Matthäus 5,13

Matthäus 5,13

8. So. n. Trinitatis | 30.7.2023 | Mt 5,13 | Hansjörg Biener |

Jesus Christus spricht:

„Ihr seid das Salz der Erde.

Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen?

Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.“ (Mt 5,13)

So weit so klar! Doch nicht für jeden. Deshalb zunächst eine kleine Küchenkunde…

Etwas antike Küchenkunde

Jeder von uns, der ein bisschen etwas von Kochen versteht, muss beim ersten Hören Einwände gegen das verwendete Bild haben. Salz kann doch nicht schlecht werden! Ich habe bei der Predigtvorbereitung ein paar Bücher gewälzt und eine Menge gelernt: Über Salzgewinnung und Salzhandel, über den Schaden und Nutzen von Salz, über die religiöse Bedeutung von Salz allgemein und spezielle Vorstellungen über das Salz im Volksglauben. Salz galt als Gabe der Götter und verschiedentlich warf man Salz als Opfergabe ins Feuer. Leider bin ich in den populärwissenschaftlichen Büchern nicht bis nach Israel-Palästina gekommen, geschweige denn in die Jesus-Zeit.

Ich bin aber auf einem anderen Weg fündig geworden, beim römischen Gelehrten Plinius. Das ist der Plinius, der bei dem berühmten Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 ums Leben kam. Wie eine ganze Stadt! Pompeji könnte vielen von Ihnen ein Begriff sein, auch wenn Sie diese archäologische Fundstätte nie besucht haben. Plinius hat eine vielbändige Naturgeschichte geschrieben, in der er das Wissen seiner Zeit zusammenfasst. Er lobt das Salz, Zitat, „da es die Eßlust anreizt und alle Speisen so schmackhaft macht, daß man es auch aus zahllosen <anderen> Gewürzen herausschmeckt; […] Daher gibt es, beim Herkules, ohne Salz kein menschenwürdiges Leben. […]  Auch bei den Alten stand <das Salz> in großem Ansehen, wie aus dem Namen ‚Salzstraße‘ (Via Salaria) hervorgeht, weil man auf ihr das Salz zu den Sabinern zu bringen pflegte. […] und aus einem Sprichwort geht hervor, daß sie Salz mit Brot aßen. Vor allem jedoch zeigt sich sein Ansehen bei den Opfern, da keines ohne gesalzenes Schrotmehl verrichtet wird.“ [Plinius, Naturkunde, S. 61] So weit das Lob, das wir leicht nachvollziehen können und das die populärwissenschaftlichen Bücher bestätigt.

Wenn man weiterliest, wird man allerdings skeptisch. Da beschreibt Plinius Salz verschiedener Herkunft, seine Farbigkeit und Konsistenz und seine Nützlichkeit für verschiedene Krankheiten. Im wissenschaftlichen Kommentar zum Text wird gelegentlich darauf hingewiesen, dass es sich wohl nicht um Kochsalz in unserem Sinn handelt bzw. Kochsalz da nur einen Teil ausmacht. [Plinius, Naturkunde, S. 114, 117] Bei Salz in der Antike dürfen wir also nicht an das hochreine weiße Salz aus dem Supermarkt denken. Antikes Salz hatte zahlreiche Beistoffe, so wie wir aus Gesundheitsgründen jodiertes Salz nehmen sollten [https://bvlk.de/news/wenn-salz-dann-jodsalz.html]. Laut Plinius kann Salz sogar „rosten“, was chemisch nicht möglich ist. Andererseits wissen wir, dass Salz Rost z. B. an Autos oder in Betonkirchen fördert. Es sind also die in der Antike unvermeidlichen Beistoffe, die über die Genießbarkeit/Nützlichkeit von Salz entscheiden. In diesem Sinn kann Salz tatsächlich unbrauchbar werden. Darum irrt Jesus nicht. Im Gegenteil: Er nimmt die Lebenserfahrung seiner Zeit auf, um sich verständlich zu machen.

Ich fasse unseren Ausflug in die Salzgeschichte so zusammen: Wir Heutigen gehen für Salz in den Supermarkt und können vertrauen, dass wir für wenig Geld viel Qualität bekommen. [500 g Bad Reichenhaller Markensalz für * Eurocent und als Jodsalz für * Eurocent. Ich habe das am Freitag noch schnell im Supermarkt meines Vertrauens recherchiert.] Für die Auslegung wissen wir aber nun, dass der Begriff von Salz in der Antike nicht ganz mit unserem Natriumchlorid-Kochsalz identisch ist. Es war ein wertvolles Gut, aber auf jeden Fall nicht so hochrein wie unseres. In der Antike kann Salz deshalb tatsächlich unbrauchbar werden. Damit kann ich den Exkurs für kundige Köche und Köchinnen beenden und mich der Auslegung zuwenden.

Vom Wert des Salzes und vom Wert von „Salzmenschen“

Salz an sich ist kein Lebensmittel, doch es macht Speisen genießbar bzw. manche Lebensmittel auch haltbar. Außerdem ist es wichtig für den Wasser- und Elektrolythaushalt des Körpers und das Gleichgewicht des Blutes. Unser Körper braucht täglich etwa 5 g Kochsalz. Bei uns bekommt er heute meist mehr. Darum hängen manche Zivilisationskrankheiten mit einem Überfluss an Salz zusammen. So wird ja bei Bluthochdruck geraten, den Salzkonsum deutlich zu reduzieren.

Salz ist für uns in Europa leicht zugänglich. Aber das war nicht immer so und ist es bis heute in vielen Ländern nicht. Weil Salz in vielen Kulturen Inbegriff des Unentbehrlichen und Wertvollen ist, konnte Jesus das Salz zum Beispiel für das Leben und seine Deutung nehmen. In der Bergpredigt hören wir über „uns“, die wir auf Jesu Stimme hören wollen:

„Ihr seid das Salz der Erde.“ (Mt 5,13)

Christen und Christinnen als Salz in der Suppe einer Gesellschaft. Gehen wir dem Bild ein wenig nach.

Salz macht Speisen genießbar. Christen, so Jesu Wort, könnten dafür sorgen, dass ein Arbeitsplatz, eine Klasse, eine Nachbarschaft genießbar werden, dass das, was dort geredet und getan wird, bekömmlich ist für alle. Allein dadurch, dass sie da sind. So wie Salz salzt, weil es da ist und nicht, weil es sich anstrengt.

Zweitens: Salz ist lebensnotwendig für die Gesundheit. Die Anwesenheit von Christinnen in einer Gesellschaft, so die Verheißung Christi, kann dafür sorgen, dass der Stoffwechsel einer Gesellschaft funktioniert. Sie könnten z. B. dafür sorgen, dass es zwischen den verschiedenen Schichten und Interessensgruppen einer Gesellschaft einen Austausch und Ausgleich gibt.

Und drittens: Salz hat auch rettende bzw. heilende Kraft. Eine zehnprozentige Kochsalzlösung dient als allererste Hilfe nach großen Blutverlusten, um das Blutvolumen kurzfristig wieder aufzufüllen. Kochsalzquellen werden zum Kuren aufgesucht, weil sie schleimlösend wirken und Husten lindern. – Und in der Tat: Wie viele Dinge wären zu heilen in unserer Welt, wie viel Schleim verhindert Segen. Und wo eine Gesellschaft blutarm wird, können Christen und Christinnen eine erste Hilfe sein, bis dem ganzen Körper geholfen wird.

Christen sind Salz der Erde und Würze einer Gesellschaft oder könnten es sein. Man könnte da an Eigenschaften aus den Seligpreisungen denken, die in der Bergpredigt unserem Predigttext direkt vorausgehen. Bescheidenheit und Geduld aus Glauben, Sanftmut und Gütekraft, Sehnsucht nach persönlicher Redlichkeit und gesellschaftlicher Gerechtigkeit.

Von verlorener Salzkraft

Jesu Aussage über den Wert der Gläubigen hat allerdings noch einen längeren Nachsatz:

„Ihr seid das Salz der Erde.

Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen?

Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.“ (Mt 5,13)

Offensichtlich ist Jesu Wort aktuell mehr eine Challenge [Herausforderung] als eine Feststellung.

Manchmal denke ich mir: Dass die Welt so ist, wie sie ist, mit Kinderschändern und Korruption, mit Verzweiflungstaten von Erwachsenen und mit minderjährigen Intensivtätern, hängt vielleicht auch mit der kollektiven Zurückhaltung der Gläubigen zusammen, die nicht für das eintreten, was ihnen wichtig und heilig ist. Und wenn Christen den Werteverfall und die Verkommenheit dieser Welt beklagen, sollten sie sich auch fragen: Was habe ich eigentlich zu[r Besserung] dieser Welt beigetragen? Habe ich meine Stimme erhoben gegen dieses oder jenes Programm im Fernsehen oder gegen diese oder jene Formulierung in den Neuen Medien, gegen den Nackt-Kalender in der Werkhalle oder anzügliche Bemerkungen im Büro, extremistische Äußerungen im Bekanntenkreis und Intrigen in der Nachbarschaft? Und wenn das Gebot der Nächstenliebe und der Gottesliebe schon gleich wichtig sind: Habe ich Dinge, die mich traurig gemacht haben oder berührt oder verletzt haben, auch vor meinen Gott gebracht? So wie Salz mit Speisen in Berührung kommen muss, um seine Kraft zu entfalten, müssen sich Glaube und Welt berühren, damit der christliche Glaube seine Salzkraft entfalten kann. Andernfalls wirkt er irgendwann unnütz, ein Glaube zum Wegwerfen wie ein Würzmittel, das nicht mehr würzt.

Und wenn Jesus vom Zertreten spricht, dann kann man den Zorn spüren, dass etwas Wertvolles so verkommen ist, dass es zu nichts mehr taugt. Zorn und Enttäuschung, dass „die Kirchen“ verkommen, kenne ich auch. Das für mich religiös bedrängendste Thema in dieser Hinsicht sind die Sexualskandale in den Kirchen. Dabei ist es keineswegs so, dass es Me Too nur in der Kirche gab. Es ist keineswegs so, dass nicht z. B. auch in westdeutschen Sportvereinen und -verbänden oder im DDR-Sport zugegriffen, weggesehen und vertuscht wurde. An den Hochschulen fängt die Debatte über die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen erst an. Und vertuschten Missbrauch gab es nicht nur in kirchlichen Internaten, sondern auch in Internaten, die ein ausdrücklich anderes Konzept vortrugen. [https://de.wikipedia.org/wiki/Odenwaldschule] Die Öffentlichkeit regt sich meines Erachtens aber nicht grundlos besonders über Verfehlungen in den Kirchen auf. Mit ihr spüre ich: Die Kirchen sollten ihre Lebensnähe nicht dadurch beweisen, dass alles, was es in der Welt gibt, auch bei ihnen vorkommt. Es ist umgekehrt: Ihre Lebensdienlichkeit sollte darin bestehen, dass es vieles, was es in der Welt gibt, bei ihnen so eben nicht vorkommt.

Nach dieser kleinen Wutrede zurück zu gemäßigterem Ton. Zum Schlussabschnitt:

Vom Salzen und Versalzen

Mag sein, dass andere Menschen „mehr Pfeffer“ haben und manche „einfach nur süß“ sind. Da muss man als Christ oder Christin nicht neidisch sein, wenn man sich an Jesu Salz-Wort erinnert. Salz ist kein Modegewürz, das man nehmen kann oder auch nicht. [Modegewürz – dieses Wort gibt es tatsächlich. Es war früher ein Name von Piment.] Salz dagegen ist lebensnotwendig. Das lebensnotwendige Salz der Erde sind die Christen, oder könnten sie sein. Die Welt braucht Menschen, die sich nicht verstecken, sondern sichtbar und gemeinschaftlich für ihre Überzeugungen einstehen. Für „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“, für „Lebensrechte“ für große und kleine. Ich nehme hier bewusst zwei Beispiele, die verschiedenen Spektren in den Kirchen zugeordnet werden. Die politischen Visionen eher den „Progressiven“, die Themen Lebensschutz statt Abtreibung und assistiertem Suizid eher den „Konservativen“. Ich kann nachvollziehen, dass die jeweilige Betroffenheit auch zur Bitterkeit binnenkirchlicher Auseinandersetzungen beiträgt. Tatsächlich ist die Herausforderung aber noch bitterer. Ich formuliere sie als Frage: Was ist schwerer? Sich an Klimaprotesten zu beteiligen oder grundsätzlich mit der Familie z. B. auf Fernreisen zu verzichten? Und für die Lebensschützer: Was ist schwerer? Sich an Kampagnen gegen Arztpraxen zu beteiligen oder ein Kind anzunehmen oder einen einsamen Senior bis an sein Ende zu begleiten? Wer die jeweils zweite Antwort lebt, hat keine Energie für binnenkirchliche Bitterkeiten zwischen „Links“ und „Rechts“. Er braucht seine Kraft für die übernommene Verantwortung.

Die Welt braucht Salzmenschen, die erkennen lassen, wofür sie stehen. Das mag uns Mut machen, zu persönlichen Überzeugungen und Handeln aus unserem Glauben zu stehen. Allerdings, das soll nicht verschwiegen werden: Salz ist eine kleine Zutat mit großer Wirkung. Darum ist Salzen eine Kunst. Man kann ja Speisen auch versalzen. Dann muss man die Suppe entweder wegschütten oder auslöffeln, auch wenn sie nicht schmeckt. So wird manchmal auch die Salzkraft des Christlichen zu sehr eingesetzt. Es ist nicht unbedingt falsch, was da in ethischer oder religiöser Hinsicht gesagt wird, aber die Dosis stimmt nicht. Für Speisen mit Salzkruste mag das Übermaß angehen, für eine Kraftsuppe des Lebens taugt es nicht so sehr. Dann entzieht mangelnder Takt dem Salz seinen Sinn. Hier hilft nur das Rezept aller guten Köche: Üben. Manchmal ist es zu viel, aber oft kann man ruhig noch etwas nachsalzen.

Jesus Christus spricht: „Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.“ (Mt 5,13) Amen.


Dr. Hansjörg Biener (*1961) ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und als Religionslehrer an Nürnberger Gymnasien tätig. Außerdem ist er außerplanmäßiger Professor für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. (Hansjoerg.Biener (at) fau.de)


Literatur

Berger, Jean-François: Die Geschichte vom Salz, Frankfurt/New York: Campus, 1989, S. 147-157 Die Mythen vom Salz.

König, Roderich (Hg.): Plinius Secundus, Gaius: Naturkunde. Lateinisch-deutsch. Buch 31: Medizin und Pharmakologie: Heilmittel aus dem Wasser, München: Artemis und Winkler, 1994 (Sammlung Tusculum)

Luz, Ulrich: Das Evangelium nach Matthäus (Mt 1-7), Zürich: Benziger Verlag/Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1985 (Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament, Bd. I/1)

Bemerkenswert S. 221: „Unklar ist, wie der Evangelist a) die Metapher ‚Salz‘ und b) das Gleichnis vom ‚Dumm-Werden‘ des Salzes verstanden hat.“ Nach dem Abweis verschiedener Deutungen aus der Wirkungsgeschichte, dann S. 223: „Das Gewicht des Logions liegt auf der Drohung. ‚Hinausgeworfen werden‘ und ‚zertreten werden‘ wecken Assoziationen an Gerichtsterminologie. Was gefordert wird, ist durch die Metapher ‚Salz der Erde‘ erst indirekt angesprochen. Salz ist nicht Salz für sich, sondern Würze für Speise. So sind die Jünger nicht für sich, sondern für die Erde da. Was Matthäus genau meint, wird er in V16 sagen, der auch unseren Vers zusammenfaßt.“


Liedhinweis

Nicht in den Duktus dieser Predigt passend, doch womöglich „gut zu wissen“:

Martin Pepper: Salzmensch (Wertschätzungslied)

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