Matthäus 27,33-54

Matthäus 27,33-54

Gott stirbt gegen die Grausamkeit der Menschen | Karfreitag | 29.04.2024 | Mt 27, 33-54 | Peter Schuchardt |

Die Gnade unsere Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen

Der heutige Predigttext steht in Mt 27, 33-54:

33So kamen sie zu der Stelle, die Golgota heißt – das bedeutet: Schädelplatz.34Sie gaben Jesus Wein zu trinken, der mit Galle gemischt war. Er versuchte davon, wollte ihn aber nicht trinken.

35 Dann kreuzigten sie ihn. Sie verteilten seine Kleider und losten sie untereinander aus.36Danach setzen sie sich hin und bewachten ihn.37Über seinem Kopf brachten sie ein Schild an. Darauf stand der Grund für seine Verurteilung: »Das ist Jesus, der König der Juden.«38Mit Jesus kreuzigten sie zwei Verbrecher, den einen rechts, den anderen links von ihm.

39Die Leute, die vorbeikamen, lästerten über ihn. Sie schüttelten ihre Köpfe40und sagten: »Du wolltest doch den Tempel abreißen und in nur drei Tagen wieder aufbauen. Wenn du wirklich der Sohn Gottes bist, dann rette dich selbst und steig vom Kreuz herab!«41Genauso machten sich die führenden Priesterzusammen mit den Schriftgelehrten und Ratsältestenüber ihn lustig. Sie sagten: 42»Andere hat er gerettet. Sich selbst kann er nicht retten. Dabei ist er doch der ›König von Israel‹! Er soll jetzt vom Kreuz herabsteigen, dann glauben wir an ihn.43 Er hat auf Gott vertraut –der soll ihn jetzt retten, wenn er Gefallen an ihm hat. Er hat doch behauptet: ›Ich bin Gottes Sohn.‹«44Genauso verspotteten ihn die beiden Verbrecher, die mit ihm gekreuzigt worden waren.

45Es war die sechste Stunde, da breitete sich Finsternis aus über das ganze Land. Das dauerte bis zur neunten Stunde.46Um die neunte Stunde schrie Jesus laut: »Eli, Eli, lema sabachtani?« Das heißt: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?«

47Als sie das hörten, sagten einige von denen, die dabeistanden: »Er ruft nach Elija.«48Sofort lief einer von ihnen hin, nahm einen Schwamm und tauchte ihn in Essig. Dann steckte er ihn auf eine Stange und hielt ihn Jesus zum Trinken hin.49Aber die anderen riefen: »Lass das! Wir wollen sehen, ob Elija kommt und ihn rettet.«50Aber Jesus schrie noch einmal laut auf und starb.

51In diesem Moment zerriss der Vorhang im Tempel von oben bis unten in zwei Teile. Die Erde bebte, und Felsen spalteten sich.52Grabkammern öffneten sich, und die Körper vieler verstorbener Heiliger wurden auferweckt.53Nach der Auferstehung von Jesuskamen sie aus ihren Grabkammern heraus. Sie gingen in die Heilige Stadt, wo sie von vielen Menschen gesehen wurden.

54Ein römischer Hauptmann mit seinen Soldaten bewachte Jesus. Sie sahen das Erdbeben und alles, was geschah. Da fürchteten sie sich sehr und sagten: »Er war wirklich Gottes Sohn!«

Liebe Schwestern und Brüder,

ist der Mensch gut? Ist er böse? Oder ist uns in uns Menschen beides, gut und böse? Wir sind sicher zu beidem fähig, zum Gutem und zum Bösen. Menschen haben wunderbare Werke geschaffen, ich denke an die Musik Johans Sebastian Bachs, die Bilder von van Gogh, an Lieder, die das Herz berühren. Menschen helfen einander in Notsituationen, trösten Trauernde, sind gut zueinander. Und das ist tröstlich, dass wir das wissen und dass wir uns daran erinnern. Denn heute, am Karfreitag, da hören wir von böser Grausamkeit, die Menschen einem anderen Menschen antun. Dieser andere ist Jesus Christus. Er ist seinen Weg gegangen vom Stall von Betlehem über seine Taufe im Jordan hin zu uns Menschen. Vor allem den Armen, den Traurigen, den Verlorenen hat er sich zugewandt, liebevoll zugewandt. Er hat Menschen geheilt. Er hat Hoffnung gegeben. Die Menschen spürten: Gott ist mit diesem Mann. Wir können Gottes Liebe spüren, wir können sie sehen in dem, was er tut, und wir können sie in seinen Worten hören. Jesus ist seinen Liebesweg weitergegangen bis nach Jerusalem. In der Hauptstadt, so hofften seine Jünger, da würde nun endlich Gottes neue Welt, sein Reich, Wirklichkeit werden. Endlich würde eine neue Zeit anbrechen.

Doch es kommt ganz anders. Jesus wird verhaftet, er wird verhört, gefoltert und zum Tod verurteilt. Am Kreuz soll er sterben, so wie ein Verbrecher und Aufrührer. „Kreuzige ihn!“ so haben die Menschen gerufen, als Pilatus fragte: „Was soll ich denn nun mit diesem Jesus machen? „Kreuzige ihn!“ Mancher, der nun den Tod forderte, hatte wenige Tage zuvor noch voller Freude „Hosianna“ gerufen, hatte Jesus zugejubelt und in ihm den neuen König gesehen. Doch nun sehen sie nur eine zerschlagene Gestalt mit einer Dornenkrone. Die Soldaten hatten ihn gefoltert, er blutete aus vielen Wunden. Sieht so ein König aus? Dann bringen sie Jesus hinaus aus der Stadt. Denn er soll draußen vor den Stadtmauern sterben. Golgatha, Schädelstätte, so heißt der Hügel, auf dem er gekreuzigt wird. Rechts und links errichten sie noch zwei andere Kreuze. Denn auch zwei Räuber werden mit Jesus hingerichtet. Es sind viele Menschen gekommen, um sich das anzugucken. Die Freunde von Jesus, seine Jünger, die sind nicht dabei. Sie sind vor Angst weggelaufen. Nur die Frauen wagen es und sehen sich das, aber nur von der Ferne[1]. Ohnmächtig müssen sie miterleben, wie Jesus stirbt. Doch um das Kreuz herum stehen viele: Schaulustige, Priester, Schriftgelehrte, und Soldaten. Die Soldaten haben einen grausamen Spaß gemacht: Über dem Kopf von Jesus haben sie eine Tafel angebracht: „Hier hängt Jesus, der König der Juden“. Als sie das Kreuz aufgestellt haben, spielen sie noch ein Würfelspiel um seine Kleider. Die braucht er ja nun nicht mehr. Nackt hängt er am Kreuz.

Drei Männer sterben hier. Doch es herrscht keine ergriffene Stille angesichts des Todeskampfes. Nein, die Leute verhöhnen Jesus und lachen ihn aus: „He Jesus, du wolltest doch den Tempel abreißen und in drei Tagen wieder aufbauen! Was ist denn nun damit?“ Andere rufen: „Wenn du Gottes Sohn bist, dann steig runter von deinem Kreuz. Dann glauben wir auch an dich.“ So hatte schon der Teufel in der Wüste versucht, Jesus vom richtigen Weg abzubringen. Und noch andere spotten: „Der hat doch so viele gerettet. Aber sich selber retten kann er nicht, dieser König der Juden!“ Doch sie merken gar nicht, dass in ihrem Spott immer wieder die Wahrheit über Jesus aufleuchtet. Ja, er hat viele gerettet. Ja, er ist Gottes Sohn. Ja, er wird nach drei Tagen einen neuen Tempel errichten, mit seiner Auferstehung wird er eine Gemeinschaft gründen, in der alle Menschen Gott anbeten können. Er ist der König der Juden, ja noch mehr, der König der Könige. Die Spötter sprechen die Wahrheit über Jesus aus, ohne sie selber zu erkennen[2]. Aus Grausamkeit geben die Soldaten Jesus Wein zu trinken, der mit Galle gemischt ist und unglaublich bitter schmeckt. Jesus probiert davon, aber er mag ihn nicht trinken.

Ist der Mensch gut? In der Erzählung vom Sterben Jesu zeigt uns Matthäus: Der Mensch ist grausam. Er freut sich, daran, wenn es einem anderen schlecht geht. Ja, selbst die beiden Räuber, rechts und links, die beschimpfen Jesus und verhöhnen ihn. Da gibt es keine Solidarität der Leidenden. Die, die selber bald sterben müssen, die wie Jesus verzweifelt nach Luft atmen, denen es so schlecht geht, die freuen sich, ein letzter Triumph: „Ha, hier ist jemand, der ist noch schlechter dran als wir. Dem werden wir es zeigen, wenn es das letzte ist, was wir tun.“ Neben der körperlichen tritt die moralische Vernichtung.[3]

Das ist schwer auszuhalten, und Matthäus erzählt noch weiter. Der Himmel verdunkelt sich, es ist, als ob Gott den ersten Schöpfungstag wieder rückgängig machen [4] und die Welt in den chaotischen Urzustand zurückversetzen will, als alles dunkel und öde war. Drei Stunden lang dauert diese Finsternis, und drei Stunden stirbt Jesus einen langen, qualvollen Tod. Dann, um drei Uhr nachmittags, ruft er laut: „Eli, Eli, lema sabachtani!“, das ist aramäisch und meint „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Es ist der Psalm 22, den Jesus kurz vor seinem Tod betet. Doch die Leute verstehen ihn nicht genau. Einige sagen: „Er ruft nach Elia, dem großen Propheten des Alten Testamens.“  Wenn Elia wiederkommt, so glauben die frommen Juden und Jüdinnen, dann wird Gott sein Reich errichten. Einer will Jesus in seinem Todeskampf etwas zu trinken geben und hält ihm einen Stock mit einem Essigschwamm hin. Doch dann rufen sie: „Warte mal, lass uns mal sehen, ob Elia wirklich kommt.“ Es sind Schaulustige, Gaffer, wie es sie zu allen Zeiten gab und gibt. Die sehen in der Hinrichtung eine Show, ein Spektakel, etwas, was einen wohligen Schauer über ihren Rücken laufen lässt. Doch Elia kommt nicht. Dann schreit Jesus noch einmal laut auf und stirbt. Was machen nun all die Leute, die Gaffer, die Priester, die Schriftgelehrten? Ich stelle mir vor, sie gehen einfach nach Hause, denn sie haben ja Hunger, das Ganze hat lange gedauert, aber sie haben ja etwas zu sehen bekommen. Sie hatten ihren Spaß. Von dieser Kreuzigung werden sie noch lange erzählen.

Matthäus erzählt uns hier viel über die Menschen. Ja, so grausam waren sie. Doch er sagt noch mehr: Ja, so grausam sind wir. Denn es ist entsetzlich und oft kaum auszuhalten, was Menschen einander antun. Wir hören und lesen immer wieder von körperlicher und seelischer Gewalt, von Misshandlungen, von Missbrauch, von Terror, von Dingen, für die uns oft die Worte und die Vorstellungskraft fehlen. Ihr werdet Nachrichten und Meldungen davon im Kopf haben. Oft sind diese Nachrichten so grausam, dass wir fragen: Wie kann das sein? Wie kann ein Mensch einem anderen so etwas antun? Die Antwort, die Matthäus uns gibt, die ist nicht leicht. Er sagt: Weil wir Menschen sind. Weil wir dazu fähig sind.

Und wo ist Gott? Kann er nicht ein Wort sagen? Kann er uns nicht zur Vernunft bringen? Doch ganz ehrlich: Das wissen wir doch alles längst. Wir wissen, was Gott von uns möchte[5] – und doch handeln wir oft so grausam und unmenschlich, rauben dem anderen seine Würde, machen uns über sein Unglück lustig, verhöhnen den, der doch schon geschlagen am Boden liegt oder am Kreuz hängt. Warum greift Gott nicht ein? Ich kann diese Frage verstehen, und doch denke ich: Wer so fragt, der nimmt dem Täter seine Verantwortung. Der schiebt sie auf Gott. Aber es sind Menschen, die einem anderen Menschen das antun. Es ist nicht Gott. Doch Gott setzt sich diesem Leiden aus. Er nimmt es auf sich. Er hält es aus. Gott hält uns aus, in all unser Boshaftigkeit und Grausamkeit. Er nimmt das auf sich, um uns zu zeigen: Das ist nicht alles. Nicht eure Grausamkeit und euer Bösesein sollen die Welt bestimmen. Und das lässt mich hoffen. Denn überlegt einmal, liebe Schwestern und Brüder: Wie grausam wäre eine gottlose Welt, eine Welt, die nur uns Menschen überlassen wäre. Wir müssten alles Grausame und Böse, das Menschen gegen andere Menschen aushecken und tun, alleine tragen. Ich glaube: Wir würden daran zugrunde gehen. Aber Gott lässt uns nicht allein. Er geht mit Jesus ans Kreuz, er geht mit ihm in den Tod, er stirbt an unserer menschlichen Grausamkeit.

Aber das ist nicht das Ende. So weit sind wir heute, am Karfreitag, noch nicht. Aber wir wissen ja mehr. Wir gehen auf Ostern zu. In drei Tagen werden wir hier miteinander die Auferstehung Jesu feiern, werden fröhlich singen und das Licht der Osterkerze einander weitergeben. Denn diese Grausamkeit, das Böse, wird nicht siegen. Gott besiegt den Tod, die Grausamkeit und das Böse. Er bringt sein Licht in das Dunkel der Welt und unseres Lebens. Auch davon erzählt uns Matthäus. Denn als Jesus stirbt, zerreißt im Tempel der Vorhang. Dieser Vorhang trennte die Welt von Gott ab. Nun ist der Weg zu Gott frei. Für jeden. Davon erzählt Matthäus uns am Ende. Ein römischer Hauptmann, der das alles mitangesehen hat, der sagt mit seinen Soldaten: „Dieser Jesus war wirklich Gottes Sohn!“ Am Ende steht ein Glaubensbekenntnis. Aber es das Bekenntnis eines Heiden, eines Menschen, der nicht an den Gott der Bibel glaubt. Sein Gott war der römische Kaiser, der war in den Augen seiner Untertanen ein Sohn Gottes. Doch nun erkennt der Hauptmann: Nicht in der militärischen Stärke Roms oder irgendeines anderen Regimes liegt die Wahrheit, sondern in der Liebe. In der göttlichen Liebe, die sich gegen alle Grausamkeit für uns Menschen hingibt. Diese Liebe wird den Tod und alle Todesmächte, wie immer sie auch heißen mögen, besiegen.

Amen

Liedvorschläge:

EG 91 „Herr stärke mich, dein Leiden zu bedenken“

EG 97 „Holz auf Jesu Schulter“

Himmel, Erde, Luft und Meer (Beiheft der Nordkirche) 21„Kreuz, auf das ich schaue“

EG 93 „Nun gehören unsre Herzen“

 

Fürbittgebet

Barmherziger Gott,

unter dem Kreuz deines Sohnes kommen wir vor dich und bitten dich:

Lass uns nicht allein.

Stärke unser Herz und unseren Glauben.

Oft drohen wir zu verzweifeln, wenn wir sehen,

was Menschen einander antun.

Dann wollen wir aufgeben.

Du aber gibst uns nicht auf.

Du gibst dich für uns hin.

Lass uns die Zeichen deiner Hingabe erkennen.

Lass uns bei dir bleiben, auch in unseren schweren Tagen.

Wir bitten dich für alle, die unter Krieg, Terror und Folter leiden.

Sei du ihnen nahe.

Schenke ihnen Hoffnung,

dass ihre Peiniger und Peinigerinnen nicht gewinnen werden.

Wir denken an die, die in ihrem Leben nicht mehr zurechtkommen.

So viele sind in der Sucht, in der Trauer, in der Angst gefangen.

Lass sie spüren: du bist da.

Leuchte mit deinem Licht in ihr Dunkel.

Wir bitten dich für alle Christen und Christinnen,

die verfolgt werden,

die ihren Glauben nicht frei leben können.

Mach du ihnen Mut.

Erfülle ihr Herz mit Zuversicht.

Unter dem Kreuz deines Sohnes kommen wir vor dich und bitten dich:

Erbarme dich unser.

Erbarme dich dieser Welt.

Amen

Pastor Peter Schuchardt

Bredstedt

E-Mail: peter.schuchardt@kirche-nf.de

Peter Schuchardt, geb. 1966, Pastor der Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), seit 1998 Pastor an der St. Nikolai Kirche in Bredstedt/Nordfriesland (75%), seit 2001 zusätzlich Klinikseelsorger an der DIAKO NF/Riddorf (25%).

[1] Mt 27,55

[2] Vgl. die Auslegung zu Mt 27, 33-54 von Rainer Stuhlmann in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext. Zur Perikopenreihe VI, Berlin 2023; S.147

[3] Vgl. Gottfried Voigt, Die bessere Gerechtigkeit. Homiletische Auslegung der Predigttexte. Neue Folge: Reihe V, S.190

[4] 1Mose 1,3-4

[5] Mi 6,8

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