Offen für Grenzen

Home / Bibel / Altes Testament / 23) Jesaja / Isaiah / Offen für Grenzen
Offen für Grenzen

Jesaja 1, 10-18 | verfasst von Markus Kreis| 

Wozu allgemeine religiöse Feiertage? Nun – jeder braucht mal eine Pause, selbst Gott. Am siebten Tag war Schicht im Schacht für ihn. Was sich der ewige Schöpfer gönnt, das gönnt er seinen Geschöpfen. Zumal sie, anders als er, nur über begrenzte Kräfte verfügen. Auch sie dürfen regelmäßig ruhen – jeden siebten Tag.

Das Feiertagsruhegebot zeigt: Der ewige Gott und Schöpfer begrenzt sich. Er kennt seine Grenzen. Hält sich an sie. Und gibt sie sogar preis. Bekennt sich zu ihnen, öffentlich.

Vier Dinge, die Menschen schwerfallen. Erstens: Das, was man sich selbst herausnehmen kann, begrenzen. Die eigenen Grenzen und Schwächen kennen – wer kann sich da seiner selbst sicher sein? Selbst wenn wir unsere Grenzen und Schwächen kennen würden – würden wir uns an unser Wissen halten? Unsere Grenzen nicht überschreiten? Unsere Schwächen nicht überspielen? Ganz zu schweigen davon, Grenzen und Schwächen öffentlich preis zu geben. Vier heikle Dinge.

Heikel, da es verschieden starke Menschen gibt. Fast jeder taxiert seine Mitmenschen nach Schwäche und Stärke. Um seine eigene Position zu finden. Um heraus zu bekommen, wer einem überlegen oder unterlegen ist. Und ob man den Ball eher flach halten soll. Oder ob man Ansprüche stellen kann.

Ein ewiges Hin und Her. Einige merken dann, dass sie vielen Menschen überlegen sind. Manche dieser Starken werden von Schwächeren angehimmelt, teils ohne es zu wollen. Vielleicht überschätzen die Starken ihre Macht deswegen. Doch der stärkste und mächtigste Mensch ist unendlich schwach gegenüber Gott. Das sollten Schwache und Starke sich immer wieder klar machen.

Die Feiertagsruhe erinnert daran. Sie ist der große Gleichmacher unter den Menschen. Vor Gott sind alle Schwächlinge, auch die Stärksten und Mächtigsten, die Besten. Wer die Feiertagsruhe abschaffen will, der bestärkt das Machtgefälle. Die verschieden verteilte Macht, die sowieso unter den Menschen herrscht. Der lässt Misstrauen aufkeimen. Der leistet dem Verdacht Vorschub: Die Starken und Mächtigen, die kennen keine Grenzen mehr. Deshalb: her mit der allgemeinen Feiertagsruhe!

Wer die Feiertagsruhe hält, der zeigt: Ich habe Grenzen und darf sie haben. Denn Gott weiß darum und gleicht das in Ruhe aus: meine Fehler und meine Schwächen. Und jeder meiner Nächsten hat Grenzen und darf sie haben. Denn Gott weiß darum und gleicht das in Ruhe aus: dessen Fehler und Schwächen. Wer feiertags die Ruhe bewahrt, der zeigt: Gott gleicht jegliche Fehler und Schwächen der Menschen aus. Gott begleicht, was dem Menschen fehlt.

Jes.1,10 Höret des HERRN Wort, ihr Herren von Sodom! Nimm zu Ohren die Weisung unseres Gottes, du Volk von Gomorra! 11 Was soll mir die Menge eurer Opfer?, spricht der HERR. Ich bin satt der Brandopfer von Widdern und des Fettes von Mastkälbern und habe kein Gefallen am Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke. 12 Wenn ihr kommt, zu erscheinen vor mir – wer fordert denn von euch, dass ihr meinen Vorhof zertretet? 13 Bringt nicht mehr dar so vergebliche Speisopfer! Das Räucherwerk ist mir ein Gräuel! Neumonde und Sabbate, wenn ihr zusammenkommt, Frevel und Festversammlung mag ich nicht! 14 Meine Seele ist Feind euren Neumonden und Jahresfesten; sie sind mir eine Last, ich bin’s müde, sie zu tragen. 15 Und wenn ihr auch eure Hände ausbreitet, verberge ich doch meine Augen vor euch; und wenn ihr auch viel betet, höre ich euch doch nicht; denn eure Hände sind voll Blut. 16 Wascht euch, reinigt euch, tut eure bösen Taten aus meinen Augen, lasst ab vom Bösen! 17 Lernt Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schafft den Waisen Recht, führt der Witwen Sache! 18 So kommt denn und lasst uns miteinander rechten, spricht der HERR. Wenn eure Sünde auch blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden, und wenn sie rot ist wie Scharlach, soll sie doch wie Wolle werden.

Jesajas Publikum hält sich ans Feiertaggebot. Und zeigt sich im Feiern offen für Gottes Hilfe (siehe Vers 15). Alles Volk will sich seine Grenzen und Schwächen von Gott begleichen lassen. Aber irgendwas scheint nicht in Ordnung zu gehen. Jesaja lässt eine Beschimpfung vom Stapel:

Einige Leute treiben ein doppeltes Spiel. Sind nicht vorne wie hinten. Predigen Wasser, trinken Wein. Nutzen ihre starke Position aus, um Schwächere zu unterdrücken. Einige Starke feiern dem Gebot nach. Und tun nach außen kund, sich Gott zu unterstellen – ihrer Macht unter den Menschen zum Trotz. Weil selbst die Stärksten und Mächtigsten vor Gott Schwächlinge sind.

In Wahrheit jedoch bauen sie ihre Stärke und Macht zu ihrem Vorteil aus. Gewinnen noch mehr Macht. Lassen Schwächere sich noch schwächer fühlen. Drücken sie in die Ohnmacht. Das widerspricht eindeutig Gottes Absicht.

Wir haben vorhin dazu gehört: Gott hat sein Schaffen begrenzt. Er macht nicht endlos weiter. Macht nicht irgendwas weiter. Gott hat mit seinem Schaffen zugleich seine Ziele eingegrenzt. Und das heißt: Er bietet seinen Geschöpfen einen Vertrag an. Bindet sich an ihr Wohl. Sagt: Ihr bekommt für euer begrenztes Leben – Leben aus meiner Ewigkeit.

Im Gegenzug haltet ihr Euch an meine Gebote. Und das schließt mit ein: Das zwischen uns, das ist ein Exklusivvertrag! Ich bin der Herr, dein Gott, ich allein! Zweitens: Unterstellt mir nicht, dass ich mit dem Vertrag andere, fiese Absichten verfolge als die genannten! Missbrauche nicht meinen Namen! Drittens: Geht gescheit mit mir um! Feiertagsgebot. Viertens: Geht gescheit miteinander um! Die übrigen der zehn Gebote also.

Ein Vertrag – wie unter Gleichen. Obwohl Gott eindeutig stärker und mächtiger ist als seine Geschöpfe. Also keine heilige Mafia. Kein Schutzgeldvertrag. Bei dem ein Starker einen Schwachen erpresst. Da spielt der Starke dem Schwachen die Hilfe nur vor, wenn der ihm etwas zahlt. Denn der Schwache zahlt in Wahrheit dafür, dass ihm der Starke nicht Gewalt antut. Wenn er dem Starken nicht zahlt, wird er übel zugerichtet.

Vielleicht sind Starke und Mächtige gar nicht so eingebildet. Und halten sich tatsächlich für schwach gegenüber Gott. Dabei verstehen sie Gott als eine Art Mafiapate. Als Schutzgelderpresser. Wenn sie per Feiertagsruhe und guter Tat gezahlt haben, dann glauben sie: Jetzt kann ich mir alles gefahrlos erlauben. Gott ist aber kein Schutzgelderpresser. Er richtet niemanden übel zu. Vom Kreuz mal abgesehen. Er will nicht solche Opfer und religiöse Taten.

Um im Bild zu bleiben: Gott zahlt Geld. Gott will und tut also das Gegenteil. Gott zahlt Lösegeld. Gott will Schwache und Starke aus diesem Verhängnis befreien. Gott gibt tatsächlich ab von seiner ewigen Macht. An die Schwachen von seinem Mut und Verstand – damit sie sich weniger dumm oder machtlos fühlen. Die Schwachen sind bei unserem Jesajatext jedoch nur indirekt im Blick. Der Prophet schaut auf die Starken und Mächtigen. Hat die Elite im Visier.

Gottes Begleichen wirkt auch bei den Mächtigen. Er behält Recht gegenüber den Starken: Zuerst beim Debattieren mit ihnen. Das kann in öffentlicher Diskussion geschehen. Oder unter vier Augen.  Oder mit sich allein, im inneren Zwiegespräch. In all diesen Lagen wird das wirklich. Und dann auch im Wirken seines Rechts.

Aus Rot soll Weiß werden. Aus einem Urteil infolge Grenzverletzung wird ein unbeschriebenes Blatt. Kein Starker bereut, dass er seine Übermacht doch nicht ausspielt. Kein Mächtiger bedauert, dass er seine Beziehungen nicht spielen lässt. Außer der einen zu Gott.

Da weiß die Bibel einiges zu nennen. Zum Beispiel das Gespräch Davids mit dem Propheten Nathan. Nach der Affäre mit der Gattin seines Offiziers. Den er deswegen über die Klinge hat springen lassen. Du bist der Mann. Nathan erzählt von der Übeltat eines reichen Schafhirten. Die David als rechter König glattweg verurteilt. Nur, um zu hören und zu erkennen: Nathan meint mich. Ich bin der üble Schafhirt. Das hat gesessen! David bereut. Nimmt hin, was Gott ihm in Zukunft auferlegt. Vielleicht hat David sogar Psalm 51 danach geschrieben.

Es geht aber nicht nur um die großen Mächtigen. Die Bibel kennt auch die Macht der kleinen Leute. Die sind wurfbereit. Damals mit Steinen. Heute eher mit Hass, Vorwürfen. Im Internet eben noch Love Bombing – jetzt Shitstorm. Mobbing in Text und Bild. Wer von Euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein!

Wer hat sich noch nicht heimlich gegönnt, wenn er die Chance hatte? Wer hat noch nicht seine Machtgrenzen überschritten – gut versteckt und anonym? Wer hat noch nicht andere genau dieser Sachen verdächtigt? Weil er insgeheim weiß, dass er es selbst ähnlich machen könnte?

Gott rührt die Gewissen der Starken und Mächtigen. Wirkt in ihnen tätige Reue. Gott sorgt mit seinen Worten, dass die Starken sich weniger rausnehmen. Ihre Macht von sich aus begrenzen. Ihre Stärke zu guten Zwecken nutzen. Offen sind für Grenzen. Offen für einen neuen Umgang mit denen ohne Macht und Einfluss. Offen für die Grenzen, die Gottes unendliche Macht mit sich bringt. Aus Rot wird Weiß. Gott begrenzt die größte Schuld. Und eröffnet so, mit neuen Grenzen neu anzufangen. Amen.

OStR Markus Kreis, D-69469 Weinheim, markus-kreis@t-online.de

de_DEDeutsch