Römer 8,26-30

Römer 8,26-30

Seufzende Bilder zum Sprechen bringen | Exaudi | 29.05.22 | Predigt zu Röm 8,26-30 | Markus Kreis |

Römer 8, 26-30

26 Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen. 27 Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er tritt für die Heiligen ein, wie Gott es will. 28 Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. 29 Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. 30 Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.

Nennen wir ihn Yannick. Den 20-jährigen Schüler, der im Unterricht diesen Traum erzählt hat:

Also ich habe geträumt, dass ich mit meiner Freundin in einem alten Ferienhaus gewohnt habe. Dann stand ich vor dem Haus, habe auf mein Handydisplay geschaut und dort gesehen, wie zwei Freunde von mir, mit denen ich am Wochenende immer wegging, verprügelt wurden. In dieser Videoaufnahme mit Untertiteln auf dem Handydisplay sah ich die beiden vor etwa zehn befremdlich wirkenden Männern wegrennen. Alles auf dem Display aus der Perspektive, wie wenn jemand das Handy – mit dem das Video aufgenommen wurde – beim Rennen in der Hand halten würde. Anschließend wurden meine Freunde niedergeschlagen und getreten. Die ganze Zeit schrie ich ins Handy: Steven, wo seid ihr? Immer und immer wieder. Ich wollte sofort dorthin fahren, aber ich bekam keine Antwort. Dann sah ich, wie sie bespuckt und mit Zigaretten verbrannt wurden. Die Schreie von ihnen waren für mich extrem schlimm. Zuletzt filmten die Männer sich gegenseitig und zeigten stolz, was sie von meinen Freunden geklaut hatten. Sie hatten unter anderem den Autoschlüssel von Stevens Audi TT.

Es stellte sich raus, dass dies alles schon vor einer Woche geschehen war und meine Freunde mir aus Scham nichts erzählt hatten. Ich lief die Straße an dem Haus vor und sah in 200 m Entfernung die Leute mit Stevens Auto auf einem Feld rumfahren. Ich regte mich sehr darüber auf. Ich ging zurück zum Haus und wollte die Polizei rufen. Meine Freunde waren auch da. Sie wollten aber nicht, dass die Polizei kommt. Ihnen wurde mit dem Tod gedroht, falls die Polizei käme.

Wir standen im Haus und ich sah durch die Scheibe, wie sich die Männer näherten.

Wir wollten uns im Haus verstecken. Die Männer klingelten und klopften an die Tür. Dann waren sie auf einmal im Haus drin. Ich fragte sie, warum sie uns so etwas angetan hatten. Der eine meinte zu mir: „Es ist unser Wasser.“ Ich verstand nicht, was er meinte. Traumende, Erwachen.

Liebe Gemeinde,

haben sie die Bitte gehört, die mit diesem Traum ausgedrückt wird? Den stillen Wunsch, den er beinhaltet? Die Schwachheit des Träumers verstanden, die zu seinem Wünschen und Bitten führt?

Dieser Traum hat für mich die Kennzeichen eines Gebets. So wie sie eben zu Anfang des Textes aus dem achten Kapitel des Römerbriefs genannt worden sind. Yannick wusste nicht, was als Wunsch und Bitte in ihm lebte und webte. Weil er für das eigene Wünschen und Bitten taub war, hat er den Traum überhaupt genauso geträumt wie eben berichtet. Und weil ihm der Traum unklar gewesen ist, hat er ihn erzählt, um das Geträumte mit fremder Hilfe vielleicht zu verstehen.

Wovon man nichts weiß, davon kann man nicht reden. Der Traum steht also auch für das im Römertext genannte unaussprechliche Seufzen. Dafür spricht auch, dass Yannick den Traum in bewusster freier Phantasie sich so niemals hätte ausdenken, erfinden können. Da wäre er nie draufgekommen. Auch die erzählten Ereignisse tragen das ihre dazu bei: Zu aberwitzig oder befremdlich sind die Inhalte der formulierten Sätze: Es ist unser Wasser! Zu sprunghaft die Orte des Geschehens: Erst in und dann vor einem Ferienhaus. Darauf mittels eines nur einseitigen Handykontakts zu einer unbekannten Ebene. Zurück zum Haus, von da zu einem Acker, wieder zurück vors Haus, dann in dem Haus verstecken, was allerdings trotzdem zur Entdeckung führt.

Der Geist im Schüler, der die Herzen erforscht, der wusste, was da vorgeht. Und machte ihm es mit Hilfe des Traums verständlich. Kommen wir zur Auslegung.

Haben sie inzwischen eine Idee? Ich hatte eine und habe sie immer noch.

Im Schüler seufzen Wunsch und Bitte, Konflikte zu lösen. Welche? Wenn man ahnt, dass die fremden Schläger die Aggression von Yannick verkörpern, dann ergibt sich da was. Er tut seinen Freunden in Gestalt der fremden Schläger einerseits Zwang an, ja Gewalt. Es ist unser Wasser! Die Schläger entscheiden, was lebt und was stirbt. Wasser kann Leben oder Tod bringen.

Andererseits zeigt der Traum, dass Yannick seine Freunde sehr mag. Keine Polizei! Will sagen, da sind reine und gute Gefühle im Spiel, kein sozialer Zwang seinerseits. Einer von ihnen, Steven, der hat ihn sogar mit seinem teuren Auto fahren lassen. Yannick will ihnen unbedingt beistehen und helfen – gegen die Aggression, die ihm entspringt. Er verhält sich gegenüber seinen Freunden also sehr widersprüchlich. Das ist der eine Konflikt. Dieser Widerspruch in ihm resultiert aus einem anderen Konflikt.

Yannick muss seine Liebe nämlich teilen, also aufteilen und verteilen. Er mag nämlich nicht nur seine Freunde sehr, sondern auch seine Freundin. Mit der lebt er ja in einem Ferienhaus. Er erlebt die junge Beziehung zu ihr also wie einen schönen Urlaub. Man kann sich leicht ausmalen, zu wessen Gunsten er seine Liebe aufgeteilt und verteilt hat. Seine Gewichtung führt ihn in den zuerst genannten Konflikt. Und den möchte er gerne gelöst haben, darum bittet sein Traum. Denn er hatte ihn bis dahin nicht gelöst. Denken sie an den misslichen, weil nur einseitigen Handykontakt zu seinen bedrängten Freunden.

Was würden sie Yannick raten? Mit seinen Freunden in echten Kontakt treten, das Gespräch suchen. Ihnen seine Lage und die eigene Zerrissenheit erläutern. Sie um Verständnis bitten. Oder auch darum, ihm zu vergeben.

Man kann sich leicht vorstellen, warum dem Schüler Wunsch und Bitte verborgen waren. Sowie die Wege, sich diese zu erfüllen. Das waren seine schwachen Stellen. Welcher junge Mann redet gerne über Gefühle mit seinesgleichen? Und dann auch noch über so was wie Liebe? Vielleicht verstehen die mich gar nicht? Oder haben nur Spott übrig. Unterstellen mir, sie anmachen zu wollen. Vielleicht kommt raus, dass die mich nicht so gerne haben, wie ich sie? Vielleicht nimmt mir meine Freundin das krumm? Und dergleichen mehr.

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen…

Ob er den Rat trotz der Ängste befolgt hat. Wer weiß? Mir ist das unbekannt. Ein bisschen trauen muss man sich schon. Und das eigene Phlegma überwinden. Aber was soll schon passieren. Selbst wenn die ihm übel mitspielen. Schlimmstenfalls muss er die alten Freunde abschreiben. Die Enttäuschung verkraften, dass er sich so geirrt hat. Und die Arbeit verkraften, die mit dem Finden neuer, echter Freunde verbunden ist. Und die zeitweilige Einsamkeit. Er hat ja immerhin eine Freundin. Vielleicht muss er auch nur das Verhältnis zu den alten Freunden etwas lockern. Im besten Fall vertiefen Gespräche die Freundschaft zwischen den Männern. Und das dürfte sich sehr positiv auf die Beziehung zu seiner Freundin auswirken.

Die nach seinem Ratschluss berufen sind, … die hat er auch verherrlicht.

Wenn sich der Träumer Auslegung samt Ratschlag zu Herzen nimmt, dann kann er sich trotz der Konflikte als Herr seines Lebens sehen. Und darin auch als Herr seiner Gefühle, seines Seufzens. Schließlich wird ihm sein Leben nicht um die Ohren fliegen. Hin oder her. Gute Gefühle, die flöten gehen, hin. Miese Gefühle, die auftauchen, her. Ein gutes Gleichgewicht wird sich einstellen, Verzweiflung der Hoffnung weichen, Freude auf üble Laune folgen. Dank dem Geist, der die Herzen erforscht und für die Menschen eintritt. Der Bitten erhört, indem er seufzende Bilder zum Sprechen bringt. Amen.

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Markus Kreis OStR

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