„O Haupt voll Blut und Wunden“ (EG 85)

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„O Haupt voll Blut und Wunden“ (EG 85)

Predigreihe zu Paul Gerhardt / 2007
„O Haupt voll Blut und Wunden“ (EG 85),
Karfreitag – 06.04.2007 – 14.30 Uhr, Andacht zur Todesstunde Christi, verfasst von Reinhard Brandt


Eingangsmusik

Gruß

Im Namen des dreieinigen Gottes: der sich hat kreuzigen lassen (als der Sohn); der selbst Verflucht-Gekreuzigte auferweckt (als der Vater); der uns trotz „Blut und Wunden“ glauben läßt (als der Geist) – im Namen dieses dreieinigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Ein Gruß zu diesem Gedenken der Todesstunde Christi, zu Gebet und Meditation, zu Stille und Lied.

Ein Lied soll heute im Mittelpunkt stehen und uns zur Meditation der Passion Christi anleiten: „O Haupt voll Blut und Wunden“. Paul Gerhardt hat den Text dieses Liedes geschrieben; am 12. März gedachten wir seines Geburtstages vor 400 Jahren. Lassen Sie uns dieses Lied zu rechter Andacht singen und beten und bedenken.

Gebet

O Haupt voll Blut und Wunden, / voll Schmerz und voller Hohn, / o Haupt, zum Spott gebunden / mit einer Dornenkron, / o Haupt, sonst schön gezieret / mit höchster Ehr und Zier, / jetzt aber hoch schimpfieret: / gegrüßet seist du mir! [Strophe 1 als Gebet gesprochen, dann gesungen]

ohne Orgelvorspiel: EG 85,1

Lesung (Lektor/in): Lk. 23,32-49

Worte 1

Dramatisch ist das Geschehen, der kurze Prozeß, das Weiterschieben der Verantwortung, das Geschrei des Volkes, das schnelle Urteil, die lange Folter, der Weg zur Hinrichtung, die Kreuzigung selbst, der Spott der Machthaber über den Ohnmächtigen, Lästerung und Frieden an der Schuld- und Todesgrenze.

Dramatisch ist das Geschehen, aber jetzt ist es vorbei. Finsternis legt sich weit über das Land – und weit über die Herzen. Wenn dann Gott es doch schenkt, dann muß man eben dies: mit dem Herzen sehen, in der Finsternis sehen! Jetzt richtet sich der Blick nur noch auf eine Stelle: auf das Angesicht des Sterbenden. Nicht mehr dramatisch, aber mit um so größerer Intensität lenkt das Lied den Blick auf dieses Angesicht.

Hier in unserer Kirche ist Christus so dargestellt: markant und kräftig und kühl, ein Herrschergesicht. Und zugleich die Dornenkrone mit ihren Spitzen ins Gesicht gedrückt, der Blick schon fast gebrochen, das Gesicht „so schändlich zugericht'“.

[Dazu ggf. andere Beispiele aus der eigenen Kirche. Eine Bilddatei mit der Kreuzigungsgruppe von Karl Hemmeter in der Evang. Stadtkirche St. Andreas, Weißenburg, kann heruntergeladen werden unter http://www.st-andreaskirche.de/hemmeter-kreuz.jpg]

Bleich ist das Gesicht, das Karl Hemmeter geschnitzt hat. Vielleicht kommen Sie nachher noch nach vorne und meditieren es. Bleich in der Nachmittagssonne, blaß schaut es oft aus winterlicher Dämmerung in unserer Kirche.

In der Gotik waren die Figuren meist farblich gefaßt, wie ja sonst an unseren Altären. Mindestens aber waren die Augen blau und die Lippen rot: das helle Augenlicht und das volle, pralle Leben, das warme Blut in roten Lippen.

Das hat der Hemmeter-Christus schon hinter sich: „Die Farbe deiner Wangen, / der roten Lippen Pracht / ist hin und ganz vergangen; / des blassen Todes Macht / hat alles hingenommen, / hat alles hingerafft, / und daher bist du kommen / von deines Leibes Kraft.“

Lassen Sie uns Strophen 2 und 3 bedenken und singen.

Orgelvorspiel; EG 85,2-3

Worte II

Wie bedenken wir das Kreuzesgeschehen recht? In einer Haltung der Selbsterkenntnis! Und so, daß wir von ihm erkannt werden und wir ihn erkennen.

Doch zuerst die Selbsterkenntnis: was wir alles mitbringen, welche Last, welche Schuld, welche Armut, welchen Zorn auch. Zuerst die Selbsterkenntnis: Was wir wohl bekommen würden, wenn wir bekämen, was wir verdienen?

Im mittelalterlichen Spanien und sonst im christlichen Europa zu verschiedenen Zeiten war einer der gefährlichsten Tage für Juden der Karfreitag. Die Karfreitagsprozession zog durch die Straßen, vielleicht geißelten sich Menschen in Nachahmung des Leidens Christi – und plötzlich kippte die Stimmung: „Die Juden sind schuld!“ schrie dann die Menge und erhob sich und nahm die perverse Verfolgung auf: wen sie zu greifen bekam.

Schon historisch ist das Unsinn, denn das Kreuz war eine der Todesfoltern der römischen Besatzungsmacht. Vor allem aber geistlich ist jene Wende vom Leid-nachleben zum Leiden-lassen ganz falsch und heillos. Heilsam ist nur die Selbsterkenntnis. Paul Gerhardt hat sie in die Form eines Gebetes gefaßt:

„Nun, was du, Herr, erduldet, / ist alles meine Last; / ich hab es selbst verschuldet, / was du getragen hast. / Schau her, hier steh ich Armer, / der Zorn verdienet hat. / Gib mir, o mein Erbarmer, / den Anblick deiner Gnad.“

Damit ein Mensch heil werde, müssen Selbsterkenntnis und Fremdwahrnehmung miteinander verbunden werden. Das tut Paul Gerhardt in zwei Richtungen:

* als Bitte an Christus: Er soll mich erkennen, wie ich bin, wie ich vor ihm stehe, zweifelhaft eben, wie ein Schaf, ein verirrtes: „Erkenne mich, mein Hüter, / mein Hirte, nimm mich an.“

* und als meine Wahrnehmung, was ich von Christus habe: „Von dir, Quell aller Güter, / ist mir viel Guts getan“.

Beides muß zusammen kommen: Die Selbsterkenntnis, die die Schuld nicht auf andere abschiebt; und das Vertrauen auf die fremde Tat. Davon lassen Sie uns singen: Strophe 4 und 5:

Orgelvorspiel; EG 85,4-5

Worte III

Wo stehen die Christen? Wahre Christen? – Ein Gedicht von Dietrich Bonhoeffer:

Menschen gehen zu Gott in ihrer Not,

flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot,

um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tot.

So tun sie alle, alle, Christen und Heiden.

Menschen gehen zu Gott in seiner Not,

finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot,

sehn ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod.

Christen stehen bei Gott in seinem Leiden.

Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not,

sättigt den Leib und die Seele mit Seinem Brot,

stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod

und vergibt ihnen beiden.

Wo stehen Christen? „Christen stehen bei Gott in seinem Leiden.“ Oder etwas anders, barocker ausgedrückt: „Ich will hier bei dir stehen, / verachte mich doch nicht“! Lassen Sie uns mit ehrlichem Herzen Strophe 6 singen:

Orgelvorspiel; EG 85,6

Worte IV

Von Selbsterkenntnis und Fremdwahrnehmung sprach ich, sprach Paul Gerhardt. Und von dem Ort, an dem Christen stehen.

Sie sind schon einigermaßen verrückt, aus der Mitte gerückt, die Christen. Die „Selbstfindung“ des Menschen geschieht dadurch, daß er sich selbst vergißt, von sich selbst fortgeführt wird.

Gerade darum geht es in den nächsten Strophen bei Paul Gerhardt: ganz neuzeitlich modern um Selbstfindung: „wenn ich … mich finden soll“. Und diese Selbstfindung geschieht an einem anderen Ort, in Christus, „in deinem Leiden“. Lebensumfassend ist diese Selbstfindung deshalb, sie umfaßt die Freuden, das Wohlergehen, aber eben auch meine Schmerzen und mein Leiden, mein Leben und meinen Tod.

Keine besondere Leidenssehnsucht spricht aus diesen Strophen. Nach dem Leiden muß man sich nicht sehnen, das Leiden muß man nicht suchen. Das Leid kommt von selbst, wie sogar wir wissen, wir alle wissen trotz der Spaßgesellschaft. Paul Gerhardt wußte das noch viel besser. Daher keine Leidenssehnsucht, aber eine verrückte Christusbeziehung in einer Solidarität des Leidens, die mich auch in meinem Leid trägt.

Von einem „fröhlichen Wechsel“ sprach Luther einmal, um das Verhältnis zwischen Christus und uns Menschen in Worte zu fassen. In anderen Bildern und Bezügen einen ähnlichen Wechsel beschreibt der gute Lutheraner Paul Gerhardt, ähnlich fröhlich auch.

Lassen Sie uns singen: Strophen 7 und 8.

Orgelvorspiel; EG 85,7-8

Worte 5, Gebet

Nackt und bloß hing Jesus am Kreuz. Seine Kleider waren die Beute der Befehlsempfänger, der Preis für den Sieger im üblich-üblen Spiel. Nackt und bloß starb Jesus am Kreuz.

Nackt und bloß soll deshalb unser Altar sein. So tragen wir nun auch den letzten Schmuck hinaus: die Kerzen, das schwarze Parament, selbst das vergoldete Kreuz.

Dazu einige Minuten der Stille, nur die Sterbeglocke läutet. Minuten des Gedenkens, der Meditation, des Gebets: „Ich danke dir von Herzen, / o Jesu, liebster Freund, / für deines Todes Schmerzen, / da du’s so gut gemeint.“

Glocke, der Altar wird abgeräumt, insges. 5 Min. Stille

Worte 6

In den Tod hinein und über den Tod hinaus reicht Gottes Macht. Christus reißt er aus dem Tod. Und uns reißt Christus aus unseren Ängsten.

Deshalb ist es ganz sachgerecht, daß ein Passionslied zu einem Text der evangelischen Sterbe- und Trauerbegleitung geworden ist, viel gebetet und gesungen an Kranken- und an Sterbebetten und beim letzten Geleit auf dem Friedhof, schon im Bewußtsein, daß es auch für mich einmal einen letzten Weg geben wird.

Lassen Sie uns Strophe 9 singen:

kein Orgelvorspiel, keine Orgelbegleitung, a Capella: EG 85,9

Gebet

Wir beten, indem wir gemeinsam die letzte, zehnte Strophe Paul Gerhardts – und darauf das Gebet des Herrn sprechen:

„Erscheine mir zum Schilde, / zum Trost in meinem Tod, / und laß mich sehn dein Bilde / in deiner Kreuzesnot. / Da will ich nach dir blicken, / da will ich glaubensvoll / dich fest an mein Herz drücken. / Wer so stirbt, der stirbt wohl.“

Vater unser

Segen

Es segne und behüte uns der allmächtige und barmherzige Gott, der Vater durch den Sohn im Heiligen Geist. Amen.

Stille, kein Orgelnachspiel

 

Dekan Dr. Reinhard Brandt
Weißenburg (Bay.)

E-Mail: reinhard.brandt@elkb.de

Ein Vorschlag von Michael Haag, Kirchenmusiker in Weißenburg, welche Vorspiele von E. Pepping, J.G. Rheinberg und J. Brahms sinnvollerweise gespielt werden können, ist unter http://www.st-andreaskirche.de/sterbestunde-ablauf.pdf abrufbar, beide Dateien als Zip-Datei unter http://www.st-andreaskirche.de/karfreitag.zip oder als selbstentpackende Exe-Datei unter http://www.st-andreaskirche.de/karfreitag.exe

 

de_DEDeutsch