Matthäus 6, 25-27 und 33

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Matthäus 6, 25-27 und 33

Sehen statt Sorgen | Exaudi | 29.05.2022 | Mt 6,25-27 und 33 | 6. Predigt in der Reihe «Tiere, die Bibel und wir» | Berthold W. Haerter |

Mt 6, 25-27: 25 Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? 26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie? 27 Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?

Liebe Gemeinde

1. «Das unterschätzte Tier» (Buchtitel, Hrsg. Nobert Sachser, Hamburg 2022)

Wussten Sie, dass Rabenvögel denken können? Sie nehmen eine Walnuss fliegen mit dieser zur Vorderen Bergstrasse und lassen sie auf den Strassenbelag fallen. Sie haben sich gemerkt, dass sich Walnüsse durch den Schlag auf die Strasse öffnen können und sie so an den Inhalt kommen können. Sie probieren es ein paar Mal. Wenn es nicht gelingt, streichen sie enttäuscht ab. Das habe ich beim Velofahren beobachtet. Die Wissenschaft bestätigt, dass Rabenvögel Situationen spontan erfassen und zielgerichtete Handlungsabläufe ausführen können. (Das unterschätzte Tier, 18) Und nicht nur das: Wenn Kolkraben Futter verstecken, achten sie darauf, ob Artgenossen sie beobachten, damit diese das Versteckt nicht etwa danach plündern. (Ebenda 20) Rabenvögel haben ein Gefühl für Fairness und können Empathie gegenüber Artgenossen entwickeln und diese trösten. (Ebenda 22, 24)

2. «die Vögel des Himmels» (Matthäus 9,26)

Von Vögeln, und Lukas, bei dem die Geschichte auch zu finden ist ­– er spricht ausdrücklich von «Raben» ­– haben wir soeben gehört. Raben macht Jesus uns zum Vorbild fürs «Nichtsorgen».

Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen werdet, noch um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Schaut auf die Vögel des Himmels … Oder, wie Lukas sagt: «Achtet auf die Raben…» (Lukas 12, 24)

Raben sind keine Nachtigallen. Krähen sind keine Amseln, die mich morgens hoch oben auf dem Baum lieblich wecken. Rabenvögel sind keine quirligen Meisen, die emsig beschäftigt sind und die wir dabei beobachten können, wie sie ihre Jungen grossziehen. Raben machen unseren Turmfalken im Kirchturm immer wieder das Leben schwer, wenn sie diese bei der Nahrungssuche angreifen und plagen. Solche Vögel, intelligente aber auch emotionale Tiere sollen wir anschauen, auf sie achten (Lukas), damit wir uns nicht sorgen.

3. «Sorget euch nicht…» (Matthäus 9, 25)

Und das können wir ja gut, uns sorgen, oder? Das «sich Sorgen» müssen wir nicht lernen. Das holt uns ein, am liebsten, wenn wir abends nicht einschlafen, nachts wachliegen oder morgens zu früh aufwachen. Wir bzw. dass «Es» in uns findet immer etwas, um sich Sorgen zu machen. Im Spital sagte jemand diese Woche zu mir «es studiert ständig» (das kann man nur so im Schweizerdeutsch ausdrücken, ungewollt denkt es in mir). Selten geht es bei uns um Nahrung und Kleidung. Gott sei Dank! Dafür ist gesorgt. Aber dann…

Nach dem Sorgenbarometer machen sich Frau und Herr Schweizer die grössten Sorgen, dass die Krankenkassenprämien steigen könnten, gefolgt von der Situation der Umwelt und der Sorge, ob die Altersversorgung abgesichert ist. Bei diesen statistischen Angaben ist der Angriffskrieg auf die Ukraine nicht berücksichtig. Er und seine Folgen beschäftigen uns wohl alle und machen uns Sorgen. Dazu kommen noch die persönlichen Sorgen. Die berufliche Überlastung führt zur Sorge: Wie schaffe ich das alles? Das kann einer pensionierten Person genauso gehen: «Ich habe so viele Termine, ich habe Sorge, dass ich durchdrehe», erzählte mir ein Mann. Und dann ist da die Gesundheit. Ich sorge mich, ob ich alles Richtig mache oder ob diese Schmerzen der Anfang von etwas ganz Schlimmen sind. Wir sorgen uns um die Zukunft, um unsere Arbeit und unseren Wohlstand. Dann die Sorge um die Kinder. Sie hört bei Eltern nie auf. Die Aufnahmeprüfung fürs Gymi ist geschafft, aber schon Ende August beginnt die Probezeit…. Oder etwa ganz anderes: Kann ich mir einen Pflegheimaufenthalt im Einzelzimmer für mehrere Jahre leisten? Sie merken, das sind viele ängstliche Sorgen, und die Liste kann wohl jeder beliebig weiterführen. Nur zu gut kennen wir Jesu-Satz, der zum Sprichwort geworden ist: «Wer von euch vermag durch Sorgen seiner Lebenszeit auch nur eine Elle hinzuzufügen?»

4. «Durch Sorgen Lebenszeit hinzufügen» (Matthäus 9, 27)

Sorgen nehmen uns die Fröhlichkeit und unsere Lebendigkeit. Sie halten uns nachts wach und erzeugen am Tag Stress und Druck. Sorgen können zu Depressionen führen. Wir wissen es, Sorgen machen nicht schöner, sondern lassen uns schneller alt aussehen. Sorgen verlängern unser Leben nicht, sondern verkürzen es. Ich habe einmal nachgeschaut, wann ich das letzte Mal über diesen Sorge-Text gepredigt habe. Ich war erstaunt, denn es war vor 21 Jahre, 2001, bei einer Beerdigung der fast 103-jährigen Erna B. Sie kam aus einem Bauernfamilie, machte eine Ausbildung als Kinderkrankenschwester, blieb ledig und arbeitete wohl auf fast allen Kontinenten. Im hohen Alter kam sie ins Altersheim. Ihre Lebenseinstellung war, nichts zu besitzen, keine Sorgen zu haben, zu arbeiten, wenig dafür gesund zu essen, dankbar zu sein und fast kindlich darauf zu vertrauen, dass es mit Gottes Hilfe immer eine Lösung gibt. Sorglos sein hängt offensichtlich oft mit dem sich Loslösen von allem Belastenden, bewusster Dankbarkeit und Vertrauen zusammen. Es ist unser Thema. Damals wie heute …

Jesus hat das erkannt und sagt in diesem Abschnitt deshalb 4x: «Sorgt euch nicht um euer Leben… Und was sorgt Ihr euch … Sorgt euch also nicht… « – 2 x (Verse 25, 28, 31, 34)

Sorge erzeugt Angst. Es ist oft eine uns immer mehr erfassende ängstliche Sorge, die uns wie in einen Tresor einsperrt, und uns nicht mehr frei und entspannt handeln und denken lässt. So können wir eingesperrt auch keinen Kontakt zu Gott aufzubauen. Wir verlieren die Verbindung zu ihm. Eine immer dicker werdende Wand trennt uns, riegelt uns von ihm und seinem für uns Dasein ab. Sorglosigkeit wäre demnach eine konsequent gelebte Loyalität, ein fast kindlich naives Vertrauen zu Gott, wie es das Fräulein B. offensichtlich gelebt hat. Das wäre Lebensqualität. Diese riecht nach Leichtigkeit und Freiheit. Aber wie erreichen wir das? Jesus hat eine einfache, aber logische Empfehlung:

5. «Schaut…» (Matthäus 9, 26)

Raus aus dem Tresor. Raus aus dem sich immer wieder um sich selbst drehen und nur das Negative im Tunnelblick auf sich zukommen sehen. Jesus will, dass wir Aufsehen und unsere Umgebung bewusst wahrnehmen, ja beobachten. Wie ein Psychotherapeut sagt Jesus: «Schaut» bzw. «Achtet auf …»

Diese Empfehlung Jesu «Schaut auf die Vögel…» ist eine Aufforderung unser Sehen und damit unser Denken zu öffnen. Wir sollen die Schöpfung, die uns umgibt, bewusst wahrnehmen, selbst wenn es nur ein klein wenig Schöpfung ist. Jeden Tag sollen wir bewusst etwas Schönes in der Schöpfung wahrnehmen und uns daran in allen Details erinnern, wenn sich Sorgen anschleichen.

Bonhoeffer erzählt aus dem Gefängnis von einem Vogel, den er hört und ein Stück Himmel, das er durch sein Zellenfenster wahrnimmt. Und dieses Wahrnehmen der Schöpfung macht ihm bewusst, da ist ein Schöpfer. Da ist ein Gott, der mit mir unterwegs ist. Wir, die wir so viel mehr schönste Schöpfung bewusst wahrnehmen können, in unserem Dorf, oben im Wald und unten am Zürichsee, sollten wir über diese Schöpfung nicht auch den Schöpfer wieder neu entdecken können?

Schaut! Achtete auf! Wenn Jesus empfiehlt, schaut auf die Vögel, dann wusste er kaum von den Raben das, was wir heute wissenschaftlich nachweisen können. Aber die Menschen haben damals schon beobachtet und gemerkt, dass Vögel nicht naiv sind, sondern mehr können als man zunächst meint. Die Raben finden in der Schöpfung immer eine Überlebensweise. Sie können sich gut anpassen und bleiben doch sich selbst. Sie schauen, beobachten und achten zuerst und «überlegen» und handeln dann.

Können wir das nicht auch wie die Vögel? Sorgen kann man durch Schauen und Achten überwinden. So einfach ist das. Beachten wir auch noch, wer hier redet. Jesus. Er, der die Verbindung zwischen uns und unserem «himmlischen Vater» ist. Heute würde man das eher formulieren, wie die Bibel in gerechter Sprache es übersetzt: «Gott, Vater und Mutter für Euch im Himmel, ernährt sie.» Jesus hat dieses Vertrauen gelebt und auch das Leben hängt nicht vom Sorgen ab, sondern von Gott. Alle unsere Lebenssorgen können wir in dem Gebetssatz zusammenfassen: «Unser täglich Brot gib uns heute.»

6. «Trachtet zuerst…» (Matthäus 9, 33)

Am Schluss sagt Jesu auch, was wir machen sollen, wenn wir unsere Sorgen zur Seite gelegt haben: Trachtet vielmehr zuerst nach seinem Reich und seiner Gerechtigkeit, dann wird euch das alles dazugegeben werden. Vielleicht haben da die Vögel einen Vorteil uns gegenüber. Sie brauchen nicht über Gott nachzudenken. Sie entdecken ihn, indem sie sehen und Lebensmöglichkeiten entdecken, die ihnen der Schöpfer bietet und dann handeln. Wir, die wir komplexer denken als die Vögel, haben von Gott einen Auftrag mitgegeben bekommen.

Wir sollen vielen ein Leben im Sinne Gottes schon heute ermöglichen, im Sinne von Gottes Gerechtigkeit. Und da gibt es Einiges zu tun für uns: Im Einsatz für die Menschen. Im Einsatz für unsere geringsten Schwestern und Brüder, die Tiere. Und hören wir auch, was Jesus noch sagt. Unser Einsatz wird belohnt! Uns wird im Leben alles dazugegeben, was wir brauchen. Ist das nicht genug?

AMEN

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Berthold W. Haerter

Oberrieden/Schweiz

Berthold.haerter@bluewin.ch

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Geb. 1963, Pfarrer der Evangelisch-Reformierten Landeskirche des Kantons Zürich.

Seit 1993 Pfarrer, seit 2005 in Oberrieden am Zürich

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