Matthäus 5, 13-16

Matthäus 5, 13-16

Liebe Gemeinde!

In der Gedächtniskirche von Berlin – der Kirche,
wo man nach dem zweiten Weltkrieg einen Teil der zerbomten Kirche stehen
ließ und daneben eine neue Kirche baute – sind der Altar und die
Ausschmückung des Altars sehr markant. Als ich einmal die Kirche
in den Ferien besuchte, kam mir der Gedanke, wie anschaulich der Altarraum
ist in bezug auf diesen Text aus dem Matthäusevangelium und die
Gedanken, die sich aus ihm ergeben. Gedächtnis bzw. Erinnerung bezieht
sich ja nicht nur auf die Kirchenruine, die dazu beiträgt, die Erinnerung
an den Krieg lebendig zu erhalten. Über dem Altar befindet sich
eine mächtige Christusfigur, die das Bild aus der Abendmahlsliturgie
vom „gekreuzigten und auferstandenen Heiland, unserem Herrn Jesus
Christus“, wie es in der dänischen Abendmahlsliturgie heißt,
zusammenfaßt. In der Darstellung liegt nach meiner Meinung mehr
Auferstehung und Himmelfahrt als Kreuzigung und damit wird deutlich,
daß Gedächtnis nicht nur Erinnerung bedeutet, sondern auch
Ansatz zu einem neuen Leben.

Auf dem Altar selbst befindet sich eine Reihe von kräftigen, hohen
Leuchtern – und als ich begann, sie zu zählen, wurde mir schnell
klar, daß es zwölf sind. In der Tat, es sind zwölf.

Da ist ein Licht für jeden der zwölf Apostel, und zu ihnen
wurden ja diese Worte zuerst gesprochen: „Ihr seid das Licht der
Welt. Es kann eine Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen
sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen
Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause
sind“.

Das klingt so unendlich selbstverständlich – und dennoch so überraschend.
Hätte Jesus nur gesagt: Versucht, das Licht der Welt und das Salz
der Erde zu sein, oder strengt euch an, das zu werden – dann könnten
wir damit vielleicht etwas leichter umgehen, um unserem Streben eine
Richtung zu geben. Aber der Text handelt offenbar nicht von einem Streben.
Es hängt scheinbar nichts daran, daß wir uns zusammenreißen
und so Licht in der Welt und Salz in der Erde werden.

Es ist eher umgekehrt, so wie wir dies in vielen Berufungsgeschichten
im Alten Testament hören. In der Erzählung von Moses, der ausersehen
wird als der, der die Israeliten aus Ägypten führen soll –
und in mehreren Fällen, wo von der Berufung eines Propheten erzählt
wird, hören wir von einem Sich entziehen und Sich entschuldigen:
einmal wegen der Jugend, einmal wegen des Alters, dann wegen fehlender
Führungsqualitäten oder auch ganz allgemein: Das müssen
andere besser können als ich. Jedes Mal ist da auf Seiten Gottes
eine gewisse Ungeduld, weil ja niemals daran gedacht war, daß Moses
oder die Propheten alles allein machen sollen. Gott will mit ihnen gehen.
Er steht hinter ihnen als der, der sendet, und er ist vor ihnen als der,
der den Weg weist. So verstehe ich auch den Text hier. Wenn zu den ersten
Jüngern und allen anderen später gesagt wird: Ihr seid das
Licht der Welt und das Salz der Erde – dann auch hier nicht um zu sagen,
daß ihr so und so gut seid, sondern um zu sagen, daß euer
Leben eine Bestimmung hat, denn es ist da zusammen mit allen Geschöpfen.

Wir können versuchen, an die Bilder des Schöpfungsberichts
zu denken: Die Wölbung soll die Wasser trennen, das Wasser soll
sich sammeln, damit die Erde zum Vorschein kommt, die Pflanzen sollen
Samen ausstreuen, die Bäume solle Frucht tragen, Sonne und Mond
sollen den Rhythmus des Tages und des Jahres anzeigen, die Fische sollen
die Wasser füllen – und die Vögel sollen zahlreich auf Erden
werden. Alles hat seine Bestimmung, und die Bestimmung des Menschen ist
es, sich der anderen Geschöpfe anzunehmen und Mitarbeiter der Schöpfung
zu sein.

Und erst dort, wo der Mensch Mensch ist nach seiner Bestimmung und
seinem Wesen wie der Baum Baum ist nach seinem Wesen, wird Gott deutlich
in der Welt, als Ursprung und Herkunft, als der Grund aller Dinge. Von
hier aus verstehe ich die Worte Jesu: „Ihr seid das Licht der Welt
und das Salz der Erde. Das ist unserer Bestimmung: Licht zu sein in der
Welt als Reflexe des göttlichen Lichts.

Die zwölf Lichter auf dem Altar erinnern zwar in erster Linie
an die ersten zwölf Jünger, aber ich vermute, daß wir
alle, jeder von uns, Menschen haben, die Salz und Licht in unserem Leben
wurden – die mit ihrem Leben dazu beigetragen haben, daß das Dasein
reicher und tiefer wird, und die uns dankbar gemacht haben für ihr
und unser eigenes Leben.

Schließlich greift der Text auch einer Wirklichkeit vor, die
einstweilen nur in der Hoffnung und im Glauben lebendig ist, in der aber
Gott etwas mit uns vorhat, das über unseren Tod hinausreicht.

Das kann man in Bildern und Visionen entfalten, so wie dies der Prophet
Jesaja getan hat, als er seine Vision von der kommenden Herrlichkeit
Jerusalems hatte: „Es wird der Berg des Herrn höher sein als
alle Berge und über alle Hügel erhaben, … daß er uns
lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen … Und er wird richten
unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre
Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn
es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden
hinfort nicht mehr lernen, Kriege zu führen. Kommt nun, ihr vom
Hause Jakob, laßt uns wandeln im Licht des Herrn“ (Jes. 2,2-5).

Die Gedächtniskirche steht zu Recht da, daß wir festgehalten
werden in unserer Verantwortung gegenüber den Opfern aller menschlichen
Finsternis in der Welt. Aber die Finsternis und die Schatten werden bestritten
und überwunden von dem Leben und dem Licht, das Gott und in Christus
gezeigt und in uns angezündet hat. Amen

 

Pfarrerin Hanne Sander
Prins Valdemarsvej 62
DK-2820 Gentofte
Tel.: 39 65 52 72
e-mail: sa@km.dk

 

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