Matthäus 25,31-46

Matthäus 25,31-46

Spannungsvoll | Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres | 19.11.23 | Mt 25,31-46 | Nadja Papis |

Liebe Gemeinde,

ein schöner Text, nicht wahr, wenn da nur nicht diese Passagen übers Gericht wären. Die Stellen möchte ich gerne überlesen oder einfach beiseitelassen. Zum Beispiel das Fegefeuer, das ist ja seit der Reformation abgeschafft. Ja, meine Ablehnung gegen die Bilder des Weltgerichtes lässt sich nicht verleugnen. Erschaudernd denke ich an die grausamen Darstellungen an Kirchentüren oder Altären, an diese ganze Angstmacherei, die so viele Menschen in der Vergangenheit und vielleicht auch Gegenwart leiden liess. Brrr. Sofort bin ich weit weg von Matthäus und seinem Text. Also: Zurück zur Bibel, zurück zum Vers 31: Der Menschensohn wird wiederkommen in seiner Herrlichkeit mit allen Engeln und er wird sich auf den Herrscherthron setzen. Alle Völker werden vor dem Menschensohn versammelt.

Das tönt doch eigentlich ganz grossartig. Der Menschensohn setzt sich in all seiner Herrlichkeit auf den Thron, flankiert von Engeln und alle Völker kommen vor ihm zusammen. Ich stelle mir ein riesengrosses Wiedersehen vor. Lang vermisste Familienmitglieder liegen sich in den Armen, alte Freunde und Freundinnen tauschen sich aus, bisher unbekannte Menschen lernen sich kennen. Ein fröhliches Wiedersehen – jetzt endlich! Darauf haben einige so lange gewartet. Ja, die Freude ist so gross, dass auch Versöhnung möglich ist: Nichts, was zu Lebzeiten getrennt hatte, ist jetzt noch wichtig. Herkunft? Bildung? Wohlstand? Nein, alle versammeln sich vor dem einen, der über ihnen steht: Jesus Christus, dem Menschensohn auf dem Thorn. Er vollendet, was bereits angekündigt worden war. Was im Leben erst als Vorgeschmack vorkam, wird nun voll und ganz erfüllt. Das Bruchstückhafte fügt sich zu einem Ganzen, das Unvollkommene wird heil.

Aber das ist nur der Anfang: Nun kommt die Trennung. Nun wird unterschieden, aussortiert, verurteilt und zwar ohne Verhör oder Verhandlung, ohne Beweisstücke und Verteidigung. Kein Heil für alle, keine Vollendung für alle. So kennen wir´s ja zu Genüge von uns Menschen: vergleichen, trennen, unterscheiden, beurteilen, verurteilen, ja, sogar vorverurteilen. Rechts und links, arm und reich, gerecht und ungerecht, veraltet und top modern, dabei und draussen… Wie ein Hirte seine Herde sortiert, macht es Jesus mit den versammelten Menschen. Er ist der Richter. Und ich bin enttäuscht: Warum muss es diese Trennungen und Spaltungen auch im Himmel geben? Warum diese Verurteilungen? Gesegnete und Verfluchte. Ewige Strafe und ewiges Leben. Und dann so eindeutig und absolut. Es scheint dem Richter allzu leicht zu fallen. Enttäuschend leicht.

Der fröhliche Traum von der himmlischen Zusammenkunft wird zum brutalen Albtraum, jedenfalls dann, wenn wir hier stehen bleiben. Darum: Lesen wir doch rasch weiter:

Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben.

Ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben.

Ich war ein Fremder, und ihr habt mich als Gast aufgenommen.

Ich war nackt, und ihr habt mir Kleider gegeben.

Ich war krank, und ihr habt euch um mich gekümmert.

Ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.

Das ist der Massstab für das Urteil des Weltrichters. Anhand dieser Verse können wir auf unser Leben zurückschauen, unser Verhalten reflektieren und auch ändern. Wir wissen bereits im Voraus, um was es geht, was verlangt ist, was zählt – dank Matthäus, dank der Botschaft Jesu Christi. Die Liste der Liebeswerke, wie sie gern genannt wird, überrascht uns nicht wirklich, oder? Wir kennen sie eigentlich gut. Ja, wir wüssten schon länger drum. Und so ging es den Menschen damals auch. Es war eine gängige Aufzählung, eine gewöhnliche Forderung. Nichts Verrücktes, nichts Übermenschliches. Nur eines hat die Lesenden überrascht: Die Ich-Form, welche Jesus braucht. «Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben». Das überrascht. Das hat niemand gewusst, weder diejenigen, die halfen, noch diejenigen, denen geholfen wurde. Die Botschaft ist klar: Ihr findet mich dort, wo Menschen Not leiden, wo Menschen Hilfe brauchen, wo Menschen «gering» sind. Und dort, wo sie geachtet werden, wo ihnen geholfen wird, wo ihre Not gesehen und gehört wird.

Liebe ist der Massstab des Weltgerichtes, so teilt es uns Matthäus deutlich mit. Jesus nachzufolgen heisst zu tun, was er getan hat, zu wirken, wie er gewirkt hat und das Liebesgebot ernst zu nehmen. Unser Handeln an den «Geringsten» ist entscheidend, nicht unser Bekennen oder der regelmässige Gottesdienstbesuch oder unsere Begabungen. Und irgendwie geht es noch weiter: Das Göttliche in denen sehen, die alles andere als göttlich wirken. Jesus dort suchen, wo kein Thron, keine Macht, keine Herrlichkeit ist, sondern Elend, Armut, Unterdrückung. Sogar die lieben, welche uns feindlich gesinnt sind – oder wir ihnen.

Es ist ein totaler Haltungswechsel, der hier gefordert wird: Dort, wo wir verzweifelte, durstige, kranke, gefangene Menschen sehen, sieht Jesus Brüder und Schwestern, ja, noch mehr: Er sieht Menschen, wie er selber einer ist. Darum geht es in der Nächstenliebe nicht einfach darum zu helfen, sozusagen von oben herab etwas Gutes zu tun, nein, es geht viel mehr darum, sich als Gleichwertige zu sehen, von Mensch zu Mensch zu handeln. Hilfe darf anderen Menschen nie die Würde nehmen und sie zu Hilfsempfangenden degradieren. Hilfe drückt das Wissen darum aus, dass ich genau gleich auf Hilfe angewiesen bin, dass ich genauso auch auf der anderen Seite stehen könnte, dass wir einander auf Augenhöhe begegnen. Die Rede des Weltrichters ist also eine Herausforderung an unseren Blick auf andere Menschen. Und erst dann auch an unser Handeln.

Schön und gut, aber dann kommt ja doch wieder diese Trennung, die Verurteilung und die furchtbare Strafe.

Ist das gerecht? Wenn ich an die Untaten gewisser Menschen denke, ja, dann finde ich das mehr als gerecht. Sollen die doch im Feuer schmoren und leiden, wie so viele andere unter ihnen gelitten haben! Aber ich weiss: Göttliche Gerechtigkeit hat nichts mit menschlicher Gerechtigkeit zu tun und schon gar nicht mit meinen niederen Rachegefühlen.

Göttliche Gerechtigkeit haben wir gerade auch in den Evangelien als Barmherzigkeit kennen gelernt. Dort auf dem Thron des Weltrichters sitzt der Erlöser, der Retter. Matthäus nennt ihn in seinem Evangelium «Immanuel», also «Gott mit euch». Es ist ein ganz anderes Gottesbild als das vom verurteilenden und strafenden Gott. Gott ist mit euch! Gott ist Liebe. Aus der Kombination mit dem Bild des Weltrichters ergibt sich eine Spannung, die wir nie auflösen werden. Sie macht für mich den Gerichtstext immer ein Stück weit unaushaltbar. Spannungsvoll ist aber wohl der ganze Text, auch die Forderung nach Liebeswerken und Nächstenliebe: Das Leben zeigt mir meine eigene Begrenztheit auf. Ja, ich kenne die ethischen Forderungen, aber ich weiss auch, wie oft ich daran scheitere. Ob das reicht, was ich an Gutem tue? Und wie ist es jetzt mit dieser respektvollen Haltung anderen gegenüber? Sehe ich andere wirklich als Gleichwertige an? Halte ich das überhaupt aus oder fühle ich mich zu klein?

Ich muss nicht urteilen, weder über mich noch über andere. Ich darf meine Ohren öffnen für die Fragen, die der Text mir ins Heute stellt: Wo wirkst du? Und wo machst du nichts? Und wie schaust du hin? Und wo schaust du weg? Welche Haltung hast du gegenüber anderen? Und wo hältst du dich raus?

Das Göttliche finden wir in der Liebe, so hat es Jesus vorgelebt. Und er fordert von uns, dass wir unser Leben ebenfalls unter die Liebe stellen: Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst. So einfach wäre es… Und weil´s doch nicht so einfach ist, zur Verdeutlichung nochmals eine etwas andere Variante aus Malawi, einem Land in Ostafrika:

Ich war hungrig, und ihr habt einen Verein mit humanitären Zielen gegründet, wo ihr über meinen Hunger diskutiert habt. Ich danke euch!

Ich war im Gefängnis, und ihr seid zur Kirche gelaufen, um für meine Befreiung zu beten. Ich danke euch!

Ich war nackt, und ihr habt die moralischen Konsequenzen meiner Nacktheit ernsthaft beleuchtet.

Ich war krank, und ihr habt den Krankenwagen fotografiert und auf Instagram gestellt und Gott dafür gedankt, dass ihr gesund seid.

Ich war ohne Dach über dem Kopf, und ihr habt den Reichtum der Liebe Gottes gepredigt.

Ihr seid fromm und so nahe bei Gott. Aber ich, ich habe immer noch Hunger, ich bin allein, nackt, krank und gefangen ohne Dach über dem Kopf. Ich friere…

(Quelle: Sinndeuter 5, Guido Hügen OsB, Georgsverlag)

Amen

de_DEDeutsch