Matthäus 7, 21-23

Matthäus 7, 21-23

Aschermittwoch, 21. Februar 2007
Predigt zu Matthäus 7, 21-23, verfasst von Reiner Kalmbach


Es kommt zwar nicht sehr oft vor, aber es kann doch passieren, dass ich, während der Predigtvorbereitung, über einem Bibelwort “brüte”, um das ich liebend gerne einen weiten Bogen machen würde. Ja, es gibt Worte die einen so richtig in die Enge treiben, die dich zwingen über das Eigentliche nachzudenken, sie lassen dir keinen Raum für irgendwelche Interpretationen die den ursprünglichen Sinn bis zur Unkenntlichkeit zerpflücken…

Über ein solches Wort wollen wir heute nachdenken. Es stammt aus der Bergpredigt und wer sie schon einmal gelesen, oder sich mit ihr beschäftigt hat, weiss, dass ihre Botschaft nichts von all den Dingen bestätigt, die uns so lieb sind und das Leben bequem machen.

Wir stehen am Beginn der “Fastenzeit”, oder der “Passionszeit”. Es ist in den letzten Jahrzehnten fast schon eine Mode unter vielen Christen geworden, diese Zeit ganz bewusst zu erleben. Aber gerade deshalb möchte ich an dieser Stelle ein paar Zweifel anbringen: erlebe ich diese Zeit ganz bewusst für mich…?, geht es dabei ausschlieslich um meinen privaten Glauben…, dass ich mal wieder mit mir (und Gott) ins reine komme…?

Die Passionszeit ist in erster Linie so etwas wie eine “Bedenkzeit” und dabei kann die Bergpredigt eine enorme Hilfe sein, sie orientiert uns neu, richtet unseren Blick auf das Zentrum unseres Glaubens: “…so, jetzt wollen wir mal hören, um was es eigentlich geht..” Und dann kommen wir an der folgenden Frage nicht vorbei: kann ich Christ sein, ohne die Bergpredigt aus “Seinem” Munde gehört zu haben..?, reicht es aus, getauft, konfirmiert zu sein, vielleicht sogar die Kirche als eine “nützliche Einrichtung” zu sehen..?

Doch bevor wir dieses Wort hören, möchte ich auf den ihm vorangehenden Abschnitt eingehen. Er ist praktisch die Vorbereitung dessen was kommt…

Viele von ihnen kennen sicher das berühmte Bild vom breiten und schmalen Weg. Früher hing es in allen frommen Häusern. Meine Grosseltern hatten es in ihrem Wohnzimmer und als Kind betrachtete ich fasziniert die Einzelheiten: da war der breite Weg mit all den Vergnügungen, all den “schönen” Dingen die uns das Leben bietet…, wer auf ihm entlang schreitet fällt, am Ziel angekommen, in den Abgrund. Dagegen scheint der schmale Weg eher abschreckend, er ist steinig, hat viele Kurven, wer auf ihm dem Ziel entgegen geht, muss Leiden und Entbehrungen auf sich nehmen…, aber an dessen Ende wartet die Herrlichkeit. Während der breite Weg dicht bevölkert ist, wie eine bundesdeutsche Autobahn in der Ferienzeit, “verlieren” sich nur sehr wenige Menschen auf dem schmalen Weg…

Ist das “Schwarz-weiss-malerei”?, ist das nicht zu einfach gesehen…? ist das nicht die alte Predigt die uns glauben machen will, dass ausharren und aushalten in der jeweiligen Situation am Ende doch belohnt wird, dass man die Dinge eben so lassen soll wie sie sind…? Bei uns in Südamerika hiesse das: je ärmer du bist, je mehr du leidest, und je mehr du ausgebeutet wirst, desto grösser und herrlicher wird die Belohnung für dich im Himmel sein.

Die Kirche hat das Wort Jesu und das Bild vom breiten und schmalen Weg über viele Jahrhunderte ganz bewusst falsch ausgelegt. Ich denke, es richtet sich an alle Menschen, und natürlich zuallererst an uns Christen. Jesus will uns nicht mit dem erhobenen Zeigefinger ermahnen, sondern er hält uns einen Spiegel hin. Wenn ich die Zukunftsprognosen, was unseren Planeten betrifft, anschaue, wenn ich die täglichen Berichte lese über Wirbelstürme, Überschwemmungen, Trockenheit, Hitzerekorde usw., die zur gleichen Zeit in ganz verschiedenen Weltgegenden Menschenleben und ihr Hab und Gut vernichten, dann stellt sich mir ganz klar die Frage: ist das der Preis unseres Lebensstils, eines “immer mehr, immer schneller, immer höher, immer besser…”..?, ist es das, was uns das Bild zeigen will…?: “…ihr habt diesen Weg gewählt, den breiten, den vermeintlich besseren…, den Weg des ewigen Fortschritts und Wachstums, der euch aber letztendlich in den Abgrund stürzen lässt…”

Nun also zu unserem Wort: es steht im 7. Kap. des Matthäusevangeliums, die Verse 21 bis 23 – TEXTLESUNG

vom tun: vielleicht verstehen sie jetzt, warum ich am liebsten einen Bogen um dieses Wort gemacht hätte…Es bietet uns, wie das Bild vom breiten und schmalen Weg, keine Alternative, es geht ums “entweder / oder”, ja wenn wir es zuspitzen wollen, dann geht es buchstäblich um Leben oder Tod!

Und auch hier handelt es sich um keine Mahnung an uns: ihr sollt so sein, sondern Jesus hält uns wieder einen Spiegel vor: so seid ihr, so bist du. D.h. er gibt uns die Gelegenheit uns selbst zu prüfen, unser Leben, unser Tun, unseren Lebensstil, mein Christsein…, unter Seinem Wort der Bergpredigt. Und das gibt mir Raum und die Freiheit zur Veränderung. Und jeder Veränderung gehen Fragen voraus: was heisst für mich “Glaube”..?, an welchen Gott glaube ich…?, an jenen der meinen geistlichen Vorstellungen und Wünschen entspricht, mich aber ansonsten in Ruhe lässt…?, oder glaube ich an den Bergprediger, der mich aufrütteln will, der mich ganz persönlich anspricht und doch und dadurch in die Gemeinschaft mit den “anderen” einbindet…? Was heisst das denn: “…den Willen meines Vaters tun…”?, sind damit die “guten Werke” gemeint…?, was sehe ich, welche “Taten”, wenn ich in den Spiegel schaue?

Ich bin ein guter Familienvater, ein vorbildlicher Ehemann, ich kümmere mich um meine Mutter im Altersheim, bin ein treuer Mitarbeiter in der Firma, ich stehle nicht, bin ehrlich, unterstütze regelmässig ein Projekt in der Dritten Welt, bin mir auch meiner staatsbürgerlichen Pflichten bewusst…, und im sonntäglichen Gottesdienst fehle ich nur selten…

Im Grunde genommen tun wir viele gute und nützliche Dinge, es ist ganz selbstverständlich und wir denken gar nicht darüber nach. Und das ist gut so!

Aber ich denke, Jesus meint etwas ganz anderes. Jesus redet von der “Richtschnur”, das Mass, mit dem alles gemessen wird…, die “Formel” die uns die Tür zum Paradies öffnet (oder verschliesst): es ist das “Liebesgebot”.

…wie halten wir es als Christen mit dem Liebesgebot?, können wir –bedingungslos-, vorurteilsfrei,- uneigennützig, den Nächsten lieben..?, spielen da wirklich Rasse, soziale Herkunft, Religion, Beruf, Aussehen, Symphatie, Vergangenheit…, politische Ansichten…, keine Rolle..?, können wir den Nächsten so annehmen wie er ist..?, oder stellen wir allem voran das “ja, aber…”?

vom uneigennützigen Tun: vor vielen Jahren arbeitete ich in einer sehr abgelegenen Zone in der argent. Provinz Misiones. Zu meinen Aufgaben gehörte auch die Betreuung eines sozialdiakonischen Projekts. Es ging um die Arbeit mit Landlosen, verelendeten Kleinbauern, um gravierende ökologische, soziale und gesundheitliche Probleme. Einer meiner Mitarbeiter war ein Arzt, der bereits seit vielen Jahren in der Gegend lebte. Und das tat er ganz bewusst: er lehnte immer wieder Angebote ab, in einer grösseren Stadt in eine der privaten Kliniken als Teilhaber einzusteigen. Als Angestellter des staatlichen Gesundheitssystems verdiente er einen Hungerlohn, nicht selten musste er viele Monate auf sein Gehalt warten…, dann lebte die Familie von dem was ihm die Leute brachten… Es fehlte immer an allem: an Medikamenten, Verbandsmaterial, er hatte kein Fahrzeug, um die weit verstreut lebenden Familien besuchen zu können…, er selbst wohnte, mit seiner Familie, in einem kleinen schäbigen Holzhaus. Sein Dienst ging rund um die Uhr…Wir wurden gute Freunde, er der Atheist, und ich der Christ. Mit der Zeit habe ich herausgefunden, warum er das tut: er liebt die Menschen über alles! “…ich habe viele Jahre Medizin studiert, nun bin ich Arzt und kann damit die Not der Menschen lindern…”

Ich wage zu behaupten, dass dieser, die Menschen bedingungslos und uneigennützig liebende Arzt und Atheist, einst einen Ehrenplatz an der Seite des himmlischen Vaters bekommt. Er rechnet nicht damit – und gerade deshalb!

Von der guten Frucht…: in den vorhergehenden Versen spricht Jesus vom guten Baum der keine schlechten Früchte geben kann (und umgekehrt). Ob wir wirklich in der Nachfolge Jesu stehen, ob mein Bekenntnis zum Gott der Bibel aus einer egozentrischen Kraftanstrengung entspringt, oder ob er ganz einfach die Antwort auf Seinen Ruf ist, das offenbart sich an unseren Früchten: “…an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.”

Wir leben seit zehn Jahren im Süden Argentiniens, in einem weiten Tal. Zu beiden Seiten des Flusses erstrecken sich weite Obstpflanzungen. Es ist eines der grössten Anbaugebiete der Welt. Zwischen Januar und April reifen hier Kirschen, Birnen, Äpfel, Pfirsiche und Weintrauben. Eigentlich befinden wir uns mitten in der Wüste, es regnet so gut wie nie, aber trotzdem ist alles grün im Tal. Das Wasser aus dem Fluss wird über ein ausgedehntes Kanalnetz zu den Bäumen geleitet…, die Erde ist sehr fruchtbar und wenn das Wetter keine bösen Streiche spielt, dann ist die Ernte jedes Jahr garantiert. Denn es sind “gute” Bäume, sie können keine schlechten Früchte bringen. Natürlich muss der Mensch mithelfen, er schneidet im Winter die Bäume, er schützt sie vor Plagen und so wird am Ende seine Mühe belohnt. Deshalb feiern wir Erntedank am 1. Maisonntag. Ich habe das oft beobachtet und darüber nachgedacht: wenn die Bedingungen stimmen, dann kann die Ernte nur gut sein. Aber unter all diesen Faktoren gibt es einen an dem alles hängt: das Wasser!, wir leben in der Wüste, sagte ich. Hier in diesem Tal habe ich gelernt, wie wichtig, wie “überlebenswichtig” dieses Element ist: hätten wir die gute Erde, die besten Pflanzen, das tollste Wetter, all unsere Arbeitskraft…, aber gäbe es das Wasser nicht, alles wäre umsonst…

Und so kommen wir zum “Eigentlichen”, ein Wort das alle drei Schritte verbindet: die Liebe! Auch wenn wir die tollsten Dinge vollbringen, wenn wir Projekte in der Dritten Welt unterstützen, auch wenn wir uns um alte oder kranke Menschen kümmern, unsere freie Zeite einer “guten Sache opfern”, wenn wir es nicht aus Liebe tun, dann ist alles umsonst, dann haben wir vom Glauben gar nichts begriffen! Denn es ist die Liebe die in Christus zu uns kommt, sie entspringt nicht aus unserem eigenen Willen, sie stellt keine Bedingungen, diese Liebe ist Jesus selbst der sich uns hingibt und in seinem Kreuzestod ein für allemal ein Zeichen gesetzt hat: Gott liebt diese Welt bis zur Selbstaufgabe…für uns, für dich, für mich…!

Du musst nicht Gutes tun, damit Gott (und die Menschen) es sehen (und würdigen), du musst nicht lieben, damit Gott dich liebt, sondern du tust Gutes, du vergibst Schuld, du bist solidarisch, du kämpfst gegen Diskriminierung und Rassenhass, du stehst für eine gerechtere Welt ein, du liebst (auch) die Nichtliebenswerten…, weil du gar nicht anders kannst, es ist die Frucht deines Glaubens, es ist nach dem Liebesgebot leben, und du tust den Willen des Vaters im Himmel…

Amen.


Reiner Kalmbach (Patagonien / Argentinien)
reikal@neunet.com.ar

de_DEDeutsch