Matthäus 5,1–10

Matthäus 5,1–10

Die Seligpreisungen zwischen Wunsch und Wirklichkeit | Reformationsfest |  31.10.2023 | Mt 5,1–10 | Thomas Bautz |

Liebe Gemeinde!

„Als Jesus die Volksmenge sah, stieg er auf einen Berg und setzte sich; seine Jünger kamen zu ihm.“

Ein Berg hat religionsgeschichtlich stets eine große Bedeutung: Sitz der Götter, Ort der Offenbarung, Stätte des Empfangs der Tora, der göttlichen Weisung für das individuelle und soziale Leben. Berge sind auch Zufluchtsorte. Hohe Berge ringen dem Menschen, der sie erklimmt, Respekt vor der Natur ab. So strapaziös und oft gefährlich der Aufstieg sein mag, die Majestät des Berges beglückt jeden, der ihn bezwungen hat.

Wir wissen nicht, ob der Nazarener Ruhe und Kontemplation sucht, wie er oft die Einsamkeit in der Wüste oder auf dem Wasser der mitunter aufdringlichen Menschenmasse vorzieht. Er weiß aber die Symbolkraft des Berges zu nutzen. Er setzt sich, wie auch für Lehrer in der Synagoge üblich. Er öffnet seinen Mund – dieser Ausdruck unterstreicht die biblische Tradition – und beginnt sie zu lehren. Seine Predigt richtet sich an die Jünger und an die Volksmenge gleichermaßen. So beginnt Matthäus einen der gewichtigsten Texte des NT: die Bergpredigt Jesu, deren bis in unsere Zeit revolutionäre Botschaften, Gedanken und Segenssprüche an Bedeutsamkeit mit der Offenbarung an Mose auf dem Sinai für manche Ausleger vergleichbar sind.[1]

Den Anfang der Bergpredigt (Mt 5–7) bilden acht „Seligpreisungen“,[2] kaum möglich, sie nach ihrer Bedeutsamkeit zu ordnen oder zu staffeln. Es hat aber einiges für sich, alle Seligpreisungen zu sehen in einer Situation von grundlegendem (materiellem) Mangel und Fehlen an spiritueller Gewissheit.[3] Die Makarismen beginnen alle mit dem Zuruf und Zuspruch Μακάριοι, der unterschiedlich übersetzt wird: Selig; Glückselig; Glücklich; Heil; Gesegnet; Wohl dem, Wohl denen. Wir entscheiden uns für „Gesegnet“ und „Wohl dem/ denen“, wobei es bei Letzterem auf die Betonung ankommt:

WOHL denen (den Menschen), die …: Sie erhalten die Zusage von Wohlergehen, Segen, Heil, Glück – ganz ohne ihr Zutun, bedingungslos, (theologisch: „aus Gnaden“). Das erste Wort wird betont. Ich lege nun den Akzent auf das zweite Wort:

Wohl DENEN, die …: Hierbei erfolgt die Zusage, geknüpft an eine entscheidende Bedingung, die eine Einschränkung mit sich bringt: der Segen, das Glück usw. gilt DENEN, nicht anderen, oder nur DENEN, welchen die Eigenschaften gelten, die jeweils im Nachsatz („denn …“) genannt werden und so aber auch als Forderungen missverstanden werden können. Wir verwenden „WOHL denen“, weil es dem hebräischen Sprachraum entspricht: אַשְׁרֵי („Aschre“, „Wohl dem …“)[4] und „GESEGNET“, weil es der Bedeutung und dem Gewicht der Seligpreisungen naheliegt und dem heutigen Deutsch näherkommt als etwa „Selig“ oder „Heil“. Die Betonung des ersten Wortes: „WOHL denen“, „GESEGNET“ ist aus inhaltlichen Gründen vorzuziehen.

Im griechischen Sprachgebrauch beschreibt makários den glücklichen Zustand der Götter, die über Leiden und Mühsal der Menschen erhaben sind. Philosophisch bezeichnet es das „innere Glück“.[5] Das Glück bezieht sich bei den Griechen der Antike auf unmittelbare Güter, Werte, Verhältnisse; dabei haben Familie, Kindersegen, Liebe, aber auch Besitz und Reichtum hohen Stellenwert. Mit inneren Werten verbindet der Grieche geschäftstüchtigen Verstand; frei Sein von Trübsal oder Bedrängung; Ruhm, Ehre und männliche Tugend.[6]

Auch in der Septuaginta (LXX) spiegelt makários zunächst „Wünsche und Ideale“ im Hinblick auf die „Lebenserfüllung“: „irdisches Wohlergehen, Reichtum, Ehre, Weisheit“. Dann werden „Weisheit und Frömmigkeit“ als „Gottes Gabe“ angesehen, gleichzeitig allerdings als „Voraussetzung aller Seligkeit“, implizit also als Forderung.[7]Wir werden hören, dass die Seligpreisungen Jesu nicht als Forderungen  zu verstehen sind, sondern als Umschreibungen des Möglichen für diejenigen, die sich wirklich auf das Abenteuer des Lebens einlassen. Wer versteht, was Jesus in der Bergpredigt sagen will, „für den ändert sich die Welt“; man könnte und dürfte[8] „die ‚Seligpreisungen‘ hören wie die Ouvertüre einer zauberhaften Symphonie, die in unser scheinbar so verlorenes Leben Töne von Heimweh und Rückkehr, von Verheißung und wiedergefunden Werden zurückträgt, bis daß es uns verlockt, all die Wahrheiten und Überzeugungen endlich zu leben, die wir im Grunde immer schon wie schlafend in uns trugen und deren wir uns dennoch niemals wirklich zu getrauen mochten.“ Im Gegensatz zu den griechischen Makarismen treten alle „profanen Güter und Werte“ zurück, und das Trachten, Streben, Eifern nach dem Reiche Gottes gewinnt Priorität.[9]

Unsere „Symphonie“ besteht aus acht Sätzen (für ein Orchester üblicherweise vier), wovon der erste Satz am eindringlichsten klingt, weil er die Hörer (uns als Hörer?) herausnimmt aus der Alltagswelt, deren lautstarkes Gehabe und Auftreten uns mitunter schier die Besinnung raubt, deren Lärm uns nicht mehr erlaubt, zu uns selbst zu finden. Wo Spiritualität, Glaube, Vertrauen, Besinnlichkeit und Besinnung auf das Wesentliche (was ist uns überhaupt wesentlich?) im Rauschen verzerrter Misstöne erstickt werden. Schon der erste Satz also lässt aufhorchen, weil er inhaltlich unsere Vorstellungen sprengt oder zumindest über sie hinausgeht, unser Denken und Handeln übertreffend:[10]

„Wohl denen, gesegnet diejenigen, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Reich der Himmel.“

Man sollte „Armut“ nicht vorschnell spiritualisieren oder geistlich deuten, und zwar nicht nur deshalb, weil Lukas besagten Zusatz weglässt und sich auf die soziale Armut, auf die Bettelarmen konzentriert. Vielmehr stehen die Mittellosen, die Bettler, die gescheiterten Existenzen gesamtbiblisch im Fokus.[11] Armut ist im alten Israel eine allgegenwärtige Realität. Als Hauptursache ist wohl das Kreditwesen zu sehen, das Bauern und Tagelöhner in die Schuldenfalle treibt: Viele Reiche sind Gläubiger und Arme sind Schuldner. Viele Menschen sind bettelarm. Demgegenüber zieht sich eine eindeutige Option für die Armen wie ein roter Faden durch die hebräische Bibel; im NT folgt Parteinahme für die Armen den durchgehenden Themenlinien, besonders im Evangelium nach Lukas. Frömmigkeit oder Glaube wird biblisch gemessen am Verhältnis zu den Bettelarmen; einer Missachtung droht gesamtbiblisch  sogar ein göttliches Strafgericht.[12] Die Reichen erfahren schärfste Kritik.[13]

Auch im NT bedeutet Armut „Mangel an etwas“, nicht nur an lebensnotwendigen Gütern, sondern auch Mangelerscheinungen im weitesten Sinne sind Krankheiten, körperliche Beeinträchtigungen wie Blindheit und gravierende Behinderungen vielfältiger Art. Kranke sind ohne soziale Absicherung vom Erwerbsleben ausgeschlossen und daher besonders auf wohltätige Hilfe angewiesen. Wer schwach, niedrig, erniedrigt, erbarmungswürdig ist – dazu gehören auch „Fremdlinge“, gilt im weitesten Sinne als arm und „arm dran“.[14] Drastisch formuliert: „Verflucht ist, wer schwach ist, und Weh dem, der arm ist.“[15] Die hebräische Bibel verwendet krasse Bildworte für die in diesem Sinne Armen:[16]

Der Hohe und Erhabene wohnt „bei dem, der zerschlagenen und gebeugten Geistes ist“ und belebt „den Geist der Gebeugten“ und „das Herz der Zerschlagenen“ (cf. Jes 57,15).

 Das führt zu einer Auffälligkeit im semitischen Sprachraum: zur morphologischen Ähnlichkeit von „der Arme“ (עני) und „der Demütige, Niedrige“ (ענו).[17] Wer Freude hat an der lebenswichtigen Tora oder an den Weisungen der Bergpredigt Jesu, der Mensch wird mit Demut versuchen, danach zu leben. Wie verschieden wir, unsere Lebensumstände, auch sein mögen: Wir werden gesegnet sein, und dazu bedarf es immer wieder neu der Ermutigung, des Trostes, des Zuspruchs. Insofern sind die Seligpreisungen überzeitlich und auch ohne Ansehen der Person: Weil sie äußere Mängel und innere Defizite ansprechen, gelten sie grundsätzlich für Arme und Reiche gleichermaßen.

Trotz des eindeutigen Eintretens für die Armen verweigern sich die Texte der hebräischen Bibel jeder Verklärung von Armut. Sie kennen kein Armutsideal, das in mönchischer, asketischer Lebensweise zu verwirklichen wäre. Armut gilt als Elend, das nicht von selbst verschwindet. Entsprechend wird auch Reichtum als solcher nicht negativ bewertet, sondern kann durchaus als Ausdruck göttlichen Segens verstanden werden. Kritisiert wird – besonders von Propheten –, „die Bereicherung der Reichen auf Kosten der Armen“.[18] Immerhin hat Martin Luther „als Schüler, Novize und Priester die Schmach der Armut und des Bettelns selbst kennengelernt“.[19]

Es geht Jesus (nach Mt 5,3) um eine Armut, die Arme und Reiche betrifft, nämlich die Einsicht, dass wir arm sind „vor Gott“, „arm im Geist“, was schwer zu verstehen ist. Lassen Sie es uns versuchen: Dieser Zusatz „im Geist“ hat zum „Vorwurf der Spiritualisierung“ gegen Matthäus geführt. Dabei will er „nur“ die angebotene Freiheit betonen, nicht mehr sein zu müssen oder darstellen zu wollen als wir sind.[20] Die Seligpreisungen des Nazareners sind verbale Befreiungsakte, so dass wir uns vor Gott nicht mehr unserer „geistlichen Mittellosigkeit“[21] schämen müssen.

Dann werden wir ein wahrhaft reiches Leben im spirituellen und ethischen Sinne zu führen ermutigt und demnach Früchte bringen, wie die hebräische Bibel (Ps 1,1–3) und Rabbi Jesus es verheißen; der Unterschied ist der, dass die Seligpreisungen „Früchte“ wie Zugehörigkeit zum Königreich der Himmel und zum Getröstet- und gesättigt Werden quasi als „Geschenke“ anbieten, die im Inneren wirksam werden. Wir dürfen getrost die innere Armut annehmen, uns vom Geplärr dubioser Ratschläge und verführerischer Reden Hochmütiger aber abwenden, unseren eigenen Weg gehen und zuhören:

„Glückselig der Mensch, der nicht folgt dem Rat der Frevler, den Weg der Sünder nicht betritt und nicht im Kreis der Spötter sitzt, sondern Freude hat an der Weisung JHWHs, über seine Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht. Er ist wie ein Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt und dessen Blätter nicht welken. Alles, was er tut, wird ihm gut gelingen“.[22]

Die Freude an der Tora ist nicht verbunden mit einem Wunschdenken; auch dem Frommen wird sich das Leben nur bedingt nach eigenen Vorstellungen gestalten. Vieles geschieht unvorhergesehen oder ist abhängig vom sozial-kulturellen Umfeld oder von Menschen, die uns begegnen oder uns ganz nah kommen. Religiöse Menschen versuchen oft, sich ein Bild von (einem) Gott zu machen, versuchen, ihm durch Gebete, Bibellesen, Gottesdienstbesuche, Rituale, kultische Handlungen näher zu kommen. Das ist solange gut, wie sie sich die „geistliche“ Armut bewahren, ihr Armsein vor Gott bekennen:[23]

Das bedeutet, „daß Gott sich nur da erschließt“, wo es wirklich um Ihn geht und nicht um „die Welt“, „und wo nicht der Besitz den Zugang zu Ihm versperrt; der Besitz mit seiner Sattheit, der Besitz mit seinem Hochmut, […] mit seiner Sicherheit. Es bedeutet, daß Gott sich […]auch allem religiösen Besitz verschließt, […] allem Satt- und Sichersein, […] vielleicht gar einem Alleinhaben der Wahrheit Gottes“.

Das Schlimme ist, dass man auch mit Einsamkeit, Not, Verzweiflung kokettieren kann: In Clubs oder gewissen Selbsthilfegruppen von Unverstandenen und Bemitleidenswerten, deren Armut und Angst nicht besonders überzeugend wirkt, einer großen Selbstzufriedenheit zum Verwechseln ähnlich ist. Aber „auch Verzicht und Opfer“ (oder großzügige Spenden) bieten „keine Gewähr für das wirkliche innere Armwerden. Selbst aus der äußersten Entsagung kann man sich noch ein prächtiges Gebäude […] bauen. Man kann ein Martyrium erleiden und sich dabei stolz und reich fühlen, als ein Mensch, der das Letzte hergegeben hat und nun niemand etwas schuldet. Armut im Sinne der Bibel ist das nicht.“ Die Seligpreisungen rufen daher nicht zu bestimmten Leistungen auf, sie fordern nichts. „Sie geben keine moralischen Musterbeispiele.“ Sie vermitteln aber „einen klaren Blick“ für Sachlichkeit, weil nämlich „Seligkeit immer mit Sachlichkeit zusammenhängt“. „In dieser Sachlichkeit erkennt man sich einfach als Schuldner der anderen“ (und des Anderen).“ Man erkennt nicht nur die eigene Not, die nackte Wirklichkeit: „Unentrinnbar ist man in die Mitmenschlichkeit hineingezogen.“[24]

Ähnlich wie die erste Seligpreisung ragt die sechste aus dem Ensemble heraus, weil sie zutiefst jüdischem Denken und Empfinden verpflichtet ist und ebenfalls ohne Kenntnis der hebräischen Bibel kaum nachzuvollziehen ist: „Gesegnet, die reinen Herzens sind: Sie werden Gott schauen“ (Mt 5,8).

„Wer darf hinaufziehn zum Berg JHWHs, wer darf stehn an seiner heiligen Stätte? Wer unschuldige Hände hat und ein reines Herz, der nicht betrügt [nicht auf Nichtiges sinnt] und keinen Meineid schwört. Er wird Segen empfangen von JHWH und Heil von Gott, seinem Helfer“ (Ps 24,3–5).

„Wie gütig ist Gott zu den Redlichen, JHWH zu allen, die reinen Herzens sind.“ [25]

Eigentlich: „Lauter Güte ist Gott für Israel, für alle Menschen mit reinem Herzen“ (Ps 73,1).

„Herz“ meint nach jüdischem Sprachgebrauch das Zentrum des menschlichen Wollens, Denkens und Fühlens.[26]Natürlich ist die Herzensreinheit ganzheitlich, also auch kultisch gemeint. Die Reformation betont (aber), man solle nicht nach hoher (dogmatischer) Theologie streben, sondern in die Tiefe und „Gott in den Elenden, Irrenden und Mühseligen suchen“; „da schaut man Gott, da wird das Herz rein und aller Hochmut liegt darnieder“.[27]

Diese reformatorische Sicht, gestützt von der Sozialkritik der Propheten, bewahrt den Glauben davor, mit einer reinen Religion der Innerlichkeit identifiziert zu werden – wozu der Zusatz: „denn sie werden Gott schauen“ verleiten könnte. Eine Schau Gottes, die Frage, ob man „Gott“ überhaupt sehen könne, wird sehr intensiv in der Mystik meditiert, mitunter durch erbauliche Essays oder sogar theologisch und philosophisch erörtert, wie bei Meister Eckart; Hilde von Bingen; Nikolaus von Kues (Cusanus).

Jede „Schau Gottes“ kann uns nur – kollektiv oder individuell – unser eigenes Bild zeigen; wenn wir dabei ehrlich und selbstkritisch sind, können wir freilich traditionelle „Gottesbilder“ verwenden. Mögen uns biblische Seligpreisungen helfen, immer wieder Vorstellungen eines neuen Menschen zu entwerfen, die realistisch, aber auch ermutigend genug sind, damit wir den uns geschenkten Frieden nicht für selbstverständlich erachten und uns nicht ausruhen in falsch verstandener Glückseligkeit. Es ist viel zu leicht, von Gewaltfreiheit zu reden, verblüffend leicht, sich für Frieden auszusprechen, aber wer bietet leibhaftig den Autokraten, Diktatoren und Terroristen die Stirn?

„Gesegnet sind die Friedensstifter, denn sie werden Gottessöhne heißen“ (Mt 5,9).

„Auf Recht, Wahrheit und Frieden beruht die Welt“ (Awot, Sprüche der Väter I,12).[28]

Diese Weisheit aus der jüdischen Tradition stellt eine Kurzfassung dessen dar, was wir ohne Mühe auch aus der hebräischen Bibel eruieren können. Auf unsere Zeit angewandt, bedeutet dies in der Konsequenz genau das, was der Generalsekretär der UN, António Guterres, einfordert, dass jeweils für alle Kriegsparteien das Völkerrecht gilt und Einhaltung der Menschenrechte verpflichtend sind. Seine politische Rolle nimmt er wahr, indem er in Krisengebiete reist, Gespräche mit Regierungen führt und Friedenspläne zur Beilegung von Konflikten vorlegt. Wichtig sind die vom Generalsekretär ernannten Sonderbeauftragten, die als seine lokalen Vertreter vor Ort Friedensmissionen und die Arbeit der UN koordinieren. Zu den originär politischen Aufgaben des Generalsekretärs gehört, die Aufmerksamkeit des Sicherheitsrates auf jede Angelegenheit zu lenken, die seiner Meinung nach den Frieden gefährden könnte; dann handelt es sich um Präventivmaßnahmen.

Friedenswille, Friedensmissionen, Präventivmaßnahmen, Hilfe in Konflikten, Friedenspläne – von den Vereinten Nationen laut UN-Charta verbrieft, und Friedensbemühungen reißen nicht ab, sie werden mit bewundernswerter Anstrengung durchzusetzen versucht. Aber all das scheitert immer wieder an der brutalen Realität: die radikalislamische Terrororganisation Hamas,  Menschenleben verachtend und das eigene Volk rücksichtslos opfernd, überfällt Israel. Die Historie lehrt zwar, dass Israel und die Palästinenser eine mehr als schwierige Geschichte haben, die nahezu permanent Konflikte hervorrief, aber solch ein, offenbar nicht nur politisch, sondern auch religiös motivierter Anschlag wirft Fragen auf. Denn die perfide Taktik der Terroristen durch Geiselnahme und durch Opfer der Zivilbevölkerung als Schutzschilde, Nutzung ziviler Gebäude im Gazastreifen, erschweren die Verteidigung Israels und eine Gegenoffensive erheblich. Die Vermeidung ziviler, unschuldiger Opfer unter Palästinensern wird durch die Hamas im Grunde unmöglich.

Daher ist – faktisch ohne Berechtigung – die islamische Welt, größtenteils Israels Nachbarn, gegen Israel aufgebracht, und der schlimmste, Waffen an die Terrorregime (auch an Putin) liefernde Feind, der Iran, fühlt seinen Hass bestätigt und gerechtfertigt. Vermutlich ist dies exakt das Ziel der Hamas: erneute Zwietracht säen und die begonnenen Friedensbemühungen Israels mit den Nachbarstaaten zunichtemachen. Die Folgen haben aber auch internationalen Charakter, weil demokratische Staaten prinzipiell eine Friedensethik und weitgehende Toleranz auch gegenüber islamischen Ländern haben. Hier ist ergänzend eine Konfliktethik gefordert, die realistisch versucht, Lösungen für bestehende Konflikte zu erarbeiten, so aussichtslos das erscheinen mag. Der ideologisch und von Größenwahn motivierte, brutale Überfall des Putin-Regimes ist leider ein Paradebeispiel für Kriegsführung und massive Menschenrechtsverletzungen, die jede Friedensethik zum Scheitern verurteilt.

Man sollte vielleicht eher eine Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern anstreben, weil diese m.E. meist tiefer reicht als ein oft nur äußerlich bestehender Frieden. Im Kontext der Seligpreisung bei Matthäus (Mt 5,9) wird deutlich, dass die Friedensstiftung auf keinen Fall durch Rachsucht oder Hassgefühle gefährdet sein darf und vielmehr durch Versöhnungswillen motiviert sein muss. Dabei gilt es auch Risiken einzugehen, so dass man leicht „zwischen die Fronten“ gerät.[29]

Wollte man Harmonie und Symphonie der Seligpreisungen mit dem Leben der Menschen in den ganz unterschiedlichen Völkern, Ländern, Staaten und Gemeinschaften oder nur scheinbar bescheiden mit unserer Gesellschaft konfrontieren, würde man bei Licht betrachtet an ein Jesuswort erinnert:

„Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.“ (Joh 14,27).

Ich paraphrasiere: Was ihr unter Frieden versteht, könnt ihr behalten; aber ich schenke euch meinen Frieden, der das Herz der Menschen erreicht und sie von innen her verändert …

Amen.

Pfarrer Thomas Bautz, Bonn

E-Mail: bautzprivat@gmx.de

[1] Cf. Ulrich Luz: Das Evangelium nach Matthäus, EKK I/1 (1985), 197–198; Hans Weder: Die „Rede der Reden“. Eine Auslegung der Bergpredigt heute (2. Auf. 1987): Die Lehre auf dem Berg (Mt 5,1f), 35–39: 38–39; Weder nennt weitere Bedeutungen des Berg-Motivs (mit Textstellen).

[2] Beatitudes (engl.); Les béatitudes (franz.); Makarismus v. (griech.) μακάριος, μακάριοι (makários); s. ThWNT IV (Studienausgabe 1990), s.v. μακάριος etc., 365–373.

[3] Cf. Timothy D. Howell: The Matthean Beatitudes in Their Jewish Origins. A Literary and Speech Act Analysis, Studies in Biblical Literature 144 (2011): (5) Exegetical Analysis of the Beatitudes: Its Contextual Meaning and Verbal Threads (117–182): The Depiction of the Blessed, 131–148: 131.

[4] Bestimmung des Adressaten erfolgt im anschließenden Relativsatz, inhaltlich oft die Bedingung für die Zusage benennend; Julius Steinberg: Seligpreisung (AT) (2013), wibilex (pdf): Zu Sprache u. Form der Seligpreisung S. 1.

[5] ThWNT IV (1990), s.v. μακάριος etc., 365f: Aristoteles billigt dem Menschen die im Vergleich zur Glückseligkeit der Götter geringere εὐδαιμονία zu, wobei dies andernorts mit μακάριος auch synonym gebraucht wird. Im NT verwendet man keine Synonyme für makários (370; A. 40).

[6] ThWNT IV (1990), s.v. μακάριος, 366–367.

[7] ThWNT IV (1990), s.v. μακάριος, 367–368.

[8] Eugen Drewermann: Das Matthäusevangelium. Erster Teil: Mt 1,1–7,29. Bilder der Erfüllung (1992), 369.

[9] ThWNT IV (1990), s.v. μακάριος, 370.

[10] Andere Übersetzung: „Glückselig die Armen im Geiste, […]“. Auslegern bereitet der Zusatz τῷ πνεύματι oft Schwierigkeiten, weil er mehrdeutig ist (s. Luz: Matthäus, 205–206); das Problem lässt sich durch die Wendung „vor Gott“ umgehen. Sähe man τῷ πνεύματι(parallel zu καθαροὶ τῇ καρδίᾳ Mt 5,8) als Dativ der Beziehung, so wäre der menschliche Geist in demütiger Haltung gemeint; cf. ThWNT VI (1990), s.v. πνεῦμα etc.: Sonderstellen des Matthäus, 398f. Eine weitere Lösung bietet Die Bergpredigt: jüdisches und christliches Glaubensdokument. Eine Synopse. Mit e. Einl. hg. v. Günther Bernd Ginzel (1985): Hauptteil: Synopse der Texte: „Selig, die arm sind in sich selbst: Ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5,3), S. 41–42 (dort kursiv).

[11] Rainer Kessler: Armut / Arme (AT) (2006), wibilex (pdf), S. 1–5; Christfried Böttrich: Armut / Arme (NT) (o. J.), wibilex (pdf), S. 1–13. Extreme Mittellosigkeit der Armen wird durch πτωχός ausgedrückt: ThWNT VI (1990), s.v. πτωχός: Wortbedeutung, 886f; Die Beurteilung der Armen, 887f.

[12] Kessler: Armut / Arme (AT) (2006), S. 1; cf. ThWNT VI (1990), s.v. πτωχός: Der Arme im AT, 888–894; Die Einstellung zum Armen, 889–894.

[13] Cf. Böttrich: Armut / Arme (NT), S. 6–8; s. die „Weherufe“ (Drohungen) an die Reichen: Lk 6,24–26.

[14] Cf. Böttrich: Armut / Arme (NT), S. 2.

[15] Drewermann: Das Matthäusevangelium, 370–371.

[16] Cf. Anatoli Uschomirski: Die Bergpredigt aus jüdischer Sicht. Was Juden und Christen gemeinsam von Jesus lernen können (2020): Die Seligpreisungen, 18–42: 22

[17] Luz: Matthäus (1985), 206 (A. 51 u. 52); TRE 4 (1979), Art. Armut (II.) AT (Diethelm Michel), 72–76: 73; die Wörter mit derselben Unterscheidung gibt es auch im Neuhebräischen, im Ivrit.

[18] Kessler: Armut / Arme (AT) (2006), S. 2.

[19] TRE 4 (1979), Art. Armut (VII.) 16.–20. Jh. (ethisch) (1.) Luther (Gerhard Krause), 98–105: 99.

[20] Drewermann: Matthäusevangelium. Bilder der Erfüllung (1992), 372.

[21] S. Weder: Die „Rede der Reden (1987): Selig die Armen im Geist, 45–56: 51–56.

[22] Das Aschre in Psalm 1,1 wird als Vorbild für das griech. Makários angeführt; cf. Uschomirski: Die Bergpredigt aus jüdischer Sicht, 20; Weder: Die „Rede der Reden (1987): Religionsgeschichtliche Voraussetzungen, 41–44: 41; das Wort „aschrej“, wird „folgerichtig“ mit „selig, glücklich, wohl“ übersetzt; s. Die Bergpredigt: jüdisches und christliches Glaubensdokument (1985): Einleitung (11–37): Zwischen Predigt und Praxis (28–37): Die Selig-preisungen, 34–37: 34f. Zur Interpretation von Ps 1,1: Steinberg: Seligpreisung (AT) (2013), S. 1.

[23] Leonard Ragaz: Die Bibel. Eine Deutung. Neuaufl. d. siebenbändigen Originalausg. Vier Bände. 3. Band: Jesus, hg. v. Ernst Ludwig Ehrlich u.a. (1990): Die Weltrevolution, 34–45: 35; Gott „ist das Gegenteil der Welt“ (34).

[24] Friedrich Wilhelm Kantzenbach: Die Bergpredigt. Annäherung – Wirkungsgeschichte (1982): Auslegung und Predigt der Seligpreisungen (3.) Olov Hartman (1954). Selig seid ihr Armen. Eine Predigt, S. 91–98: 95–96.

[25] Die Bergpredigt: jüdisches und christliches Glaubensdokument (1985), 47.

[26] Cf. Howell: The Matthean Beatitudes in Their Jewish Origins (2011), 144.

[27] Luz: Matthäus (1985), 211–212 (Belege dort).

[28] Zit. n. Die Bergpredigt: jüdisches und christliches Glaubensdokument (1985), 48.

[29] Cf. Howell: The Matthean Beatitudes in Their Jewish Origins (2011), 145–147.

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