Numeri 6,22-27

Numeri 6,22-27

 

Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


 

Trinitatis,
10. Juni 2001
Predigt über 4. Mose 6,22-27, verfaßt von Paul Kluge


Predigttext: Und der Herr redete mit Mose und sprach: Rede mit
Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr zu den Israeliten
sprechen, wenn ihr sie segnet: Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse leuchten sein Antlitz über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Wenn sie
so meinen Namen auf die Israeliten legen, will ich selbst sie segnen.
(Num 6, 22-27)

Liebe Geschwister,
rede mit Aaron und seinen Söhnen und sprich – das ist eine neue
Wendung in den Anweisungen Jahwes an Mose. Da kommen zunächst Anordnungen,
die Mose direkt befolgen und umsetzen soll und kann, dann folgen welche,
die er an das Volk weitergeben soll. Und dann: Rede mit Aaron und seinen
Söhnen und sprich.

Werfen Sie mit mir einen Blick in die nach Mose benannten Bücher
des Alten Testaments und auf Aaron:
Der Aufstieg auf den Berg Hor war ihm schwergefallen. Oft hatte er pausieren
müssen, wenn ihm die Luft wegblieb, die Knie schmerzten. Manchmal
wäre er am liebsten stehen geblieben und hätte keinen Schritt
mehr tun mögen. Doch er wollte, er mußte auf den Gipfel.
Von dort wollte er das Ziel sehen, das er nicht mehr erreichen würde.
Er wollte auf dem Gipfel bleiben und sterben. „Ist man,“ dachte
er in einer Verschnaufpause, „ist man im Sterben auf dem Gipfel
seines Lebens?“ Endlich oben angekommen, setzte er sich auf einen
Stein und blickte in die Richtung des Gelobten Landes. Irgendwo dahinten,
da mußte es liegen. Aber er sah nur flimmernde Luft über
dem Horizont.

Aaron aus dem Stamm Levi, Bruder des Mose. Der bessere Redner von beiden.
Hatte Mose bei den Verhandlungen mit dem Pharao begleitet. Moses, der
Jähzornige, und Aaron, der Besonnene; Mose, der handelnde, und
Aaron, der verhandelnde. Gemeinsam waren sie stark. Und vor ihrer Schwester
Mirjam hatten sie mit ihren Erfolgen geprahlt. Manche Geschichte würde
Mirjam wohl zweimal gehört haben, einmal von Mose, einmal von ihm,
und Mirjam hatte die Wirklichkeit dann wohl nur vermuten können.

Jedenfalls: Mose und Aaron hatten ihr Volk gemeinsam aus der Knechtschaft
geführt. Doch allmählich hatte Mose sich zum eigentlichen
Führer entwickelt, Aaron hatte seine Befehle entgegengenommen,
ihm Hilfsdienste geleistet.

Das hatte ihm, dem Älteren, nicht gefallen, war ihm, dem Überlegenen,
wahrlich nicht leicht gefallen. Er war – von Mose – zwar zum obersten
Priester geweiht worden, Mose aber hatte die Weisungen Jahwes empfangen.
Hätte es Mose überraschen müssen, als er, Aaron, seine
Chance nutzte, als ihm die Stunde günstig schien? Als Mose lange,
für das Volk zu lange auf dem Berg Horeb verweilt und das Volk
nach einem starken Führer gerufen hatte, war Aaron auf den Wunsch
eingegangen. Hatte Schmuck einsammeln und schmelzen, einen goldenen
Stier anfertigen lassen – Sinnbild eines heidnischen Kultes, in dem
die Befruchtung der Erde durch den Himmel orgiastisch gefeiert wurde.

Mose hatte danach die Zügel, die Aaron hatte schießen lassen,
wieder straff in seine Hand genommen, und Aaron hatte sich herausgeredet:
„Die Leute wollten ein Gottesbild. Ich hab dann ihren Schmuck gesammelt
und ins Feuer geworfen, dabei ist zufällig dies Vieh entstanden.“
Dann hatte er selbst die Strafaktion gegen die Stieranbeter geleitet.
Mose hatte ihn wohl nicht durchschaut, jedenfalls hatten sie danach
wieder Hand in Hand gearbeitet, Thron und Altar einträchtig verbunden.

Später hatte Aaron gemeinsam mit seiner Schwester Mirjam versucht,
Widerstand gegen Mose zu leisten. Mirjam wurde ins Exil geschickt,
Aaron konnte sich halten. Genoß als Priester eine gewisse Immunität.
Doch als die Korachiten einen Aufstand gegen ihn versuchten, spottet
Mose: „Was ist schon Aaron, daß ihr gegen ihn murrt!“
– Aarons Stellung aber wurde nach der Vernichtung der Korachiten gestärkt.

Dennoch geriet Aaron zunehmend in den Schatten seines jüngeren
Bruders Mose. Der politische Führer des Volkes gab ihm, dem geistlichem
Leiter, die Richtlinien vor. Und hielt ihn damit an der Leine. Religion
als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.

Mit der Zeit hatte er sich arrangiert: Mit der Vorrangstellung seines
jüngeren Bruders – er blieb ja der Ältere und auch der Überlegene;
mit seiner Funktion als Berater des Mose – er machte das so geschickt,
daß Mose aussprach, was Aaron dachte; mit seiner Aufgabe als oberster
Priester – seine Söhne hatten die Ränge direkt unter ihm inne,
sie waren eine starke Truppe.

Fast vierzig Jahre waren sie durch die Wüste nomadisiert, die
Leute waren alt geworden und müde, ausgemergelt und abgestumpft.
Zelt und Lade als Zeichen der Gegenwart Jahwes hielten sie noch zusammen,
und Aaron als Herr der Riten hielt sie aufrecht. Die Sünden des
Volks einem Sündenbock aufladen und ihn in die Wüste schicken.
Die Opfer der Menschen vor Jahwe bringen und ihnen das Gefühl
von Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Damit hatte er die Leute
bei der Stange gehalten und sie schließlich davor bewahrt, zu
den Fleischtöpfen Ägyptens zurückzukehren. Dorthin, wo
sie gut umsorgt gewesen waren – und dafür mit ihrer Freiheit bezahlt
hatten. Es war zunehmend seine Aufgabe geworden, Müde zu ermuntern,
Beladene zu entlasten, Verzagte zu ermutigen, Trauernden zu trösten.
Er hatte das gern gemacht. Bald nun würden andere das machen, ihm
war es recht. Doch so wie er würde es keiner können, auch
seine Söhne nicht. Alle, aber wirklich alle, würden noch lange
an ihn denken und ihn vermissen. Der Gedanke tat ihm gut.

Aaron blickte in die Richtung, aus der er gekommen war. Er erkannte
das Lager, wohl geordnet um die Stiftshütte herum aufgebaut. Die
Menschen darin ganz klein und schutzbedürftig. Er hob die Arme,
dann sprach er wie so oft in seinem Priesterleben: „Der Herr segne
dich und behüte dich. Der Herr lasse leuchten sein Antlitz über
dir und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich
und gebe dir Frieden. Amen, so sei es.“ Es dachte an die neugeborenen
Kinder, die er so gesegnet hatte, an die Jugendlichen, wenn sie ihre
Kindheit beendet hatten, dachte an die Brautpaare, die vor ihm gestanden
hatten, an Krieger, wenn sie in einen Kampf ziehen mußten, an
Kranke und an Sterbende. An Menschen auch, die mit ganz persönlichen
Sorgen und Nöten zu ihm gekommen waren. Über ihnen allen hatte
er seine Hände erhoben oder sie ihnen auf den Kopf gelegt und ihnen
zugesprochen: „Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr
lasse leuchten sein Antlitz über dir und sei dir gnädig. Der
Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen, so sei
es.“ Wie oft hatte er diese Worte wohl gesagt? Einige tausend mal
bestimmt, und immer hatte er sie mit Bedacht gesagt. Damit sie wirken
konnten und bewirken, was sie sollten: Kraft den Müden, Entlastung
den Beladenen, Mut den Verzagten, Trost den Trauernden. Immer wieder
hatte er die Wirkung dieser Worte auf die so Gesegneten bemerkt und
wie sie gestärkt und ermutigt, ermuntert und getröstet von
ihm gegangen waren, voll Vertrauen darauf, daß diese Worte wahr
werden, wahr sein würden. „Jeder Mensch und erst recht der,
dem es nicht gut geht, möchte behütet sein,“ dachte er,
„jeder lädt Schuld auf sich und ist auf Gnade angewiesen,
jeder sehnt sich nach Frieden. Dieser Dreiklang spricht die Menschen
an, dieser Dreiklang ist es, mit dem Gott zu den Menschen spricht: Bewahrung,
Gerechtigkeit, Frieden.“

Seine Söhne, das hatte Aaron oft erlebt, hatten den Segen übernommen,
sie würden ihn weitergeben. Und vielleicht würden sich einmal
überall auf der Welt Menschen mit seinen Worten den Segen Gottes
zusprechen: „Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr
lasse leuchten sein Antlitz über dir und sei dir gnädig. Der
Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen, so sei
es.“

Aaron blickte noch einmal auf das Lager seines Volkes und dann in die
Richtung des Gelobten Landes. Legte sich danach in den Schatten eines
großen Steines, sagte noch einmal: „Der Herr segne dich und
behüte dich. Der Herr lasse leuchten sein Antlitz über dir
und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und
gebe dir Frieden. Amen, so sei es.“ Dann schlief er ein und wachte
nicht mehr auf. Amen

Fürbittengebet
Gott, du willst uns segnen und behüten. Das ist ein unverdientes
Geschenk. Denn du hättest viel mehr Anlaß, uns zu drohen
und zu strafen. Du aber segnest und behütest uns. Du bietest uns
immer wieder deine Güte, deine Gnade an; wir fassen sie nicht.
Deine Güte, deine Gnade übersteigen unseren Verstand, wir
fassen sie nicht. Die hast mehr Güte, mehr Gnade für uns als
wir annehmen können; wir fassen sie nicht.
Du segnest und behütest uns und gibst uns deinen Frieden. Du segnest
und behütest uns, du gibst uns deinem Frieden daß wir in
Frieden sind mit uns selbst, daß mit unseren Familien, Nachbarn,
Kollegen in Frieden leben. Segne du auch alle, die in Unfrieden leben,
und alle, die Unfrieden stiften, daß sie in dir Frieden finden.

Als Segen:
Gott, der die Welt und alles in ihr geschaffen hat, gebe euch Kraft,
Neues zu schaffen. Er gebe euch gute Gedanken und gute Worte, die euch
und andere weiterbringen. Er gebe euch geschickte Hände, die Versöhnung
und Frieden schaffen
Gott, der erhält, was er geschaffen hat, gebe euch Geduld und Ausdauer,
sein Werk zu erhalten. Er gebe euch Klugheit, seine Schöpfung zu
bebauen und zu bewahren.
Gott, der hilft und rettet, gebe euch offene Augen, die Not anderer
zu sehen. Er gebe euch gute Hände, die Not anderer zu lindern.
Und er gebe euch ein offenes Wesen, die Ursachen von Not zu benennen
und zu beseitigen.
Gott, der euch mit guten Fähigkeiten begabt hat, ermuntere euch,
seine Gaben für mehr Gerechtigkeit und Frieden, für mehr Hoffnung
und Liebe, für mehr Wahrheit und Glauben zu verwenden. Amen

Liedvorschlag
Gelobet sei der Herr, EG 139; Komm, Herr, segne uns, EG 170; Gib uns
Frieden jeden Tag, EG 425; Herr, gib uns deinen Frieden, EG 436

Paul Kluge
Provinzialpfarrer im Diakonischen Werk
in der Kirchenprovinz Sachsen e. V.
Postfach 54, 39028 Magdeburg
E-Mail: Paul.Kluge@T-Online.de

 

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