Römer 8,18-25

Römer 8,18-25

23. Sonntag nach Trinitatis | 12.11.2023 | Röm 8,18-25 | Martina Janßen |

„Denn sehet, spricht Jesus im Evangelium, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ Ich möchte ihn fragen: Wo denn? Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Himmlisch geht es nicht zu auf der Welt. Kein Land, wo Milch und Honig fließen, kein Utopia in Sicht. Eher scheint mir die Hölle ihre Pforten ein bisschen weiter als sonst geöffnet zu haben. Wir werden täglich mit schlechten Nachrichten überflutet, mit Hiobsbotschaften attackiert, mit bad newsbombardiert: Konflikte, Kriege, Krisen wohin man sieht. Die Erde ächzt und stöhnt über die Klimakrise und reißt uns alle mit, Gewalt bricht sich vielerorts die Bahn und Hass entlädt sich auf unseren Straßen. Da braut sich nichts Gutes zusammen. Demokratie wirkt erbleicht, Angst lodert in hohen Flammen und stellt Freiheit und Empathie in den Schatten: Wir schaffen das nicht. Statt rosiger Aussichten drohen düstere Prognosen. So mancher hält es mit Karl Valentin: „Die Zukunft war früher auch besser.“ Angesichts des großen Leids in der Welt mag sich vielleicht der ein oder andere fragen: Fallen die Sorgen, Ängste und Schmerzen meines eigenen kleinen Lebens eigentlich noch ins Gewicht?  Ich denke schon. Der Druck wächst in so manchem Arbeitsleben, die alltäglichen Belastungen steigen, Inflation, Abstiegsängste, Depression machen sich breit. Bad news – jeden Tag, überall.  „Denn sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ Gehört diese frohe Botschaft, die wir heute in so vielen Kirchen hören, etwa zu den unzähligen fake news dieser Welt?

Paulus schreibt: 18 Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. 19 Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. 20 Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, doch auf Hoffnung; 21 denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt. 23 Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. 24 Denn wir sind gerettet auf Hoffnung hin. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? 25 Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.

Mich beeindruckt das. Paulus gibt mir ein wenig Antwort auf die Frage, wo und wie ich das Reich Gottes finden kann. Zwei Dinge trösten mich: Das Leiden-dürfen und das Hoffen-können. Paulus verleugnet das Leiden nicht. Die Schöpfung darf seufzen, sich in Sehnsucht wie in Wehen winden, auch wir Menschen dürfen das. Das ist mir wichtig. Wir dürfen klagen, fragen, ja sogar wie Hiob den Tag unserer Geburt verfluchen. Das hat mit Rumjammern, Sich-Anstellen oder Haltungslosigkeit nichts zu tun, sondern das kann der erste Schritt aus dem Schmerz sein. Ich habe in der Wohnung eines Freundes einmal ein Wandtattoo gesehen, das es auf den Punkt bringt: „The cure for pain is in the pain. These pains you feel are messengers. Listen to them“ (nach den Worten von Rumi, dem persischen Dichter und islamischen Mystiker aus dem Mittelalter). Klingt vielleicht paradox, aber der Schmerz zeigt, wo etwas nicht in Ordnung ist, wo ich etwas tun muss oder andere. Den Schmerz zuzulassen und auszusprechen, vielleicht auch hinauszuschreien, ist besser als stumm zu leiden, Angst herunterzuschlucken und Unrecht totzuschweigen, während es im Inneren pocht und hämmert, donnert und dröhnt und es sich so anfühlt, als würde man von innen totgeschlagen.

Der Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt veranstaltet dieser Tage einen Wettbewerb für Jugendliche mit dem Thema „Stimmen der Krise“. Es sind berührende Worte zwischen Trauer und Trotz, Klage und Anklage, Frage und Antwort. Geschichten von eigenen Fluchterfahrungen und von Polarbären in Gefahr, weil ihnen der Boden unter den Pfoten wegschmilzt; Geschichten von enttäuschter Liebe oder auch der beängstigenden Entdeckung, dass aus Kriegsspielen am PC plötzlich in so vielen Teilen der Welt bitterer Ernst geworden ist; Geschichten von der Angst, im Meer schlechter Nachrichten zu ertrinken, und dem Mut trotzdem weiter zu schwimmen. „Stimmen der Krise“. Ehrliche Worte, die nichts kaschieren oder schönreden, auch nicht dramatisieren oder im Panikmodus medial inszenieren. Schlicht Worte, die keine Angst vor der Angst haben, sondern sagen: Es tut weh. Damit beginnt die Heilung. „The cure for pain is in the pain.“

Das ist das eine. Das andere ist die Hoffnung. „Denn wir sind gerettet auf Hoffnung hin“ (Röm 8,24). Gottes Geist ist in dieser Welt, manchmal spürbar, manchmal versteckt und verdeckt, doch er ist da. All das, was wir erleben und erleiden, was uns leise bedroht oder lauthals niederbrüllt, hat nicht das letzte Wort. Da ist mehr. Eine Gewissheit, die ich nicht beweisen oder begründen kann, die in mein Leben strahlt, so dunkel es auch sein mag; eine Gewissheit, die mich manchmal streift und meine Schritte leicht macht und mein Herz springen und singen lässt und ich weiß nicht, wie und warum. Sie kommt und geht wie ein Blitz, der für einen Moment alles in Licht taucht, und fährt mir durch Mark und Bein wie ein Donnerschlag, der lange nachhallt. Daraus nährt sich meine Hoffnung. Meine Hoffnung ist weder toxische Positivität noch Zweckoptimismus und hat auch mit Durchhalteparolen nichts zu tun. Meine Hoffnung brennt in mir wie eine Flamme, wenn alles kalt und klamm ist. Echte Hoffnung ist wie ein „Vogel, der singt, wenn die Nacht noch dunkel ist“ (Tagore). Dadurch wird die Nacht nicht hell, aber im Lied des Vogels klingt der Morgen in das Dunkel hinein. Diese Hoffnung lähmt und betäubt mich nicht, sie ist keine Vertröstung, sondern Trost. Sie setzt mich in Gang. Gewiss, ich kann den Himmel nicht auf die Erde holen, aber ich kann mich kann mich mit meiner kleinen Kraft wie so viele gegen die Pforten der Hölle stemmen. „Die Tugend des Alltags ist die Hoffnung, in der man das Mögliche tut und das Unmögliche Gott zutraut.“ (Karl Rahner) Es tut gut, mir und anderen, vom Katastrophenmodus in den Hoffnungsmodus wechseln und das zu tun, was ich tun kann. Wahrheit ist immer konkret und es sind die kleinen Taten, die wir alltäglich tun können und die es besser machen für uns und andere: nicht Öl ins Feuer gießen, sondern Brände löschen; kein Salz in die Wunden streuen, sondern Wunden heilen und Leiden lindern; Ängste nehmen, statt sie zu schüren; keinen Willen brechen, sondern andere aufrichten und ihr Rückgrat stärken. Vieles liegt an uns, jeden Tag und jede Nacht, doch alles liegt in Gottes Hand: unser Schmerz und unser Scheitern, unsere kleine Kraft und unsere große Hoffnung.  „Denn sehet, spricht Jesus im Evangelium, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ – Mitten im Schmerz und mitten in der Hoffnung wächst es beständig und subversiv. Gottes Reich ist keine Utopie. Es ist das zarte Lied eines Vogels mitten im dystopischen Donnern und Dröhnen unserer so verletzten und verletzlichen Welt. Sein Lied klingt weiter, wenn all das Tosen und Toben des Todes verstummt und nichts als Friede ist.

Amen

PD Dr. Martina Janßen

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