Mittendrin

Mittendrin

02.05.2021 | Predigt zu Lukas 19,37-40 |  verfasst von Thomas Volk |

Liebe Gemeinde!

„Mittendrin“ heißt das neue Lied von Udo Lindenberg. Es ist eines von seinen typischen Liedern, mit denen er all jenen Mut machen will, die gerade von einem heftigen Sturm durchgeschüttelt werden, wenn er singt: „Hey, willkommen mittendrin, schönen Gruß hier aus dem Hurricane.“

Mittendrin

„Ja“, so denke ich beim Hören dieses Liedes: „Wir sind gerade alle mittendrin“. Wir leben alle in einer Zeit, die wir uns nun wirklich nicht ausgesucht haben. Wir befinden uns in einer Pandemie. Wir sind inmitten einer großen Zerreißprobe unserer Gesellschaft, in der die einen sich permanent über Einschränkungen beschweren, aber noch nie auf einer Intensivstation Schichtdienst hatten, und die anderen das Gefühl haben, die gesamte Last der fordernden Zeit alleine tragen zu müssen. Und dann sind wir noch mittendrin in unserem eigenen Leben, in dem der Alltag oft so mühsam und anstrengend geworden ist.

Der heutige Sonntag „Kantate“ erinnert uns auch daran, dass wir mitten in einer Zeit sind, in der so viele Kirchen- und Gospelchöre, liturgische Ensembles, Sängerinnen und Sänger, Bläserinnen und Bläser schon lange nicht mehr zum gemeinsamen Treffen und Proben zusammengekommen können.

Und auch Jesus findet sich mittendrin in einem Geschehen, dass dabei ist, eine ganz eigene, besondere Dynamik zu entfalten. So erzählt es das heutige Schriftwort. Es nimmt uns noch einmal mit zurück zum Palmsonntag. Hören Sie aus dem 19.Kapitel des Lukasevangeliums, die Verse 37-40 nach der Übersetzung der Basis Bibel:

37 So kam Jesus zu der Stelle, wo der Weg vom Ölberg nach Jerusalem hinabführt.
Da brach die ganze Schar der Jüngerinnen und Jüngerin lauten Jubel aus.
Sie lobten Gott für all die Wunder, die sie miterlebt hatten.

38 Sie riefen: „Gesegnet ist der König, der im Namen des Herrn kommt!
Friede herrscht im Himmel
und Herrlichkeit erfüllt die Himmelshöhe!“

39 Es waren auch einige Pharisäer unter der Volksmenge
Die riefen ihm zu: „Lehrer, bring doch deine Jünger zur Vernunft!“

40 Jesus antwortete ihnen: „Das sage ich euch:
Wenn sie schweigen, dann werden die Steine schreien!“

Jesus geht mit vielen anderen den Weg vom Ölberg hinunter in die Stadt Jerusalem. Viele jubeln ihm dabei zu und rufen voller Begeisterung: „Gesegnet ist der König, der im Namen des Herrn kommt! Friede herrscht im Himmel und Herrlichkeit erfüllt die Himmelshöhe!“ (V.38). Wie viele Hoffnungen liegen in diesen Worten? Und wie viele Erwartungen befördern die Aussagen?

Und während der Gesang immer kräftiger und auch von weitem schon vernehmbar wird, stellen sich ausgerechnet Pharisäer, mit denen Jesus so manches Streitgespräch geführt hat, auf seine Seite und raten ihm, dass seine Jüngerinnen und Jünger doch lieber schweigen und nicht so euphorisch singen und jubeln sollen. Je weniger Aufsehen um seine Person gemacht wird, desto sicherer wäre er vor verdächtigen Blicken der römischen Besatzungsmacht.

Aber wie so oft erstaunt Jesus mit seiner Antwort wieder einmal alle. Nein. Sie sollen weiter singen. Vom Frieden Gottes und von seiner Herrlichkeit. Alle sollen es hören. Denn, so folgert Jesus, wenn man sie zum Schweigen brächte, – so wie es einige Tage später am Karfreitag ja dann auch wirklich kommt, – so werden die Steine schreien (vgl. Vers 40).

Singen als Hoffnungsanker

Ob er an diesem Abend schon ahnt, dass die Stimmung wenige Tage später wirklich kippen wird? Ob er da schon weiß, dass ihn alle seine Freunde, die gerade noch lauthals singen, in ein paar Tagen nicht nur schweigen, sondern auch noch von der Bildfläche verschwunden sein werden? Und ob es ihm klar ist, dass gerade sein engster Mitarbeiter, Petrus, ihn schon ganz bald verleugnen wird?

Wenn man mittendrin ist, weiß man noch nicht, wie es ausgeht oder wann es vorbei ist. Und wenn man „mittendrin“ im Orkan ist, wie es Udo Lindenberg besingt, und sich alles um einen dreht, dann sieht man noch nicht den einen Weg, auf dem man allen Widrigkeiten entfliehen kann.

Wer „mittendrin“ ist, sucht eher nach Strategien, wie man nicht untergeht und wie man am Morgen mit einer Portion Hoffnung aufsteht, die einen durch den Tag trägt.

Es gibt viele Möglichkeiten, sich immer wieder Hoffnung zukommen zu lassen. Eine davon ist das Singen. Dazu muntert uns der heutige Sonntag Kantate auf, auch wenn in unseren Gottesdiensten heute leider keine Chöre singen können. Dafür will uns dieser Sonntag neue Begeisterung für das Singen wecken, auch wenn manch eine von uns das Gefühl hat, gar nicht mehr richtig singen zu können, weil man es eben schon so lange nicht mehr gemacht hat und sich fragt, ob man es denn überhaupt noch kann.

„Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder“ (Psalm 98,1), so sagt es der Wochenspruch trotzig für diese Woche.

Ich denke: Singen hat für das psychische Befinden eines Menschen einen unschätzbaren Wert. Musiktherapeuthen könnten abendfüllende Vorträge halten, wie sich das Singen besonders wirksam und heilend auf alle körperlichen und geistigen Kräfte auswirkt. Das Singen und die Musik sind eine Therapie für Menschen, die ihre Gefühle manchmal nicht so zeigen können, für Kinder zur Freisetzung ihrer spielerischen Ausdrucksmöglichkeiten, für ältere Menschen zur körperlich-geistigen Wiederbelebung, für stressgeplagte Personen zur Entfaltung von Kreativität und Spaß am Spiel. Wer in einem Chor singt, weiß das. Und auch unser gemeinsames Summen im Gottesdienst hat eine tröstende und heilende Wirkung.

Deshalb ist es schön, dass es diesen Sonntag im Kirchenjahr gibt. Und wir können zumindest später zu Hause mit dem Gesangbuch oder mit Hilfe eines Streaming Dienstes all die Lieder mit- und nachsingen, die uns schon so oft aufgebaut haben.

Singen und Musik als Moment der Leichtigkeit

Schon klar: Auch das Singen der Jubelnden am Palmsonntag hat damals den Karfreitag nicht verhindert.

Und als Lukas sein Evangelium später um das Jahr 100 schreibt, da blickt er auf „schreiende Steine“ zurück. Er meint damit die Steine des Tempels, die im Jahr 70 geschrien haben, als die Römer Jerusalem erobert haben. Der Jerusalemer Tempel wurde zerstört, seine Kultgeräte erbeutet und später im Triumphzug nach Rom mitgeführt.

Auch unser Singen heute wird die Inzidenzzahlen nicht mit einem Mal herunterpurzeln und die unsäglichen Hasskommentare im Internet nicht verschwinden lassen.

Aber das Singen gibt uns für einen Moment die Leichtigkeit zurück. Es ist die Leichtigkeit des Moments, in dem man sich bei Gott geborgen fühlen darf, weil das Singen und alle Musik ein so starkes Gewicht besitzen, dass sie alle Ängste binden und vertreiben können. Jedenfalls für einen Moment. Oder für einen Tag. Vielleicht auch für eine ganze Woche.

Martin Luther hat es einmal in seinem bekannten Zitat so formuliert. „Die Musik ist die beste Gottesgabe. Durch sie werden viele und große Anfechtungen verjagt. Musik ist der beste Trost für einen Menschen, auch wenn er nur ein wenig zu singen vermag …“ (EG, Ausgabe Bayern, S.594).

Ja, das stimmt. Die Musik ist ein Trost.

Für die Jüngerinnen und Jünger Jesu war das Loben Gottes an diesem Palmsonntag ein besonderer Moment, weil sie sich in diesem Moment Gott ganz nah verbunden gefühlt haben.

Und alle Lieder, die wir auf unserer „Trost-Playlist“ auf dem Handy oder im Kopf gespeichert haben, geben uns – manchmal nur für einen Augenblick – die Zuversicht, dass es ein großes Gegengewicht zu allen Sorgen gibt.

Zu meiner großen „Trost-Playlist“ gehört zum Beispiel der Kanon „Nada de turbe“ mit Worten von Teresa von Avila, der später in Taize vertont worden ist. Übersetzt heißt der spanische Text: „Nichts beunruhige dich, / nichts ängstige dich. / Wer sich an Gott hält, / dem wird nichts fehlen. Nichts beunruhige dich, / nichts ängstige dich. / Allein Gott genügt.“ Wie sehr hat die Nonne Teresa von Avila sich mit diesem Worten nicht beirren, auch nicht von denen ängstigen lassen, die ihr alle Reformbestrebungen für den Karmelitenorden im 16.Jahrhundert madig machen wollten.

Paul Gerhardts Lied „Du meine Seele singe“ (EG 302) gehört auch dazu, in dem er gut 100 Jahre später über die „starken Kräfte“, die „unerschöpfte Macht;“ und die „vielen tausend Weisen“ geschrieben hat.

Und ganz neu in meiner persönlichen Playlist ist auch das neue Lied „Mittendrin“ von Udo Lindenberg, wenn er singt, dass „selbst diе dunkelste Stunde“ … nur sеchzig Minuten“ hat.

Mittendrin in der österlichen Zeit

Geistliche und weltliche Lieder sind ein Trost und die Musik eine gute Gottesgabe. Sie ist es gerade dann, wenn wir mittendrin im eigenen Leben sind, das manchmal zerbrechlich ist, manchmal ungewiss, aber dennoch immer wieder hoffnungsvoll.

All die vielen tröstenden und Mut machenden Lieder in Zusammenhang mit dem Sonntag Kantate vier Wochen nach dem Osterfest, sagen mir auch: Wir sind „mittendrin“ in der österlichen Zeit.

Die Botschaft, dass das Leben, für das Jesus eingetreten ist, immer stärker und umfassender ist als alles, was dagegen spricht, ist nicht aufzuhalten und nicht aus der Welt zu schaffen. Sie ist über die Jahrhunderte hinweg immer wieder aufgeblitzt und hat Menschen – damals wie heute – deutlich gemacht. Singe, liebe Seele! Lass dich nicht ängstigen! Verliere nicht das Fünkchen Hoffnung! Du bist mittendrin in deinem Leben! Es ist noch lange nicht vorbei. Und jedes Lied, das du singst, singst du auch für Gott.

Und der Trost Gottes, der aufrichtet und Mut gibt, lasse uns in Frieden unsere Wege gehen. Amen.

 

Thomas Volk, geb. 1962, Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern. Seit 2006 mit jeweils 50% tätig in den Kirchengemeinden Marktbreit und Ochsenfurt (Unterfranken)

 

Mail: thomas.volk@elkb.de

 

Vorschläge für Lieder zum Mitsummen oder zum „Nachhören“:

  • „Singt Gott unserem Herrn“ (EG 600,1-3, Ausgabe Bayern)
  • “Meine engen Grenzen“ (Liederheft „Kommt, atmet auf“ 084,1-4)
  • „Gloria in excelsis Deo“ (Liederheft „Kommt, atmet auf“ 085,1)
  • „Du meine Seele singe“ (EG 302,1-3)
  • „Nada te turbe“ (Spotify Playlist)
  • „Mittendrin“, Udo Lindenberg, 2021
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