Musik und Singen…

Musik und Singen…

Musik und Singen: da ist Gott nahe | Predigt zu 2. Chronik 5,2-5 (6-11) 12-14 | verfasst von Dr. Rainer Stahl |

Altlandesbischof Prof. Dr. Gerhard Müller D.D., Erlangen,

zum 91. Geburtstag am 10. Mai 2020

dankbar gewidmet.

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,

die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sei mit Euch allen!“

Liebe Leserin, lieber Leser!

Liebe Schwestern und Brüder!

Unser Predigtwort heute dürfte wenig bekannt sein. Deshalb möchte ich eine eigene Übersetzung der meiner Meinung nach wichtigsten Verse an den Anfang stellen:

2a        Damals versammelte Salomo die Ältesten Israels […]

b        um heraufzuholen den Schrein / die Lade des Bundes des Herrn aus der Stadt Davids,

das ist Zion. […]

4          Und es kamen alle Ältesten Israels.

Und die Leviten trugen den Schrein / die Lade.

5          Und sie brachten herauf den Schrein / die Lade und das Zelt der Begegnung

und alle Geräte der Heiligung, die im Zelt waren.

Diese brachten die levitischen Priester herauf. […]

7a        Und es brachten die Priester den Schrein / die Lade des Bundes des Herrn

an seine / ihre Stätte in dem innersten Raum des Hauses / des Tempels,

in das Allerheiligste. […]

10        Nichts ist im Schrein / in der Lade außer den zwei Tafeln […],

die der Herr geschlossen hatte mit den Söhnen Israels, als sie aus Ägypten zogen. […]

12a       Und die Leviten, die Sänger insgesamt, […] standen östlich vom Altar […].

13a       Und es geschah wie einer von den Trompetenden und den Singenden,

um hören zu lassen eine Stimme, zu preisen und zu loben den Herrn […]:

„Denn gut ist er, denn zur Ewigkeit ist seine Gnade.“

b        Und das Haus / der Tempel wurde gefüllt [von der] Wolke – Haus des Herrn.

14        Und nicht konnten die Priester stehen und dienen wegen der Wolke,

denn die Herrlichkeit des Herrn füllte das Haus Gottes.

Bei uns in Bayern halten wir uns an die Regelung, dass Gottesdienste nicht gehalten werden können. Ich hatte am 22. März und am 5. April vorbereitete Gottesdienste nicht durchführen können. Jetzt ist aber deutlich, dass ab dem 4. Mai und also auf alle Fälle ab Sonntag, dem 10. Mai, unter bestimmten Bedingungen wieder Gottesdienste durchgeführt werden. Aber unsere Kirchen sind die ganze bisherige Zeit täglich geöffnet, um in ihnen je für sich nachdenken und beten zu können. So ging ich seit dem 22. März jeden Sonntag kurz vor 10.00 Uhr in meine Kirche. Das erste Mal war ich erst allein, habe einen Psalm gelesen und für mich still gesessen. Danach kamen zu jedem Sonntag noch drei oder vier Personen hinzu. Manchmal wurde Orgel gespielt. Vor allem singen wir im nötigen Abstand voneinander zusammen [dieses Zusammentreffen der beiden widersprüchlichen Begriffe halte ich bewusst fest], übrigens auch den Sonntagspsalm, was ja mit dem bayerisch-thüringischen Gesangbuch sehr gut möglich ist. Oft habe ich den Predigttext gelesen, bisher hat schon zweimal ein anderer der Gemeinde eine Predigt mitgebracht. Wir beten das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser, und ich schließe mit dem Segen. Das sind dann doch etwa dreiviertelstündige Gottesdienste. Eben zu viert, zu fünft – schön durch Abstände verteilt. Gleich nach dem ersten Beisammensein unter Abstandshaltung sagte eine Dame: „Wie das Wort Christi: ‚Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen‘ (Mth 18,20)“! Von unserem Ostergottesdienst habe ich sogar ein Foto mitgebracht:

 (Fotografiert am 12.4.2020, Johanneskirche in Alterlangen)

Die Gemeinde hatte vor der Kirche aus Stangen und Tüchern eine Nachbildung des leeren Grabes aufgebaut und davor über Stunden ein Osterfeuer unterhalten, ich hatte ein Blatt mit dem Ostergruß in zwölf Sprachen zusammengestellt, das man sich nach Hause mitnehmen konnte – zum Beispiel: „Krisztus feltámadt!“ – „Valóban feltámadt!“ (Ungarisch, zu lesen: „Kristusch feltamott“ – „Volōbon feltamott“), ein Gruß, den ich vor Jahren bei einem Ostergottesdienst in Ungarn gelernt hatte. Wir sehen einen unserer Pfarrer an der Orgel, eine Dame mit einer Geige. Zu den beiden Damen im Kirchenschiff muss man noch eine links neben mir und mich mit Maske und hinter uns vielleicht noch zwei Personen hinzuzählen. Bei den Vorbereitungen hatte man leider vergessen, die Osterbehänge zu hängen!! Aber ich denke: Das war ein gültiger Ostergottesdienst, wirklich ein Gottesdienst zu Ostern in diesem besonderen Jahr 2020!

Ein anderer besonderer Gottesdienst vielleicht im Jahr 1987 in der Gemeinde in Rasephas bei Altenburg, südlich von Leipzig, in der ich damals Vakanzverwalter war,  ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Es handelte sich um einen Abendmahlsgottesdienst, der im Gemeinderaum im Pfarramt stattfand. Es waren drei Gemeindeglieder gekommen, eine Frau spielte Harmonium. Ich hatte den Gottesdienstablauf nicht geändert, auch die Abendmahlsliturgie richtig gesungen. Damals hat mir der im Gemeindekreis anwesende Mann besonders gedankt: „Ich bin Reichsbahner und kann nur selten kommen. Dank, dass sie einen richtigen, ungekürzten Gottesdienst gefeiert haben!“

Beide Situationen machen deutlich: Bei uns, in unseren Gemeinden, geht es um ein ganz anderes Gottesdienstkonzept als in unserem Bibelabschnitt. Der wichtigste Unterschied zu dem des Predigttextes besteht doch in Folgendem: Niemand von uns feiert Gottesdienst in einem Tempel, noch viel mehr: in einem Tempel, der der einzige überhaupt ist. Nachdem diese Zentralisierung durchgesetzt war, gab es Kultfeiern nur an diesem einen Tempel. In unserem Predigttext vermittelt dies der Hinweis: „Und es geschah wie einer von den Trompetenden und den Singenden, um hören zu lassen eine Stimme, zu preisen und zu loben den Herrn“ (V. 13). Dann müssen wir uns bewusst machen, dass die Priester vor allem die Aufgabe hatten, Opfer darzubringen: auf dem großen Altar im Hof östlich des Tempelgebäudes vor allem Brandopfer von Tieren, auf dem kleinen Altar innerhalb des Tempelgebäudes Rauchopfer von Pflanzenteilen. Alles ist ganz weit weg von uns! Und auch die besonderen Ziele dieser wohl aus dem Jahr 350 v.Chr. stammenden Programmschrift sind weit weg von uns: Die Zeichnung des Salomo, der etwa 550 Jahre früher gewirkt hatte, als Leitfigur der eigenen Identität. Und die Reklame für die Leviten, für die Profilierung ihrer Aufgaben. Mir wurde diese besondere Zielaufgabe vor allem in der kleinen Formulierung in V. 5 deutlich: „die levitischen Priester“. Nur in der Anmerkung meiner Ausgabe der Hebräischen Bibel ist angegeben, dass es Abschreiber gegeben hat, die ein „und“ eingefügt hatten: „Leviten und Priester“ – wie es in der Lutherbibel übernommen wird. Diese winzige Besonderheit zeigt, worum es den Verfassern wirklich ging. Aber: Beides – die Bedeutung des Salomo und die Rolle der Leviten – haben wir nicht zu predigen, beides geht uns im Jahr 2020 nach Christus doch nichts an.

Jedoch eine andere Behauptung unseres Textes hat sich mir angesichts meiner kleinen Erinnerung mit Blick auf die Wirklichkeit der priesterlichen Arbeit wie in einer Offenbarung erschlossen: Wenn Gott gegenwärtig ist, sind Opfer und also Priester nicht nötig. Wenn Gott in Form einer Wolke gegenwärtig ist, wie will man dann Rauchopfer darbringen, Tiere töten und verbrennen, Pflanzenteile verbrennen, sie alle also in Rauch aufsteigen lassen? „Und das Haus / der Tempel wurde gefüllt [von der] Wolke – Haus des Herrn. Und nicht konnten die Priester stehen und dienen wegen der Wolke, denn die Herrlichkeit des Herrn füllte das Haus Gottes.“ (V. 13b.14).

Die richtige Verehrung Gottes ist also der Gesang, ist das Spiel der Instrumente – ein Spiel, das zum Ausdruck bringt: „Denn gut ist er, denn zur Ewigkeit ist seine Gnade“ (V. 13a). Unser Predigttext macht uns bewusst, dass durch die für uns unnötigen Handlungen hindurch – die Einrichtung eines Tempels, die Durchführung von Opferhandlungen an ihm – das jedenfalls für uns Eigentliche und wirklich Wichtige unterstrichen wird: nämlich die Verherrlichung des geheimnisvoll anwesenden Gottes durch das Lied, das diesen Gott verehrt: „Denn gut ist er, denn zur Ewigkeit ist seine Gnade.“ Und durch die Musik, die hier wie in einer Stimme erfolgt sei: „Und es geschah wie einer von den Trompetenden und den Singenden, um hören zu lassen eine Stimme, zu preisen und zu loben den Herrn.“

Grunderlebnisse für mich in der DDR-Zeit waren die Orgelkonzerte in unseren Kirchen, die oft bis auf den letzten Platz besetzt waren. Solche Kirchenkonzerte waren die Ansatzpunkte für die Ahnung der Gegenwart Gottes – gerade auch für Kirchenferne, die sonst ganz besetzt waren von den alltäglichen und den besonderen Ereignissen – zum Beispiel den alljährlichen Pfingsttreffen der Freien Deutschen Jugend in Berlin, an denen ich nie teilgenommen habe. An solchen Großereignissen voller gewiss befohlener aber auch durchaus ehrlicher Begeisterung vorbei haben wir im Orgelkonzert zum Beispiel etwas von der Gegenwart Gottes geahnt. Und spüren wir das nicht auch heute? Wenn wir solche Musik erleben, auf die wir bisher in dieser Corona-Zeit oft verzichten mussten – um der Verantwortung für uns selbst willen, um der Verantwortung für unsere Nachbarinnen und Nachbarn willen –, dann werden wir zu unseren Gottesdiensten hingeführt, die wir hoffentlich wieder unter bestimmten Regeln direkt miterleben und gestalten können: Sie waren und sind und bleiben Hinweise auf die entscheidende Erinnerung für unser Leben: Dass Gott erkannt wird als gut und mit Zuwendung zu uns, die nie endet.

Auch ich habe zu Hause in Gestalt eines Nachdruckes das kleine Bändchen „Kyrie“ von dem berühmten Dichter Jochen Klepper der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Oft singen wir gern Texte von ihm – wie sein Weihnachtslied, das in unserem Gesangbuch Adventslied ist: „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern“ (in unserem Gesangbuch die Nummer 16). Im genannten Bändchen habe ich ein „Geburtstagslied“ gefunden, das die Botschaft unseres Sonntags wirklich auf jede einzelne und jeden einzelnen persönlich zuspitzt, ein Text, der auch in unserem Gesangbuch – unter Nummer 379 – steht:

„Gott wohnt in einem Lichte,

dem keiner nahen kann.

Von seinem Angesichte

trennt uns der Sünde Bann.

Unsterblich und gewaltig

ist unser Gott allein,

will König tausendfaltig,

Herr aller Herren sein.

Und doch bleibt er nicht ferne,

ist jedem von uns nah.

Ob er gleich Mond und Sterne

und Sonnen werden sah,

mag er dich doch nicht missen

in der Geschöpfe Schar,

will stündlich von dir wissen

und zählt dir Tag und Jahr.

Auch deines Hauptes Haare

sind wohl von ihm gezählt.

Er bleibt der Wunderbare,

dem kein Geringstes fehlt.

Den keine Meere fassen

und keiner Berge Grat,

hat selbst sein Reich verlassen,

ist dir als Mensch genaht.

Er macht die Völker bangen

vor Welt- und Endgericht –

und trägt nach dir Verlangen,

läßt auch die Ärmsten nicht.

Aus seinem Glanz und Lichte

tritt er in deine Nacht:

Und alles wird zunichte,

was dir so bange macht!

Nun darfst du in ihm leben

und bist nie mehr allein,

darfst in ihm atmen, weben

und immer bei ihm sein.

Den keiner je gesehen,

noch künftig sehen kann,

will dir zur Seite gehen

und führt dich himmelan.“

Amen.

„Und der Friede Gottes,

der höher ist als unsere Vernunft,

bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn!“

Dr. Rainer Stahl

Erlangen

rainer.stahl.1@gmx.de

[1951 geboren, Studium der Theologie in Jena, Assistent im Alten Testament, 1981 ordiniert, Pfarrer der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen, zwei Jahre lang Einsatz beim Lutherischen Weltbund in Genf, dann Pfarrer in Altenburg, Alttestamentler an der Kirchlichen Hochschule in Leipzig, Referent des Thüringer Landesbischofs in Eisenach, seit 1998 Dienst für den Martin-Luther-Bund (das lutherische Diasporawerk) in Erlangen, seit 2016 im Ruhestand.]

de_DEDeutsch