften wir die Seiten wechseln, wenn es nämlich zur Lohnauszahlung
kommt. Da scheint es nicht mehr mit rechten Dingen zuzugehen. Da bleibt
in der Tat – nach unseren Maßstäben – die Gerechtigkeit
auf der Strecke. Das verheißt nichts Gutes, wenn auch im Reich Gottes
wieder die Gerechtigkeit auf der Strecke bleibt. Sollen sich dort wieder,
wie wir das aus unseren Verhältnissen kennen, Vetternwirtschaft,
Begünstigung und launische Ungleichbehandlung fortsetzen, gegen die
man kein Rechtsmittel hätte?

Mit solchen Fragen, die sich bei uns gewissermaßen automatisch
einstellen, die wir gar nicht erst lange bemühen müssen, verfangen
wir uns im Gestrüpp unseres Denkens, das zur Welt des Reiches Gottes
in krassem Gegensatz steht. Aber der Reihe nach.

Der Gutsbesitzer ist ein Frühaufsteher. Um sechs Uhr früh heuert
er schon die ersten Arbeiter für seinen Weinberg an. Vereinbarter
Tagelohn ein Denar. Drei Stunden später, gegen neun Uhr, heuert er
die nächsten an. Die Vereinbarung lautet nicht mehr einen Denar,
sondern: „Ich werde euch geben, was recht ist.“ Mittags um zwölf
und am frühen Nachmittag um drei macht er es ebenso. Ja, sogar kurz
vor Schluß, bevor um achtzehn Uhr der Arbeitstag endet, ordert er
noch um siebzehn Uhr für eine einzige Stunde Arbeitslose für
seinen Weinberg. Bis dahin läuft das Ganze noch halbwegs nach einer
für uns nachvollziehbaren Logik, wenngleich wir vielleicht gesagt
hätten, das mit einer Stunde Arbeit, das hätte nicht sein müssen.
Andererseits kennen ja auch wir die Phänomene der Kurzarbeit und
des flexiblen Arbeitsmarktes. Soweit so gut.

Was sagt das Bisherige über das Reich Gottes? Denn das Gleichnis
steht ja für das Reich Gottes. Eigentlich bisher nichts, was wir
nicht nachvollziehen könnten. Also hat es im Bisherigen nicht seinen
eigentlichen Konstruktionspunkt. Der liegt anderswo, nämlich in dem,
was jetzt folgt. Plötzlich scheint es sehr ungerecht zuzugehen. Da
bekommen die allerletzten, die nur eine Stunde gearbeitet haben, als erste
den Lohn: einen Denar. Aha, der Gutsbesitzer muß es sich offenbar
anders überlegt haben; da muß=20für die, die den ganzen
Tag gearbeitet haben mehr herausspringen. Tut es aber nicht. Ich denke,
wir teilen den Unmut derer, die sich benachteiligt fühlen. Das geht
nicht mit rechten Dingen zu. Selbst die Begründung des Gutsherrn
für sein Vorgehen hinterläßt bei uns einen unguten Beigeschmack.
Doch da genau liegt die Pointe des Gleichnisses, und genau da sind wir
schwer zu knacken. „Kann dein Auge nicht mitansehen“, so lautet
die Schlußfrage an einen der Protestierer, „daß ich gut
bin?“ Hier geht es nicht bloß um unser anderes Augenmaß.
Hier geht es ums Ganze, nämlich ums Ganze des Reiches Gottes.

Da hat sich Jesus – wenn ich das einmal so respektlos sagen darf
– sein ganzes Wirken hindurch den Mund fransig geredet, wie es sich
mit dem Reich Gottes verhalte, was da auf uns zukomme – und wir
haben es ihm noch immer nicht abgenommen, haben es noch immer nicht begriffen!
Unser Auge will nicht sehen, es will uns nicht in den Kopf, „wie
gut Gott zu uns ist“ (vgl. Mt 20,15). Es will nur schwer in unseren
Kopf, daß das Reich Gottes ein Geschenk an uns ist, ein Geschenk,
wie dreimal Weihnachten, ja, noch unendlich mehr als das. Die Pointe des
Gleichnisses liegt exakt darin, daß das Reich Gottes nicht verdient
wird, weder durch einen zwölfstündigen noch durch einen einstündigen
Arbeitstag. Verdienstkategorien greifen hier nicht. Das Reich Gottes kommt
auf uns zu, wird unser Geschenk, nicht weil wir es uns verdient haben,
sondern weil es uns geschenkt wird.

Darin zeigt sich die Güte Gottes. Sie besteht, richtig verstanden,
nicht darin, daß unsere Kategorien von Letzten und Ersten, unser
„ranking“ – wie man neudeutsch sagt – auf den Kopf
gestellt werden, so daß Erste Letzte und Letzte Erste würden.
So könnte man den Schlußsatz des Evangeliums zwar im ersten
Moment verstehen und so lautet er auch wörtlich. Aber so fiele die
Katze wieder auf die alten Pfoten. Nicht darum geht es, daß Letzte
Erste werden und umgekehrt, sondern darum, daß diese Kategorie,
zwischen Ersten und Letzten zu unterscheiden, im Reich Gottes nicht mehr
gilt. Sie ist aufgehoben. Sie zählt nicht mehr. Sie ist keine Kategorie
des Reiches Gottes. „Stört es dich, weil ich gut bin?“,
diese zusammenfassende Frage überstrahlt alles.

Ja, wenn wir darüber nachdenken, verschlägt uns das beinahe
den Atem. So vom Reich Gottes zu denken, läuft unserer Logik, unserem
Gerechtigkeitsempfinden irgendwie zuwider. So könne das mit dem Reich
Gottes nicht sein! Was also stört uns am abgrundtiefen Gutsein Gottes?
Ist es nicht unser Glaube, der falsche Akzente setzt? Letzte und Erste
zählen nicht mehr, ganz ähnlich sagt das ja auch Paulus im Galaterbrief:
Für auf Christus Getaufte gebe es keinen Unterschied mehr zwischen
Juden und Griechen, Sklaven und Freien, Mann und Frau; sie alle seien
„einer“ in Christus (Gal 3,28). Die Pointe unseres Gleichnisses
von den Arbeitern im Weinberg ist Gottes Gutsein, das sich jedem schenkt.

Dieses Gutsein Gottes aber soll in uns verfangen, es soll in uns nicht
verpuffen. Es soll in uns gewissermaßen zu den Synergieeffekten
führen, von denen der Jakobusbrief spricht: „Willst du (nicht)
einsehen, du unvernünftiger Mensch, daß der Glauben ohne Werke
nutzlos ist?“ (Jak 2,20). Ein bloß geglaubter Glaube an das
Gutsein Gottes als zentraler Botschaft vom Reich Gottes wäre ein
Widerspruch in sich, weil er „nur glaubend“ nicht glaubt. Wenn
unser Glaube keine Synergieeffekte zeitigt, indem wir Gottes Gutsein zum
Fundament, nicht zum Ideal unseres Gutseins, unserer Mitmenschlichkeit
(und was wir immer sagen wollen) machen, wenn das alles ausbliebe, dann
hätten wir in der Tat nicht an das umstürzende Gutsein Gottes
angedockt. Solange wir mentalitätsmäßig im Gleichnis auf
der Seite der Protestierer verharren, die meinen, sie seien zu kurz gekommen,
so lange haben wir vom Gutsein Gottes in seinem Reich nichts begriffen.
Lassen wir also unsere Kategorien von den „Letzten“, „den
Ersten“ hinter uns. Lassen wir uns anrühren vom Gutsein Gottes.
Es wird uns guttun.

Prof. Dr. Stefan Knobloch
stefan.knobloch@kapuziner.org

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