Matthäus 5, 13;21-26

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Matthäus 5, 13;21-26

 

Göttinger
Predigten im Internet,
hg. von Ulrich
Nembach und Johannes Neukirch


Predigtreihe: Die Antithesen in der
Bergpredigt

18.2.1999
Passionspredigt über Mt. 5,13; 21-26
Verfasser: Prof. Dr. Axel Denecke

I

Rigoros -erfrischend rigoros, erschreckend rigoros- überfällt
Jesus (nach der Komposition des Matthäus) seine Gemeinde in der
Bergpredigt, nachdem er zuvor noch auf so freundliche Weise mit dem neunmaligen
„Selig seid ihr….“ uns Gottes Heil zugesprochen hat. Und jetzt – so
als paßte es in die Passionszeit, wie die berühmte Faust auf das
Auge- „Ihr seid das Salz der Erde!“ Basta! „Wenn nun das
Salz kraftlos wird…, ists zu nix mehr nütze. Man solls wegschütten,
damit es die Menschen zertreten!“ Also wir werden dann zertreten,
wenn ich das Wort vom Salz wörtlich nehme, nicht nur auf die Jünger
damals, sondern auf uns heute beziehe. Das ist stark, hart, wirklich
passioniert, passionszeitgemäß rigoros! Erfrischend rigoros?
Erschreckend rigoros?

Schaue ich mich um in unser noch christlichen, grad mal eben noch halbwegs
christlichen bundesrepublikanischen Welt, so hab ich -ohne daß mich der
Teufel der Schwarzmalerei reitet- schon den Eindruck: Das Salz ist wohl weithin
kraftlos geworden. Na und was macht man dann: man schüttet es weg,
‘zertritt’ es. Im Klartext: Es geht an uns Christen mit freundlicher
Nicht-Beachtung vorbei. Nicht mal aggressiv gegen uns rebellierend, das
wäre ja noch was. Dann würde man wenigstens ernst genommen. Sondern
durchaus freundlich, wohlwollend oder auch mitleidig lächelnd, hier und da
generös noch eine Spalte in der Tageszeitung gewährend, aber im
Grunde doch am Rande gar außerhalb des Geschäfts des harten Streits
um Normen und Werte fürs kommende Jahrhundert. Betrachtet man die vielen
Talkshows im Fernsehen, z.B. bei der durchaus seriösen Runde bei Sabine
Christiansen, (von all den exhibitionistischen Nachmittagsquasselshows bei den
Privaten gar nicht zu reden), wo ab und an nicht nur gesellschaftlich, sondern
auch kirchliche relevante Themen verhandelt werden, so kommt das
‘Salz’ des Christen nicht vor oder es wird durch Exoten
repräsentiert, die wie eine Karikatur christlicher Wertmaßstäbe
wirken. Und hier in der Medienstadt Hamburg, wo ich selbst als halbwegs
‘öffentliche Person’ zu Hause bin, ist es nicht viel anders. Ein
generös zugestandener Sonntagskommentar dann und wann, aber Theodor
Fontane in meinem Ohr: „Doch wenn ich weiter geschlafen hätt und
tät von alledem nichts wissen, würd mir was fehlen? Tät ichs
vermissen?“

Man kanns drehen und wenden wie man will, so ist es! Nix da mit Salz, das
wir doch – nach Jesu rigoroser Zumutung – sind. Nichts da! Eben doch stumpf?
Kraftlos? Weggeworfen? Zertreten?

Kein Lamento bitte an dieser Stelle, kein wehleidiges Beschwören
besserer alter Zeiten, sondern – Passionszeit ist ja! Bußzeit! In sich
gehen! Ehrliche Bestandsaufnahme! Seelisches Großreinemachen! –
nüchterne Wahrnehmung dessen, was ist. Nichts da mit „Salz der
Erde“! Oder etwa doch? Jesus redet so rigoros – erfrischend, erschreckend
rigoros – „Freunde, ihr seid das Salz der Erde. Ob ihr wollt oder nicht,
ob euch recht ist oder nicht. Ihr könnt gar nichts dagegen machen. Es sei
denn, es ist in euch kraftlos geworden. Doch dann…“

Also ein wirklich passender Einstieg in die Passionszeit, die wir als
Christen ebenso ernst nehmen wollen, so wie dieses Wort von uns als ‘Salz
der Erde’.

II

Ebenso rigoros geht’s nun zu in der sog. 1. Antithese, die in der Bibel
mit den schlichten Worten „Vom Töten“ überschrieben ist.
„Die Alten haben auch gesagt …, ich aber sage euch…“ Wenn das
nicht rigoros ist, entschieden, scharf und klar. Sehen wir es uns genauer an.
Was sagten die „Alten“? Wir kennen alle das Gebot: „Du sollst
nicht töten“. Und es wird auch gleich mit einer Androhung verbunden.
„Wer aber tötet, soll des Gerichts schuldig sein“. Ganz klar!
Braucht man nichts dazu zu sagen, sieht jeder ein, so läuft ja auch unsere
Rechtsprechung.

Und nun Jesus, ganz rigoros: „Nicht erst wer tötet, sondern schon
wer seinem Bruder (resp. Schwester) zürnt, wer ihn beschimpft,
beleidigt… ist des Gerichts schuldig“. Oh ja, es hört sich an wie
ein verspäteter Karnevalsscherz, denn wer käme hier nicht hinter
Gittern? Unser ganzes Land, ja auch unsere Kirche wäre ein einziges
Gefängnis. Und manchmal hat man durchaus den Eindruck, es ist
tatsächlich so. Trotzdem: Läßt sich nach dieser rigorosen
Lebensdevise leben, wenn ich unterstelle, Jesus hat das alles nicht nur
„symbolisch“, so im übertragenen Sinn gemeint, sondern
tatsächlich ganz wörtlich und direkt? Läßt sich danach
leben? Machen wir also die Probe in unserem Leben?

1. Nein, so läßt sich nicht leben, natürlich nicht.
Es überfordert uns Menschen heillos, weil wir alle – auch die
Sanftmütigsten, Friedvollsten, Nachgiebigsten unter uns – diesen Edelmut
von Natur aus nicht haben. Auch wenn wir guten Willens sind, gar Gott darum
bitten, es jeden Tag immer wieder neu versuchen. Sehe ich mich um in unserer
Gesellschaft – immer wieder neue ausländerfeindlichen Aktionen mit
Todesfolge, jetzt gerade wieder in Guben, da ist ein zorniges Nein und
unmißverständliche Verurteilung geradezu Anstandssache – oder sehe
ich menschenverachtende Sendungen im Fernsehen, wo Zorn und Widerstand und
Fluchworte mich übermannen. – Und auch Jesus selbst wurde
bekanntlicherweise von einem – wie wir sagen – „heiligen Zorn“
übermannt, als er sah, wie der „Tempel Gottes“ zu einer
„Räuberhöhle“ verkam. Also Nein, so rigoros friedvoll und
sanftmütig läßt sich nicht leben, darf man gar nicht leben.
Einen verpäteten Faschingsscherz hat Jesus hier gemacht. Oder?

Nun kann man sagen: Was Jesus sagte, gilt gar nicht allgemein für
jedermann oder jedefrau, so als Weltformel für sanftmütigen Umgang
miteinander. Er hat es zu seinen Jüngern (und Jüngerinnen) gesagt, zu
seiner „Brüdergemeinde“, also zu uns in der Kirche, die wir als
Christen bewußt seinem Weg folgen sollen und auch wollen. Und unser
Lebensstil habe sich eben zu unterscheiden von denen anderer Menschen. Hoher
Anspruch, hohe Verpflichtung. Die moralische Meßlatte liegt für
Christen halt höher. – Oh ja, wenns so gemeint ist, sieht die Bilanz fast
noch schlimmer aus. Denn manchmal hab ich den Eindruck, in der Kirche
geht’s trotz aller, vielleicht gar wegen aller Beschwörung der
„Brüderlichkeit“ (neuerdings sagen wir dazu
„Geschwisterlichkeit“, aber das hat in der Sache nichts
geändert) keinen Deut besser zu. Zorn, üble Nachrede, gehässiger
Neid, süffisanter Sarkasmus, hinterfotziges Mobbing … ach und all die
anderen Spielarten, den „Bruder“ und die „Schwester“ ins
Abseits zu stellen, sind eher die Regel als die Ausnahme. Denk ich z.B. an den
vitalen Existenzkampf um eine Berufsperspektive junger Theologen, angehender
Pastoren/innen. Denk ich an die Verteilungskämpfe in Synoden um Geld, in
Pfarrkonventen, Kirchenvorstandssitzungen um Ansehen und Einfluß. Genug
von allem: Wir scheitern an unseren – an Jesu – zu hohen Ansprüchen. Und
ganz ehrlich: Wer hat sich denn wirklich schon ganz konkret (und nicht nur in
frommen Gedanken) vor dem Gang zum Abendmahl mit seinem Bruder versöhnt
(vv.23-24), welcher Bruder hats dann auch angenommen und es nicht nur als
gutgemeintes Wortgeklimper empfunden? Und vor allem: Wie hat sichs auf den
weiteren Umgang miteinander ausgewirkt?

Nein, auch unter „Geschwistern“ gilt: So läßt sich
nicht leben, so leben wir jedenfalls nicht. Jesu rigorose Moral: „Ich aber
sage euch..“ hält der Wirklichkeit, gerade auch der christlichen,
nicht stand. Auch wenn es noch so passioniert vorgetragen ist. Das ist alles
„erschreckend“ rigoros. Kein ‘Salz der Erde’ da, vom
‘Licht der Welt’ noch ganz zu schweigen.

2. Ja, so läßt sich leben, durchaus, grad weil Jesu Wort
nicht nur „erschreckend“, sondern auch „erfrischend“
rigoros ist. Unter zwei Voraussetzungen:

a) Wenn jeder nicht auf den anderen schaut, obs da klappt – in der Kirche,
in unserer Gesellschaft – und da natürlich sofort entdeckt, daß es
nicht klappt. Sondern wenn jeder bei sich selbst beginnt, bei sich ganz
persönlich, ganz unabhängig davon, wies bei anderen aussieht.
„Du bist der Mann“, „Du bist die Frau“, die hier angeredet
ist, Du ganz persönlich und ganz direkt, ohne daß Du auf den/die
andere/n schielen mußt. Bei Dir beginnt es, wenn es beginnt. Und wenn ich
wirklich bei mir beginne, dann habe ich gar keine Zeit, kann man sich gar nicht
den Luxus leisten, auf andere zu schielen. Und ich hab genug damit zu tun, bei
mir selbst zu beginnen, in mir und in meiner kleinen aber überschaubaren
Welt mit mir so erfrischend rigoros zu sein und zu sehen, wieweit ich damit
komme.

b) Hier wird kein „Ist-Zustand“ von Jesus festgestellt. So ist es
also bei mir, bzw. so solls, muß es gar bei mir sein. Hier wird vielmehr
ein Ziel anvisiert, auf das hin ich mein Leben orientiere. Frei nach Paulus:
„Nicht daß ichs ergriffen hätte, ich jage ihm aber nach, weil
ich davon ergriffen worden bin“. Also nicht: So soll es sein, muß es
sein – und leider – verdammt noch mal – scheitere ich immer wieder, weils so
erschreckend rigoros ist. Und auch nicht: So ist es bei mir und ich kann mich
vergnügt damit beruhigen, daß ich ja laut Jesu Zusage ‘Salz der
Erde’ schon bin und auch so leben. Sondern: Ich weiß für mich,
wo es langgeht, welcher Lebensstil für mich der richtige ist. Und ich
werde nicht müde werden, mich daran, an Jesu Lebensstil, zu orientieren.
Ich werde wohl – das sagt meine Lebenserfahrung – dies Ziel in meinem Leben nie
erreichen, aber ich arbeite daran, bleib nicht stehen, sondern gehe immer
weiter, mal stolpernd, mal auch fallend, aber unbeirrt das Ziel vor Augen, das
ich als richtig erkannt habe, heilsnotwendig zunächst für mich, ja
und dann… vielleicht strahlt es ja auch nach außen aus, zieht andere
mit hinein in diesen ‘way of live’. Also zum Glück ist Jesu
„Ich sage euch…“ so erfrischend rigoros, zu meinem Glück. Denn
nun weiß ich, wo es langgeht in meinem Leben. Das will ich ganz ernst
nehmen und peu a peu – ohne mich zu überfordern, ohne mich unter einen
gesetzlichen Zwang zu stellen, ohne andere daran zu messen, ohne zu
resignieren, wenn ich meine Mittelmäßigkeit sehe, ohne zu stolz auf
kleine Zwischenerfolge zu sein – daran arbeiten, damit leben, meinem Leben so
eine innere Gestalt und ein äußeres Ziel zu geben.

Ja also, danach läßt sich leben. Durchaus. Und es gibt auch
konkrete Beispiele dafür. Dabei muß ich nicht nur an so große,
oft uns viel zu große Menschen wie L. Tolstoi und D. Bonhoeffer denken,
die das ganz ernst und wörtlich genommen und in ihrem Leben zum mindesten
ansatzweise verwirklicht haben. Ich denke einfach – das ist doch erlaubt – an
mich selber und erinnere mich an Situationen, wo ich in diesem Geist gehandelt,
gelebt habe (sehr ansatzweise nur, zugegeben, aber doch immerhin, ich bin ja
erst auf dem Wege). Und jeder kann da bei sich selbst beginnen, „in sich
gehen“, sich betrachten und vielleicht wird er Spurenelemente davon
durchaus entdecken. Vielleicht? Ich denke: bestimmt! Und dann erinnern wir uns
auch an Situationen in Synoden und Pfarrkonventen und bei Familienkonferenzen
und gar in politischen Gremien, wo das ansatzweise geklappt hat, wo gegen alle
Verletzungs- gar verbale Tötungsgelüste „Versöhnung“,
„Verständigung“, „Verzeihung“ sich ausbreiten, wo ohne
daß Diktat der alles zudeckende Sanftmut sich der Zorn durch
friedenschaffende Maßnahmen in Verständnis verwandelt. Das gibt es
durchaus, vielleicht mehr als wir Skeptiker vorschnell denken.

Also: Erfrischend rigoros ist das, was Jesus sagt. Er muß es so
rigoros sagen, weil wir – zunächst jeder ganz persönlich, also Du und
Du und ich – nur so aufmerksam gemacht werden auf Fähigkeiten und Talente,
die durchaus in uns drinstecken, die Gott von Anfang an in uns hineingelegt hat
und die trotz all unserer Unvollkommenheit und unseres Versagens
(„Sünde“ kann mans auch nennen) durchaus noch in uns stecken,
wieder in uns stecken, weil Jesus wieder zutage gefördert hat.
Erfrischend, beglückend, befreiend rigoros redet Jesus hier.

III

Und so gilt am Ende natürlich: „Ihr seid das Salz der Erde“.
Wir sind es, wenn wir uns an Jesu Lebenstil halten, wenn das unsere Zielvorgabe
ist und wir uns daran orientieren. Salz der Erde sind wir gerade darin,
daß wir nicht nachlassen, diesen Lebensstil ernst zu nehmen, daß
wir nicht irre werden, uns daran zu orientieren. Und damit natürlich bei
uns selbst zu beginnen. Dann ist es auch erlaubt, ja notwendig, dies
gesamtgesellschaftlich „einzufordern“, oder freundlicher gesagt:
immer neu an diesen Lebensstil zu erinnern. Salz der Erde sind wir, wenn wir
unbeirrt weiter darauf vertrauen, so läßt sich sinnvolles
Zusammenleben durchaus regeln. Salz der Erde sind wir, wenn wirs – zugegeben:
mit unserer kleinen Kraft – einfach vorleben. Mag sein, daß es Kreise
zieht, daß es ansteckt, daß dieser Stil sich gar als allgemein
„vernünftig“ erweist. Das Bild vom „Salz in der
Suppe“, daß die Suppe würzt und erst wirklich genießbar
macht, darf hier durchaus verwandt werden. „Genießbar“ ist
unser Leben wirklich nur, wenn stellvertretend für die, die es nicht
wollen und nicht können, dieser Lebensstil Jesu zum mindesten
unterschwellig das Miteinander prägt, vielleicht gar heimlich zur
Anstandssache wird. Nicht alle müssen da mitmachen, bewahre Gott, es
reicht bereits aus, wenns einige sind, vielleicht auch noch ein paar mehr, denn
das Salz im Übermaß kann ja auch die Suppe versalzen.

„Ihr seid das Salz der Erde“, sagt Jesus erfrischend,
beglückend, befreiend rigoros zu sein, konkret zu Dir, zu Dir und
natürlich auch zu mir. Ich glaube, wir haben guten Grund, dies ernst zu
nehmen und uns einfach daran zu halten. Es ist so und Jesus traut es uns zu,
daß wirs wirklich sind. Und daher brauchen wir auch keine Spekulationen
darüber anzustellen, was denn geschieht, wenn das Salz stumpf wird,
öd und fad, und also weggeworfen wird. Das brauchen wir nicht, denn wir
sind ja Salz der Erde. Oder?

Nachbemerkung: Es ist eine gute
Entscheidung, die sog. Antithesen der Bergpredigt, die einen Zyklus an den
sechs Passionssonntagen bilden sollen, mit dem Wort vom „Salz der
Erde“ (Mt 5,13) zu verbinden. Damit ist zwar eine interessegeleitete
Auslegung der Antithesen vorgegeben, aber jede Auslegung ist interessegeleitet
und daher ist es gut, dies vorher auch offen zu sagen. – Daß Christen
‘Salz der Erde’ sind (Präsens, nicht Futur! Indikativ, nicht
Konjunktiv!) zeigt sich darin, ob und wie sie die Antithesen in ihrem Leben
umsetzen. Und umgekehrt gilt auch: Wenn die Antithesen konkret das Leben der
Christen/innen gestalten, dann sind sie tatsächlich ‘Salz der
Erde’. Dies zu verdeutlichen, ist Aufgabe der Predigt.

Prof. Dr. Axel Denecke
(Hauptpastor St. Katharinen/Hamburg)
Herbert-Weichmann-Str. 34
22085 Hamburg
Fax-Nr. 0511 / 612024

 

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