Numeri 11,11.14–17.24–25

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Numeri 11,11.14–17.24–25

Pfingstmontag | 06. 06. 2022 | Predigt zu Numeri 11,11.14–17.24–25: Von geistlicher Arbeitsteilung. | Hansjörg Biener |

Predigttext

„11 Er [Mose] fragte den Herrn: »Was spielst du deinem Knecht so übel mit? Warum bist du nicht auf meiner Seite? Du hast mir das ganze Volk aufgeladen. […] 14 Ich kann diese Last nicht allein tragen,

sie ist zu schwer für mich. 15 Bevor du das von mir verlangst, lass mich lieber sterben! Ich kann mein Elend nicht mehr mitansehen.«

16 Da sagte der Herr zu Mose: »Versammle vor mir 70 Männer von den Ältesten Israels! Sie sollen dir als Älteste des Volkes und als Verwalter bekannt sein. Bring sie zum Zelt der Begegnung! Dort sollen sie sich zusammen mit dir aufstellen. 17 Ich werde herabkommen und dort mit dir reden. Ich will ihnen etwas von dem Geist übertragen, den ich dir gegeben habe. Dann können sie zusammen mit dir die Last des Volkes tragen, und du bist nicht mehr allein. […]

24 Mose ging hinaus zum Volk und […] versammelte 70 Männer von den Ältesten des Volkes. Die stellte er rings um das Zelt der Begegnung auf. 25 Da kam der Herr in einer Wolke herab und redete mit Mose. Auf die 70 Ältesten übertrug er etwas von dem Geist, den er Mose gegeben hatte. Sobald der Geist mit ihnen war, redeten sie eine Zeit lang wie Propheten.“

(Numeri 11,11.14–17.24–25 BasisBibel)

Predigt

Die Vorgeschichte einer geistlichen Führungskrise

Ein Gottesmann ist müde geworden. „Ich kann nicht mehr. Ich mag nicht mehr. Mach ein Ende mit mir und mach Dein Ding allein.“

Das hat, wenn man in der Bibel nachliest, eine lange Vorgeschichte. Wir können die Frage nach den Details der historischen Ereignisse auf sich beruhen lassen. Die alttestamentliche Wissenschaft erklärt, dass wir in den Mose-Erzählungen viele Stimmen hören. Das Erzählte hat immer wieder bewegt, wurde aber auch neu durchdacht. Es geht nicht einfach um die Historie, sondern darum, wie der Glaube ins Leben geschrieben wurde. Das wiederum ist dann schon für uns wichtig: Wir müssen wahrnehmen, wie andere glaubten, um unseren eigenen Glauben besser zu entdecken.

Alles begann an einem brennenden Busch, als ein Viehhirte in der Einsamkeit des Sinai auf ein Naturphänomen aufmerksam wurde. Vielleicht kennen Sie die Geschichte. Mose hütete die Schafe seines Schwiegervaters und zog einmal über die ihm bekannten Gebiete hinaus. Ihm fällt ein Busch auf. Der brennt und wird doch nicht vom Feuer verzehrt. Solche Pflanzen gibt es. Stichwort ätherische Öle, die aufsteigen und Feuer fangen, ohne dass wir jetzt auf eine solche Pflanze am Sinai deuten könnten. Als Mose sich das näher ansehen will, widerfährt ihm eine Stimme. „Mose, Mose.“ – „Hier bin ich.“ Und es widerfährt ihm ein Auftrag. „Ich habe das Elend meines Volkes gesehen. Gehe hin und führe Israel aus der Knechtschaft in Ägypten.“ Das erscheint Mose wie eine Mission impossible. „Wer bin ich, dass ich…“ Mose wehrt sich. „Man kennt mich nicht, man kennt Dich nicht, und reden kann ich auch nicht.“ Am Ende hilft’s nichts. Aus Mose wird nicht Mose 2.0 werden, wenn er den Auftrag seines Lebens nicht annimmt.

Wer diese Geschichte mit anderen Berufungserzählungen in der Bibel vergleicht, wird sehen: Bei Mose, Jeremia, aber auch bei unbekannteren Gestalten wie Gideon springen die Berufenen nicht hoch vor Freude. Sie alle werden unvorbereitet und meist unerwünscht angesprochen. Keiner der Berufenen hat eine neue Aufgabe gesucht. „Ich kann das nicht. Ich bin doch nicht wichtig. Ich bin noch so jung.“ Doch Gottes Ruf ist unausweichlich und unwiderstehlich. Und es ist wie mit dem lebenslangen Lernen in unserer Berufswelt. Man denke da nur an die Corona-Krise. Diesem Digitalisierungsschub konnte sich niemand entziehen. Es gab kein „Ich will das nicht. Ich kann das nicht.“. Es gab nur ein „Ich kann das – noch – nicht.“. Und wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit – nämlich in die Arbeitslosigkeit. Mose geht ohne Sicherheiten nach Ägypten, um Israel aus Ägypten herauszuführen. Er hat nur die Erfahrung, wie der „Gott seiner Väter“ sein Gott wurde. Wenn so etwas geschieht, ordnet sich auch bei uns vieles neu. In der biblischen Geschichte wird das daran deutlich, dass Mose einen neuen Namen für den Gott seiner Vorfahren hat. Mose nimmt wenig mehr mit als: diese Erfahrung, den Gottesnamen, den Auftrag und die Verheißung, dass sich alles erfüllt. Es ist wie im normalen Leben: Wer etwas Neues anfängt, muss glauben, dass es gelingt. Sonst wird es von vorneherein nichts. Warum sollte das im Glauben anders sein? Niemand hat im Glauben Beweise im Rücken, sondern muss, wie die Alten sagten, „im Glauben gehorsam werden“.

Mose ist zum Zeitpunkt seiner geistlichen Führungskrise schon sehr, sehr gehorsam gewesen. Er hat für sein Volk vor dem ägyptischen Pharao Partei ergriffen. Er hat sein Volk aus Ägypten herausgeführt. Er hat sein Volk an den Sinai gebracht. Er hat seinem Volk Gottes Grundgesetz übermittelt. Er hat sein Volk durch viele Schwierigkeiten geführt und auf der Wüstenwanderung leises und lautes Murren gegen sich ertragen. Er ist an seinen Aufgaben gewachsen. Und doch: Mose ist an einem Punkt angekommen, wo ihm scheinbar oder tatsächlich alles über den Kopf wächst. „Ich kann nicht mehr. Ich mag nicht mehr. Mach ein Ende mit mir und mach Dein Ding allein.“

Geistliche Arbeitsteilung

Interessant ist jetzt die Fortsetzung. Es gibt keine Rüge Gottes für Moses Patzigkeit. [Es gibt auch keine Ablösung wie beim Propheten Elija, als der seinem Gott sein „Ich allein bin übrig geblieben.“ entgegenschleuderte.] Es gibt aber auch keine wundersame Stärkung. Im Gegenteil.

„Da sagte der Herr zu Mose: »Versammle vor mir 70 Männer von den Ältesten Israels! Sie sollen dir als Älteste des Volkes und als Verwalter bekannt sein. […] Ich will ihnen etwas von dem Geist übertragen, den ich dir gegeben habe. Dann können sie zusammen mit dir die Last des Volkes tragen, und du bist nicht mehr allein. […]“

Es ist keineswegs so, dass Moses allein ist, denn die Leute sind schon da. Die Leute, die er aussuchen soll, sind ihm sogar bekannt. Und noch mehr: Sie alle haben Leitungserfahrung. Denn bald nach dem Auszug aus Ägypten hat ihn sein Schwiegervater gerügt und einen Ausweg gewiesen. Er hatte gesehen, dass die Menschen bei Streitfragen vor Mose Schlange standen.

[Zitat] „Du bist völlig erschöpft, und das Volk, das bei dir ist, ist es auch. Diese Aufgabe ist zu schwer für dich. Du kannst sie allein nicht bewältigen.“ (Exodus 18,18 BasisBibel)

Was sollte Mose tun? Er sollte fähige Leute suchen und einsetzen, als Führer und Richter für 10, 50, 100, 1000. Sie sollten, wie die Erzählung sagt, die kleinen Dinge regeln. So sollten nur die noch ungelösten Fragen zu Mose kommen. Mose wiederum sollte sich um seine Beziehung zu Gott und die Beziehung des Volkes zu Gott kümmern. Offensichtlich hat Mose in seiner geistlichen Führungskrise Recht und Unrecht. Subjektiv Recht in seinem Gefühl des Alleinseins, denn so etwas kann man niemandem wegdemonstrieren. Objektiv aber Unrecht, weil längst Leute zusammen mit ihm Verantwortung tragen und offenbar auch geistliches Führungspotenzial haben. Aus diesen soll Mose jetzt die bewährtesten Kräfte heraussuchen.

Die sind nun bereit für den nächsten Level: Nicht mehr nur Streitschlichter und Organisatoren, sondern Teilhaber an der spirituellen Verantwortung für das Volk. Mose macht eine Liste geeigneter Kandidaten und bringt sie vor Gott. Und tatsächlich: Etwas von dem Spirit Moses geht auf die anderen über. Es ist ein verwirrendes Ergebnis.

[Zitat] „Sobald der Geist mit ihnen war, redeten sie eine Zeit lang wie Propheten.“

Und es ist in der biblischen Geschichte sogar so, dass zwei der Liste nicht erschienen sind und trotzdem in Verzückung geraten. Einen kleinen Teil des Verwirrenden kann ich aufklären. Wir denken bei Prophetie an Leute wie Jeremia und die Prophetenbücher der Bibel. Die Prophetie hat ihre Ursprünge aber nicht beim „wohlgeformten Wort“, sondern bei ekstatischen Erlebnissen. Die erwartet man in volkskirchlichen Kreisen eher nicht. Trotzdem kann ich eine Hilfe zum Verständnis anbieten. Es ist, wie wenn Menschen nach Worten ringen und das Gesagte stockend kommt und manchmal auch widersprüchlich zu sein scheint. Im Religionsunterricht kann man das immer wieder erleben. Ein Schüler, eine Schülerin versucht eine religiöse Äußerung und kann sich irgendwie doch nicht ausdrücken. Am Ende: „Verstehen Sie, was ich meine?“ Manchmal wird man als Lehrkraft Worte und Geschichten zur Verfügung stellen, damit sich der Glaube selber besser versteht. Anderes wird sich von selber klären. Irgendwann, so die Hoffnung, wird sie/er sagen können, was Glauben für ihn/sie bedeutet. Bis dahin wird sich manches etwas wirr anhören.

Geistliche Arbeitsteilung und Führung heute

Wir sind längst bei uns. Auch wir kennen Aufgaben, die uns ungewollt zufallen. Manchmal erleben wir sogar Situationen, in denen wir uns „als Christen, Christinnen“ zum Handeln gezwungen fühlen. Der wöchentliche Besuch bei einer Frau, die immer für die Gemeinde da war, aber jetzt im Pflegeheim ist. Die Flüchtlinge, die jetzt eben da sind und ein Flüchtlingscafé im Gemeindehaus brauchen. Die Hausaufgabenhilfe, die jetzt einfach dran ist. Manchmal kommt so „neues Leben“ zu uns. Herausforderungen werden zu Chancen und bringen bereichernde neue Erfahrungen. Aber wir kennen Herausforderungen nicht nur als Chancen und Krisen nicht nur als Wachstumserfahrungen. Wir kennen auch Müdewerden. Hoffentlich muss es dann nicht ein Befreiungsschlag nach Moses Art sein: „Ich werfe alles hin.“ Vielleicht reicht auch ein Innehalten, Nachdenken und planvolles Teilen.

Über den Schlussteil der Predigt habe ich sehr lange nachdenken müssen. Mir scheint eine Parallelisierung nahe zu liegen und doch falsch zu sein: Mose und seine Ältesten. Der Pfarrer und seine Mitarbeiter. Gerne auch multipliziert mit Gender-Stern. „Falsch, falsch, falsch“ ruft es in mir. Die meisten Pfarrer und Pfarrerinnen sind ja keine Visionäre nach Moses Art, die auf Gottes Geheiß etwas Neues gründen. Sie kommen als bezahlte Kräfte in bestehende Gemeinden mit bestehenden Strukturen und Dienstaufträgen. Müsste man nicht richtiger „Jesus und seine Jünger und Jüngerinnen“ denken, auch unabhängig von einer Gemeindeorganisation?

Ich habe versucht, mich von der Kirchengeschichte der Hierarchien und Organisationen frei zu machen. Kommen wir zu dem für mich leichteren Teil. Man kann die geistliche Führung und Arbeitsteilung von oben her denken: Der Papst, in Gemeinschaft mit seinen Kardinälen und Bischöfen, den Priestern und allen geistlichen Amtsträgern. So das historische Bild der römisch-katholischen Kirche [, um die es mir als Mitchrist ebenso weh tut wie um die russisch-orthodoxe Kirche im Ukraine-Krieg oder um Freikirchen, wenn Pastoren von ihrem Glauben abfallen und darüber Bücher schreiben]. Selig zu preisen ist ein Papst, wenn er von einer spirituellen Gemeinschaft umgeben, getragen und begleitet wird, und nicht umsonst waren auch Domkapitel ursprünglich mönchische, d. h. hoffentlich betende und geläuterte Lebensgemeinschaften um einen Bischof. Ein geistlicher Führer darf nicht allein sein, – damit er sich weder überhebt, noch unter der Verantwortung zusammenbricht. Man muss kein Kirchenkritiker sein, um zu wissen, dass nicht jeder Papst, Kardinal, Bischof, Priester ausreichend fromm war, um geistlich zu führen. Und umgekehrt hat auch die umgebende Gemeinschaft oft genug ihre Begleitungsaufgabe nicht ausreichend wahrgenommen. Offensichtlich muss man ja auch nicht ganz oben stehen, um sich breit zu machen. Dann kann es sogar dazu kommen, dass ein Papst sein Amt aufgibt. Sicherlich nicht ohne Gründe und nach reiflicher Überlegung.

Den Protestantismus begleitet seit jeher ein tiefes Misstrauen gegen ein primär hierarchisches Verständnis geistlicher Leitung. Man setzt auf gemeinsame Leitung und das sogenannte Priestertum aller Gläubigen. Doch hier beginnt der für mich schwerere Teil der Schlussüberlegungen. Die allgemeine Arbeitsteilung ist uns schnell einsichtig, doch wie steht das mit der geistlichen Führung. Da wird dann doch schnell auf die Personen geschaut, die öffentlich zu Predigt und Seelsorge berufen worden sind. „Die sind ja auch dafür ausgebildet.“ Und: „Die werden immerhin dafür bezahlt.“ Aber jeder kann wissen, dass Hauptamtliche nicht überall sein können. Oft genug mit Gründen, die sie von Schuld oder bösem Willen freisprechen. Umgekehrt will ich auch nicht Ehrenamtliche überfordern. Ich kann also nur sanft beschreiben, wie der nächste Level kommt, von Teilhabe an Arbeitsteilung hin zur geistlichen Arbeitsteilung.

Am schnellsten beschrieben ist es am Kirchenvorsteher, einer Kirchenvorsteherin einer vakanten Gemeinde. Man ist eine im Gottesdienst längst bewährte Kraft. Man will, dass das Gottesdienstangebot nicht eingeschränkt wird. Man erkennt aber, dass die Pfarrstellenvertretung am Sonntag schon ausreichend beschäftigt ist. Und man macht mehr als bisher: Nicht nur die Begrüßung und die Bibellesungen. Man verliest eine Lesepredigt und merkt, wie Predigen geistliches Wachstum generiert. Man beginnt darüber nachzudenken, Prädikant zu werden und eigene Predigten zu halten. Dafür gibt es ja Ausbildungsangebote.

Ich gehe im Alter zurück und komme zu einem/einer jungen Erwachsenen, die sich um die Website der Gemeinde kümmert. Sie versteht, dass es mit der Website nicht getan ist. Sie sieht, dass man über die Neuen Medien so viel mehr erreichen könnte. Sie sieht aber auch, dass der Pfarrer nicht mit Twitter und Co. aufgewachsen ist. Er kann sich ohnehin nicht in 280 Zeichen fassen. Sie fängt an, nach geistlichen Kurzimpulsen zu suchen, und ringt um eigene Worte. Und der Lohn könnte sein, dass die Konfis der Gemeinde merken: Man kann Glauben auf den Punkt bringen.

Das letzte Beispiel, auch im Gemeindealltag gesehen, soll ein Konfi-Teamer sein. Er will nicht mehr nur beim Spieleabend „Konfis bespaßen“. Er fragt neu auch nach dem Glauben der Jungen und Mädchen auf ihrem Weg ins Leben. Zugleich hat auch er noch nicht „alles ergriffen“, sondern sucht selber noch seinen Weg. Sein Segen könnte es sein, dass die eingesetzte Konfi-Zeit nicht nur Spaß macht, sondern Sinn. Und womöglich entdeckt so ein Teamer ein mögliches Berufsfeld, wird Religionspädagoge oder Pfarrer.

Zum Abschluss ist es an der Zeit, allen Danke zu sagen, die im Kindergottesdienst, in der Konfirmandenarbeit, in Gruppenleitungen und Chören bereits Verantwortung tragen, und in Presbyterien und Kirchenvorständen, Pfarrgemeinderäten und Kirchenverwaltungen, Gemeinde-, Diakonie- oder Fördervereinen auch hochoffiziell Verantwortung übernehmen. Sie helfen nicht nur einem Pfarrer/einer Pfarrerin, nicht überfordert zu sein. Sie helfen, jedenfalls in meiner primären Perspektive, Jesus mit seiner Mission in der Welt. Und selig sind Sie, wenn dabei auch Ihr Glaube den nächsten Level spürt. Nutzen Sie die in Ihren Kirchen vorhandenen Bildungsangebote, begonnen bei den religiösen Beiträgen in der Sonntagszeitung Ihrer Kirche, gerne auch online, weitergehend über Jugend- und Erwachsenenbildung im Umfeld Ihrer Gemeinde bis hin zu regulären Ausbildungen. Sie sind Ihre Verheißung für den nächsten Level im Glauben.

Amen.

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Dr. Hansjörg Biener (*1961) ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und derzeit als Religionslehrer an Nürnberger Gymnasien tätig. Außerdem ist er außerplanmäßiger Professor für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

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