Numeri 11, 11-12.14-17.24-30

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Numeri 11, 11-12.14-17.24-30

Geist tut not | Pfingstmontag | 6. Juni 2022 | Predigt zu Numeri 11, 11-12.14-17.24-30 | Autorin Susanna Kschamer |

Die Gnade unseres Herren Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen -Geistes sei mit uns allen.

Liebe Gemeinde,

es gibt Nächte, die sind schier endlos. Die Zeiger der Uhr scheinen sich so gar nicht zu bewegen. Trotz bleierner Müdigkeit ist an Schlaf nicht zu denken.

Nächte, in denen eins meiner damals sehr kleinen Kinder krank war und so gar nicht schlafen konnte, waren für mich solche Nächte. Die ganze Zeit wollte das Kind nur herumgetragen werden. Arme und Rücken taten mir weh. Versuchte ich mich hinzusetzen, brach das kleine Wesen in ein bitterliches Geschrei aus. Wie lange sollte das noch so weiter gehen? Meine Nerven wurden immer dünner. Aber ich konnte ja nicht einfach weggehen.

Mose muss solche Nächte gekannt haben, und hat seine Mühe mit dem Volk Israel, das er im Auftrag Gottes durch die Wüste in das gelobte Land führen sollte, damit verglichen:

Ich lese den Predigttext aus 4. Mose Kapitel 11

Und Mose sprach zu dem HERRN: Warum bekümmerst du deinen Knecht? Und warum finde ich keine Gnade vor deinen Augen, dass du die Last dieses ganzen Volks auf mich legst? Hab ich denn all das Volk empfangen oder geboren, dass du zu mir sagen könntest: Trag es in deinen Armen, wie eine Amme ein Kind trägt, in das Land, das du ihren Vätern zugeschworen hast?  Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer. Willst du aber doch so mit mir tun, so töte mich lieber, wenn anders ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, damit ich nicht mein Unglück sehen muss.
Und der HERR sprach zu Mose: Sammle mir siebzig Männer unter den Ältesten Israels, von denen du weißt, dass sie Älteste im Volk und seine Amtleute sind, und bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie dort vor dich, so will ich herniederkommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volks tragen und du nicht allein tragen musst.
Und Mose ging heraus und sagte dem Volk die Worte des HERRN und versammelte siebzig Männer aus den Ältesten des Volks und stellte sie rings um die Stiftshütte.  Da kam der HERR hernieder in der Wolke und redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm war, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf.
Es waren aber noch zwei Männer im Lager geblieben; der eine hieß Eldad, der andere Medad. Und der Geist kam über sie, denn sie waren auch aufgeschrieben, jedoch nicht hinausgegangen zu der Stiftshütte, und sie gerieten in Verzückung im Lager. Da lief ein junger Mann hin und sagte es Mose und sprach: Eldad und Medad sind in Verzückung im Lager. 28 Da antwortete Josua, der Sohn Nuns, der dem Mose diente von seiner Jugend an, und sprach: Mose, mein Herr, wehre ihnen! 29 Aber Mose sprach zu ihm: Eiferst du um meinetwillen? Wollte Gott, dass alle im Volk des HERRN Propheten wären und der HERR seinen Geist über sie kommen ließe! 30 Darauf kehrte Mose zum Lager zurück mit den Ältesten Israels.

Mose fühlte sich von seiner Verantwortung für das Volk Israel überlastet, wie eine Mutter oder ein Vater, von einem ständig schreienden Säugling überfordert sein kann. Dieses Volk war eine riesige Zumutung. Ständig verlangen sie mitten in der Wüste nach frischem Wasser, besserem Essen, mehr Fleisch – dabei ist er gar nicht die Mutter (bzw. der Vater) oder die Amme dieses Volkes.  Das ist doch Gott selbst! (und nebenbei gesagt sind das spannende nicht-patriarchale Gottesbilder!) Mose ist jedenfalls mit seinen Kräften am Ende und fühlt sich von seinem Gott im Stick gelassen. Er ist so erschöpft, dass er lieber sterben möchte, als so weiter zu leben und als Ergebnis all seiner Mühe nur Unglück zu erleiden. In der heutigen Zeit würde man ihm vielleicht eine Erschöpfungsdepression diagnostizieren.

Und was tut Gott? Er belässt es nicht bei klugen Ratschlägen und verweist auch nicht auf ein oder zwei weitere Helfer, sondern fordert Moses auf, gleich 70 Älteste vor der Stiftshütte zu versammeln, damit sie ihn unterstützen können. Jene Männer, die auf mittlerer Ebene auch jetzt schon Verantwortung übernehmen. Er erfindet das Rad also nicht neu, sondern knüpft an bewährten Strukturen an.

Das klingt etwas nach einem der Patentrezepte aus dem modernen Führungscoaching: „Delegieren“: Für den, der entlastet wird, ist das oft ein zweischneidiges Schwert. Ist er doch derjenige, der es nicht alleine geschafft hat, der versagt hat. Und auch bei denen, die dann das Delegierte auch noch übernehmen sollen, löst es oft wenig Begeisterung aus.

Doch hier geht es um Begeisterung: als die siebzig Ältesten mit Moses zusammen vor der Stiftshütte stehen, ist es der Geist des Mose, mit dem alle in Verzückung versetzt werden. Hier wird nicht Mose als überforderter Chef bloß gestellt oder an das schlechte Gewissen der Ältesten und der Amtsleute appelliert. Gott weckt Enthusiasmus und macht eine Vision erlebbar. Solche Erfahrungen motivieren dann auch noch in den Niederungen des Alltags und sind ansteckend.

Den dafür nötigen Geist kann man nicht erzwingen, sondern nur erbitten. Er weht, wo er will. Er lässt sich nicht kanalisieren und begrenzen.  Wenn man für den Geist offen ist  –  in der Kirche ebenso wie in der Familie, im Berufsleben, in Politik und Gesellschaft – dann kann  sich vieles bewegen.

Mose fühlt sich nicht degradiert, als sein Geist auf die 70 verteilt wird. Er freut sich darüber. Auch als noch zwei weitere Männer aus dem Lager in Verzückung geraten, ist das für ihn keine Bedrohung. Im Gegenteil: Er würde sich wünschen, dass alle Menschen einen direkten Draht zu Gott haben und zu Propheten werden würden. Denn so kann aus einem Volk, das wie Kleinkinder nach Fleisch quengelt, eine Gemeinschaft werden, die gemeinsam mit Gott unterwegs ist. Und aus lähmender Bedrückung begeisterte Bewegung.

Auch wir brauchen diesen pfingstlichen Geist. In der Kirche, die sich selbst treu bleiben und sich zugleich weiter verändern muss, um ihre Aufgabe erfüllen zu können. In unseren Familie, die längst neue Formen angenommen haben. In unserer Gesellschaft, die immer wieder von neuen Herausforderungen steht. Im ganz Großen, wenn es um Weltfrieden, die Umwelt- und Klimakrise und die gerechte Verteilung von Lebensgütern und -chancen geht. Und in unserem kleinen eigenen Leben.

Lasst uns um Gottes Geist bitten. Lasst uns geduldig auf ihn warten Und wenn er dann kommt: Lassen wir es dann zu von ihm angesteckt und bewegt zu werden. Komm Heiliger Geist!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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Pastorin Susanna Kschamer

Kosel

E-Mail: s.kschamer@kirche-kosel.de

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