Matthäus 9,18-26; Ezechiel 37,1-14

Home / Bibel / Neues Testament / 01) Matthäus / Matthew / Matthäus 9,18-26; Ezechiel 37,1-14
Matthäus 9,18-26; Ezechiel 37,1-14

24.Sonntag nach Trinitatis | 19.11.23 | Hes 37,1-14; Mt 9,18-26 | Rasmus Nøjgaard |

Hesekiel ist gleichsam dafür geschaffen, den Rahmen abzugeben für ein kirchliches Halloween in einer fast modernen grotesken Zombie- Szenographie. Die Prophezeiung von dem Feld mit Gebeinen, die zum Leben erweckt werden, ist so lebendig und so szenisch beschrieben, dass sie das Drehbuch sein könnte für Games and Thrones Dead Walkers, und Hesekiel muss diese Szene wie einen Film in seinem inneren Blick gehabt haben. Hesekiel muss einen Albtraum gehabt haben, als er sieht, wie die Gebeine wieder Fleisch, Sehnen und Blut bekommen, und Schauer müssen über seinen Rücken gegangen sein. Als er sieht, wie der Geist Gottes Leben in die Zombies blies, so dass sich das Heer der die Toten erhob und sich in endlosen Kolonnen in das Land Israels begeben, nach Jerusalem. Als ein neues Motiv im alttestamentlichen Totenkult öffnet Gott der Herr die Gräber, so dass sich die toten Krieger überall in der Diaspora sich erheben können in einem Siegesmarsch zum Land Israels. Das ist ein Triumph des Todes im Heiligen Land. Aber was soll das bedeuten? Etwas anderes als den Schauer und das Unbehagen? Und in diesen Tagen, wo die Unruhe wieder um sich greift in Israel, wo der Terror gnadenlos unschuldige Opfer angreift und wo die Antwort entsprechende Grausamkeit ist mit Zerstörungen und Siedlungen, ist das Grauen des Textes plötzlich ganz aktuell und alles andere als nur ein Spiel.

Ein Freund aus Nordseeland schrieb mir, er ginge nicht mehr in die Kirche, weil er allzu oft enttäuscht wurde. Er hatte genug von den oberflächlichen moralisierenden Analysen unserer Gewohnheiten, von Predigten als Besprechungen von Büchern, Filmen und Theateraufführungen und was der Pastor ansonsten gerade im Fernsehen gesehen hatte. Wenn er das wissen wollte, würde er lieber die Rezensionen in der Presse im Netz lesen. Er war es leid, dass man ihm schmeichelte und mittelmäßig unterhielt. Er kam in die Kirche, weil das Leben ein Paradox ist mit ethischen Dilemmas zu Hauf und weil die Taten und Aussagen Jesu mit aller gesunden Vernunft brachen und in einer Welt eine Antwort gaben, die damals wie heute mehr mit sich selbst und die eigenen Siege und das Glück der Menschen beschäftigt war. Ihm war die Sophisterei leid, die lieben Worte und die süße Aufmunterung. Jedoch, schrieb er: „Das Leben ist brutal und schmutzig, und keiner hat ein reines Gewissen.“ Der Brief hat mich tief berührt. Ist die Kirche zu nett geworden? Haben wir vergessen, dass Jesus für eine Gegenkultur steht und sich radikal mit seiner eigenen Zeit und seinem eigenen Volk auseinandersetzte? Ich dachte danach allzu oft, dass es zahnlos sei, in die Kirche zu gehen. Gleichgültig. Er hat Recht. Wenn die Kirche nichts wagt, was ist dann ihre Berechtigung?

Die Bibel ist ein Gebrauchsbuch. Eine im wahren Sinne des Wortes phantastische Sammlung von Erzählungen über all das, was im Leben wesentlich ist. Erzählungen, die ein für alle Mal unsere Sicht der Welt und auf uns selbst und die Gemeinschaft, zu der wir gehören, verändert. In gewisser Weise wie wir uns das nicht selbst sagen können. In der beunruhigenden und starken Geschichte von den Toten, die zum Leben erweckt werden, sagt Gott zu Hesekiel: Wenn das geschieht, dann werden alle verstehen, dass Gott hier am Werk ist. Alle werden Gottes Geist empfangen und zum Leben erweckt werden. Hier geht es um viele Themen. Vor allem aber um die Behauptung, dass da ein Unterschied besteht zwischen Gott und Menschen. Auch damals waren die Menschen dabei, sich des Göttlichen zu bemächtigen, sich selbst zu vergöttern und den Anspruch zu erheben, im Namen Gottes zu reden. Ganz so wie die gottlose Welt heute wohl eine neue Art und Weise sein kann, den Menschen zu erhöhen. Das Christentum lehnt diese Forderung ab, und grundlegend folgt Jesus dem Alten Testament, wenn es um den radikalen Abstand zwischen Gott und den Menschen geht. Das selbstgerechte theologische Projekt des 20. Jahrhunderts, wo man den Menschen als im Bilde Gottes geschaffen sieht, war verfehlt. Die Schöpfung ist vielmehr ein Bild für den Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf. So wie auch Jesus an dem Verhältnis zwischen Gott und Mensch festhält und dieses Verhältnis deutlich macht, indem er von einem Verhältnis zwischen Sohn und Vater spricht. Zur Himmelfahrt kehrt er zurück zu seinem Vater, und Vater und Sohn senden seinen Geist zu den Menschen. Gott ist das ganz Andere als der Mensch. Gott ist uns ganz fremd. So fremd, dass er sich uns offenbaren muss, so dass wir wissen, was er mit uns will. Dafür aber ist Gott ein so kategorial anderer als der Mensch, dass wir Gott gegenüber alle gleich gestellt sind. So wie wir im Lichte der Wirklichkeit Gottes erkennen müssen, dass wir weder den Anfang noch das Ende kennen, und dass wir deshalb drauf vertrauen müssen, dass Christus ein für alle Mal unsere Schuld gesühnt hat. Was wir nicht beherrschen, müssen wir Gott überlassen, und die Schuld, die wir nicht tragen können, hat Christus schon getragen. Das ist eine Befreiung. Hier ist der Ursprung des christlichen Freiheitsbegriffs, die Vorstellung von den Menschenrechten stammt von diesem Grundprinzip, dass wir gleichgestellt sind, gleich gegenüber dem allmächtigen Gott. In all seinem Schrecken will Hesekiel sowohl diesen Abstand zwischen Gott und Menschen als auch den gnädigen Willen Gottes mit dem Menschen zum Ausdruck bringen.

Gott kann einen Menschen aufrichten, wenn er will. Oder ein ganzes Feld von Gebeinen. Das kann kein Mensch. Der Mensch kann im Grunde nicht so viel. Wir können etwas mit der Elektronik spielen, Raumsoden in den Weltraum schicken und uns darin bestätigen lassen, dass das Universum unendlich ist, viel größer als wir annahmen, als wir zuletzt das Schöpfungswerk beschrieben. Das Einzige, was wir wissen, ist dass wir nichts wissen vom ganzen Geheimnis des Universums, und was ist ein Leben anderes als ein Augenblick in der Milliarden Jahren der Galaxen? Wir meinen, dass wir Weisheit und Einsicht besitzen, und dennoch machen wir immer wieder dieselben Fehler. Wir kommen nicht los von dieser Fehlbarkeit. Die große Zeit der Psychoanalyse ist längst abgelöst von der Einsicht, dass sich da keine ursprüngliche Ursache oder eine Urerfahrung verbirgt, das Seelenleben ist so komplex, dass wir in Wirklichkeit nicht wissen, ob die Hilfe chemisch oder kognitiv sein soll. Nicht einmal von dem ganz konkreten menschlichen Körper, an den wir seit zehntausenden von Jahren gebunden sind, wissen wir sehr viel.

Wenn Jesus erst eine blutflüssige Frau heilt und dann ein Mädchen wieder zum Leben erweckt, können wir die Geschichte fahren lassen. Wenn ich die Erzählung hier von der Kanzel nicht lesen müsste, hätte ich so jemals von der Erzählung gehört? Hat sie denn nicht Eindruck gemacht? Amüsieren wir uns nur über sie?

Wir könnten auch auf die Erzählungen hören und versuchen, sie uns zu eigen zu machen. Es geht irgendeiner Weise um dasselbe wie in der Prophetie von dem Feld der Gebeine. Die Blutungen hören auf, was zerstört ist, wird geheilt. Die Toten erhalten Geist und werden wieder lebendig. Wenn charismatische Christen glauben, selbst Wunder vollbringen zu können und so wie Gott im Traum Hesekiels oder wie Jesus im Evangelium handeln zu können, fürchte ich, dass sie die Prämisse missverstanden haben. Wir können nicht, aber Gott kann. Die Frau hatte viele Jahre lang Blutungen, und niemand konnte ihr helfen, und das Mädchen war schon tot. Sie konnten nichts tun. Sie hatten vermutlich alles versucht. So wie wir selbst immer erleben, dass wir alles versuchen, aber schließlich aufgeben und das Leben in die Hand Gotte legen müssen. So wie der Zufall uns trifft wie ein Kühler an einer Straßenkreuzung. Der Tod lässt sich nicht vermeiden. Er ist wirklich. Der Tod ist ein brutaler Punkt. Das sind unsere Bedingungen. Ich glaube, dass beide Geschichten vom Tod als einer Grundbedingung handeln. Hier in dieser finsteren Zeit feiern wir Allerheiligen. Nicht um die Toten zu erhöhen, sondern um ihrer zu gedenken, aber auch als ein memento mori, denke daran, dass du sterben musst. Der Tod war nie ein so großes Tabu wie heute. Es besteht ein guter Grund, von ihm zu reden und einzusehen, dass wir ihm nicht entgehen.

Die Alten nannten es risus pschalis, Osterlachen. Der Tod als Bedingen für das Leben. Wie es auf unserer Altartafel steht: „Tod, wo ist dein Sieg. Tod, wo ist dein Stachel“ (1. Kor. 15,55). Ein Bild dafür, dass das Leben siegen wird trotz des Todes. Das ist das Moment selbst des Christentums von Hoffnung und Lebensmut.

Die Hoffnung erhebt sich wie ein Vogel Phönix. Das Leben ist nicht sinnlos, der Mensch ist nicht verloren. Auch wenn wir den verlieren, den wir lieben, und auch wenn wir scheiden müssen, hat das Leben Sinn. Nicht ohne Schmerz und Kampf, sondern voller Kampf und Schmerz. Das sagen mit der Prophet Hesekiel und Jesus Christus heute.

In der Erzählung von der Tochter eines der Oberen sagt Jesus, dass die Tochter lebt. Und alle um ihn herum fangen an zu lachen. Sie lachen über ihn, als sei er ein Dorftrottel. Oder wie Sara lacht, als Gott der Herr sie besuchte in Mamrelund und zu Abraham sagte, dass seine alte Ehefrau ein Kind zur Welt bringen werde. Sie stand hinter dem Vorhang und lachte so schmerzhaft, denn sie war zu alt, um Kinder zu gebären. Aber im Jahr danach gebar sie einen Sohn Isaak, der Name bedeutet: „Sie lachte“. Das Osterlachen. Nun zeigt sich Gott wieder, in der Gestalt des Menschensohnes Jesus, und wieder lachen die Menschenkinder. Das Osterlachen. Als Jesus sie an die Hand nimmt und das Mädchen sich erhebt, verstummt das Lachen.

Es liegt an dir, ob du die Geschichte auf sich beruhen lässt. Dann stirbt sie, und sie stirbt in dir, und in diesem Sinne stirbst du in der Welt der Erzählung. Aber du kannst sie auch zu dir nehmen. Dann lebt sie, und dann wir die Erzählung lebendig, und Gottes Wort lebt in dir.

Das gnadenreiche Gericht des Evangeliums besteht darin: Auch wenn die Torheit des Menschen keine Grenzen kennt, geschieht das Unglaubliche, dass Gott sich erbarmt. Das ist die Zusage vom Kreuz: Trotz unseres Unvermögens, trotz unserer mangelhaften Einsicht und der Trägheit des Willens erhalten wir die Zusage, dass auch für uns ein Platz bereitet ist.

Wir hören eine Erzählung, die sich nicht selbst erzählt. Wir erhalten die Zusage, dass diese Kathedrale der Hoffnung auf unserem zweifelhaften Glauben beruht, sondern darauf, dass Gott an uns glaubt. Wir sollen nur Vertrauen haben.

So seid da guten Mutes. Der Herr dein Gott, Jesus Christus, sieht und hört dich. Er hört deine Klage und trägt deine Last mit dir und schenkt dir neues Leben durch die Vergebung der Sünden. Sei frei und freimütig und reiche dieses Evangelium hinaus an die, die es noch nicht gehört haben, so dass mehr verdorrte Beine warm werden und vertrauensvolle Herzen aus Fleisch und Blut.

„Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten“ (Epheser 5,14). Amen.

Pastor Rasmus Nøjgaard

DK-2100 København Ø

Email: rn(at)km.dk

de_DEDeutsch