Matthäus 25,31-46

Matthäus 25,31-46

Endlich! | Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres | 19.11.23 | Mt 25,31-46 | Katharina Wiefel-Jenner |

Matthäus 25

31 Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sich setzen auf den Thron seiner Herrlichkeit, 32 und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, 33 und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. 34 Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! 35 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. 36 Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen. 37 Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? Oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? 38 Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen? Oder nackt und haben dich gekleidet? 39 Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? 40 Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. 41 Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! 42 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. 43 Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht. 44 Dann werden auch sie antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? 45 Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. 46 Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.

Endlich! Endlich beginnt der Prozess. Das Gericht hat sich Zeit gelassen. Wir warten schon so lange. Von Tag zu Tag wird es schwerer, das auszuhalten. Die Flut der Nachrichten hört nicht auf. Die Bilder von Gewalt und Hass sind allgegenwärtig. Wir sind so müde, würden die Bilder so gerne ausschalten, den Kopf wegdrehen, einfach nichts mehr mitbekommen. Es sollte einfach aufhören.

Endlich! Das Gericht tritt zusammen. Jetzt können wir auf Gerechtigkeit hoffen. Wir warten schon so lange. Und während wir warten, fahren Panzer über Felder, deren Früchte den Hunger stillen sollen. Während wir warten, erteilen greise Herrscher Marschbefehle, schlachten Mörder wehrlose Kinder ab und sind stolz darauf, Bestien zu sein. Wir sind so müde und so empört. Wir wissen nicht, wohin mit unserer Ohnmacht. Wann hört das endlich auf?

Endlich! Der Richter kommt. Was bisher geschieht, wird nun ein Ende finden. Die Gerechtigkeit wird sich nicht länger einsperren lassen. Der Richter wird Befehl geben, die Gerechten freizulassen – und mit ihr alle, die um der Gerechtigkeit willen gedemütigt wurden. Die Wahrheit wird nicht länger verboten sein. Der Richter wartet auf die, die sie im Munde führen. Er wartet darauf, dass niemand mehr die Wahrheit verdreht und sie als Lüge verunglimpft.

Endlich! Der Richter hat seinen Gerichtssaal betreten. Der Richter sitzt auf seinem Platz. Er schaut und sieht die ganze Welt in seinem Gerichtssaal versammelt. Die Tyrannen, die Mörder, die Lügner und Betrüger, die Diebe, die Liebenden. Er sieht die mit den heilenden Händen, die mit den freundlichen Worten, die mit dem gebrochenen Herzen. Er sieht die, die nächstes Jahr in Jerusalem feiern wollen und sich danach sehnen, aus Schwertern Pflugscharen zu machen. Auf seinem Tisch liegt kein Aktenstapel. Es gibt keinen Kläger und keinen eigenen Anwalt. Der Richter hat eine eigene Art von Prozessordnung.

Endlich! Der Richter schaut auf und schafft sich seine eigene Sitzordnung. Man staunt. Hätten wir das gedacht? So werden im Gericht also die Plätze vergeben.

Endlich! Der Richter spricht: „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Königtum, das euch bereitet ist seit Grundlegung der Welt.“ Wem sagt er das? Wer sind die Gesegneten seines Vaters, wer darf an seiner rechten Seite Platz nehmen?

Wer dem Richter schon einmal begegnet ist, dürfte nicht überrascht sein. Auf der hellen Seite versammelt der Richter die Guten, die Wahrhaftigen, die Ehrlichen, die Liebenden, die Barmherzigen, die Großzügigen. Er schaut die an mit dem reinen Herzen und die, die sich dem Frieden zur Verfügung stellen. Er ruft zur hellen Seite seiner Macht die, die das Brot teilen, die in der Nacht herumfahren und Obdachlose versorgen. Er ruft die, die Kranke pflegen und ihnen die Angsttränen abwischen. Er ruft die, die bis zur Erschöpfung Verwundete versorgen, die, die den Lügnern nicht nachgeben. Er zeigt den Platz an seiner rechten Seite. „Für euch“, sagt er zu denen, die sich nicht um Obergrenzen kümmern, der Ausländerbehörde in den Ohren liegen und die Tür öffnen. „Hier ist euer Platz an meiner rechten Seite“, sagt er zu denen, die sich mühen, um für die Verstummten zu sprechen. „Gesegnet seid ihr.“ Und er meint die Frauen in den Kleiderkammern und die, die Briefe an Gefangene schreiben, Brücken bauen und die Hände zur Versöhnung ausstrecken. Er meint die, die sich um dürres Land kümmern und Gärten pflanzen.

Endlich! Der Richter hat es gesehen, wer barmherzig ist, wer ein reines Herz hat, wer müde ist. Der Richter hat sie alle gesehen und manchmal wissen sie es gar nicht. Sie sehen nur, wie sie scheitern, wie die Lügen immer mächtiger werden, Kinder sterben und sie konnten sie nicht retten. Sie sehen nur ihre Ohnmacht und wie der Friede geschändet wird und der Tod triumphiert. Sie sehen vergebliche Mühe und sind erschöpft. Sie sind zu erschöpft, um nachzufragen, ob der Richter wirklich sie meint. „Ja, ihr seid es“, sagt der Richter. „Kommt her. Ich liebe euch.“

Endlich! Ob sie aufatmen? Ob sie anfangen zu tanzen? Das ist ein Gerichtssaal. Getanzt wird später, woanders. Der Richter ist noch nicht fertig.

Da sind noch die anderen. Da sind die Böswilligen, die Lügner und Betrüger, die Lieblosen, die Unbarmherzigen, die Geizigen. Der Richter sieht sie. Alle. Keiner von denen sollte denken, dass nicht offenbar wäre, wer sie sind und was sie tun. Der Richter sieht sie und lässt sie links liegen. Sie haben sich ihren Platz selbst gewählt. Auf der falschen Seite.

Endlich! Jetzt ist es endlich offensichtlich. Die Lüge kann sich vor dem Richter nicht mehr als Wahrheit tarnen. Die Lieblosigkeit findet keine Entschuldigung mehr. Wer lieblos ist, ist lieblos und nicht nur pragmatisch. In den Augen des Richters gelten Sachzwänge nicht als Entschuldigung, um den Armen das Brot zu verweigern. Es gibt keinen Grund, dürres Land nicht zu bewässern. Der Richter sieht es, wenn verschlossene Türen dazu dienen, ihn selbst fernzuhalten. Der Richter ist selbst das Land, das Brot, die Liebe. Der Richter ist selbst die Wahrheit.

Endlich! Der Richter sagt zu ihnen das, was ihnen sonst niemand zu sagen wagt: „Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das mein Vater dem Teufel und seinen Engeln bereitet hat.“ Der Richter zerbricht die Furcht vor ihnen. Die Angst der Barmherzigen vor den Unbarmherzigen darf sich legen. Die Unbarmherzigen haben ihre Macht verloren, sie können niemand mehr in den Tod schicken. Die Mütter müssen nicht mehr um ihre Kinder bangen. Die Friedlosen können auch nicht mehr so tun, als ob sie gut sind. In ihrer Hartherzigkeit haben sie den Richter nicht erkannt und seine Regeln missachtet. Der Richter hat ihnen den Platz zugewiesen, von dem aus sie keinen Schaden mehr anrichten können.

Merken die Unbarmherzigen das überhaupt? Wissen sie, dass ihr Platz bei den Verlorenen ist? Man könnte es wissen, worauf dieser Richter achtet. Man könnte es wissen, dass er die Barmherzigen liebt und die Friedensstifter und die mit dem reinen Herzen und die Sanftmütigen. Die Unbarmherzigen, die Lügner und Geizigen könnten wissen, dass der Richter die Gerechtigkeit liebt und die Trauernden tröstet. Er hat es gesagt. Wieder und wieder hat er davon gesprochen. Wenn sie ihm doch zuhörten.

Außerdem: wussten die Hartherzigen überhaupt, dass der Richter kommt?

Man könnte es wissen. Wieder und wieder hat er davon gesprochen. An den Gräbern, in den Kältebussen, an den Krankenbetten und in den Schutzräumen. Er hat es uns wissen lassen, dass er kommt. Er will das Ende der Trostlosigkeit. Er will das Ende der Angst. Er will das Ende des Todes. Er ist selbst das Ende des Todes und aller, die ihm dienen. Wenn er kommt, können wir aufatmen und tanzen.

Das Gericht lässt sich Zeit. Wo bleibst du Trost der ganzen Welt?

Wir warten schon so lange. Von Tag zu Tag wird es schwerer, das auszuhalten. Wann können wir aufatmen? Wann können wir tanzen? Dauert es noch lange? Ach, so komm doch, du unser Trost und Leben. Amen!

Dr. Katharina Wiefel-Jenner

Berlin

wiefel_jenner@hotmail.com

Katharina Wiefel-Jenner, geb.1958, Pfarrerin i.R., bildet als Dozentin für Liturgik und Homiletik Ehrenamtliche für den Verkündigungsdienst aus.

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