Matthäus 22, 1-14

Matthäus 22, 1-14

 

Göttinger
Predigten im Internet,

hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


2. Sonntag nach Trinitatis
13. Juni 1999
Predigttext: Matthäus 22, 1-14
Verfasser: Pfarrer Dr. Friedrich Seven

1
Und Jesus fing an und redete abermals in Gleichnissen zu
ihnen und sprach:
2
Das Himmelreich gleicht einem König, der seinem Sohn die
Hochzeit ausrichtete.
3
Und er sandte seine Knechte aus, die Gäste zur Hochzeit
zu laden; doch sie wollten nicht kommen.
4
Abermals sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt
den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet,
meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet, und
alles ist bereit; kommt zur Hochzeit!
5
Aber sie verachteten das und gingen hin, einer auf seinen
Acker, der andere an sein Geschäft.
6
Einige aber ergriffen seine Knechte, höhnten und
töteten sie.
7
Da wurde der König zornig und schickte seine Heere aus
und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an.
8
Dann sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar
bereit, aber die Gäste waren es nicht wert.
9
Darum geht hinaus auf die Straßen und ladet ein zur
Hochzeit, wen ihr findet.
10
Und die Knechte gingen auf die Straßen hinaus und
brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute; und
die Tische wurden alle voll.
11
Da ging der König hinein, sich die Gäste anzusehen, und
sah da einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches
Gewand an,
12
und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hier
hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Gewand
an? Er aber verstummte.
13
Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm die
Hände und Füße und werft ihn in die Finsternis hinaus!
Da wird Heulen und Zähneklappern sein.
14
Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.

Liebe Gemeinde,

über diese Geschichte zu predigen ist mindestens so
ärgerlich wie das, was darin passiert. Hier wird doch
allen Ernstes erzählt, daß auch vor Gott eine
Kleiderordnung gilt.
Sicher ist das alles nicht so gemeint, wie es die
Geschichte erzählt, schließlich handelt es sich ja um
ein Gleichnis, doch vielleicht macht gerade das die Sache
noch schlimmer: Soll da tatsächlich einer vom Rest im
Himmelreich ausgeschlossen werden, obwohl er weder die
Einladung ausgeschlagen noch die Boten gepeinigt oder gar
umgebracht hat, sondern lediglich so erschienen ist, wie
er es nicht besser wußte?
Da predigen wir in der Kirche von der Gnade, von der
Zuwendung Gottes, die jedem gilt und die keinen
Unterschied macht, und müssen hier von einem Gott
hören, der auch ganz anders sein kann, ja, der in seinem
Handeln mit einem Herrn verglichen wird, der unangemessen
gekleidete Gäste nicht nur vor die Tür, sondern
gefesselt in die Finsternis werfen läßt. Da streiten
sich die Theologen verschiedener Konfessionen, oder auch
von ein und derselben, um das rechte Verständnis von
Gott und Mensch und geben nicht eher Ruhe, als bis klar
ist, daß Gott den Menschen liebt, ihm sein gottfernes
Leben nachsieht und ihn einlädt, und hier wird von einem
Menschen erzählt, den Gott ausschließt, obwohl der doch
wohl gerade nicht zu den großen Sündern gehört.
Immer steht die Kirche vor der Aufgabe, die unverdiente
Gnade zu predigen, und Sie, liebe Gemeinde, haben
hoffentlich wenigstens einige Male diese Gnade erfahren.
Aber jetzt ist zu hören, daß da einer sogar noch seine
Arglosigkeit mit Fesseln an Händen und Füßen bezahlen
muß und von Gnade nichts mehr sehen wird. Auch Martin
Luther hat diesen Text ein „schrecklich(es)
Evangelium“ genannt, das er nicht gerne predige.
Mancher mag jetzt sagen: So ist es eben immer bei der
Kirche. Sicher, sie laden Dich ein, auch wenn andere dies
schon nicht mehr tun, und wer es nötig hat oder gerne
möchte, der kann sogar nach vorne an den Tisch gehen und
hinterher im Pfarrsaal noch am gedeckten Tisch sitzen.
Aber dann, wenn man nach einigen Wochen, vielleicht in
einem Gesprächskreis, einer Elterngruppe oder beim
Predigtnachgespräch, so richtig warm geworden ist, dann
kommt einer und will Dir sagen, was hier zu tun oder gar
zu glauben sei und wie man hier ganz dazugehört und wie
nur so halb und vor allem, wie schon gar nicht.
Auf diese oder auf noch viel freundlichere Art erfährt
man dann etwas von den versteckten Kleiderordnungen, die
sich nicht so leicht erkennen und befolgen lassen, weil
sie unser inwendiges Kleid und damit unsere Seele
betreffen.
Wer dann fragt, was denn zu tun oder zu lassen sei, damit
man hier angenehm sei, stellt sich mitunter eher selbst
in Frage, als daß er ermutigende Antworten bekommt.
Vielleicht hört er einiges von dem, was zu einem rechten
Glauben und zur rechten christlichen Praxis dazugehört,
wie etwa Kenntnisse aus der Bibel, regelmäßiger
Gottesdienstbesuch, ein der Zukunft zugewandtes Leben,
Gebet und Meditation im Alltag oder wenigstens
freundliche Bejahung der hiesigen Gemeinschaft von ganzem
Herzen und von ganzer Seele.
So kann er dann versuchen, möglichst viel davon zu
befolgen oder trotzig nach seinem eigenen Weg zu suchen.
Am Ende glaubt er aber möglicherweise immer noch nicht,
nur unterdrückt er jeden Zweifel aus lauter Angst vor
Verzweiflung. Er begreift, daß alles das, was zum
Glauben dazugehört, noch nicht der Glaube selbst ist,
wie ja auch der Stoff noch nicht das Kleid ist. Ihn hält
die schale Hoffnung aufrecht, wenn schon Gottes Liebe
nicht zu finden, dann doch wenigstens die hiesige
Gemeinschaft nicht zu verlieren. Denn verliert er auch
noch diesen Kontakt, bleibt ihm nur noch der Spiegel, nur
noch das Selbstgespräch, die weiß Gott keine sichere
Auskunft geben können, wie es an uns und in uns
aussieht.
Dabei ist doch die Kirche Gottes Haus, und an seinem
Tisch möchte ich doch gerne sitzen. Für den, der an den
geheimen Ansprüchen, mit denen wir uns in Gruppen immer
wieder beengen und mitunter sogar ängstigen, leidet,
kann diese Geschichte nun doch zum Trost und zur
Ermutigung werden. Wird doch in ihr erzählt, daß nur
der Herr allein entscheidet, wer zur Hochzeit seines
Sohnes kommen und wer bleiben darf. So soll es auch bei
Gott sein. Nur Gott, der Herr, entscheidet, wer am
himmlischen Fest teilnehmen darf. Nur er entscheidet
über den rechten Glauben.
Gerade darin liegen der Trost und die Ermutigung. Der,
der hier urteilt, ist auch der, der allein gibt. Ihn
können wir bitten „um den rechten Glauben
allermeist“, und diese Bitte ist schon der Anfang
des Glaubens. Vor Gott steht der Mensch immer nackt und
bloß als Sünder, der ganz darauf angewiesen ist,
geladen und bekleidet zu werden.
Deswegen ist jeder beim Hören der Geschichte gefragt, ob
sein Gewand, ob sein Glaube eigentlich recht ist und
jedem steht es frei, Gott um den rechten Glauben, den
Herrn um das rechte Gewand zu bitten. Dann wird er
hoffentlich die Einladung des Sohnes hören: „Kommet
her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich
will Euch erquicken!“
Amen.

Dr. Friedrich Seven
Im Winkel 6
37412 Scharzfeld
Tel.: 05521 / 2429
Fax: 05521 / 73192

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