Johannes 17,20-26

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Johannes 17,20-26

Exaudi | 29.05.22 | Joh 17,20-26 (dänische Perikopenordnung) | Marianne Frank Larsen |

Eins sein um etwas anderes als sich selbst

Vielleicht ist das eine der glücklichsten Erfahrungen, die man machen kann. Die Erfahrung, eins zu sein mit einem anderen Menschen. Verliebte Paare sind eins in der gemeinsamen Entdeckung, einander zu entdecken. Aber wenn sie Glück haben, dann erwächst aus der Verliebtheit eine Liebesgeschichte, wo beide eins sind um etwas anderes als sich selbst. Und das ist gerade dieses Andere, das sie verbindet, vielleicht sogar über viele Jahre. Es beginnt vielleicht mit gemeinsamen Freuden, etwas was ihre Augen strahlen lässt. Und es kommt dann zu einer gemeinsamen Adresse und einem gemeinsamen Alltag, gemeinsamen Aufgaben, vielleicht sogar gemeinsamen Kinder, für die sie beide sorgen. Ein Tisch, an dem sie zusammensitzen. Ein Bett, in dem sie zusammen liegen. Eine gemeinsame Familie, gemeinsame Freunde, gemeinsame Sorgen, gemeinsame Freuden. Und wenn es hält, wird es zu einer ganz besonderen gemeinsamen Geschichte. Und dann sind es nicht nur die beiden, die zusammenhalten, sondern all das, was ihnen gemeinsam ist, was sie eins macht und sie verbindet.

Es ist natürlich etwas anderes, eins zu sein, als einig zu sein. Was jeder weiß, der weitergekommen ist als zur ersten freudvollen Begegnung der Verliebtheit. Gleich werden wir nie. Und vielleicht auch nicht einig. Wir fühlen nicht dasselbe, denken nicht dasselbe, meinen nicht dasselbe, wollen nicht dasselbe, und das ist hin und wieder sowohl eine Enttäuschung und ein Ärgernis, aber wir können sehr gut dennoch eins sein. Weil wir noch immer eins sind um etwas anderes als das, was wir so verschieden sehen. Etwas, was wichtiger ist und uns zusammenbindet trotz Uneinigkeit, trotz Willen und Gefühlen, die in alle Richtungen gehen. Und da sind hoffentlich die gemeinsamen Freuden. Und auf alle Fälle ist da eine Geschichte, die freudvoll begann, und da ist eine Familie, eine Aufgabe, ein Alltag, die wir gemeinsam haben, ganz gleich was uns unterscheidet. In diesem Licht sind die Verschiedenheiten und die unterschiedlichen Gefühle vielleicht nicht entscheidend – auch nicht, wenn sie weh tun. Was uns gemeinsam ist, darauf kommt es an. Solange das bleibt, kann die Geschichte dann wieder freudvoll werden.

Im heutigen Evangelium sind sie eins um einen Tisch. Dreizehn verschiedene Männer, die überhaupt nicht gleich sind, die weder gleich denken oder handeln, die auch nicht dasselbe fühlen oder meinen. Aber so wie sie da um denselben Tisch sitzen, sind sie doch eins. Denn gemeinsam essen sie am selben Tisch und sind deshalb dennoch eins.  Sie essen gemeinsam vom selben Brot und trinken denselben Wein – wie in den täglichen und festlichen Zusammenkünften, die wir kennen. Aber ihnen ist mehr gemeinsam. Ihnen gemeinsam ist der, der in der Mitte sitzt. Nicht um Meinungen geht es, denn er sitzt nicht da und belehrt sie darüber, was sie meinen sollen. Vielmehr geht es um eine Gemeinschaft mit einer Person und der Beziehung zu ihr. Dass er das Zentrum in ihrem Leben ist. Verbunden mit der Erfahrung, dass die wunderbaren Worte, die er sagt, und die Leben schaffenden Taten, die er vollbringt, einen ganz neuen Glauben und eine ganz neue Hoffnung und eine ganz neue Liebe in ihren Herzen schaffen. Seinetwegen leuchten ihre Augen. Sie kommen, jeder mit seiner Geschichte und seiner Persönlichkeit, und einige glauben, einige zögern, einige zweifeln, einige verleugnen, einige verraten, einige halten stand. Sie sind genauso verschieden wie wir, die wir hier heute versammelt sind. Aber sie sind dennoch eins. Um ihn, an den sie glauben. Eins in Christus.

Ihre Augen leuchten, weil er ihnen seine Herrlichkeit offenbart hat. Weil sie gesehen haben, wie er leere Gläser mit wunderbarem Wein füllt und lahmen Gliedern neue Kräfte schenkt und Blinden das Augenlicht wiedergibt. Und schließlich haben sie gesehen, wie er ein verschlossenes Grab mit Leben und die Herzen der Trauernden mit Freude gefüllt hat. Man könnte sagen, dass dies Magie war. Oder ein Spiel von Zufälligkeiten. Denn da sind keine Beweise und kein Zwang in der Geschichte von Jesus. Aber jemand hat ihre Augen geöffnet, sodass sie gesehen haben, dass all das Leben und all die Fülle und all die Freude – oder kurz all die Herrlichkeit – nur von dem guten Gott kommen kann. Sie glauben nun, dass der Mann in ihrer Mitte nicht nur ein Wundertäter ist, sondern dass er vom Schöpfer selbst gesandt ist. Und er hat sie selbst darin bestätigt, denn er hat sie gelehrt, dass Gott Vater ist. Für sie und für ihn. Das er mit anderen Worten selbst Gottes Sohn ist, eins mit Gott. Wenn man also ihn und seine Werke gesehen hat, hat man gesehen, wer Gott ist. Nicht ein ferner, zweideutiger Gott, sondern ein Vater, der seine Herrlichkeit den Menschen schenkt, die er liebt. Da leuchten ihre Augen aufs Neue – und sie haben Teil an der Liebe zwischen Vater und Sohn. Die Einheit im Raum ist also eine Einheit zwischen dreien. Zwischen dem Mann in der Mitte und seinem Vater im Himmel und den Männern am Tisch. Aber es ist der Mann in der Mitte, der sie verbindet. Sie sind eins um ihn.

Deshalb muss er so beten, wie er es tut. Denn in dem Augenblick, wo er nicht mehr da mitten unter ihnen sitzt, droht alles auseinanderzufallen. So ist es, wenn wir das verlieren, was wir gemeinsam haben. Wenn da nichts anderes mehr ist als wir selbst, was uns verbindet. Das Gebet im heutigen Evangelium spricht Jesus am Tage, bevor er sterben wird. Er weiß, dass er von seinen Nächsten scheiden muss, und er weiß, dass dies eine Gefahr dafür bedeutet, dass die Gemeinschaft zwischen denen und ihm und zwischen denen untereinander auseinanderfällt. Wenn sie zusammenbleiben sollen, muss sie sein Vater zusammenhalten. Das können sie nicht selbst. Deshalb bittet er seinen Vater darum, dass sie eins sein und bleiben mögen, nun wo ihre gemeinsame Geschichte auf Erden zu Ende geht. Und das ist keine vornehme und höfliche Ermahnung, nicht ein: Ich könnte mir denken, oder: Es wäre schön, wenn … Sondern ein: Ich will, sagt er. Er gebraucht einen starken Ausdruck, wenn er einen anderen um etwas bittet, aber so stark muss es offenbar gesagt werden, wenn die Worte der Kraft seiner Sehnsucht und seiner Hoffnung entsprechen sollen. Ich will, dass wo ich bin, sollen auch die, die du mir gegeben hast, bei mir sein. Das ist ja ein unmögliches Gebet, wenn man sterben muss. Aber er bittet dennoch, dass sie zusammenbleiben sollen. Dass die Gemeinschaft zwischen ihnen bestehen bleiben soll nicht nur in der Zeit, sondern ewig.

Wenn der Vater das Gebet nicht erhört, hat der Sohn umsonst gelebt. Dann ist sein ganzes Lebenswerk vergebens. Wenn die Männer einfach auseinandergehen und ihr Leben sich auflöst, ist es völlig umsonst, dass er ihnen seine Herrlichkeit offenbart hat. Wenn niemand mehr eins ist mit ihm oder miteinander, wenn der Tod die Gemeinschaft trennen kann, kann alles egal sein. Dann wäre es nicht wahr, was er sagte und ihnen zeigte, dass Gott sein und ihr Vater ist. Deshalb liegt ihm alles daran, dass der Vater sie an dem Namen festhält, den er ihnen offenbart hat, sie daran festhält, dass er wirklich der Vater Jesu und ihr Vater ist. Deshalb sagt er: Ich will.

Wenn wir heute hier in der Kirche sitzen, so deshalb, weil der Vater dieses Gebet am Ostermorgen erhört hat, als er seinen toten Sohn mit Leben erfüllte, und an Pfingsten , als er die Herzen der Jünger mit seinem Geist erfüllte. So stand er zu dem Namen, den sein Sohn ihnen offenbart hatte, stand dazu, dass er nicht fern und zweideutig ist, sondern der Vater Jesu und ihr Vater. Indem er Jesus zum Leben erweckte und ihm im Geist gegenwärtig machte, sorgte er dafür, dass sie noch immer eins sein konnten. Und wir anderen auch. Denn das Schöne ist ja, dass Jesus nicht allein für die Jünger damals an seinem Tisch betete, sondern auch für die, die mit ihren Worten an ihn glauben. Das sind wir. Wir glauben an ihn durch die Worte der Jünger, die von Mund zu Mund gegangen sind und bis zu unseren Ohren und Herzen gelangt sind. Sonst säßen wir heute nicht hier. So sind wir in sein Gebet eingeschlossen als vorläufig letztes Glied in einer unendlich langen Kette von Menschen, deren Augen leuchteten, als sie ihn und von ihm hörten.

Wir sind nicht gleich. Wir kommen mit ganz unterschiedlichen Geschichten, wir befinden uns an ganz verschiedenen Stellen unseres Lebens, wir haben ganz unterschiedliche Aufgaben, Fähigkeiten, Möglichkeiten und Bedingungen. Ganz zu schweigen von unseren Gefühlen. Wir sind uns sicher nicht einig, im Gegenteil, zweifellos ist da vieles, wo wir uns nicht einig sind. Aber dann sind wir eins. Weil wir alle etwas von der Herrlichkeit gesehen haben, ohne die wir nicht leben können. Die haben wir in der Erzählung von dem Menschen gesehen, der sich eins machte mit uns, auch wo das Leben am allermeisten weh tut. Damit wir eins sein sollen mit ihm in seinem Glauben und seiner Hoffnung und seiner Liebe. Wir tragen seine kleinen Kinder hierher, damit sie teilhaben an dieser Einheit und dieser Gemeinschaft. Die eine Gemeinschaft ist, weil wir zusammengefunden haben wegen jemand anderem als uns. Wir wollen, dass unsere Kinder eins sind mit ihm und uns in dem Glauben und der Hoffnung und der Liebe, die ein neues Licht auf unser Leben werfen, ohne das wir nicht leben können. Eins mit denen, die vor uns da waren, und mit denen, die nach uns kommen. Gleich werden wir nie, einig auch nicht. Aber so verschieden wir auch sind, sind wir dennoch eins mit ihm, an den wir glauben. Amen.

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Pastorin Marianne Frank Larsen

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