Matthäus 27

Matthäus 27

Was tut man in einer Abschiedssituation! Wenn man auf der Schwelle von der einen Zeit zur anderen steht? Was tut man, wenn man dasteht und jemanden verlassen soll, Leute sich selbst überlassen soll, weil man selbst wo anders hin soll?
Man spricht ein Gebet? Davon handelt die Predigt heute.

1.
Jesus ist mit seinen Jüngern zusammen, ehe er sie verläßt. Am Donnerstag, dem Himmelfahrtstag, hören wir von seinem Fortgang. Heute geht es um seine letzten Worte, die Worte, wo er sein Leben zusammenfaßt und die Bedeutung, die es gehabt hat. Was habe ich zustande gebracht? Was habe ich gewollt? Welche Konsequenz hat es?
Jesus hat getan, was er sollte. Nämlich Menschen zu zeigen, wer Gott ist. Und das ist das ewige Leben: Gott zu kennen und Gott in Jesus zu kennen.
Und deshalb handelt das Gebet auch davon, daß alle die, die an Gott glauben, sich auch an ihn halten und an Gott festhalten werden. Trotz aller Unterschiede bindet der Glaube an Gott zusammen. Zu einer Einheit, einem Zusammenhang.
Vielleicht ist es auch das, was uns verbindet. Hier und heute. Wir kommen aus jeweils unserem Zusammenhang. Wir sind verschieden – Kinder und Alte, Junge und Erwachsene, Familien und Alleinstehende, wirtschaftlich Gutgestellte und Wenigerbemittelte – aber wir sitzen hier im selben Raum, sehen in dieselbe Richtung – zum Altar, wir haben unsere Gedanken auf Gott gerichtet.
In unserer Verschiedenheit haben wir doch den Gottesdienst gemeinsam. Der Gottesdienst hebt unsere Besonderheiten auf, unsere Spezialitäten. Der Gottesdienst macht uns allgemein. Und das ist eine große Gnade.

2.
Wenn wir danach fragen, worin das allgemeine Leben nach dem Evangelium des heutigen Tages besteht, dann kann das in dem Wort „geben“ zusammengefaßt werden. Das Wort taucht zehn Mal auf in den elf Versen, die ich vorgelesen habe. Man kann in verschiedener Weise geben. In einem Verhältnis zu einem Partner gibt man etwas und bekommt etwas dafür. Das gilt typisch, wenn wir einkaufen. Aber man kann auch in einer ganz anderen Weise geben, wo die Gabe in sich entscheidend ist.
Das erste, wo wir etwas geben und etwas dafür bekommen, geschieht, wenn wir ein paar Euro geben und dafür eine Zeitung bekommen. Verlangt der Händler 10 Euros, bekommt er sie nicht, und ich bekomme auch keine Zeitung. Denn bei einem Kauf muß das, was wir geben, dem entsprechen, was wir bekommen. Eine Hand wäscht die andere. Wo wir handeln und tauschen, sind diese Dinge wichtig.
Man muß sich nur einig sein über den Wert. Und unser Leben ist voll von solchen Absprachen, wo ich meinen Beitrag leiste und der andere den seinen. Die Partner, die sich austauschen, brauchen einander nicht zu kennen. Nicht das Verhältnis zwischen ihnen ist entscheidend, sondern das, was den Besitzer wechselt. So ist es, wenn wir zu NETTO, SPAR gehen, zum Arzt, zu unserem Anwalt. Eine Hand wäscht die andere. Wir machen einen Handel, das ist eine praktische Veranstaltung, aber problematisch wird es, wenn wir als Mitmenschen miteinander so handeln, also wenn wir den Mitmenschen verdinglichen.

3.
Das Gebet Jesu ist ein anderes Geben. Es entspricht dem, wo Eltern ihrem Kind einen Kuß geben, wo der Geliebte einen Blumenstrauß erhält und der Ehegatte ein Geburtstagsgeschenk. Diese Verhältnisse zwischen Eltern und Kindern, Geliebten und Eheleuten und zwischen Freunden sind dadurch gekennzeichnet, daß die Beziehung schon zuvor besteht. Sie besteht vor der Gabe, die gegeben wird.
Und es ist nicht entscheiden, was gegeben wird, sondern daß gegeben wird. Die Beziehung hängt nicht von der Gabe ab, sondern die Gabe bestätigt, daß eine Beziehung besteht. Nicht eine Birne für einen Apfel, sondern eine Birne, weil, ich nicht anders kann.
Aber dann muß man fragen: Die Gabe, die man seinen Kindern, seinem Ehepartner, seinen Freunden gibt – bekommt der Geber nichts dafür? Seht wohl, man bekommt etwas. Aber der entscheidende Unterschied zu einem Handel beim Kaufmann besteht darin, daß man nicht gibt, um etwas dafür zu bekommen, sondern daß wir das, was wir bekommen, bereits im Voraus bekommen haben: die Freude der Kinder, die Lebe des Ehepartners und die Freundschaft der Freunde.
Die Gabe ist Zeichen für das, was ist. Und das, was ist, bekomme ich, wenn ich gebe.

4.
Es ist wohl in dieser Weise zu verstehen, wenn Jesus von dem spricht, was er von Gott bekommen hat. Das ist kein Handel, sondern Teil einer lebendigen Beziehung zwischen ihm, uns und Gott. Wie wenn er sagt: „Ich habe deinen Namen offenbart den Menschen, die du mir von der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben“.
„Sie waren dein“. Wieder dies, daß wir trotz unserer Verschiedenheit ihm gehören. Jeder Mensch, hoch oder niedrig, jung oder alt, gehört Gott, ganz gleich ob wir mit ihnen so umgehen, als gehörten sie uns, und unser Verhältnis zu ihnen zu einem Handel machen. Was wir ja oft tun.
Man denke nur an die Klischees:
Wenn wir unseren Kindern eine gute Erziehung geben, dann haben sie gefälligst auch dankbar zu sein.
Wenn der Ehepartner meine Liebe empfängt, habe ich auch Anspruch auf seine Liebe.
Und wenn ich Zeit für meine Freunde aufbringe, habe ich auch etwas zugute, sonst wären wir keine Freunde.
So läuft es, wo Menschen nicht Gott gehören und wir einander besitzen wollen. Wenn wir umrechnen nach dem Motto: Eine Hand wäscht die andere.
Beim Gott des Lebens aber ist es anders. Und die Erfahrung lehrt uns das.
Die Liebe der Eltern zu ihren Kindern ist nicht wie die der Kinder zu ihren Eltern und soll auch nicht so sein. Da wird immer ein Unterschied sein.
Und auch in dem harmonischsten Verhältnis zwischen zwei Partnern wird nicht mit derselben Liebe geliebt.
Es gibt keinen gemeinsamen Nenner in einem lebendigen Verhältnis. Den gibt es nur in einem Handel – mit Zeitungen, Autos, Brot. Aber in der Liebe gibt es keine Umrechnungstabelle, daß ich das bekomme, wofür ich bezahlt habe.

5.
„Ich habe deinen Namen offenbart den Menschen, die du mir von der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben“. So betet Jesus zu dem Gott, den er seinen Vater im Himmel nennt, weil er in einer lebendigen, engen und liebenden Beziehung zu ihm steht.
Zwei Dinge sind in diesem Gebet wichtig:
1. Die Worte darüber, daß der Mensch aus der Welt genommen ist. Wie schon gesagt: Wir sind verschieden, aber hier in diesem Haus sind wir dieselben: Wir sind aus der Welt genommen hinein in den heiligen Raum. Das ist nicht etwas Besonderes. Ich meine: Das ist nicht etwas Überraschendes, daß Gott die Menschen aus der Welt nimmt. Jede Beziehung entsteht ja dadurch, daß einer andere aus ihrer Welt in seine eigene nimmt. Nehmt die Kinder, die wir heute taufen: Sie gehören bestimmten Eltern, die haben Paten für sie gewählt. Die sind aus der Welt genommen. Da ist ein bestimmter Ring um ihre Beziehung gezogen.
Oder eine Liebesbeziehung: Der eine hat den anderen aus der Welt genommen – ein Ring ist um die Beziehung gezogen.
So auch mit Gott. Wer ist der Gott, der uns aus der Welt genommen hat?
Ist es der Gott, der Abraham verheißen hat, er werde ein großes Volk werden, und der ihm in seinem Alter eine Sohn gab – um ihn am Berg Moria wieder zurückzufordern? Gott verlangte von Abraham Isaak als Opfer, den Sohn, den ihm Gott selbst gegeben hatte?!
Oder ist es der Gott, dem Moses auf dem Berg Sinai begegnete, wo er die zehn Gebote als Gabe erhielt? Aber als Gott sah, daß die Menschen die Gebote nicht hielten, sandte er die Heere des Feindes über das Land. Ist das der Gott der Rache, der die straft, die nicht zurückzahlen können, und der gibt, um zu bekommen?
Nein! Das ist nicht der Gott, der der Vater Jesu im Himmel ist, oder unser Gott! Jesus fährt ja auch fort in seinem Gebet: „Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben“.
Das ist die Wende. Wir gehören einem anderen Gott als dem Gott der Rache. Einem anderen Gott als dem, der opfert. Wir sind von dem Gott erwählt und gehören dem Gott, von dem Jesus im Evangelium erzählt.
Das ist in Wahrheit erfreulich. Das bedeutet, daß Gott nicht nur ein gebender Gott ist, sondern ein vergebender Gott. Gott ist wie ein Vater, der seinem verlorenen Sohn entgegenläuft und ihm und uns alles wiedergibt, was verspielt worden ist. Alles kann man verlieren, nur nicht die Liebe Gottes. Sie dauert von für ewig und zum ewigen Leben.
Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geist. Wie es war im Anfang, so auch immerdar. Und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Pfarrer Jørgen Demant
Hjortekærsvej 74
DK-45 88 40 Lyngby
Tel.: ++ 45 – 45 88 40 75
email: j.demant@wanadoo.dk

 

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