Matthäus 3,13-17

Matthäus 3,13-17

Predigt zu Matthäus 3,13-17, verfasst von Peter Kusenberg


13 Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes,
dass er sich von ihm taufen ließe.
14 Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von
dir getauft werde, und du kommst zu mir?
15 Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt geschehen! Denn
so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ
er’s geschehen.
16 Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser.
Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes
wie eine Taube herabfahren und über sich kommen.
17 Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber
Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Liebe Gemeinde,

die Neuigkeit hatte sich rasch herumgesprochen: da ist ein Mann in die
Wüste gezogen, ein Priestersohn mit Namen Johannes. Er lebt dort
unter einfachsten Verhältnissen und predigt, das Himmelreich sei
nahe. Er ruft die Menschen, die zu ihm kommen, zur Buße auf und
tauft sie im Fluss Jordan. Und es kommen viele. Aus Jerusalem, aus der
ganzen Provinz Judäa und den Ländereien am Jordan, kommen sie
in Scharen, berichtet das Evangelium.

Und dann kommt auch Jesus aus Nazareth, aus den Bergen Galiläas,
hinunter an den Jordan, um sich von Johannes taufen zu lassen. Zuerst
wehrt Johannes ab: er sei nicht würdig genug, Jesus zu taufen – eher
müsse es umgekehrt sein. Doch Jesus besteht darauf: Gottes Gerechtigkeit
– mit anderen Worten: Gottes Wille – soll erfüllt werden.

So geschieht die Taufe. Und als Jesus wieder aus dem Fluss steigt, „da
weitete sich der Horizont wie ein offener Himmel, und er hörte die
Stimme, er sei der Mann nach dem Herzen Gottes“, so hat es einmal
jemand beschrieben [Zitat: Kurt Wolff, Ein Maulbeerbaum für die Übersicht].

Viele unter uns kennen diese Geschichte, liebe Gemeinde. Die Taufe Jesu
ist fester Bestandteil des Kindergottesdienstes, den Konfirmandinnen und
Konfirmanden begegnet sie im Unterricht wieder, und in keinem der zahlreichen
Filme über das Leben Jesu fehlt die Szene.

Wie nehmen wir heute diese Geschichte auf? Als biografische Notiz aus
dem Leben Jesu, der Vollständigkeit wegen vom Evangelisten überliefert?
Als Erinnerung an unsere eigene Taufe? Gibt es einen Zusammenhang zwischen
der Taufe Jesu und meiner eigenen Taufe? Und wenn ja, welchen?

Sehen wir doch ruhig noch mal näher hin. Denn Geschichten, die uns
nicht neu sind, verleiten manchmal dazu, allzu rasch zu denken: Ja, kennen
wir schon. Die alte Geschichte. So und so war’s. Und fertig.

Das ist eine aus heutiger Sicht ganz natürliche Denkweise. Bei der
Flut aus Informationen, die uns täglich überschwemmt, haben
wir kaum noch die Zeit und die Möglichkeit, ein zweites Mal zu hören,
zu lesen oder nachzudenken – es sei denn, es gibt überraschend Neues
in einer altbekannten Angelegenheit.

Biblischen Texten werde ich so aber nicht gerecht. Wenn Matthäus
die Taufe Jesu beschreibt, dann muss ich wissen, dass ich keine Reportage
aus der „Jesusalemer Morgenpost“ vor mir habe, sondern einen
Text, der erst viele Jahre später und mit einer bestimmten Absicht
verfasst wurde. Ich muss – anders ausgedrückt – die Denk- und Sichtweise
der damaligen Welt berücksichtigen.

Ich nenne ein Beispiel. Johannes sagt: „Ich bedarf dessen, dass
ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?“ Woran erkennt eigentlich
der Täufer, wer da zu ihm kommt? Jesus ist bislang noch nicht öffentlich
aufgetreten, es geht ihm noch kein Ruf voraus. Eine Eingebung, eine innere
Stimme?

Nein. Es ist sogar die Frage, ob es den Wortwechsel zwischen Johannes
und Jesus überhaupt so gegeben hat; im älteren Evangelium des
Markus fehlt er nämlich. Die Lösung: Johannes weiß, wer
Jesus ist, weil Matthäus es seinen Lesern bereits in den vorangegangenen
Kapiteln mitgeteilt hat. Eine seltsame Logik, die aus unserer Sicht überraschen
mag. Matthäus betont damit die Dramaturgie der Szene: die Überordnung
Jesu zeigt sich gerade darin, dass er sich in der Taufe Johannes unterordnet
und damit Gottes Willen erfüllt.

Wir finden diese Symbolik der Unterordnung später wieder, als Jesus
seinen Jüngern die Füße wäscht, und sie erreicht
den Gipfel in seinem Weg ans Kreuz, wo er, selbst ohne Schuld, die Schuld
der Menschen auf sich nimmt.

Es geht in der Denk- und Sichtweise biblischer Texte weniger darum, wie
etwas geschehen ist, sondern was geschehen ist und warum
es geschehen ist. Für unseren Predigttext bedeutet das: Es ist bei
der Taufe Jesu nicht wichtig, ob der Geist Gottes nun in Gestalt einer
Taube über ihn kam, sondern dass er über ihn kommt. Es
ist nicht wichtig, ob der Himmel sich in diesem Moment sichtbar auftat,
sondern darum, dass er nun offen ist, weil Gott sich uneingeschränkt
auf die Seite des Menschen Jesus stellt.

Und dann ist die Geschichte von der Taufe Jesu auf einmal keine „alte“
Geschichte mehr, die von längst vergangenen Dingen handelt. Eine,
die ich mit einem „Ach ja, das da“ zurückstelle, wie ein
aus dem Regal gefallenes Buch. Sondern ich beginne in dem Buch zu blättern,
zu lesen, erinnere mich…

Mein erster Gedanke: Ich bin ja auch getauft. Und das heißt: ich
gehöre zu Jesus Christus. Auch zu mir sagt Gott Ja. Auch mir steht
der Himmel offen, ist der Weg zu Gott frei.

Doch kaum ist der Gedanke geformt, da meldet sich eine andere Stimme
in mir: „Du willst zu Christus gehören? Du? Schau dich doch
mal an. Deine Angst, dein Egoismus, dein Unfrieden. Glaubst du im Ernst,
dass Gott etwas mit dir zu tun haben will?“

„Ja.“ Ich bin erstaunt, fast ein wenig erschrocken, dass ich
den Mut aufbringe, dieser Stimme zu widersprechen. „Ja“, sage
ich. „Denn genau deshalb ist Gott in Jesus Mensch geworden. Einer,
der gerade zu denen ging, die sonst immer nur hörten: Du? Du bist
krank – wer weiß, was du ausgefressen hast. Gott straft dich dafür.
– Du? Unmoralisch, wie du bist, sollte man dich…na ja, du weißt
schon. Für diese Menschen war er da. Warum sollte er nicht auch für
mich da sein?“

Die andere Stimme setzt neu an, nach kurzem Zögern: „Und warum
merkst du dann nicht öfter, dass er auf deiner Seite steht? Warum
misslingt dir so vieles, trotz gutem Willen? Warum bist du manchmal so
niedergeschlagen und mutlos? Wenn Gott tatsächlich Ja zu dir gesagt
hat, schon in deiner Taufe, woran spürst du das in deinem täglichen
Leben?“

„Vielleicht achte ich zu wenig darauf“, antworte ich im Stillen.
„Vielleicht richte ich meine Augen und Sinne zu oft auf Dinge, die
sich in den Vordergrund drängen, ohne wirklich wichtig zu sein. Aber
eines weiß ich: es hat Stationen in meinem Leben gegeben, da habe
ich es gespürt, dass da einer an meiner Seite geht. Wo etwas gelungen
ist, unverhofft, unerwartet. Wo ich anderen Menschen helfen konnte und
fühlte, wie dankbar sie sind.

Und umgekehrt: wo ich Trost, Zuspruch und Aufmunterung bekam, in Augenblicken,
wo ich dachte: das schaffst du nicht. Wo ich zweifelte, unsicher war,
welchen Weg ich gehen sollte, und jemand sich Zeit für mich nahm,
zuhörte und mir guten Rat gab.“

Und je länger ich nachdenke, desto mehr solcher Erfahrungen fallen
mir wieder ein – seltsam, wie vieles davon ich schon fast vergessen hatte.

Die andere Stimme in mir, die Stimme des Zweifels, ist verstummt. Nicht
für immer, das weiß ich. Sie wird sich wieder melden. Wenn
Schwierigkeiten auftauchen, wenn Missverständnisse entstehen, wenn
harte Worte fallen. Aber ich weiß auch: Gott bleibt an meiner Seite,
wie ein wirklicher Freund, der mit mir durch Dick und Dünn geht.
In nicht nachlassender Ausdauer und Geduld. Auch dann, wenn ich ihn einmal
aus den Augen verliere, wenn der Zweifel mir den Blick vernebelt, verliert
er mich nicht aus den Augen.

Keinen von uns.

Amen.

[Anmerkung: als alternativer Predigtschluss bietet sich auch die folgende
Geschichte an (die Quelle ist mir nicht bekannt), von der ich allerdings
nicht weiß, wie verbreitet sie in den Gemeinden ist:

Eines Nachts hatte ein Mensch einen Traum. Er träumte, er ginge
am Strand entlang – mit Gott. Über den Himmel hin leuchteten die
Szenen aus seinem Leben auf. Für jede Szene bemerkte er im Sand zwei
Fußspuren. Die eine gehörte zu ihm selbst, die andere zu Gott.

Als die letzte Szene vor ihm aufgeleuchtet war, blickte er zurück
auf die Fußspuren und bemerkte, dass einige Zeit den Weg entlang
nur ein Paar Spuren im Sande zu sehen waren. Er merkte auch, dass dies
während der schwersten und traurigsten Zeit in seinem Leben geschehen
war. Und dort waren die Spuren auch besonders tief in den Sand gedrückt.

Das machte ihm ernstlich Kopfzerbrechen, und er fragte Gott: „Herr,
du sagtest, als ich mich entschied, dir zu folgen, du würdest den
ganzen Weg mitgehen. Aber ich bemerke, dass während der schlimmsten
Zeit meines Lebens nur ein Paar Spuren da waren. Ich verstehe nicht, dass
du mich verlassen hast, als ich dich am meisten brauchte.“ Gott antwortete:
„Mein kostbares Kind, ich liebe dich und werde dich niemals verlassen.
Während deiner Zeit voll Last und Leiden, als du nur ein Paar Spuren
sahest, da habe ich dich getragen.“]


Peter Kusenberg
Pastor und freier Journalist
37139 Adelebsen OT Erbsen
e-mail: pekusenb@aol.com

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